
Beim Abnehmen hilft schwere, voluminöse, kalorienarme Nahrung
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Viele Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig oder adipös und können von einer Gewichtsabnahme profitieren. Wie effektiv Interventionen wie Lebensstilveränderungen, Diäten und bariatrische Chirurgie sind, erläuterte Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich, kürzlich am FOMF Innere Medizin Update Refresher.
Ungefähr 10% der Weltbevölkerung sind adipös. Das entspricht 770 Millionen Menschen. Regional bestehen allerdings grosse Unterschiede. Auf der kleinen Pazifikinsel Nauru beispielsweise sind 72% der Bevölkerung fettleibig, in Bangladesch 1%. In der Schweiz beträgt der Anteil der Adipösen 11%.
Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 (T2D) treten häufig zusammen auf. Drei von zehn übergewichtigen Personen leiden auch an einem Diabetes mellitus; umgekehrt sind neun von zehn Typ-2-Diabetikern zu schwer. «Es gibt somit praktisch keinen Typ-2-Diabetes ohne Übergewicht», so Lehmann. In der Schweiz sind eine Million Menschen adipös und eine halbe Million hat einen Diabetes mellitus.
Für die Adipositas gibt es prädisponierende Gene. «Eine zentrale Rolle für die Entwicklung von Übergewicht spielen jedoch Umweltfaktoren», sagte der Referent. Dazu gehören erhöhte Kalorienzufuhr, Fast Food, häufiges Auswärtsessen, Aufnahme von energiedichten Lebensmitteln (Fett, Süssigkeiten) sowie Bewegungsarmut. Sehr selten können auch ein Cushing-Syndrom oder eine Hypothyreose der Grund für die Fettleibigkeit sein.
Zwischen Diabetes mellitus und Adipositas bestehen Wechselwirkungen, die zu einem Circulus vitiosus führen. «So fördert Adipositas die Insulinresistenz und Beta-Zell-Dekompensation und beim Diabetes begünstigen gewisse antidiabetische Medikamente, Unterzuckerung und diabetische Komplikationen die Fettleibigkeit», erläuterte Lehmann. Auch sozioökonomische Faktoren, wie schlechte Bildung und niedriges Einkommen, begünstigen Adipositas und T2D.
Die beste Therapie ohne Medikamente
Die Regulation von Hunger und Sättigung erfolgt primär über das Gewicht und das Volumen der Nahrung, weniger über die Energiedichte. «Ist der Magen leer, produziert der Körper Ghrelin, was das Hungergefühl auslöst. Wird er gedehnt, sinkt das Hormon ab und das Sättigungsgefühl stellt sich ein», erklärte Lehmann. Zum Abnehmen sei deshalb eine schwere, voluminöse und kalorienarme Nahrung günstig. Denn so kann leicht, ohne gross hungern zu müssen, eine negative Energiebilanz erreicht werden.
In den westlichen Industrienationen werden täglich etwa 2100kcal aufgenommen. Das entspricht 1680g Nahrung oder 160kcal/100g Nahrung. Ein Mittagessen mit einem Big Mac, Pommes frites, Apfeltasche und einem Milchshake hat eine deutlich höhere Energiedichte als beispielsweise ein Teller mit Fleisch, Gemüse und Kartoffeln (237kcal/100g vs. 160kcal/100g). Um mit einem Burger-Essen nicht mehr Kalorien als mit einem Fleisch-Gemüse-Kartoffel-Teller aufzunehmen, kann nur die Hälfte des Nahrungsvolumens eingenommen werden. Die Folge: Zwei Stunden nach einer Burger-Mahlzeit stellt sich bereits wieder Hunger ein. Häufiger Fast-Food-Konsum führt daher meist zu einer übermässigen Kalorienzufuhr und auf Dauer zu Übergewicht.
«Selbst die zuckerhaltigsten Früchte – Bananen, Trauben oder Mango – haben mit 125kcal/100g eine deutlich geringere Energiedichte als das Essen, das hierzulande durchschnittlich eingenommen wird», betonte Lehmann. Viel Obst zu essen sei deshalb zur Prävention von Übergewicht etwas Gutes. Der Nachteil: Eine Ernährung mit vielen Früchten ist teuer.
Intervention ist abhängig vom BMI
Wann welche Massnahmen zur Gewichtsreduktion angezeigt sind, ist vor allem abhängig vom Body-Mass-Index (BMI). Bei Übergewicht (BMI <30kg/m2) ist die Lifestyle-Modifikation mit Veränderung des Ernährungs- und Aktivitätsverhaltens die wichtigste Massnahme. Bei Adipositas Grad 1 (BMI 30–35kg/m2) können Medikamente eine Rolle spielen, bei Adipositas Grad 2 (BMI >35kg/m2) kann auch die bariatrische Chirurgie eine Option sein.
«Jede Intervention, die zu einem Gewichtsverlust führt, reduziert auch die kardiovaskulären Risikofaktoren», betonte der Referent und verwies auf entsprechende Daten. So zeigt beispielsweise ein systematischer Review mit Metaanalyse, dass die Studienteilnehmer 12 und 24 Monate nach einer Gewichtsreduktion nicht nur einen deutlich niedrigeren Blutzucker, sondern auch ein niedrigeres LDL-Cholesterin und niedrigere Triglyzeride hatten als zu Studienbeginn.1
Low Carb, Low Fat oder mediterrane Ernährung?
Um abzunehmen, werden verschiedene Diäten propagiert. Wie viele überflüssige Kilos sich damit tatsächlich verlieren lassen, untersuchte unter anderem eine im JAMA veröffentlichte Studie mit 311 prämenopausalen, übergewichtigen oder adipösen Frauen.2 In der Arbeit wurden verschiedene Diäten miteinander verglichen: ZONE-Diät (40% Kohlenhydrate, 30% Protein, 30% Fett), Ornish-Diät (sehr wenig Fett), LEARN-Diät (55–60% Kohlenhydrate und <10% Fett) und Atkins-Diät (möglichst wenig Kohlenhydrate). Nach 6 und nach 12 Monaten hatten die Frauen am meisten Gewicht verloren, die sich möglichst kohlenhydratarm ernährt hatten.
Auch in der DIRECT-Studie verloren die Patienten am raschesten Gewicht, wenn sie sich kohlenhydratarm ernährten.3 «Allerdings war nach zwei Jahren der Gewichtsverlust in der Low-Carb- und der Gruppe mit mediterraner Ernährung vergleichbar. Nach sechs Jahren war die mediterrane Ernährung der Low-Carb-Diät überlegen», so Lehmann. Am schlechtesten abgeschnitten hat in beiden Studien die Low-Fat-Diät.
Aufgrund der Datenlage wird heute die mediterrane Kost (viel frisches Gemüse, Obst, gutes Olivenöl, etwas Fleisch, Fisch oder Käse) sowohl als gesunde Ernährung als auch zur Gewichtsregulation empfohlen. «Die Studien haben aber auch gezeigt, dass der Erfolg einer Diät sehr stark von der Adhärenz abhängt», sagte Lehmann. «Für den Gewichtsverlust ist deshalb weniger die Art der Diät als die Adhärenz entscheidend.»
Bariatrische Chirurgie
In bestimmten Situationen übernehmen die Krankenkassen die Kosten für eine bariatrische Operation: bei Patienten mit einem BMI >35kg/m2 sowie bei solchen mit Typ-2-Diabetes oder einer anderen Stoffwechselstörung und einem BMI >30kg/m2. Voraussetzung ist, dass diese Patienten zustimmen, über fünf Jahre von einem Zentrum weiter nachverfolgt zu werden. Auch muss der Nachweis erbracht werden, dass eine Diätberatung über zwei Jahre (ab BMI >50kg/m2 über 1 Jahr) keinen Erfolg gebracht hat.
«Die Patienten, die bariatrisch operiert werden, erhalten heute primär einen Magen-Bypass», erläuterte Lehmann. Das Magenband wird kaum mehr implantiert. Es hat sich nicht durchgesetzt, weil die Patienten mit einem Band mehr Ghrelin und weniger vom Sättigungshormon Peptid Tyrosin-Tyrosin (PYY) produzierten und deshalb mehr Hunger hatten.
«Mit einem Magen-Bypass haben die Patienten weniger Ghrelin, mehr PYY und vor allem auch mehr GLP-1 in der Zirkulation. Das reduziert das Hungergefühl, den Appetit, die Energiezufuhr und erhöht die Insulinsekretion», so Lehmann. Aufgrund dieser Effekte kann sich ein T2D, abhängig von seiner Dauer, nach einer Magen-Bypass-Operation tatsächlich verbessern oder sogar verschwinden.
Die Datenlage zur bariatrischen Chirurgie ist dürftig, insbesondere auch in Anbetracht der vielen Tausenden von Patienten, die operiert werden. In Fachkreisen häufig zitiert wird die schwedische SOS-Studie.4 In dieser Arbeit wurde der Langzeiteffekt auf das Gewicht nach einer bariatrischen Operation untersucht. Resultat: Die Patienten, die ein Magenband oder einen Schlauchmagen bekommen hatten, wogen nach 20 Jahren 20–25% weniger als vor dem Eingriff, die Patienten, die einen Magen-Bypass erhalten hatten, wogen sogar 30% weniger.
Eine andere Arbeit zeigt, dass sich die bariatrische Chirurgie sehr stark auf den BMI auswirkt.5 Fünf Jahre nach einem bariatrischen Eingriff hatten die Studienteilnehmer einen um 17–18 Punkte niedrigeren BMI als vor dem Eingriff; die Vergleichsgruppe erreichte mit Medikamenten eine Reduktion des BMI um durchschnittlich 2–3 Punkte.
SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten
Medikamentös lässt sich eine grosse Gewichtsreduktion mit einem der modernen Antidiabetika – einem SGLT2-Inhibitor (SGLT2i) oder einem GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) – erreichen. «Mit einem SGLT2i verlieren die Patienten im Schnitt etwa drei bis vier Kilogramm Gewicht», sagte Lehmann. Die Reduktion kommt im Wesentlichen durch eine vermehrte Glukoseausscheidung im Urin zustande.
Ein noch grösserer Gewichtsverlust ist medikamentös mit einem GLP-1-RA möglich. In der neusten Studie mit Liraglutid (Saxenda®) reduzierte die tägliche Dosis von 3 mg das Gewicht im Schnitt um 8,4 kg.6 Werden höhere GLP-1-RA-Dosen verwendet, kommt es zu einem noch grösseren Gewichtsverlust.7
Mehr Kilos verlieren lässt sich auch mit dem GLP-1-RA Semaglutid (Ozempic®, Rybelsus®). So konnten Patienten in der STEP-4-Studie ihr Gewicht mit 2,4mg Semaglutid täglich bereits innerhalb von 20 Wochen um 11kg reduzieren. Nach 68 Wochen waren sie sogar 18kg leichter.8
«In der Zusammenfassung zeigten die STEP-Studien 1–4 mit insgesamt 4000 Studienteilnehmern, dass solche ohne T2D 15–17% und Patienten mit T2D 10% Gewicht verlieren», sagte Prof. Lehmann. Die Gewichtsabnahme sei heute denn auch die potenteste Therapie, um einen Diabetes mellitus zu verhindern. Im STEP-1-Trial entwickelten 83% der Patienten mit einem Prädiabetes keinen T2D, wenn sie ihr Gewicht reduzieren konnten. «Dabei haben schon kleine Gewichtsverluste einen grossen Effekt», betonte der Referent. Eine Gewichtsabnahme von 5kg ist mit einer Reduktion des Diabetesrisikos um 60% assoziiert (Abb. 1).9
Abb. 1: Schon ein geringer Gewichtsverlust von 5kg reduziert das Diabetesrisiko um 60% (adaptiert nach Hamman RF et al.)9
Realistische Ziele setzen
Beim Abnehmen spielt nicht zuletzt auch die Bewegung eine wichtige Rolle. So zeigte eine Studie, dass Schlanke täglich 350kcal mehr verbrauchen als Fettleibige, weil sie pro Tag fast 3 Stunden länger körperlich aktiv sind.10 Eine andere Arbeit kam zum Schluss, dass sich Frauen, die 20kg abgenommen hatten, täglich im Schnitt 80 Minuten bewegen.11
«Wie viele Kalorien jemand bei körperlicher Aktivität verbrennt, ist allerdings auch vom Gewicht abhängig», gab Lehmann zu bedenken. Eine 70kg schwere Person verbrennt im Schnitt 70kcal, wenn sie 1km zu Fuss geht, ein 100kg schwerer Mensch 100kcal. «Um 1 Kilogramm Gewicht zu verlieren, müsste man also 70 bis 100 Kilometer zu Fuss gehen», folgerte der Referent. Beim Abnehmen sei es daher wichtig, realistische Ziele zu setzen. Als vernünftig bezeichnete er einen Gewichtsverlust von 0,5kg pro Woche.
Besser fit und dick als unfit und schlank
Bewegung erleichtert aber nicht nur das Abnehmen. Sie hat auch einen Effekt auf die Mortalität. Für die Sterblichkeit besteht zwar kaum ein Unterschied zwischen jemandem, der fett und unfit ist, und jemandem, der schlank und unfit ist.12 «Es macht jedoch einen grossen Unterschied, ob man fit oder unfit ist. Fitte haben im Vergleich zu Unfitten eine 50% niedrigere Mortalität», so Lehmann (Abb. 2). Dies v.a. deshalb, weil eine gute Fitness das kardiovaskuläre Risiko vermindert. «Trotzdem ist es auch für Fitte wichtig, Übergewicht abzubauen, weil dies auch das Risiko für einen Typ-2-Diabetes reduziert.»
Abb. 2: Gesamtmortalität: fit und adipös oder unfit und schlank – was ist besser? (adaptiert nach Lee CD et al.)12
Auf einen Blick
Wie viel Gewichtsreduktion ist möglich?
Sowohl mit Lifestylemodifikationen als auch mit Medikamenten und mit bariatrischer Chirurgie lässt sich das Gewicht senken. Je nach Intervention verliert man mehr oder weniger Kilos:
Lifestyle: Mit einer Veränderung des Ernährungs- und Aktivitätsverhaltens ist je nach Studie ein Gewichtsverlust von 1,5–20kg möglich.
Medikamente: Moderne Antidiabetika (SGLT2i und GLP-1-RA) können das Gewicht – abhängig von der Substanz und der Dosis – um bis zu 17kg reduzieren.
Bariatrische Chirurgie: Eine Magenoperation kann zu einem Gewichtsverlust von 30–76kg führen.
Quelle:
FOMF Innere Medizin Update Refresher, 11. November bis 4. Dezember 2021, Zürich
Literatur:
1 Zomer E et al.: Interventions that cause weight loss and the impact on cardiovascular risk factors: a systematic review and meta-analysis. Obeds Rev 2016; 17: 1001-11 2 Gardner CD et al.: Comparison of the Atkins, Zone, Ornish, and LEARN diets for change in weight and related risk factors among overweight premenopausal women: the A TO Z Weight Loss Study: a randomized trial. JAMA 2007; 297: 969-77 3 Sharl I et al.: Weight loss with a low-carbohydrate, Mediterranean, or low-fat diet. N Engl J Med 2009; 359: 229-41 4 Sjöström L: Review of the key results from the Swedish Obese Subjects (SOS) trial - a prospective controlled intervention study of bariatric surgery. J Intern Med 2013; 273: 219-34 5 Schauer PR et al.: Bariatric surgery versus intensive medical therapy for diabetes - 5-year outcomes. N Engl J Med 2017; 376: 641-51 6 Isaacs D et al.: Role of glucagon-like peptide 1 receptor agonists in management of obesity. Am J Health Syst Pharm 2016; 73: 1493-507 7 O’Neil PM et al.: Efficacy and safety of semaglutide compared with liraglutide and placebo for weight loss in patients with obesity: a randomised, double-blind, placebo and active controlled, dose-ranging, phase 2 trial. Lancet 2018; 392: 637-49 8 Rubino D et al.: Effect of continued weekly subcutaneous semaglutide vs placebo on weight loss maintenance in adults with overweight or obesity: the STEP 4 randomized clinical trial. JAMA 2021; 325: 1414-25 9 Hamman RF et al.: Effect of weight loss with lifestyle intervention on risk of diabetes. Diabetes Care 2006; 29: 2102-7 10 Ravussin E: Physiology. A NEAT way to control weight? Science 2005; 307: 530-1 11 Schoeller DA et al.: How much physical activity is needed to minimize weight gain in previously obese women? Am J Clin Nutr 1997; 66: 551-6 12 Lee CD et al.: Cardiorespiratory fitness, body composition, and all-cause and cardiovascular disease mortality in men. Am J Clin Nutr 1999; 69: 373-80
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