
©
Getty Images/iStockphoto
Adipositas und systemische Inflammation: Therapien in Arbeit
Jatros
30
Min. Lesezeit
13.11.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Adipositas nimmt weltweit in epidemischem Ausmaß zu. Die Folgen – ein steiler Anstieg der Prävalenz und Inzidenz von Typ-2-Diabetes, der hepatischen Komplikationen, der kardiovaskulären Ereignisse etc. – sind absehbar. Der Bedarf an neuen therapeutischen Ansätzen sowohl in der Gewichtsreduktion als auch in der Sekundärprävention der Adipositasfolgen ist entsprechend hoch.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die häufige Vergesellschaftung von Adipositas, Typ-2-Diabetes, Hypertonie und hohem kardiovaskulärem Risiko ist lange bekannt. Zunehmend setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass systemische Inflammation ein wichtiges Bindeglied zwischen den Komponenten des metabolischen Syndroms ist. Bereits vor fast 20 Jahren konnte eine Korrelation von metabolischen Erkrankungen mit dem Plasmaspiegel von CRP (c-reaktives Protein) nachgewiesen werden, wobei mit steigendem CRP auch das kardiovaskuläre Risiko stieg.<sup>1</sup> „Mittlerweile wurden auch komplexe Interaktionen zwischen den inflammatorischen Pathways und dem Insulinsignalweg beschrieben“, sagt Prof. Dr. Martin Haluzik vom Institut für klinische und experimentelle Medizin (IKEM) in Prag. Insbesondere das viszerale Fett produziert eine Vielzahl von proinflammatorischen Faktoren wie zum Beispiel TNF-α, Interleukin-6 oder die Zelladhäsionsmoleküle VCAM und ICAM. Im Vergleich dazu ist das in größeren Mengen vorhandene subkutane Fett metabolisch weniger aktiv. Haluzik weist jedoch auch auf die Bedeutung weiterer, nicht mit freiem Auge sichtbarer lokaler Fettdepots hin. Dazu gehören beispielsweise das epikardiale oder das perivaskuläre Fett, die ebenfalls zum kardiovaskulären Risiko beitragen dürften. Problematisch wird es auch, wenn die Fettdepots mit dem anfallenden Fett nicht mehr fertigwerden und es zu ektopen Fettansammlungen in Muskeln, Leber und Pankreas kommt. Diese sind, so Haluzik, assoziiert mit Insulinresistenz (Muskel), reduzierter Insulinproduktion und Tod von Betazellen (Pankreas) sowie vermehrter Glukoseproduktion (Leber).</p> <h2>Entzündung durch überlastete Adipozyten</h2> <p>Inflammation im Fettgewebe dürfte entstehen, wenn die Adipozyten nicht mehr in der Lage sind, das zur Verfügung gestellte Fett zu speichern. So zeigen Untersuchungen im Tiermodell, dass die Einwanderung von Makrophagen ins Fettgewebe mit der Größe der Adipozyten korreliert.<sup>2</sup> Als pathophysiologischer Hintergrund wird verstärkte Apoptose von Adipozyten vermutet, die dann von Immunzellen entsorgt werden. Die resultierende niedriggradige Inflammation ist der Schlüsselmechanismus, der Adipositas, Insulinresistenz und Atherosklerose verbindet.<sup>3</sup> Die Infiltration durch Makrophagen spielt dabei, so Haluzik, eine Schlüsselrolle. Die freigesetzten proinflammatorischen Faktoren sowie reduzierte Adiponectinspiegel beeinflussen schließlich auch Muskeln, Leber, Gefäßwände und vermutlich auch das Gehirn. Die Zusammenhänge werden allerdings erst teilweise verstanden. Die im Fettgewebe aktiven Makrophagen entstehen durch Differenzierung aus zirkulierenden Monozyten. Allerdings ist noch unklar, wie das Fettgewebe mit den Monozyten interagiert. Haluzik betont, dass neben Makrophagen beim Menschen noch verschiedenste andere immunkompetente Zellen im Fettgewebe auftauchen.<br /> Darüber hinaus spielt auch das Darmmikrobiom eine Rolle in der Entstehung systemischer Inflammation, zumal es bei Adipösen zu Veränderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms und damit auch zu veränderter Fermentation kommt. Insbesondere kommt es, so Haluzik, zu einer Schwächung der Darmbarriere mit verstärktem Übertritt bakterieller Lipopolysaccharide in die Zirkulation, die in weiterer Folge die Expression von Genen induzieren, welche unter anderem für proinflammatorische Zytokine kodieren. Als Marker für bakterielle Lipopolysaccharide kann das „lipopolysaccharide binding protein“ (LBP) herangezogen werden. Bei Adipösen sind die LBP-Spiegel erhöht. Auf diesem Weg wird gegenwärtig die Wirkung bariatrischer Chirurgie auf die Darmbarriere untersucht. Daten dazu sollen demnächst publiziert werden und sind, so Haluzik, vielversprechend.</p> <h2>Bariatrische Chirurgie reduziert die systemische Inflammation</h2> <p>Generell stellt sich die Frage, ob und wie Inflammation im Zusammenhang mit Adipositas therapeutisch beeinflusst werden kann. Die besten Daten gibt es bislang für die bariatrische Chirurgie. Haluzik: „Bariatrische Chirurgie ist die einzige Methode, mit der bei schwerer Adipositas langfristige Gewichtsreduktion erreicht wird. Wir haben also die Frage gestellt, ob die auf chirurgischem Weg erreichte Gewichtsreduktion den proinflammatorischen Zustand des Fettgewebes verändert.“ Dazu wurde eine Studie mit 18 adipösen, nicht diabetischen Patienten durchgeführt, die sich einer laparoskopischen Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagenbildung) unterzogen. Tatsächlich nahm nach dem Eingriff unter anderem die Expression von mRNA proinflammatorischer Zytokine ab. Ebenso sank das CRP über 24 Monate nach der Operation und der Adiponectinspiegel stieg. Im Gegensatz dazu wurde kein Effekt auf die peripheren Monozyten beobachtet.<sup>4</sup> Damit stellte sich die Frage, ob sich ein vergleichbar günstiger Effekt auf die niedriggradige Inflammation im Fettgewebe auch mit weniger invasiven Maßnahmen erreichen lässt. Untersucht wurde der Einfluss von zwei Wochen unter stark kalorienreduzierter Diät auf Inflammation im Fettgewebe und zirkulierende Monozyten in einer Population stark übergewichtiger Typ-2-Diabetiker. Die Studie zeigte ein ganz ähnliches Bild. Es kam zu Verbesserungen der meisten Entzündungsparameter sowie zu einer deutlich verbesserten glykämischen Kontrolle. In diesem Fall konnte auch ein Effekt auf die Monozyten gezeigt werden. Ebenfalls untersucht wurde das EndoBarrier- System, eine schlauchförmige Magen- Darm-Hülse aus Polymerkunststoff, die eine Barriere zwischen Nahrung und Duodenalschleimhaut herstellt. Auch mit dieser Methode wurde eine Reduktion des CRP beobachtet, die auch nach Entfernung des Systems anhielt. Unter den heute verfügbaren medikamentösen Therapien gibt es, so Haluzik, nur eine einzige, die nachweislich die metabolischen Eigenschaften des Fettgewebes beeinflusst: Pioglitazon. Haluzik: „Pioglitazon bewirkt eine verstärkte Produktion von Adiponektin, es führt zu einer Redistribution von ektopem Fett zurück in die physiologischen Fettdepots und es hemmt die Entzündung im Fettgewebe. Leider hat es Nebenwirkungen wie zum Beispiel Gewichtszunahme.“</p> <h2>Übergewicht ist kein Problem fehlenden Willens</h2> <p>So bleibt als wirksamste und beste Methode zur Reduktion der systemischen Inflammation die Gewichtsreduktion. Angesichts der klaren Datenlage, die einen erheblichen Verlust an Lebensjahren durch Adipositas (insbesondere ab einem BMI von 40) zeigt,<sup>6</sup> wären wirksame Maßnahmen zur Gewichtsreduktion dringend gefragt. Prof. Dr. Christos Socrates Mantzoros von der Harvard Medical School unterstreicht dabei auch, dass Adipositas nicht für alle Adipösen gleichermaßen problematisch ist: „Wenn Sie Glück haben, dann haben Sie genügend Speicherkapazität für Fett. Dann gibt es kein ektopes Fett und damit auch kein metabolisches Syndrom. Wenn die Fettmasse die Speicherkapazität des Fettgewebes übersteigt, dann kommt es zu Komplikationen.“ Glücklicherweise habe man in den vergangenen Jahren sehr viel über das Fettgewebe gelernt, was auch zu einem besseren Verständnis von Gewichtsreduktion und ihren Hindernissen geführt habe. Mantzoros: „Das ist kein Problem des Willens, das ist ein biologisches Problem mit genetischem Hintergrund. Dabei spielt der Hypothalamus eine Rolle, der auf Hormone aus der Peripherie wie Grelin und Leptin reagiert. Aktuelle Studien haben jedoch gezeigt, dass auch andere Zentren im Gehirn das Essverhalten kontrollieren, und es sind Faktoren beteiligt, von denen wir vor einigen Jahren so gut wie nichts wussten. Zum Beispiel braunes Fett.“<br /> Man geht heute von einer „Set-Point- Theorie“ aus, die besagt, dass der Organismus bestrebt ist, sein Körpergewicht zu halten. Bei Gewichtszunahme verschiebt sich der Set Point nach oben und sowohl die Energiezufuhr als auch der Energiebedarf werden so reguliert, dass das höhere Gewicht nicht mehr reduziert wird.<sup>7</sup> Die Anpassungen des Set Points korrelieren mit neuroendokrinen Veränderungen. So wird zum Beispiel vermutet, dass die systemische Inflammation im Fettgewebe zu Veränderungen im Gehirn führt. Mantzoros: „Dieses System versagt, wenn man es in Extreme treibt. Das betrifft nicht nur die Adipositas, sondern auch die Anorexia nervosa junger Frauen.“</p> <h2>Leptin: ein entscheidender Schritt für die Forschung</h2> <p>Ein entscheidender Punkt in der Erforschung dieser Zusammenhänge war die Entdeckung von Leptin. Das Hormon wird im Fettgewebe produziert und meldet ein Energieüberangebot an das Gehirn. Leider erwiesen sich Versuche, Leptin zur Gewichtsreduktion einzusetzen, als Fehlschläge. Für Menschen mit kongenitalem Leptinmangel ist die Möglichkeit der Substitution jedoch ein Segen und führt bei diesen unbehandelt schwer adipösen Patienten zu einer Normalisierung des Körpergewichts. Mantzoros: „Sehr wenige Menschen leiden unter Leptinmangel. Bei den meisten Übergewichtigen liegt eine Leptinresistenz vor. Diese Menschen könnten von Leptin-Sensitizern profitieren, oder man versucht, den Leptineffekt über andere Pathways zu erreichen.“ Mittlerweile konnten zahlreiche mit Adipositas assoziierte Punktmutationen identifiziert werden, die den Leptin-Pathway vom Leptinrezeptor abwärts betreffen.<sup>7</sup><br /> Ebenfalls von erheblichem Interesse im Zusammenhang mit Gewichtskontrolle ist das Hormon Irisin, das primär im Muskel und in geringerem Maße im Fettgewebe sezerniert wird. Im Tiermodell verbessert Irisin die Glukosehomöostase, das Lipidprofil sowie metabolische Parameter und induziert das „Browning“ von Fettgewebe. Irisin wird bei Adipositas verstärkt und bei Typ-2-Diabetes eingeschränkt exprimiert. Unter anderem reduziert Irisin die Fetteinlagerung in der Leber. Mantzoros: „Irisin beeinflusst auch den Knochenmetabolismus und könnte daher von Interesse für die Therapie der Osteoporose sein.“<br /> Weiter fortgeschritten sind Versuche, die Gewichtsreduktion durch Beeinflussung des Gehirns zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurde der Serotoninagonist Lorcaserin entwickelt, von dem man annahm, dass er im Hypothalamus wirke. Lorcaserin hat sich über zwei Jahre im Vergleich zu Placebo als wirksam erwiesen<sup>8</sup> und ist in den USA als Appetitzügler zugelassen. In Europa wurde die Zulassung noch nicht beantragt. Allerdings habe sich, so Mantzoros, herausgestellt, dass der von Lorcaserin aktivierte 5-HT2c-Rezeptor im Hypothalamus nur schwach exprimiert wird und die Wirkung des Medikaments auf Effekte in anderen Regionen des Gehirns zurückzuführen sein dürfte. Tatsächlich zeigt eine fMRT-Studie, dass Patienten, bei denen optische Nahrungsreize die Amygdala und die Insel aktivieren, gut auf Lorcaserin ansprechen.<sup>9</sup> Lorcaserin sei also ein Medikament für „emotionale Esser“.</p> <h2>GL P-1-Analoga wirken auch auf das Gehirn</h2> <p>Ebenfalls im klinischen Einsatz und dabei noch deutlich weiter verbreitet sind Ansätze, die das Problem Adipositas im Darm korrigieren bzw. in die Kommunikation von Darm und Gehirn eingreifen sollen. Interessant ist in diesem Zusammenhang GLP-1 („glucagon-like peptide 1“), das unmittelbar nach Mahlzeiten ausgeschüttet wird und im Pankreas die Insulinsekretion stimuliert sowie die Glukagonsekretion hemmt. Mantzoros unterstreicht, dass GLP-1 noch eine Vielzahl weiterer Funktionen hat. In höheren Dosierungen dürfte es auch auf das Gehirn wirken. Um den GLP-1-Spiegel zu erhöhen, kann entweder der Abbau von GLP-1 mittels eines DPP-4-Inhibitors gehemmt oder ein Analogon des Hormons zugeführt werden. Mantzoros: „So können höhere Konzentrationen erreicht werden, mit denen sich auch das Körpergewicht beeinflussen lässt.“ So konnte beispielsweise demonstriert werden, dass im parietalen Cortex, im Hypothalamus und in der Medulla GLP-1-Rezeptoren vorhanden sind und dass Liraglutid die Reaktion auf Nahrungsreize beeinflusst.<sup>10</sup> Auch „Belohnungszentren“ in Insula und Putamen werden durch Liraglutid manipuliert.<sup>11</sup> Ein Problem beim Einsatz der GLP-1-Analoga liegt gegenwärtig, so Mantzoros, in der Applikationsform, da viele Patienten nicht gerne injizieren. Subkutane Devices, die GLP-1-Analoga abgeben, könnten das Problem lösen. Auch an inhalativen Formulierungen wird gearbeitet.<br /> Erfahrungen mit der bariatrischen Chirurgie könnten auch die Richtung für die Entwicklung einer neuen Generation von Medikamenten zur Gewichtsreduktion weisen. So kommt es nach bariatrischen Eingriffen zu langfristigen Erhöhungen der Spiegel von Oxyntomodulin und Glicentin, die vermutlich entscheidend zum Erfolg der Operation beitragen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: European Congress on Obesity (ECO) 2018, 23.–26. Mai 2018, Wien
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Rifai N, Ridker PM: Clin Chem 2003; 49(4): 666-9 <strong>2</strong> Weisberg SP et al.: J Clin Invest 2003; 112(12): 1796-808 <strong>3</strong> Lazar MA: Nat Med 2006; 12(1): 43-4 <strong>4</strong> Trachta P et al.: Mol Cell Endocrinol 2014; 383(1-2): 96-102 <strong>5</strong> Mraz M et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(4): E606-13 <strong>6</strong> Fontaine KR et al.: JAMA 2003; 289(2): 187-93 7 Yazdi FT et al.: PeerJ 2015; 3: e856 <strong>8</strong> Fiedler MC et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(10): 3067-77 <strong>9</strong> Farr OM et al.: Diabetes 2016; 65(10): 2943-53 <strong>10</strong> Farr OM et al.: Diabetologia 2 016; 59(5): 954-65 <strong>11</strong> van Bloemendaal L et al.: Diabetes 2014; 63(12): 4186-96</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...