
Wie depressiv sind Rheumapatienten wirklich?
Bericht:
Mag. Christine Lindengrün
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Chronisches Entzündungsgeschehen ist ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten einer Depression. Eine österreichische Studie bestätigt:Depressionen sind bei Patientinnen mit rheumatoider Arthritis mehr als doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung.
Die Prävalenz von Depressionen bei Menschen mit rheumatoider Arthritis (RA) wird in der Literatur mit 10–45% angegeben.1 Eine Metaanalyse aus 72 Studien mit 13189 Patienten zeigte für Major Depression eine Häufigkeit von 16,8% bei RA-Patienten, das ist etwa doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung.2
Die vermuteten Ursachen sind einerseits krankheitsbedingt: die allgemeine Situation einer chronischen Erkrankung, mangelnde Behandlungserfolge und Begleiterscheinungen wie Müdigkeit, Schlafstörungen und Funktionseinschränkungen. Es mehren sich aber auch die Hinweise darauf, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Entzündung und Depression besteht.3
„Man nimmt heute an, dass es zwischen Depression und Entzündung eine bidirektionale Assoziation gibt“, erklärt Doz. Dr. Rudolf Puchner, Wels. Die Zytokinhypothese besagt, dass Inflammation unter Mitwirkung von Zytokinen, vor allem IL-1 und IL-6, das Neurotransmittersystem beeinflusst und Depressionen fördern kann.3 Umgekehrt kann eine Depression die RA-Krankheitsaktivität fördern, etwa durch mangelndes Gesundheitsbewusstsein und verminderte Therapieadhärenz. Diese Negativspirale gilt es so früh wie möglich zu unterbrechen. Depressionen und depressive Verstimmungen sollten demnach rasch diagnostiziert und behandelt werden.
In wenigen Minuten Depressionen abklären
Erste Hinweise auf eine Depression können zwei einfache Fragen liefern:
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Haben Sie sich in den letzten 2 Wochen niedergeschlagen und depressiv gefühlt?
Haben Sie in den letzten 2 Wochen weniger Freude und Interesse gehabt, etwas zu unternehmen?
Werden diese beiden Fragen mit Ja beantwortet, empfiehlt Puchner, den BDI-FS (Beck Depressionsinventar Fast Screen)4 „aus der Schublade zu holen“. Dieser Fragebogen ist als Depressionsscreening bei Menschen mit chronischen Erkrankungen besonders geeignet und für RA validiert,5 weil er somatische Kriterien, wie z.B. Müdigkeit und Schlafstörungen, ausklammert, die ja auch krankheitsbedingt sein könnten.
Der BDI-FS enthält 7 Fragen, die Beantwortung dauert ca. 5 Minuten.
Wie depressiv sind österreichische RA-Patientinnen?
Im Rahmen einer kürzlich publizierten österreichischen Studie wurde 319 RA-Patientinnen und 306 gesunde Kontrollpersonen befragt.6 Es wurde der BDI-FS angewendet; zusätzlich wurden detailliertere Fragen gestellt, um die Faktoren Traurigkeit, Pessimismus, Versagensgefühle, Fähigkeit zur Freude, Selbstvertrauen, Selbstkritik und Suizidvorstellungen zu evaluieren. Auch Krankheitsaktivität, Komorbiditäten und Lebensstil wurden abgefragt. „Der Fragebogen umfasste 12 Seiten. Trotzdem hatten wir eine erfreulich hohe Rücklaufquote“, berichtet Puchner. 73,7% der Rheumapatientinnen und 58,8% der Kontrollgruppe haben die Fragen beantwortet.
Die Auswertung ergab: Mit Ausnahme des Parameters „Selbstkritik“ unterschieden sich die RA-Patientinnen in allen Punkten von der Kontrollgruppe wesentlich. „Das heißt, RA-Patientinnen hatten ein signifikant höheres Risiko für eine Depression“, so Puchner. Ein BDI-FS-Score ≥4 wurde als Depression gewertet. Dies war bei 29,6% der RA-Patientinnen der Fall (vs. 12,4% in der Kontrollgruppe). Außerdem wurde eine deutliche Assoziation festgestellt zwischen dem BDI-FS-Score und klinischer Krankheitsaktivität (CDAI), Grad der Behinderung (HAQ) und sexueller Dysfunktion.
Die Ergebnisse dieser Studie stehen in Einklang mit denen der VADERA-II-Studie, in der bei 55,4% der RA-Patienten depressive Symptome und bei 22,8% eine mittelschwere Depression festgestellt wurden. Unter antidepressiver Medikation standen aber lediglich 11,7% der Betroffenen.7
„Weil Depressionen zu einem deutlich schlechteren Krankheitsverlauf bei RA führen können, sollten sie früh erkannt und behandelt werden“, betont Puchner. „Bei jedem RA-Patienten sollte an das mögliche Vorliegen einer Depression gedacht werden, vor allem bei Patienten, denen es trotz niedriger oder fehlender Krankheitsaktivität schlecht geht.“
Quelle:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation (ÖGR), 26.–28. November 2020 (Online-Kongress)
Literatur:
1 Englbrecht M et al.: Depression als Systemdefekt der RA. Z Rheumatol 2012; 71: 859-63 2 Matcham F et al.: The prevalence of depression in rheumatoid arthritis: a systematic review and meta-analysis. Rheumatology 2013; 52(12): 2136-48 3 Nerurkar L et al.: Rheumatoid arthritis and depression: an inflammatory perspective. Lancet Psych 2019; 6(2): 164-73 4 Kliem S et al.: Reliability and validity of the Beck depression Inventory-Fast Screen for medical patients in the general German population. J Affect Disord 2014; 156: 236-9 5 Englbrecht M et al.: Validation of standardized questionnaires evaluating symptoms of depression in rheumatoid arthritis patients: approaches to screening for a frequent yet underrated challenge. Arthritis Care Res 2017; 69(1): 58-66 6 Sautner J, Puchner R et al.: Depression: a common comorbidity in women with rheumatoid arthritis – results from an Austrian cross sectional study. BMJ Open 2020; 10: e e033958 7 Englbrecht M et al.: PLoS One 2019; 14(5): e0217412