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Differenzierter Einsatz von Biologika bei rheumatoider Arthritis
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28.11.2019
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<p class="article-intro">Kleine Unterschiede im Wirk- und Sicherheitsprofil zwischen den einzelnen Biologika ermöglichen heute eine differenziertere Therapie der rheumatoiden Arthritis als noch vor wenigen Jahren. Prof. Dr. med. Andrea Rubbert-Roth, Leitende Ärztin und stellvertretende Leiterin der Klinik für Rheumatologie am Kantonsspital St. Gallen, erläuterte das Vorgehen bei Diagnose und Behandlung am Symposium «Rheuma Top» in Pfäffikon. </p>
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<p class="article-content"><p>Typisch für die rheumatoide Arthritis (RA) sind der schubweise Verlauf und das Pannus- oder Entzündungsgewebe, das bei 20–30 % der Patienten zu fortschreitenden erosiven Veränderungen an Gelenken und gelenksnahen Strukturen führt. «Glücklicherweise sind ganz schwere Verläufe heutzutage kaum mehr zu sehen», sagte Prof. Dr. med. Rubbert-Roth. Die modernen Therapeutika hätten ausserdem wesentliche Vorteile bezüglich der systemischen Folgen der RA gebracht. Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien zwar nach wie vor die häufigste Todesursache bei RA-Patienten, doch werde mit den modernen Medikamenten das RA-assoziierte erhöhte kardiovaskuläre Risiko deutlich gesenkt.<br /> «Eine Basistherapie ist mitunter schon indiziert, wenn Patienten auch nur ein einziges geschwollenes Gelenk haben», führte die Rheumatologin weiter aus. Bedingung ist: Auf dem Röntgenbild muss die für die RA typische Gelenkserosion nachgewiesen werden und eine andere Ätiologie ausgeschlossen sein. Fehlt bei einer Synovitis die Gelenkserosion, müssen für die Diagnose andere Klassifikationskriterien erfüllt sein.<sup>1</sup> Der EULAR-Score etwa berücksichtigt Symptomdauer, die Anzahl und Art der betroffenen Gelenke, Akut-Phase-Proteine und einige serologische Parameter. Kommen mindestens 6 Score-Punkte zusammen, steht die Diagnose RA.</p> <h2>Frühdiagnose, Frühtherapie und «tight control»</h2> <p>«Neben einer frühen Diagnose und frühen Therapie ist es wichtig, dem Patienten nicht nur irgendwelche Medikamente zu geben, sondern sich auch mit ihm über die Therapieziele zu verständigen», betonte Prof. Dr. Rubbert-Roth. Zu den allgemeinen Therapieprinzipien gehöre ausserdem, die Krankheitsaktivität regelmässig zu monitorieren und im Verlauf immer wieder kritisch zu überprüfen, ob das Therapieziel auch tatsächlich erreicht wird.<sup>2</sup> «Ist die Remission und somit Beschwerdefreiheit erreicht, muss auch überlegt werden, ob die Therapie weitergeführt werden muss oder ob sie deeskaliert werden kann.»<br /> Die Krankheitsaktivität wird mit dem DAS28 ermittelt. Sie kann heute allerdings einfach und schnell auch mithilfe einer App (z.B. RheumaHelper) erfasst werden. Generell gilt: Je niedriger die Krankheitsaktivität ist, umso geringer ist die radiologische Progression.<sup>3</sup> «Gelingt es also, mit der Therapie die Entzündungsaktivität zu unterdrücken, haben die Patienten eine hohe Chance, keine radiologische Progression zu entwickeln», resümierte die Expertin. Die Reduktion der systemischen Entzündung reduziere zudem deutlich die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.</p> <h2>Therapie auf Basis eines Eskalationsschemas</h2> <p>Die Behandlung erfolgt nach den EULAR-Empfehlungen von 2016.<sup>4</sup> Eine aktualisierte Version der Richtlinien wird demnächst veröffentlicht. Sie bringt allerdings laut Prof. Rubbert-Roth nur wenige Änderungen. Nach wie vor wird die Behandlung mit Methotrexat (MTX) gestartet. Das Medikament wird am besten subkutan in einer Startdosis von 10–15mg verabreicht. «Eine Erhöhung ist möglich, Dosierungen über 25mg bringen allerdings in der Regel keinen Zusatznutzen mehr», so die Expertin. Zusätzlich zu MTX empfiehlt die europäische Fachgesellschaft EULAR auch kurzzeitig ein niedrig dosiertes Glukokortikoid. Dieses hilft, die Krankheitsprogression zu verlangsamen, bis die Wirkung von MTX nach 2–3 Monaten einsetzt. Ist MTX kontraindiziert, wie etwa bei niereninsuffizienten Patienten, wird es durch Leflunomid (LEF) oder Sulfasalazin (SSZ) ersetzt. Auch diese Substanzen sollen kurzfristig immer mit einem niedrig dosierten Steroid kombiniert werden. <br /> «Wird in sechs Monaten das Therapieziel nicht erreicht, muss die Behandlung erweitert werden», so die Referentin weiter. In dieser zweiten Therapiephase wird bei Patienten mit einem kleinen Progressionsrisiko auf ein anderes klassisches Basistherapeutikum (MTX, LEF, SSZ) gewechselt oder es werden zwei von diesen Substanzen miteinander kombiniert. «Bei prognostisch ungünstigen Faktoren – und dies betrifft die Mehrheit der Patienten – wird die Therapie mit einem Biologikum oder einem JAK-Hemmer deutlich intensiviert», erläuterte Prof. Rubbert-Roth. Als ungünstig gelten Faktoren wie zum Beispiel positive Rheumafaktoren, positive CCP-Antikörper, das Vorhandensein von Gelenkserosionen und hohen Entzündungswerten und ein Nichtansprechen auf zwei synthetische DMARDs. «Bei zweimaligem Nichtansprechen auf eine Biologikatherapie mit dem gleichen Wirkmechanismus empfiehlt die EULAR in ihren aktualisierten Richtlinien, nicht mehr nur auf ein anderes Präparat zu wechseln, sondern gleich ein Medikament mit einem anderen Wirkmechanismus einzusetzen», so Rubbert-Roth.<br /> Mit der zweiten Therapiephase beginnt jeweils die differenzierte Therapie der RA. Denn auf dieser Stufe stellt sich die Frage, welches Biologikum oder welcher JAK-Hemmer eingesetzt werden soll. Ein Marker für eine Voraussage, auf welche Therapie ein Patient am besten anspricht, fehlt. «Die modernen RA-Medikamente sind alle effektiv. Die Therapiewahl richtet sich im Alltag deshalb häufig nach Komorbiditäten des Patienten und dem Sicherheitsprofil der Therapeutika», sagt Rubbert-Roth.</p> <h2>Zytokingerichtete Biologika: Anti-TNF und Anti-IL-6R</h2> <p>In der Schweiz sind zwischenzeitlich mehrere Biologika (und auch bereits erste Biosimilars) für die RA zugelassen. Sie lassen sich aufgrund ihres Wirkmechanismus in zytokin- und zellgerichtete Substanzen einteilen. Zur ersten Gruppe gehören die TNF-Blocker und Interleukin-6-Rezeptor-Hemmer (Anti-IL-6R). Von den Anti-TNF sind aktuell fünf verschiedene Präparate auf dem Markt. Sie unterscheiden sich in kleinen Aspekten. So wird Infliximab intravenös und Etanercept, Adalimumab, Golimumab, Certolizumab werden subkutan verabreicht. Certolizumab ist zudem nicht plazentadurchgängig.<sup>5</sup><br /> Wird ein TNF-Blocker eingesetzt, soll MTX nicht abgesetzt werden. Denn Anti-TNF und MTX wirken als Monotherapie zwar gleich gut,<sup>6,7</sup> in der Kombination aber haben sie einen additiven Effekt. Auch die Wirkung der einzelnen TNF-Blocker ist vergleichbar.<sup>8</sup> Vorsichtig sein heisst es allerdings mit Anti-TNF bei Herzinsuffizienz, früheren Malignomen sowie bei Patienten, die immer wieder Infektionen haben. Denn unter diesen Antikörpern steigt das Risiko für schwere Infektionen um 27 % .<sup>9</sup> «Trotz dieser Nachteile stellen die Anti-TNF klar einen Meilenstein in der Entwicklung von RA-Medikamenten dar», lautet das Fazit der Referentin. «Denn sie verbessern nachweislich die mit der RA assoziierte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.»<br /> Tocilizumab und Sarilumab, zwei Antikörper des Interleukin-6-Rezeptors (IL6R), gehören ebenfalls der Gruppe der zytokingerichteten Biologika an. Beide Substanzen sind effektiver als die Monotherapie mit dem Anti-TNF Adalimumab.<sup>10,11</sup> «Wie die Anti-TNF wirken auch die Anti-IL-6R direkt im Gelenk entzündungshemmend, haben aber zusätzlich systemische Effekte, die sich auf Symptome wie beispielsweise Anämie, Osteoporose, Fieber und depressive Veränderungen positiv auswirken», erläuterte Rubbert-Roth. Nachgewiesen sind zudem metabolische Effekte. Im Vergleich zu Anti-TNF senken Anti-IL-6R auch den Blutzucker, besonders ausgeprägt ist die HbA<sub>1c</sub>-Reduktion bei Diabetes mellitus.<sup>12</sup> «Diabetiker können deshalb von Anti-IL-6R besonders profitieren», unterstrich die Expertin. Hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos zeigten Studien keine Unterschiede zwischen Anti-TNF und Anti-IL-6R. Nicht gegeben werden sollen die Anti-IL-6R gemäss Rubbert-Roth bei Patienten mit Divertikulitis in der Vorgeschichte, da das Risiko für eine Darmperforation erhöht sei.<sup>13</sup> Auch ist unter Anti-IL-6 das CRP meist falsch negativ.</p> <h2>Zellgerichtete Biologika: Abatacept und Rituximab</h2> <p>Abatacept und Rituximab sind zwei zellgerichtete Biologika, die ebenfalls für die Behandlung der RA eingesetzt werden. Die erstgenannte Substanz ist ein Kostimulationsblocker und hemmt somit die T-Zell-Aktivierung. Abatacept ist ähnlich effektiv wie der Anti-TNF Adalimumab.<sup>14</sup> «Der Antikörper wirkt besonders gut bei seropositiven (CCP+) Patienten und ist das Biologikum der ersten Wahl bei einer pulmonalen Beteiligung der RA», so Rubbert-Roth.<br /> Rituximab wird insbesondere bei RA-Patienten eingesetzt, die auf eine Anti-TNF-Therapie nicht angesprochen haben. Diese Patienten können von einem Therapiewechsel auf Rituximab gemäss Studien stark profitieren.<sup>15, 16</sup> Aufgrund guter Sicherheitsdaten sei der Antikörper vor allem das Biologikum der ersten Wahl bei Patienten mit früheren Malignomen oder mit Begleiterkrankungen wie einer autoimmunhämolytischen Anämie oder multipler Sklerose. «Weil unter Rituximab die B-Zellen innerhalb von sechs Monaten verschwinden, sollen Patienten immer vor Behandlungsbeginn geimpft werden», betonte die Professorin. Bei jahrelanger Einnahme könnten zudem Immunglobuline so stark absinken, dass in Einzelfällen sogar eine Substitution sinnvoll sein könne.<br /> Zusammenfassend meinte Prof. Dr. Rubbert-Roth: «Wir haben heute mehrere effektive Therapien für die RA, von denen viele, aber eben noch immer nicht alle Patienten profitieren. Deshalb besteht nach wie vor ein Bedarf an neuen Substanzen.» Als vielversprechende Therapie der Zukunft bezeichnet sie die Behandlung mit JAK-STAT-Inhibitoren. Zwei dieser Substanzen wurden jetzt in den USA zugelassen. Sie werden oral eingenommen und entfalten ihre Wirkung, anders als die heute zur Verfügung stehenden Therapien, intrazellulär.</p> <h2>Moderne RA-Therapien: Wissenswertes für die Praxis</h2> <p><strong>Anti-TNF:</strong></p> <ul> <li>vor Therapie: Röntgenthorax, Quantiferon, HBV-Serologie, ggf. Tbc-Prophylaxe</li> <li>bisher kein Anhaltspunkt für erhöhte Inzidenz von Malignomen (ausser NMSC)</li> <li>cave beim Einsatz bei Patienten mit früheren Malignomen und mit (dekompensierter) Herzinsuffizienz</li> <li>kein Einsatz bei Patienten mit früheren demyelinisierenden Erkrankungen</li> <li>Verbesserung der mit der RA assoziierten kardiovaskulären Mortalität /Morbidität</li> <li>bei sekundärem Therapieversagen ggf. Wechsel auf einen 2. TNF-Blocker</li> </ul> <p><strong>Anti-IL-6:</strong></p> <ul> <li>vor Therapie: Röntgenthorax, Quantiferon, HBV-Serologie, ggf. Tbc-Prophylaxe</li> <li>bisher kein Anzeichen für erhöhte Inzidenz von Malignomen (ausser NMSC)</li> <li>cave beim Einsatz bei Patienten mit Divertikulitis und demyelinisierenden Erkrankungen in der Vorgeschichte</li> <li>CRP falsch negativ: nicht zuverlässig bei Infektionen, Perforationen etc.</li> <li>Neutropenie, Anstieg der Leberwerte und des Cholesterins möglich</li> </ul> <p><strong>Abatacept:</strong></p> <ul> <li>vor Therapie: Röntgenthorax, Quantiferon, HBV-Serologie, ggf. Tbc-Prophylaxe</li> <li>bisher kein Anzeichen für erhöhte Inzidenz von Malignomen (ausser NMSC)</li> <li>intravenös und subkutan applizierbar</li> <li>gute Wirkung v. a. bei seropositiven (CCP+) Patienten</li> <li>Biologikum der 1. Wahl bei pulmonaler Beteiligung der RA (RA-ILD)</li> </ul> <p><strong>Rituximab:</strong></p> <ul> <li>vor Therapie: Röntgenthorax, HBV-Serologie, Immunglobuline, impfen</li> <li>cave: Hypogammaglobulinämie, ausbleibende Impfantwort</li> <li>intravenös 2 Infusionen zu 1000 mg im Abstand von 2 Wochen alle 6 Monate</li> <li>gute Wirkung v.a. bei seropositiven (CCP+) Patienten</li> <li>Biologikum der 1. Wahl bei früheren Malignomen, autoimmunhämolytischer Anämie, Autoimmunthrombopenie, multipler Sklerose, gleichzeitiger Kollagenose bzw. Vaskulitis, Kryoglobulinämie, Hemmkörperhämophilie, früherem Lymphom usw.</li> </ul></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Rheuma Top. Symposium für die Praxis, 22. August 2019,
Pfäffikon
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Aletaha D et al.: Arthritis Rheum 2010; 62(9): 2569-81<strong> 2</strong> Smolen JS et al.: Ann Rheum Dis 2016; 75(1): 3-15 <strong>3</strong> Karonitsch T et al.: Ann Rheum Dis 2008; 67(10): 1365-73 <strong>4</strong> Smolen JS et al.: Ann Rheum Dis 2017; 76(6): 960-77 <strong>5</strong> Mariette X et al.: Ann Rheum Dis 2018; 77(2): 228-33 <strong>6</strong> Klareskog L et al.: Lancet 2004; 363: 675-81<strong> 7</strong> Van der Heijde D et al.: Arthritis Rheum 2006; 54: 1063-74 <strong>8</strong> Smolen JS et al.: Lancet 2016; 388: 2763-74<strong> 9</strong> Singh JA et al.: Lancet 2015; 386: 258-65 <strong>10</strong> Gabay D et al.: Lancet 2013; 381: 1541-50<strong> 11</strong> Burmester GR et al.: Ann Rheum Dis 2017; 76: 840-7 <strong>12</strong> Genovese M et al.: EULAR 2019; 15. Juni 2019, Madrid, SAT0121 <strong>13</strong> Xie F et al.: Arthritis Rheumatol 2016; 68(11): 2612-7 <strong>14</strong> Schiff M et al.: Ann Rheum Dis 2014; 73(1): 86-94 <strong>15</strong> Harrold LR et al.: Arthritis Res Ther 2015; 17: 256 <strong>16</strong> Finckh A et al.: Ann Rheum Dis 2010; 69: 387-93</p>
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