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Schwere Depressionen wegsprühen?
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28.02.2019
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<p class="article-intro">Das Narkosemittel Ketamin lindert die Symptome von Depressionen innerhalb von Stunden. Experten sehen es als gute Option in therapieresistenten Fällen. Bislang musste Ketamin intravenös gegeben werden, bald soll es auch als Nasenspray zur Verfügung stehen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine «neue Ära» im Kampf gegen Depressionen und Suizide nennt Prof. Dr. Ronald Duman das Medikament Ketamin. Duman ist Professor für Psychiatrie und Neurowissenschaften an der Universität Yale und Direktor der Abraham Ribicoff Research Facilities am Connecticut Mental Health Center in New Haven und hat die Forschung an Ketamin massgeblich mit vorangetrieben. Jüngst hat er das Potenzial des Medikamentes in einem Übersichtsartikel zusammengefasst.<sup>1</sup> Die Depressionsforschung sei durch die Entdeckung belebt, dass eine einzige Dosis von Ketamin innerhalb von Stunden einen raschen antidepressiven Effekt ausübe (sogar bei therapieresistenten Patienten), und diese habe auch den Weg geebnet für die Entwicklung von weiteren, schnell wirkenden und wirksamen antidepressiven Medikamenten. Rund jeder fünfte Mensch leidet irgendwann in seinem Leben unter einer Depression. Es gibt zwar mehr als 20 Antidepressiva, aber sie wirken nur bei 2 von 3 Patienten, und ausserdem kann es Wochen dauern, bis die Therapie anschlägt. Diese Latenz ist besonders problematisch bei Patienten mit erhöhtem Suizidrisiko.</p> <h2>Ketamin bringt stressbedingte Veränderungen wieder in Ordnung</h2> <p>Ketamin wird traditionell in der Anästhesie eingesetzt: zur Einleitung und zum Erhalt einer Vollnarkose alleine oder in Kombination, unter anderem bei besonders schmerzhaften Eingriffen.<sup>2</sup> Es ist ein nicht kompetitiver Antagonist am N-Methyl-DAspartat( NMDA)-Glutamat-Rezeptor. Anfang 2000 fand eine Arbeitsgruppe in Yale heraus, dass Ketamin – in geringen, subanästhetischen Dosen intravenös verabreicht – die Symptome bei Patienten mit schwerer therapieresistenter Depression innerhalb von vier Stunden linderte.<sup>3</sup> Dieser Effekt wurde später am National Institute of Mental Health (NIMH) und an vielen weiteren Instituten in kontrollierten Studien bestätigt.<sup>4, 5</sup><br /> Glutamat und NMDA-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle beim Lernen und beim Gedächtnis, was durch eine anhaltende Verstärkung der Synapsen gekennzeichnet ist. Es wird vermutet, dass die Aktionen von Ketamin am NMDA-Rezeptor die Funktion von NMDA und die synaptische Plastizität genau in denjenigen Hirnregionen beeinflussen, die bei Depression betroffen sind.<sup>6</sup> Dass synaptische Veränderungen eine Rolle bei Depressionen spielen, wird durch Mausmodelle mit Depressionen gestützt: Chronischer Stress führte hierbei zu einem Verlust von Synapsen und einer Retraktion der apikalen Dendriten im präfrontalen Kortex.<sup>7, 8</sup> Diese Theorie wurde später auch durch Studien beim Menschen unterstützt: In Hirnaufnahmen von Menschen mit Depressionen zeigte sich ein verringertes Volumen des präfrontalen Kortex und des Hippocampus und in Post-mortem- Untersuchungen fand sich eine verringerte Zahl von Synapsen.<sup>9</sup> Eine Dosis von Ketamin, so fand Dumans Arbeitsgruppe heraus, erhöhte rasch die Zahl der Synapsen und verbesserte deren Funktion im präfrontalen Kortex; die stressbedingten Schäden der Synapsen gingen schnell zurück.<sup>10, 11</sup> Ketamin ist also in der Lage, die synaptische Pathophysiologie bei Depression rasch wiederherzustellen, so das Fazit der Forscher. Allerdings ist die antidepressive Wirkung Ketamins nicht anhaltend, sodass es wiederholt mit mehreren Tagen Abstand gegeben werden muss.<br /> Klinische Studien belegen die Wirkung in der Praxis: Ketamin kann depressive Symptome reduzieren und die Betroffenen haben eine geringere Suizidintention.<sup>12, 13</sup> Bei therapieresistenten Depressionen gehört Ketamin inzwischen zu den Therapieoptionen. «Der Nachteil ist allerdings, dass es intravenös verabreicht werden muss», sagt Prof. Dr. med. Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dieses Problem wollen die Forscher mit Ketamin als Nasenspray umgehen. Die Firma Johnson & Johnson hat ein (S)-Ketamin- Stereoisomer entwickelt (Esketamin), das ähnlich wirkt wie Ketamin, aber eine höhere Affinität am NMDA-Kanal hat als das (R)-Isomer. Johnson & Johnson hat bereits den Antrag auf Zulassung bei der FDA gestellt.<sup>14</sup> Der Antrag basiert auf fünf pivotalen Phase-III-Studien. In diesen konnte die Behandlung mit Esketamin plus einer neu begonnenen Therapie mit einem oralen Antidepressivum die depressiven Symptome besser lindern als Placebo und die Zeit bis zu einem Rückfall verlängern.<sup>15, 16</sup> Die Patienten vertrugen das Medikament in der Regel gut, unerwartete Nebenwirkungen traten nicht auf.<sup>17</sup><br /> «Der Spray ist eine gute Alternative zur Elektrokrampftherapie», sagt Prof. Falkai. «Der Vorteil ist, dass der Patient das Medikament selbst sprühen kann.» Man muss dem Patienten allerdings zeigen, wie er den Spray anwenden soll, damit die Flüssigkeit nicht in den Rachen gelangt. Abgesehen vom schlechten Geschmack wirke es dann nicht so gut. «Patienten mit Psychosen oder Abhängigkeitserkrankungen sollten Ketamin aber lieber nicht sprühen, denn die genauen Effekte auf das Hirn sind noch nicht geklärt», warnt Falkai.</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001235">«Therapieresistente Patienten sprechen im Durchschnitt gut an»</a></p></p>
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<p><strong>1</strong> Duman RS et al.: F1000Res 2018; 7(F1000 Faculty Rev): 659 <strong>2</strong> www.compendium.ch <strong>3</strong> Berman RM et al.: Biol Psychiatry 2000; 47: 351-4 <strong>4</strong> Murrough JW et al.: Am J Psychiatry 2013; 170: 1134-42 <strong>5</strong> Zarate CA Jr et al.: Arch Gen Psychiatry 2006; 63: 856-64 <strong>6</strong> Duman RS et al.: Nat Med 2016; 22: 238-49 <strong>7</strong> McEwen BS et al.: Neuropharmacology 2012; 62: 3-12 <strong>8</strong> Morrison JH et al.: Nat Rev Neurosci 2012; 13: 240-50 <strong>9</strong> Kang HJ et al.: Nat Med 2012; 18: 1413-7 <strong>10</strong> Li N et al.: Science 2010; 329: 959-64 <strong>11</strong> Li N et al.: Biol Psychiatry 2011; 69: 754-61 <strong>12</strong> Singh JB et al.: Biol Psychiatry 2016; 80: 424-31 <strong>13</strong> Daly EJ et al.: JAMA 2018; 75: 139-48 <strong>14</strong> Johnson & Johnson Pressemeldung. https:// www.jnj.com/janssen-submits-esketamine-nasal- spraynew- drug-application-to-u-s-fda-for-treatment-resistantdepression. Letzter Aufruf: 5. 12. 2018 <strong>15</strong> Popova V et al.: Poster presented at the Annual Meeting of the American Psychiatric Association (APA); May 2018; New York <strong>16</strong> Daly EJ et al.: Poster presented at the American Society of Clinical Psychopharmacology Meeting; May 2018; Miami, Florida <strong>17</strong> Wajs E et al.: Poster presented at the American Society of Clinical Psychopharmacology Meeting; May 2018; Miami, Florida</p>
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