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Medizinische Indikation oder Lifestyle-Chirurgie?
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Anton H. Schwabegger, M. Sc.
Universitätsklinik für Plastische Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie Medizinische Universität Innsbruck<br> Anichstraße 35<br> 6020 Innsbruck<br> E-Mail: elisabeth.schwabegger@tirol-kliniken.at
Autor:
Dr. Elisabeth Schwabegger
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Junge weibliche Erwachsene mit der angeborenen Fehlbildung einer Trichter­brust­deformität streben, durch moderne Medien bestens informiert, immer öfter eine chirurgische Korrektur ihres Makels an, auch wenn keine Symptome einer funktionell bedeutsamen kardiopulmonalen Einschränkung gegeben sind. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Plastisch-ästhetische Korrekturen der kongenitalen Trichterbrustdeformität im Erwachsenenalter sind invasive Eingriffe mit dem Risiko von Komplikationen und erfordern eine strenge Indikationsstellung.</li> <li>Der Leidensdruck von betroffenen Patientinnen ist oft beträchtlich. Durch häufige Bagatellisierung von Lifestyle-Operationen im Bereich der ästhetischen Chirurgie ist die Erwartung in Bezug auf optimale Korrekturoptionen auch an der deformierten Thoraxwand entsprechend hoch.</li> <li>Eine Korrektur der Trichterbrustdeformität durch alleinige Mammaaugmentation ist meistens nicht zielführend, aufgrund einer daraus resultierenden optischen Verstärkung der Deformität sogar kontraproduktiv.</li> <li>Eine alleinige Thorakoplastik, allenfalls im Falle von Mammahypoplasien und/oder Mammaasymmetrie kombiniert mit einer Augmentations- oder Pexieplastik, kann eine deutliche Verbesserung der stigmatisierenden Deformität und damit des Selbstwertgefühls bei den betroffenen Patientinnen bewirken und ist deshalb nicht als Lifestyle-Eingriff zu betrachten, auch dann nicht, wenn keine morphologischen kardiopulmonal-funktionellen Einschränkungen nachweisbar sind.</li> </ul> </div> <p>Bislang werden solche somatisch nachweisbaren Funktionseinschränkungen oft als Kriterium für die Indikation zur Korrektur als Kassenleistung gefordert. Das vorrangige Anliegen der Patientinnen hingegen ist aber meistens die Behebung der als Schielen ihrer Brüste bezeichnete Pseudodeformität der Brüste, die jedoch fast ausschließlich auf der Deformität der Thoraxwand und nicht auf einer Deformität des Brustgewebes beruht. Solche auffälligen Deformitäten belasten die betroffenen Patientinnen sehr, vor allem während der Pubertät bei der Entwicklung und Ausformung des weiblichen Körpers und anschließend als junge Erwachsene bei der Partnersuche. Damit einhergehend leiden definitiv auch die psychische Entwicklung und Persönlichkeitsreifung. Die bloße Veränderung an der weiblichen Brust durch Augmentationsverfahren, wie leider häufig als Ersttherapie angewandt, ist meistens jedoch ein insuffizienter Ansatz, da dies die stigmatisierende Deformität lediglich akzentuiert und die grundlegende morphologische Deformität nicht behandelt, weshalb die psychischen Belastungen auch nicht ausreichend verringert werden können.</p> <p>Eine Pectus-excavatum(PE)-Deformität führt bei weiblichen Jugendlichen nur sehr selten zu kardiopulmonalen funktionellen Einschränkungen, häufig jedoch zu einer Verzerrung oder Distorsion der weiblichen Brust, was zu einem sogenannten Bruststrabismus führt (Abb. 1). In der Regel klagen diese Patientinnen aber nicht über die Trichterbrustdepression selbst, die nur im parasternalen Bereich teilweise vom Brustgewebe verdeckt wird, sondern empfinden vorrangig das Schielen ihrer Brüste als dauerhaft störend, sogar als entstellend. Ein solches Stigma kann zu extremer Schüchternheit, ambivalentem Sozialverhalten oder anderen auffälligen psychischen Störungen führen.<sup>1, 2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s22_1.jpg" alt="" width="1417" height="1097" /></p> <p>Die Indikation für eine Operation wird auch an unserer Klinik nicht nur aufgrund einer – selten gegebenen – funktionell symptomatischen und somatischen Einschränkung gestellt, sondern auch aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung, die von einem klinischen Psychologen mithilfe von standardisierten Untersuchungsmethoden evaluiert werden muss.<sup>2</sup> Alle unsere Patienten mit PE, die älter als 16 Jahre sind, werden diesen zusätzlichen Untersuchungen unterzogen, um einen rein anamnestisch oft sehr unterschiedlich präsentierten Leidensdruck besser objektivieren zu können.</p> <p>Durch bloße chirurgische Transposition der schielenden Nippel-Areola-Komplexe (NAC) nach lateral kann das Gesamterscheinungsbild der Deformität nur marginal verbessert werden, da dies die Grunddeformität des verlagerten Brustgewebevolumens (Abb. 2) einerseits nicht verbessert und andererseits gut sichtbare perio­areoläre Narben bestehen bleiben. Im Gegensatz dazu verbessert eine Vergrößerung des Brustvolumens mit Silikonimplantaten wohl die Projektion des Brustvolumens nach anterior, verändert aber nicht die stigmatisierende Trichterbrustdeformität. Leider ist gerade das Gegenteil der Fall, dass nämlich durch die Augmentation der Brüste die Differenz der maximalen Brustprojektion zur Sternumoberfläche deutlich augmentiert und damit die Deformität noch augenscheinlicher wird (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s22_2.jpg" alt="" width="1418" height="983" /></p> <p>Die Alternative, mithilfe eines maßgefertigten („custom-made“) Silikonimplantates die PE-Deformität aufzufüllen, kann bei geringem bis moderatem Ausmaß der Deformität sehr gut geeignet sein, ist aber wegen der Konsistenz des Materials bei Patientinnen oft unerwünscht oder bei größerer Depression des Sternums aufgrund des zur ausreichenden Korrektur notwendigen Volumens ungeeignet. Derartig voluminöse Implantate neigen dann aufgrund der Gravitation zur Dislokation oder erzeugen in Rückenlage Beklemmungsgefühle am Thorax. Lipofilling oder anderes autologes Gewebe sind lediglich zur Formkorrektur von geringen Konturanomalien gut geeignet.</p> <p>Bei moderaten bis ausgeprägten Deformitäten stehen heutzutage standardisierte Methoden zur Trichterbrustkorrektur zur Verfügung, wie die MIRPE-Technik nach Nuss („minimally invasive repair of pectus excavatum“) oder ein modifizierter hybridisierter Ansatz mit Zusatzschnitten, die MOVARPE-Technik („modified open videoendoscopically assisted repair of pectus excavatum“), um die vordere Brustwand zu remodellieren.<sup>3–5</sup> Gleichzeitig werden damit die weiblichen Brüste in eine gewünschte und ästhetisch zufriedenstellende Position eleviert und nach lateral transponiert, ohne – und das ist hierbei der wesentliche Aspekt – das Gewebe der weiblichen Brüste chirurgisch zu tangieren.</p> <p>Diese beiden Methoden stellen heute Standardverfahren dar, die MIRPE vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen. Diese sogenannte minimal invasive Rekonstruktionsmethode ist aber mit zunehmendem Alter der Patienten aufgrund der Ausreifung und der daraus resultierenden Rigidität der muskuloskelettalen Strukturen immer weniger geeignet. Die MOVARPE-Technik begegnet diesen erschwerenden Umständen durch zusätzliche multisegmentale Hilfsinzisionen an Rippenknorpeln und Sternum, wobei auch diese Inzisionen minimal invasiv ausgeführt werden. Die MOVARPE ist insbesondere in der Adoleszenz ideal, da die anteriore und bei der PE deformierte skelettale Thoraxwand noch ausreichend flexibel ist, um nach den multisegmentalen Inzisionen dem modellierenden Druck des retrosternal implantierten Metallbügels nachzugeben (Abb. 3 a, b).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s22_3.jpg" alt="" width="2150" height="938" /></p> <p>Manchmal kann die vorrangig bestehende Thoraxwanddeformität zusätzlich durch Formanomalien der weiblichen Brust, wie Asymmetrie oder Hypoplasie, verkompliziert sein. In diesen Fällen können dann zusätzliche chirurgische Maßnahmen, wie Lipofilling, Brustimplantate oder formangleichende Reduktions- oder Pexieverfahren, angeboten werden,<sup>6</sup> um das Endergebnis zu optimieren (Abb. 4 a, b).</p> <p>Der Metallbügel wird durchschnittlich nach zwei Jahren wieder explantiert. Zu diesem Zeitpunkt und im Zuge dessen können kleinere Anpassungen zur Symmetrieangleichung von verbliebenen Konturanomalien oder Brustasymmetrien durchgeführt werden. Die Rezidivquote vor allem bei der hybridisierten MOVARPE-Technik ist erstaunlich gering und die Endergebnisse bleiben auch ein Jahr nach der Metallbügelexplantation (Abb. 5) ästhetisch konstant sehr zufriedenstellend.<sup>7</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s22_4.jpg" alt="" width="1417" height="1004" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Der soziale Druck während der Pubertät, aber auch im Erwachsenenalter, der durch die allgegenwärtige mediale Suggestion entsteht, dass ein perfekter Körper die Voraussetzung für berufliches Fortkommen und insbesondere Erfolg bei der Partnerfindung sei, ist verantwortlich für die enorme Nachfrage nach körperformenden Eingriffen,<sup>8</sup> bei Frauen deutlicher als bei Männern. Eine Brustwanddeformität mit Distorsion der weiblichen Brüste verursacht große Probleme bei der zwischenmenschlichen Kontaktaufnahme, Schamgefühl und oft eingeschränktes Selbstwertempfindung sowie Minderwertigkeitsgefühle, depressive Verstimmung und unangemessenes Sozialverhalten.<sup>9</sup> Mehrere Untersuchungen haben bestätigt, dass es einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit dem eigenen Körperbild und dem Selbstwertgefühl gibt,<sup>2, 8</sup> bei stigmatisierenden angeborenen Fehlbildungen besteht eine Korrelation in negativer Hinsicht.</p> <p>Obwohl der Boom von allgegenwärtigen Lifestyle-Themen zu einem unverhältnismäßigen Verlangen nach gestylten Körpern mit idealisierter körperlicher Attraktivität führt und damit ein immer wichtigerer Faktor bei ärztlichen Konsultationen wegen PE-Deformität ist, sucht und findet eine große Mehrheit der weiblichen Patienten mit PE Rat und Behandlung erst im Erwachsenenalter. Eine Behandlung bereits in der Pubertät oder Adoleszenz scheint jedoch wesentlich vorteilhafter zu sein, da die Persönlichkeit noch reifen kann, das Verständnis und die Entscheidungsfähigkeit in Bezug auf eine relativ invasive Intervention im Gegensatz zum Kindesalter aber schon gegeben sind. Darüber hinaus sind die weiblichen Brüste nach der Pubertät in der Regel in Form und Volumen bereits gut entwickelt, sodass geplante Hautschnitte präzise entlang den Unterbrustfalten verdeckt gesetzt werden können.</p> <p>In vielen Ländern haben steigende medizinische Kosten und die von den Versicherungsgesellschaften auferlegten Beschränkungen zu Diskussionen geführt, ob die Korrektur einer Trichterbrustdeformität ohne nachweisbare funktionelle kardiopulmonale Einschränkung medizinisch indiziert oder ein rein ästhetischer Wunsch ist. Eine interessante Studie aus 2004 berichtet, dass in einer Serie von 104 Frauen mit PE neun Frauen erfolgreiche Schwangerschaften vor der Trichterbrustkorrektur hatten, aber alle diese neun Patientinnen litten ab dem dritten Trimester an Dyspnoe.<sup>10</sup> Unter diesem Aspekt sowie abseits von psychischen Indikationen erscheint die Indikation zur Thoraxwandremodellierung bei Patientinnen mit Kinderwunsch medizinisch begründbar, insbesondere bei mittelschwerer und schwerer Depression des Sternums.</p> <p>Es wird häufig die Frage aufgeworfen, ob der Eingriff mittels sogenannter minimalinvasiver Rekonstruktion (MIRPE) oder hybridisierter Technik (MOVARPE) zu invasiv für die Korrektur eines vorwiegend ästhetischen Defekts sei. Die umfassenden weltweiten Erfahrungen der beiden letzten Jahrzehnte haben jedoch gezeigt, dass mit zunehmender Erfahrung und technischer Verfeinerung die chirurgische Invasivität und die Komplikationsraten abnehmen. Obwohl erwachsene Patienten ein höheres Komplikationsrisiko haben als Kinder, können Erfahrung und eine sorgfältige Auswahl der Patienten die absoluten Zahlen und das Ausmaß der Komplikationen auf ein Minimum beschränken.<sup>11</sup></p> <p>Gleichzeitig muss jedoch betont werden, dass solche Eingriffe, obwohl äußerst selten, dennoch spezifische Risiken wie Pneumothorax, Hämatothorax, Verletzung des Herzens oder der Lunge mit sich bringen können. Es ist daher zwingend erforderlich, dass solche Eingriffe nur in Zentralkrankenhäusern durchgeführt werden, in denen das Notfallmanagement einer möglichen schweren Komplikation mit einer effizienten Intensivstation jederzeit als Backup zur Verfügung steht.</p> <p>Bei einer Operationseinwilligung und -aufklärung soll aber auch immer auf alternative, jedoch weit weniger invasive Methoden wie Silikonimplantate, Lipofilling etc. hingewiesen und diese sollten umfänglich erläutert werden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Kelly RE Jr et al.: Surgical repair of pectus excavatum markedly improves body image and perceived ability for physical activity: Multicenter study. Pediatrics 2008; 122: 1218-22 <strong>2</strong> Rumpold G, Lair M: Psychological investigation. In: Schwabegger AH, ed. Congenital Thoracic Wall Deformities: Diagnosis, Therapy and Current Developments. New York: Springer, 2011: 79-82 <strong>3</strong> Nuss D et al.: A 10-year review of a minimally invasive technique for the correction of pectus excavatum. J Pediatr Surg 1998; 33: 545-52 <strong>4</strong> Schwabegger AH: Surgical technique with the modified hybrid access in adolescents and adults, the MOVARPE (minor open videoendoscopically assisted repair of pectus excavatum) technique. In: Schwabegger AH, ed. Congenital Thoracic Wall Deformities: Diagnosis, Therapy and Current Developments. New York: Springer; 2011: 132-42 <strong>5</strong> Schwabegger AH et al.: Technical consideration of the MOVARPE technique in intricate pectus excavatum deformity. Wien Klin Wochenschr 2017; 129(19-20): 702-8 <strong>6</strong> Schwabegger AH et al.: Pectus excavatum repair from a plastic surgeon’s perspective. Ann Cardiothorac Surg 2016; 5(5): 501-12 <strong>7</strong> Del Frari B, Schwabegger AH: Clinical results and patient satisfaction after pectus excavatum repair using the MIRPE and MOVARPE technique in adults: 10-year experience. Plast Reconstr Surg 2013; 132(6): 1591-602 <strong>8</strong> Lerner RM et al.: Relations among physical attractiveness, body attitudes, and self-concept in male and female college students. J Psychol 1973; 85: 119-29 <strong>9</strong> Roberts J et al.: Quality of life of patients who have undergone the Nuss procedure for pectus excavatum: Preliminary findings. J Pediatr Surg 2003; 38: 779-83 <strong>10</strong> Fonkalsrud EW: Management of pectus chest deformities in female patients. Am J Surg 2004; 187: 192-7 <strong>11</strong> Nuss D et al.: Review and discussion of the complications of minimally invasive pectus excavatum repair. Eur J Pediatr Surg 2002; 12: 230-4</p>
</div>
</p>