
„Wir wollen die genetischen Ursachen von Tumorerkrankungen besser verstehen“
Das Interview führte Dr. Kassandra Settele
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Philipp Jost
Klinische Abteilung für Onkologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
E-Mail:
philipp.jost@medunigraz.at
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Dr. Philipp Jost übernahm im Oktober 2020 die Professur für das Fach Onkologie an der Medizinischen Universität Graz. Seine Laufbahn hatte ihn zuvor an die Technische Universität München, an das Comprehensive Cancer Center München sowie an das Walter and Eliza Hall Institute in Australien geführt. Wir sprachen mit Univ.-Prof. Jost über die Herausforderungen an die Onkologie in Klinik und Forschung.
Was fasziniert Sie besonders an der Onkologie? Warum haben Sie sich gerade für dieses Fachgebiet entschieden?
P. Jost: Die Onkologie ist ein sehr umfassender Bereich innerhalb des Fachgebiets der Inneren Medizin, weil hier verschiedene Aspekte zusammenkommen. Wir haben es mit komplexer onkologischer Therapie sowie mit kritisch kranken Patienten zu tun. Damit ist es ein sehr faszinierendes und dynamisches Feld. Es deckt einen Querschnittsbereich innerhalb der Inneren Medizin ab. Besonders wichtig ist, dass die Onkologie ein Behandlungsbereich ist, in dem wir mit schwer kranken Patienten zu tun haben, mit Lebensdiagnosen, die bei vielen Patienten substanzielle Veränderungen der Lebensstruktur aufbringen. Damit besteht für uns Ärzte die Chance, außerhalb von Lifestylemedizin eine sehr grundlegende, für die Patienten wichtige Therapie gemeinsam mit den Patienten festzulegen.
Die Onkologie ist ein hochspezialisiertes Fachgebiet, in dem verschiedene Disziplinen, Grundlagenforschung und klinische Forschung ineinandergreifen müssen. Wo positionieren Sie sich in diesem Spektrum?
P. Jost: Hauptsächlich klinisch. Aber ich bin natürlich eng mit unseren Grundlagenforschern vernetzt, weil ich früher selbst phasenweise Grundlagenforschung betrieben habe und damit die Sprache spreche. Gleichzeitig ist meine Hauptarbeitstätigkeit in der klinischen Medizin.
Ihre berufliche Laufbahn hat Sie schon an zahlreiche renommierte Institutionen geführt. Was nehmen Sie von diesen bisherigen Stationen nach Graz mit?
P. Jost: Man lernt an den verschiedenen Institutionen und in den verschiedenen Gesundheitssystemen immer wieder sehr viel Neues. Es gibt Blickweisen, die einen in der Gesamtheit darauf vorbereiten, sich möglichst gut auf Neues einstellen zu können. Deswegen war der Wechsel nach Graz für mich auch sehr positiv. Was ich mitnehme, ist die Internationalität, auch die Offenheit für internationale Teamstrukturen und Sichtweisen aus anderen Gesundheitssystemen und natürlich auch der Blick auf die Gesundheitsversorgung innerhalb eines nationalen Kontextes, der doch sehr unterschiedlich zwischen den Ländern sein kann.
Wie verliefen die ersten Monate in Ihrer neuen Position an der MedUni Graz?
P. Jost: Ich bin sehr positiv in das Team hier aufgenommen worden. Wir haben ein sehr gut strukturiertes klinisches Setting auf dem Campus in Graz und auch eine sehr gut organisierte Medizinische Universität, sodass ich voll zufrieden bin mit den ersten Monaten. Natürlich sehe ich aber auch Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Aber das sind Aspekte, die man in den nächsten Jahren angehen kann – Chancen, die Onkologie zu verbessern.
Inwiefern hat die Covid-19-Pandemie Ihre Tätigkeit beeinflusst?
P. Jost: Natürlich sehr stark, wie wahrscheinlich alle klinischen Bereiche. Wir haben jeden Tag intensiv mit Covid-Patienten zu tun, mit Strukturen und Maßnahmen, um die Covid-Pandemie einzudämmen und um Patienten zu schützen. In der Onkologie gilt das natürlich besonders: Da unsere Patienten immungeschwächt sind, liegt hier ein besonders hoher Gefährdungsgrad vor, Patienten zu schädigen. Deswegen haben wir extrem viel Wert darauf gelegt, unsere Patienten im Krankenhaus zu schützen, und das ist auch sehr gut gelungen.
Wie ist es in der Lehre? Wie geht es den Studierenden?
P. Jost: Die Lehre ist weitgehend auf ein Online-Format umgestellt worden. Das ist in der Tat für die Studierenden, aber auch für die Lehrenden keine einfache Situation. Das muss man leider sagen. Die Struktur ist schon so, dass die Studierenden darunter in gewisser Weise leiden. Aber die neuen Formen der Lehre sollen so gut wie möglich umgesetzt werden und das geschieht hier am Campus auch ganz exemplarisch. Insgesamt können wir davon ausgehen, dass Covid nicht zu viele negative Auswirkungen auf die Lehre hatte.
Auf welche Teilgebiete haben Sie den Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Forschung gelegt?
P. Jost: Der Schwerpunkt meiner Forschung ist die molekulare Onkologie. Wir wollen die genetischen Ursachen von Tumorerkrankungen besser verstehen und wollen die therapeutischen, aber auch die diagnostischen Konsequenzen molekularer Veränderungen der Tumoren in den Alltag der onkologischen Versorgung einbringen.
Sie waren mit der MedUni Graz an einem internationalen Forschungsprojekt beteiligt, das das „Myeloid Cell Leukemia 1 (MCL-1)“-Gen als wichtigen Schutzmechanismus beim Bronchialkarzinom identifizierte. Was wären die nächsten Schritte, um dieses Wissen aus der Grundlagenforschung in die Praxis zu holen?
P. Jost: Wir möchten verstehen, wie häufig der MCL-1-Schutzmechanismus beim Patienten, in der Allgemeinbevölkerung wirklich vorhanden ist; also die Frequenz verstehen, mit der diese Veränderungen genomisch vorhanden sind. Daran arbeiten wir aktuell gemeinsam mit dem Institut für Pathologie in einem Projekt. Im nächsten Schritt würden wir dann gerne sehen, ob wir spezifische Inhibitoren gegen diese Funktion von MCL-1 beim Bronchialkarzinom einsetzen können.
Gibt es dazu bereits vielversprechende Kandidaten?
P. Jost: Ja, es gibt Kandidaten, die sich auch schon in klinischer Testung befinden. Es gibt die ersten Untersuchungen bei Myelompatienten, aber auch bei anderen Patienten, bei denen Inhibitoren mit verschiedenen Molekülstrukturen eingesetzt werden. Von verschiedenen Firmen sind bereits unterschiedliche Wirkstoffe verfügbar. Wir sehen da durchaus eine Entwicklung.
Wie sehen Sie die österreichische Forschungslandschaft im internationalen Vergleich?
P. Jost: Die Forschungslandschaft grundsätzlich ist sehr gut. Es gibt natürlich eine sehr starke Zentralisierung in Wien mit großen, international renommierten Instituten und Wissenschaftlern. Aber auch in Innsbruck, in Salzburg, in Linz und Graz gibt es sehr gute Wissenschaftler, sehr gute wissenschaftliche Institute. Deswegen halte ich die Wissenschaft in Österreich für sehr gut aufgestellt. Die Fördermöglichkeiten sind zwar reduziert im Vergleich zu anderen Ländern, aber deutlich besser, als das z.B. in Australien der Fall war, sodass wir also auch hier grundsätzlich in einem guten Setting sind. Natürlich ist es so, dass die Wissenschaftsförderung insgesamt ausgebaut werden sollte. Gerade nach dem Wegfall der Förderung durch die Österreichische Nationalbank.
Welche Herausforderungen sehen Sie in der Onkologie bezüglich der Wissenschaftsförderung?
P. Jost: Durch die Covid-Pandemie gehen derzeit sehr viele Gelder in die Covid-Forschung. Das führt dazu, dass die Krebsforschung deutlich weniger gefördert wurde, aber das ist hoffentlich nur ein zeitlich begrenzter Zustand. Zum anderen ist die Gesamtheit der Fördermittel insgesamt sicherlich ausbaufähig und sollte für die Komplexität der Fragestellungen, denen wir uns heute annähern, erweitert werden.
Was bereitet Ihnen an Ihrer Stelle die größte Freude?
P. Jost: Am meisten Freude bereitet es mir, mit Patienten zusammenzuarbeiten. Die Patienten sind aufgrund ihrer schweren Erkrankung sehr dankbar. Therapien zu diskutieren, die auch Verbesserungen für die Patienten darstellen, ist der Hauptantrieb für die ärztliche Tätigkeit. Natürlich ist es auch interessant, Forschung zu betreiben, wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und damit die Forschung und die Medizin weiterzuentwickeln. Aber das sind sehr langfristige Prozesse. Auch die Gemeinsamkeit im Team und die Weiterentwicklung der Abteilung sind sehr positive Aspekte, denen ich mich gerne stelle und die durchaus auch sehr positiv funktionieren. Am meisten Freude macht die Gemeinsamkeit aller drei Aspekte.
Was erwarten Sie sich für die kommenden fünf Jahre? Welche Pläne möchten Sie in Zukunft gerne umsetzen?
P. Jost: Wir wollen die molekularen Aspekte der Onkologie stärken: molekulare Therapieoptionen und Diagnostik vertiefen und Früherkennung in den klinischen Alltag integrieren. Das findet z.B. über ein molekulares Tumorboard statt, aber nicht nur dadurch, sondern auch durch die Nutzung der molekularen Analytik für alle Patienten, für alle Therapieoptionen. Zusätzlich möchte ich Innovationen der Digitalisierung in die Onkologie einbringen. Das sind Chancen, die wir nutzen sollten, indem wir Onkologie auch im Alltag digital leben und digital vernetzen. Zum Dritten ist es die Entwicklung des Teams – ich glaube das Allerwichtigste ist, dass wir das Team weiterentwickeln, denn nur dann können wir dem Patienten die beste Medizin anbieten: wenn wir als Team gut zusammenstehen, gut funktionieren.
Welche Rolle spielt die Pathologie bei Ihnen im klinischen Alltag?
P. Jost: Wir haben eine molekulare Fallbesprechung, in der wir molekulare Tumoraspekte mit den Pathologen zusammen besprechen und klinisch auswerten. Aber: Die molekulare Onkologie ist ein Teil jedes Tumorboards, und jedes Tumorboard beinhaltet heutzutage auch molekulare Biomarker, die natürlich in allen Entitäten und in allen Therapieoptionen Eingang finden. Das soll also gar kein exklusives Tumorboard darstellen, sondern es soll eigentlich Eingang in alle Aspekte der Onkologie finden.
Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen, vor denen die Onkologie als Fachgebiet steht?
P. Jost: Die größten Herausforderungen sind in der Tat genau diese Themen: die Innovation in der Onkologie aufrechtzuerhalten. Neue Medikamente, neue Therapieformen, die Digitalisierung, all das ist mit hohen Kosten verbunden. Das sind Aspekte, die die Onkologie stemmen muss. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen, das sind keine leichten Aufgaben! Das beinhaltet auch die Weiterentwicklung von Teams, die sowohl Innovation als auch Digitalisierung stemmen können – neben ihrer klinischen Arbeit, die natürlich das Zentrum darstellt. Der Patient und die klinische Arbeit ist immer im Zentrum ist immer im Zentrum unserer Tätigkeit. Daneben müssen wir eben diese Aspekte in den nächsten fünf Jahren bearbeiten.
Welche Forschungsfragen und -projekte könnten Ihrer Meinung nach die Onkologie in den nächsten Jahrzehnten entscheidend verändern?
P. Jost: Das sind die Therapieformen, in die wir große Hoffnungen legen. Das sind immer noch die Immunonkologika, die seit vielen Jahren schon ein Dauerbrenner sind. Aber ich glaube, dass es bei den immunonkologischen Medikamenten immer noch sehr viele Verbesserungen geben wird. Dazu zählen auch die bispezifischen T-Cell Engager, BiTEs genannt. Die BiTEs sind sicherlich eine Substanzklasse, der in Zukunft noch deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Hinzu kommen zelluläre Therapien, das ist für die Hämatologie, aber wahrscheinlich auch für die Onkologie in absehbarer Zeit ein ganz zentraler Teil. Darüber hinaus ist natürlich die Digitalisierung essenziell: Wir wollen und wir müssen digitaler werden und früher, schneller auch Translation zulassen, um Therapien, die in frühen Phasen getestet sind, auch zügig in den klinischen Alltag einbringen zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Philipp Jost
Klinische Abteilung für Onkologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
E-Mail:
philipp.jost@medunigraz.at
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