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Update zur Systemtherapie beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom

Bei kaum einer anderen Tumorentität hat sich in den letzten fünf Jahren das klinische Behandlungsspektrum derart verändert wie beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC). Trotz hoher Metastasenlast besteht heutzutage die Möglichkeit, mit neuartigen Kombinationstherapien das Gesamtüberleben der Betroffenen um mehrere Jahre zu verlängern. Die Fülle an Therapieoptionen bringt auch die Frage mit sich, welche Kombinationstherapie bei welcher klinischen Konstellation eingesetzt werden soll.

Keypoints

  • Die Kombinationstherapie ist der neue Goldstandard in der systemischen Behandlung des mHSPC.

  • Von allen verfügbaren Kombinationen bieten Apalutamid und Enzalutamid das weiteste Einsatzspektrum.

  • Die Chemohormontherapie bietet gegenüber der klassischen ADT insbesondere bei primärer Metastasierung und hoher Tumorlast Vorteile.

  • Entsprechend den Daten aus PEACE-1 und ARASENS verlängert die Kombination von Abirateron oder Darolutamid mit der etablierten Chemohormontherapie signifikant das Gesamtüberleben gegenüber der alleinigen Chemohormontherapie.

Die Kombinationstherapie: früher und heute

Die Androgendeprivation (ADT) hat seit über acht Jahrzehnten einen zentralen Stellenwert in der Therapie des metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinoms (mHSPC). Seit den 1940er-Jahren konnten durch die operative Kastration sowohl die Überlebenszeit der Betroffenen verlängert als auch die Symptome in der palliativen Gesamtsituation gemildert werden. Durch den Einsatz des LHRH(„Luteinisierendes-Hormon-Releasing-Hormon“)-Agonisten Buserelin Anfang der 1980er-Jahre war es erstmals möglich, eine medikamentöse Blockung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse beim Prostatakarzinom durchzuführen.1Im Jahr 2008 kam dann der erste LHRH-Antagonist auf den Markt.2

Bisherige Versuche der Kombination einer klassischen ADT mit Erstgenerations-Antiandrogenen wie Flutamid und Bicalutamid konnten nur einen marginalen zusätzlichen Überlebensvorteil von 3–5% nach fünf Jahren gegenüber alleiniger ADT erzielen. Deutlich höher ist der Überlebensvorteil, wenn moderne Hormonpräparate mit der klassischen ADT kombiniert werden. Hierzu zählen der CYP17(Steroid-17-alpha-Hydroxylase)-Inhibitor Abirateron sowie die Zweitgenerations-Antiandrogene Apalutamid und Enzalutamid.

Abirateron

In der LATITUDE-Studie wurde der Stellenwert der Addition von Abirateron zur klassischen ADT untersucht. Durch Erweiterung der Therapie mit Abirateron 1000mg/tgl. (+ Prednison 5mg/tgl.) konnte ein medianer Überlebensvorteil von 16,8 Monaten gegenüber der alleinigen ADT erzielt werden (HR: 0,66; 95% CI: 0,56–0,78; p<0,0001).3 Die STAMPEDE-Studie bestätigte den signifikanten Überlebensvorteil durch Abirateron (HR: 0,63; 95% CI: 0,52–0,76; p<0,001).4 Entsprechend wurde diese Substanz von der Europäischen Arzneimittelkomission (EMA) im Oktober 2017 zur Therapie des Hochrisiko-mHSPC zugelassen.

Apalutamid

Ebenfalls positive Studienergebnisse erzielte das Zweitgenerations-Antiandrogen Apalutamid in Kombination mit der klassischen ADT. In der TITAN-Studie wurde Apalutamid 240mg/tgl. als Kombinationsmedikation eingesetzt.5 Es zeigte sich ein signifikanter Gesamtüberlebensvorteil gegenüber alleiniger ADT. Nach 24 Monaten waren noch 82,4% der Apalutamid-Patienten und 73,5% der Patienten im Kontrollarm am Leben (HR: 0,67; CI: 0,51–0,89; p=0,005). Die Rate an Nebenwirkungen war zwischen beiden Studienarmen vergleichbar (Apalutamid-Arm 42,2% vs. Kontroll-Arm 40,8%).

Enzalutamid

Sowohl in der ARCHES- als auch in der ENZAMET-Studie wurde das für die Kastrationsresistenz schon zugelassene Zweitgenerations-Antiandrogen Enzalutamid 160mg/tgl. in Kombination mit der klassischen ADT mit alleiniger ADT verglichen.6,7 Das Gesamtüberleben war jedoch nur in der ENZAMET-Studie primärer Endpunkt. Hier konnte durch Addition von Enzalutamid das Gesamtüberleben bei mHSPC gegenüber alleiniger ADT signifikant verlängert werden. Nach drei Jahren waren noch 80% der Patienten in der Enzalutamid-Gruppe und 72% der Patienten in der Kontrollgruppe am Leben (HR: 0,67; CI: 0,52–0,86; p=0,002). Entsprechend wurden Apalutamid und Enzalutamid im Januar 2019 bzw. April 2021 von der EMA für die Therapie von mHSPC-Patienten zugelassen.

Parameter für die klinische Anwendung der modernen Kombinationstherapie

Somit stehen aktuell drei hormonelle Substanzen für die Kombination mit klassischer ADT zur Verfügung.Für den Einsatz in der täglichen Praxis stellt sich die Frage, ob anhand klinischer Parameter eine Präferenz für eine bestimmte Kombination getroffen werden kann. Potenzielle Parameter sind die Art der Metastasierung, der Allgemeinzustand und das Patientenalter. Als onkologische Parameter stehen im klinischen Alltag die viszerale Metastasierung sowie die Prognoseeinteilungen nach Tumorlast und Progressionsrisiko zur Verfügung.

Metastasierung

Bezüglich der Art der Metastasierung (primär vs. sekundär) muss für die Verordnung von Abirateron berücksichtigt werden, dass dieses Medikament nur für Patienten mit primär metastasiertem mHSPC zugelassen ist. Anders ist die Situation für den Einsatz von Apalutamid, da in der TITAN-Studie jeder sechste Patient sekundäre Metastasen hatte. Hier lag der mediane Überlebensvorteil gegenüber alleiniger ADT bei 60% (HR: 0,40; 95% CI: 0,15–1,03). Die ENZAMET-Studie, in der vier von zehn Patienten sekundäre Metastasen aufwiesen, zeigt ein gleiches Bild (HR: 0,72; 95% CI: 0,47–0,89).

ECOG-Status und Alter

ECOG(„Eastern Cooperative Oncology Group“)-Status und Alter können nicht alleine für die Beantwortung der Frage nach Mono- oder Kombinationstherapie herangezogen werden. Prinzipiell muss gesagt werden, dass in allen genannten Zulassungsstudien zwischen 0,1% und 3,5% ECOG-2-Patienten eingeschlossen wurden. Valide Daten liegen somit nur für Patienten mit ECOG-Status 0–1 vor. In Bezug auf das Alter profitierten in der LATITUDE-Studie alle Altersgruppen von der Addition von Abirateron, hierbei insbesondere Patienten <65 Jahre (HR: 0,62; 95% CI: 0,45–0,84). Auch für die Kombination mit Apalutamid spielt das Alter keine Rolle. Sowohl Patienten <65 Jahre (HR: 0,45; 95% CI: 0,31–0,66) als auch Patienten ≥75 Jahre (HR 0,65; 95% CI: 0,41–1,03) zeigten einen deutlichen Benefit durch die Kombination. Gleiches gilt für die Kombination mit Enzalutamid in der ENZAMET-Studie.

<< Für den Einsatz in der täglichen Praxis stellt sich die Frage, ob anhand klinischer Parameter eine Präferenz für eine bestimmte hormonelle Kombinationstherapie getroffen werden kann.>>
Tumorlast

Eine hohe Tumorlast ist definiert als mindestens vier Knochenmetastasen (davon eine außerhalb des Stammskeletts) oder eine viszerale Metastasierung. Das Progressionsrisiko definiert sich über das Vorhandensein von zwei von drei Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren sind ein Gleason-Score 8–10, ≥3 Knochenmetastasen und eine viszerale Metastasierung. Für die Therapie mit Abirateron oder Apalutamid hat die Metastasenlast keinen Einfluss auf die Effektivität.5,8 Lediglich in der ENZAMET-Studie zeigt sich eine Interaktion der Tumorlast in Bezug auf das Gesamtüberleben mit einem Vorteil für Patienten mit einer geringen Metastasenlast (HR: 0,43 vs. 0,8; p=0,04).

Progressionsrisiko

Ein hohes Progressionsrisiko ist Voraussetzung für die Verschreibung von Abirateron. Aber auch Patienten mit einem niedrigen Progressionsrisiko können von der Abirateron-Addition profitieren, wie in der STAMPEDE-Studie gezeigt werden konnte (HR: 0,66; 95% CI: 0,44–0,98).8 Allerdings befindet sich diese Verwendung von Abirateron im Off-Label-Bereich. Was den Einsatz von Zweitgenerations-Antiandrogenen bei niedrigem Progressionsrisiko betrifft, liegen Daten für Apalutamid vor. In der TITAN-Studie profitierten beide Risikogruppen gleichermaßen in Bezug auf das Gesamtüberleben durch die Addition von Apalutamid (HR für „high risk“: 0,68, für „low risk“ 0,67).

Viszerale Metastasierung

Als einzelner Parameter kann das Vorhandensein von viszeralen Metastasen in die Therapieentscheidung einbezogen werden. In den Studien LATITUDE, TITAN und ENZAMET lag die Rate an viszeraler Metastasierung zu Studieneinschluss bei 20% und je 12%. Die Subgruppenanalysen der jeweiligen Studien zeigen allerdings, dass es zwischen den Substanzen Unterschiede in der Wirksamkeit bei viszeraler Metastasierung gibt. Durch die Addition von Abirateron (LATITUDE-Studie) profitierten auch Patienten mit viszeralen Metastasen. Hier lag das mediane Gesamtüberleben in der Abirateron-Gruppe bei 30,7 Monaten gegenüber 14,8 Monaten im Kontrollarm (HR: 0,53; 95% CI: 0,37–0,76).

Eine weitere Option bei viszeraler Metastasierung stellt das Zweitgenerations-Antiandrogen Apalutamid dar. Auch hier konnte im Vergleich mit der alleinigen ADT das Gesamtüberleben durch Kombination ebenfalls deutlich verlängert werden (HR: 0,76; 95% CI: 0,47–1,23). Interessant ist, dass sich dieser Vorteil in der ENZAMET-Studie für Enzalutamid nicht bestätigen konnte (HR: 1,05; 95% CI: 0,54–2,02).

Chemohormontherapie undTripel-Therapie

Gesondert betrachtet werden sollte die Chemohormontherapie bei mHSPC. Durch die Addition von Docetaxel (6 Zyklen) konnte im Jahr 2014 im Rahmen der CHAARTED-Studie erstmalig gezeigt werden, dass moderne Substanzen die Überlebenszeit im mHSPC-Stadium gegenüber der alleinigen ADT signifikant verlängern können.9 In Zahlen ausgedrückt lag dieser Überlebensvorteil in der CHAARTED-Studie bei 10,4 Monaten (HR: 0,72; 95% CI: 0,59–0,89; p=0,0018). Insbesondere profitieren hier Patienten mit primärer Metastasierung und hoher Tumorlast sowie viszeraler Metastasierung.9,10

Auch wenn sie aktuell noch als gleichwertiger Kombinationspartner in der mHSPC-Therapie gegenüber den neuartigen hormonellen Substanzen angesehen wird, ist die Zukunft der alleinigen Kombination aus Docetaxel und ADT fraglich. Grund hierfür sind die erst kürzlich präsentierten Daten der Studien PEACE-1 und ARASENS, in denen die Dreifachkombination aus klassischer ADT, neuartiger hormoneller Therapie und Docetaxel einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der alleinigen Chemohormontherapie zeigte. In der PEACE-1-Studie beispielsweise wurden 710 Patienten mit klassischer Chemohormontherapie –/+ Abirateron therapiert.11 Die Addition von Abirateron (immer in Kombination mit 5mg Prednison tägl.) verlängerte signifikant das Gesamtüberleben (HR: 0,75; CI: 0,59–0,95; p = 0,017), insbesondere in der Patientengruppe mit hoher Tumorlast (HR 0,72; CI: 0,55–0,95; p=0,019).

Ein ähnliches Bild liefert die erst kürzlich publizierte ARASENS-Studie.12 Insgesamt 1306 Patienten wurden eingeschlossen. Analog zu den PEACE-1-Daten konnte hier durch die zusätzliche Gabe des Androgenrezeptor-Antagonisten Darolutamid die Gesamtüberlebenszeit gegenüber der alleinigen etablierten Chemohormontherapie deutlich verlängert werden (HR: 0,68; CI: 0,57–0,80; p<0,001). Derzeit wird die Zulassungserweiterung von Darolutamid im Rahmen einer Tripel-Therapie bei mHSPC von der EMA geprüft.

1 Borgmann V et al.: Sustained suppression of testosterone production by the luteinising-hormone releasing-hormone agonist buserelin in patients with advanced prostate carcinoma. A new therapeutic approach? Lancet 1982; 1: 1097-9 2 Klotz L et al.: The efficacy and safety of degarelix: a 12-month, comparative, randomized, open-label, parallel-group phase III study in patients with prostate cancer. BJU Int 2008; 102: 1531-8 3 Fizazi K et al.: Abiraterone acetate plus prednisone in patients with newly diagnosed high-risk metastatic castration-sensitive prostate cancer (LATITUDE): final overall survival analysis of a randomised, double-blind, phase 3 trial. Lancet Oncol 2019; 20: 686-700 4 James ND et al. : Abiraterone for prostate cancer not previously treated with hormone therapy. N Engl J Med 2017; 377: 338-51 5 Chi KN et al.: Apalutamide for metastatic, castration-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2019; 381: 13-24 6 Stenzl A et al.: Effect of enzalutamide plus androgen deprivation therapy on health-related quality of life in patients with metastatic hormone-sensitive prostate cancer: an analysis of the ARCHES randomised, placebo-controlled, phase 3 study. Eur Urol 2020; 78: 603-14 7 Davis ID et al.: Enzalutamid with standard first-line therapy in metastatic prostate cancer. N Eng J Med 2019; 381: 121-31 8 Hoyle AP et al.: Abiraterone in ‘high-’ and ‘low-risk’ metastatic hormone-sensitive prostate cancer. Eur Urol 2019; 76: 719-28 9 Kyriakopoulos CE et al.: Chemohormonal therapy in metastatic hormone-sensitive prostate cancer: long-term survival analysis of the randomized phase III E3805 CHAARTED trial. J Clin Oncol 2018; 36: 1080-7 10 Gravis G et al.: Androgen deprivation therapy (ADT) plus docetaxel versus ADT alone in metastatic non castrate prostate cancer: impact of metastatic burden and long-term survival analysis of the randomized phase 3 GETUG-AFU15 trial. Eur Urol 2016; 70: 256-62 11 Fizazi K et al.: A phase 3 trial with a2x2 factorial design in men with de novo metastatic castration-sensitive prostate cancer: overall survival with abiraterone acetate plus prednisone in PEACE-1. Ann Oncol 2021; 32: S1283-346 12 Smith MR et al.: Darolutamide and survival in metastatic, hormone-sensitive prostate cancer. New Eng J Med 2022; 386: 1132-42

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