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Update vom ASH 2020: Akute myeloische Leukämie
Autorin:
Dr. Elisabeth Koller
Oberärztin an der 3. Medizinischen Abteilung
Hanusch-Krankenhaus der Österreichischen Gesundheitskasse, Wien
E-Mail: elisabeth.koller@oegk.at
Auch die American Society of Hematology hielt im Dezember 2020 ihre Jahrestagung erstmals virtuell ab. Der Fülle an relevanten neuen Daten tat dies jedoch keinen Abbruch. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die wichtigsten Studiendaten zur akuten myeloischen Leukämie (AML).
Venetoclax in der Therapie der akuten myeloischen Leukämie
Venetoclax hat in der Kombination mit Azacitidin (AZA) oder niedrig dosiertem Cytarabin (ARA-C) bereits eine FDA-Zulassung für die Behandlung der neu diagnostizierten (ND) AML bei Patienten, die für eine intensive Therapie nicht geeignet sind. Am virtuellen ASH-Meeting 2020 wurde eine Vielzahl an neuen Studien zu AML präsentiert, die die Apoptose induzierende Wirkung von Venetoclax in weiteren Kombinationen untersuchten.
Eine Phase-Ib/II-Studie mit der Kombination von FLAG-IDA und VEN (Venetoclax) schloss sowohl neu diagnostizierte als auch refraktäre/rezidivierte (R/R) Patienten mit AML ein. Geprüft wurden primär die Sicherheit und Verträglichkeit, sekundäre Studienziele waren das Gesamtansprechen (ORR), das Gesamtüberleben (OS) sowie die Remissionsdauer (DOR). Das ORR lag in der Gesamtgruppe bei 84%, davon erreichten 76% eine zusammengesetzte vollständige Remission (CRc). Auch eine hohe Rate an Remissionen ohne minimale Resterkrankung (MRD) konnte erzielt werden. Das Schema FLAG-IDA-VEN (Fludarabin, Cytarabin, G-CSF + Idarubicin + Venetoclax) war sowohl bei Patienten mit ungünstigem genetischem Risiko als auch bei Patienten im Rezidiv eine effektive Therapie mit Zielrichtung allogene Transplantation. Venetoclax in Kombination mit Chemotherapie ist somit auch für intensiv behandelbare Patienten mit AML ein interessanter therapeutischer Ansatz.1
Präklinische und klinische Daten haben für IDH-mutierte Patienten mit AML, welche mit der Kombination AZA und VEN behandelt wurden, ein hervorragendes Ansprechen gezeigt. In einer von Pollyea et al. präsentierten Studie wurden Daten aus der randomisierten Phase-III-Studie VIALE A und einer Phase-IB-Studie mit VEN + AZA gepoolt. Es wurden insgesamt 79 IDH-mutierte Patienten mit VEN + AZA und 28 mit Placebo (PBO) + AZA ausgewertet. Patienten mit IDH-Mutationen zeigten mit VEN + AZA signifikant höhere Remissionsraten (89% vs. 14% CRc), eine längere Remissionsdauer und und ein längeres Gesamtüberleben.2
Die Resultate der Kombination VEN + AZA sind bemerkenswert und übertreffen im nicht randomisierten Vergleich die vorliegenden Studienergebnisse mit IDH-Inhibitoren in der Monotherapie.
Der FLT3-Inhibitor Gliteritinib hat sich in der kürzlich publizierten ADMIRAL-Studie gegenüber Standard-Reinduktionstherapien überlegen gezeigt. Leider sind die Remissionen mit Gilteritinib-Monotherapie nicht anhaltend. In der Phase-Ib-Studie von Daver et al. erhoffen sich die Autoren von der rein peroralen Kombination Gilteritinib und Venetoclax eine Verbesserung der Resultate durch verbesserte zytotoxische Wirkung und verminderte Resistenz. Die Auswertung der ersten 37 Patienten zeigt eine hohe Rate an Remissionen (84% modifizierte CRc) bei guter Verträglichkeit.3
Fazit
Die Kombination von Venetoclax mit Chemotherapie oder Tyrosinkinase-Inhibitoren ist machbar, erste Resultate deuten auf eine gesteigerte Eradikation des malignen Klons und damit eine bessere Überlebenschance für Patienten mit AML hin.
FLT3-mutierte AML
Midostaurin ist derzeit der einzige zugelassene FLT3-Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) in der Erstlinienbehandlung der FLT3-mutierten AML. Nachdem Sorafenib, ein weiterer FLT3-Inhibitor der ersten Generation und auch eine sogenannte „dirty drug“, in einer FLT3-Mutation-positiven Subgruppe der SORAML-Studie4 einen Trend für ein verlängertes Gesamtüberleben zeigen konnte, führte die Australasian Leukaemia and Lymphoma Group (ALLG) eine Phase-II-Studie bei 99 FLT3-mutierten ND-AML-Patienten durch. Die Patienten erhielten 2:1 randomisiert 400mg Sorafenib oder Placebo in Kombination mit Chemotherapie. Die Studie konnte das primäre Studienziel, eine 25%ige Verlängerung des ereignisfreien Überlebens (EFS), nicht erreichen, lediglich für Patienten mit hoher Allel-Ratio gab es einen Trend zu einem verlängertens OS.5
Mit der zunehmenden Verwendung von TKIs in der Therapie der FLT3-mutierten AML stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit von Gilteritinib als Rezidivtherapie in dieser vortherapierten Patientengruppe. In der Studie von Perl et al. wurden Patienten aus den zwei publizierten Studien CHRYSALIS und ADMIRAL bei R/R AML retrospektiv ausgewertet. Die kombinierte CRc-Rate war in beiden Studien nicht signifikant unterschiedlich. In der ADMIRAL-Studie konnten generell mit Gilteritinib höhere CRc-Raten für mit Midostaurin oder Sorafenib vorbehandelte Patienten im Vergleich zur Standardtherapie erreicht werden; das OS lag bei 6,5 in der TKI-vorbehandelten Gruppe versus 9,6 Monate in der TKI-naiven Gruppe.6
Derzeit gibt es noch keine zugelassene Therapie für Patienten mit FLT3-mutierter AML, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind. Gilteritinib, ein selektiver FLT3-Inhibitor der 2. Generation ist als Monotherapie nur für die R/R FLT3-mutierte AML zugelassen und zeichnet sich durch eine gute Verträglichkeit und hohe Wirksamkeit aus. Die Rückfallrate ist jedoch leider hoch und Patienten, die ein Ansprechen zeigen, können letztlich nur durch eine allogene Transplantation geheilt werden. In dieser offen randomisierten Phase-III-Studie wurden Patienten mit FLT3-mutierter AML, welche für eine intensive Chemotherapie nicht geeignet waren, nach einer einleitenden Sicherheitsphase 2:1 zwischen Gilteritinib plus AZA und AZA randomisiert. Es konnten 15 Patienten in die Sicherheitskohorte und bislang 136 Patienten in die Randomisierungskohorte eingeschlossen werden. Ein Gilteritinib-Monotherapie-Arm wurde vorzeitig geschlossen. Es wurden nun die Daten der Sicherheitskohorte präsentiert: 67% der Patienten konnten eine Remission (CRc) erreichen. Die ermittelte Dosis für die randomisierte Phase lag bei 120mg Gilteritinib täglich und AZA in Standarddosierung.7
Fazit
Midostaurin in der Erstlinie (ND-AML) und Gilteritinib bei R/R FLT3-mutierten Patienten sind derzeit der Goldstandard. Sorafenib konnte in Kombination mit Chemotherapie keine Verlängerung des Gesamtüberlebens bei ND AML erreichen. Zweitlinien-Inhibitoren wie Gilteritinib zeigen in Kombination mit hypomethylierenden Substanzen Wirkung bei TKI-vorbehandelten Patienten und Patienten mit TKI-refraktären Mutationen.
Hochrisiko-AML
Die Behandlung von Patienten mit ungünstigen genetischen Veränderungen nach ELN-Klassifikation stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar. AML-Patienten mit TP53-Mutationen haben ein besonders hohes Risiko. Diese genetische Veränderung tritt häufig bei sekundären oder therapieassoziierten Leukämien auf und ist oft mit einem komplexen Karyotyp vergesellschaftet. Die Ergebnisse mit den zurzeit zugelassenen Therapien waren bislang enttäuschend, die Kombination von Azacitidin und Venetoclax zeigte zwar eine höhere Remissionsrate, konnte aber keine langfristigen Remissionen erzielen, die Rückfallrate ist generell hoch. Nun stehen mit Magrolimab, einem CD47-Antikörper, und APR-246 zwei vielversprechende Compounds mit potenzieller Wirkung bei TP53-mutierter AML zur Verfügung.
CD47 induziert ein „Don’t eat me“-Signal an der Oberfläche von AML-Zellen. Magrolimab, ein CD47-Immuncheckpoint-Inhibitor, blockiert erfolgreich CD47, AZA als hypomethylierende Substanz sendet ein „Eat me“-Signal aus und soll so die Wirkung verstärken.
Sallmann et al. stellten nun ein Update der Phase-Ib-Studie über 52 mit Magrolimab und AZA behandelte Patienten vor, welche unfit für eine intensive Therapie waren. Von diesen Patienten hatten 65% eine TP53-Mutation sowie 64% eine Hochrisiko-Zytogenetik. Die Gesamtansprechrate aller Patienten lag bei 63% (42% CR und CRi), in der Gruppe der TP53-mutierten AML bei 69% (45% CR und CRi). Alle Patienten zeigten ein im Vergleich zur AZA-Monotherapie ein rasches Ansprechen, die Nebenwirkungen wurden durch die Kombination nicht verstärkt. Das Gesamtüberleben der TP53-Wildtyp-Patienten im Vergleich mit den Patienten mit TP53-Mutation lag im Median bei 18,9 bzw. 12,9 Monaten. Diese Ergebnisse waren auch im historischen Vergleich gesehen ausgezeichnet. In einer zusätzlichen Analyse der CD34+/CD38–-Zellpopulation konnte gezeigt werden, dass Magrolimab + AZA bei 71% der Responder erfolgreich leukämische Stammzellen eradizieren kann.8
Der Start einer randomisierten Studie zuMagrolimab + AZA versus VEN +AZA bei unbehandelten TP53-mutierten AML-Patienten ist für 2021 geplant. Magrolimab in Kombination mit AZA könnte ein echter Durchbruch in der Therapie dieser Patientengruppe mit besonders ungünstiger Prognose sein.
Eine weitere wichtige Substanz in der Therapie der Hochrisiko-AML ist CPX-351, zugelassen für AML mit MDS-typischen Veränderungen (AML-MRC) und therapieassoziierter AML nach vorangegangener maligner Erkrankung. Die prospektiv geplante finale 5-Jahres-Analyse der randomisierten Phase-III-Studie CPX 351 versus 7+3 bei 309 älteren Patienten mit neu diagnostizierter Hochrisiko- oder sekundärer AML legt den Fokus auf eine Analyse der Alterssubgruppen und der Patienten mit kompletter Remission bzw. nach allogener Transplantation. Der Überlebensvorteil für die experimentelle Substanz CPX-351 konnte nach dieser langen Beobachtungszeit sowohl in der Gesamtkohorte als auch auch in den analysierten Subgruppen gezeigt werden. Die Autoren vermuten, dass bei Respondern mit CPX-351 im Vergleich zu 7+3 möglicherweise tiefere Remissionen und damit ein verlängertes Überleben erreicht werden konnten. Viele Fragen bleiben jedoch offen, wie zum Beispiel die Dosierung, randomisierte Vergleichsstudien bei jüngeren Patienten oder Vergleiche mit alternativen Therapien mit nachgewiesener Wirksamkeit in dieser Indikation.9
Literatur:
1 Lachowiez C et al.: Interim analysis of the phase 1b/2 study of the BCL-2 inhibitor venetoclax in combination with standard intensive AML induction/consolidation therapy with FLAG-IDA in patients with newly diagnosed or relapsed/refractory. ASH-Meeting 2020; Abstr. #332 2 Pollyea DA et al.: Results of venetoclax and azacitidine combination in chemotherapy ineligible untreated patients with acute myeloid leukemia with IDH 1/2 mutations. ASH-Meeting 2020; Abstr. #461 3 Daver N et al.: Efficacy and safety of venetoclax in combination with gilteritinib for relapsed/refractory FLT3-mutated acute myeloid leukemia in the expansion cohort of a phase 1b study. ASH-Meeting 2020; Abstr. #333 4 Röllig C et al.: Addition of sorafenib versus placebo to standard therapy in patients aged 60 years or younger with newly diagnosed acute myeloid leukaemia (SORAML): a multicentre, phase 2, randomised controlled trial. Lancet Oncol; 2015; 16(16): 1691-9 5 Wei A et al.: Results of a phase 2, randomized, double-blind study of sorafenib versus placebo in combination with intensive chemotherapy in previously untreated patients with FLT3-ITD acute myeloid leukemia (ALLG AMLM16). ASH-Meeting 2020; Abstr. #591 6 Perl AE et al.: Clinical outcomes in patients with relapsed/refractory acute myeloid leukemia treated with gilteritinib who received prior midostaurin or sorafenib. ASH-Meeting 2020; Abstr. #334 7 Wang ES et al.: Phase 3, multicenter, open-label study of gilteritinib, gilteritinib plus azacitidine, or azacitidine alone in newly diagnosed FLT3 mutated (FLT3mut+) acute myeloid leukemia (AML) patients ineligible for intensive induction chemotherapy. ASH-Meeting 2020; Abstr. #27 8 Sallman DA et al.: The first-in-class anti-CD47 antibody magrolimab combined with azacitidine is well-tolerated and effective in AML patients: phase 1b results. ASH-Meeting 2020; Abstr. #330 9 Lancet JE et al.: Five-year final results of a phase 3 study of CPX-351 versus 7+3 in older adults with newly diagnosed high-risk/secondary acute myeloid leukemia (AML): outcomes by age subgroup and among responders. ASH-Meeting 2020; Abstr. #635