
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Autoren:
OA Dr. Michael Brinkers1
OADr. Giselher Pfau1
Prof.Dr. Frank Meyer2
1 Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie
2 Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie
Universität Magdeburg
Korrespondenz:
E-Mail: michael.brinkers@med.ovgu.de
Hinsichtlich der Schmerztherapie scheint es eine Zweiteilung zu geben: Tumorschmerzen vs. Nichttumorschmerzen. Doch ergibt dietägliche Praxis eine Polarisierung zwischen akuten Tumor- und chronischen Nichttumorschmerzen. Dazwischen besteht die Gruppe der Patienten mit chronischem Tumorschmerz, die auch als Langzeitüberleber bezeichnet werden. Was verbindet, was unterscheidet diese drei Gruppen?
Keypoints
-
Langzeitüberleber weisen Charakteristika von Akuttumorpatienten wie auch Nichttumorpatienten auf.
-
Psychische Störungen kommen bei den Langzeitüberlebern in ähnlicher Höhe vor wie bei Nichttumorpatienten. Dagegen sind bei Akuttumorpatienten deutlich seltener psychische Störungen diagnostizierbar, und da auch meist als Anpassungsstörungen.
-
Opioide werden bei Tumorschmerzen gegeben, hier bei Akuttumorschmerzen wie auch bei den Langzeitüberlebern.
-
Psychopharmaka werden bei chronischen Schmerzen wichtig, hier bei den Langzeitüberlebern wie den Nichttumorpatienten.
Patienten mit chronischen Nichttumorschmerzen
In einer universitären Schmerzambulanz werden zuvorderst Patienten mit Nichttumorschmerzen behandelt. Diese zeichnen sich durch lange Krankheitsgeschichten aus, bevor sie in einer universitären Schmerzambulanz (als sogenanntem tertiärem Schmerzzentrum) vorgestellt werden. Dazu werden bei diesen Patienten oft zwei Schmerzzeiten unterschieden. Der erste Schmerz ist der absolute Startpunkt eines längeren Schmerzerlebens. Als „zweiter Schmerz“ wird der Zeitpunkt angegeben, ab der die Patienten die Schmerzen in Intensität und Qualität so wahrnehmen wie bei der Aufnahme in der Schmerzambulanz.
Auch haben Nichttumorpatienten einen höheren Anteil an psychischen Störungen, der bei etwa 70% der Patienten liegt1 und das gesamte Spektrum von hirnorganischen Veränderungen bis Persönlichkeitsstörungen (F0-F6 der ICD-10) umfasst.Dadurch auch kommt es, dass die Nichttumorpatienten mehr Psychopharmaka (Psyche und neuropathische Schmerzen) erhalten als Opioide. Bei Tumorschmerzen ist dies anders.
Patienten mit akutem Tumorschmerz
Während Tumorpatienten wie auch Nichttumorpatienten Schmerzen in allen Regionen des Körpers empfinden können, gibt es bei Tumorpatienten zudem auch Schmerzen durch die Therapie.
Zudem gibt es nicht einen Zeitpunkt, ab dem Schmerzen empfunden werden (hier die Tumorerkrankung). Vielmehr zeigt die klinische Praxis, dass etwa Patienten mit Pankreaskarzinom schon Jahre vorher Schmerzen im Bereich der unteren BWS/oberen LWS erleiden können. Ebenso zeigt sich, dass Tumorpatienten Schmerzen erst durch die Therapie erleiden können.
Dazu ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Tumorpatienten in mindestens der Hälfte aller Fälle einen unauffälligen psychischen Befund aufweisen und von den übrigen 50% mehr als die Hälfte hauptsächlich eine depressive Anpassungsstörung aufweisen. Dementsprechend werden Tumorpatienten hauptsächlich mit Analgetika des WHO-Stufenschemas behandelt.
Patienten mit chronischem Tumorschmerz (Langzeitüberleber)
Nach Arndt et al.2 wird von etwa 3,2 Millionen Langzeitüberlebenden für Deutschland ausgegangen. Sie haben – trotz Tumorbehandlung – vermehrt Probleme mit sozialer Ausgrenzung, Schwierigkeiten im Umgang mit der Erkrankung und eine deutlich reduzierte Lebensqualität. Strategien im Umgang mit den Schmerzen sind hier wichtiger als bei Patienten mit akutem Tumorschmerz.
Studiendesign
In der Schmerzambulanz wurden die drei Gruppen hinsichtlich Tumorzeiten, Diagnosen und Therapien miteinander verglichen. Die genaue Definition der drei Gruppen war wie folgt:
-
aktuell aufgenommene Akutschmerzpatienten bei manifester maligner Tumorerkrankung (laut Konsilbefund innerhalb des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R., Schmerzen im Zusammenhang mit dem Tumor) über den gesamten 1-Jahres-Verlauf 2022,
-
eine Gruppe von Nichttumorpatienten,
-
eine Gruppe von Langzeitüberlebern, die wegen nicht mit dem Tumor zusammenhängender Schmerzen nach externer Überweisung vorgestellt werden.
Gruppe 2 und 3 stammen aus den Jahren 2001 bis 2020.
Bei diesen drei Gruppen bestehen also zwei Gruppen mit Tumorschmerzen und zwei Gruppen mit chronischen Schmerzen.
Zeitverläufe
Während es bei allen Nichttumorpatienten nur einen Zeitverlauf vom Beginn der Schmerzen bis zur Aufnahme gibt, bestehen bei akuten Tumoren drei Zeitverläufe im Verhältnis zum Tumor: i) vor, ii) während und iii) nach Erstdiagnose (ED).
Dabei vergingen bei Schmerzen vor dem Tumor im Mittel 9,1 Jahre bis zur Erstdiagnose. Bei Schmerzen nach der Erstdiagnose vergingen etwa 7,5 Jahre bis Schmerzbeginn. Im Mittel betrug das Alter für Schmerzbeginn in der gesamten Gruppe der 62 Patienten 59,34 ±13,67 Jahre.
Demgegenüber waren die Patienten mit Nichttumorschmerzen jünger (Erstschmerz bei 47,09 Jahren) als die Patienten der beiden Gruppen mit Tumoranamnese (Tab. 1).
Therapien
Während Akuttumorpatienten in maximal der Hälfte aller Fälle eine psychische Störung aufweisen, haben Nichttumorpatienten in der Schmerzambulanz in bis zu 70% der Fälle1 eine psychische Störung. Dabei nähern sich die Langzeitüberleber in Zahl und Ausgestaltung des Spektrums der Störungen den Nichttumorpatienten auf die Dauer des Überlebens an.3
Bei der Therapie wiederum bilden die Akuttumorpatienten und die Nichttumorpatienten zwei Pole: die Akuttumorpatienten haben in mehr als der Hälfte der Fälle starke Opioide erhalten, die Nichttumorpatienten haben in fast der Hälfte der Fälle Antidepressiva erhalten (Tab. 2).
Die Langzeitüberleber nehmen bei den drei Gruppen eine Mittelstellung ein: Sie haben ähnlich hohe Zahlen für die Opioide wie die Akuttumorpatienten und ähnlich hohe Zahlen für Psychopharmaka wie die Nichttumorpatienten.
Diskussion
Das Geschlechterverhältnis ist bei den beiden Gruppen mit Tumoranamnese etwa gleich groß; bei den Nichttumorpatienten etwa ein Drittel zu zwei Drittel zugunsten der Frauen.
In der Gegenüberstellung weisen alle Nichttumorpatienten sowie die Langzeitüberleber nur den Zeitverlauf zwischen Erstschmerz und Aufnahme in der Schmerzambulanz auf. Bei Akuttumorpatienten gibt es Patienten mit Schmerzen i) vor dem Tumor, ii) zeitgleich sowie iii) nach der Erstdiagnose.
Dabei ist die Gruppe der Nichttumorschmerzpatienten beim Erstschmerz deutlich jünger als die Patienten mit Tumoranamnese. Zu erwarten gewesen wären junge Akuttumorpatienten, die in ihrer Akuttherapie stehen und wegen Schmerzen in der Schmerzambulanz zusätzlich behandelt werden müssen. Dagegen zeigt sich nun, dass die Akuttumorpatienten des Jahres 2022 genauso wie die Langzeitüberleber mit Nichttumorschmerz älter sind als die Nichttumorpatienten.
Die psychischen Diagnosen sind bei Langzeitüberlebern wie bei den Nichttumorpatienten deutlich häufiger anzutreffen als bei den Patienten mit Akuttumor. Bei Letzteren werden auch zumeist Anpassungsstörungen diagnostiziert, während bei den beiden anderen Gruppen mit chronischen Schmerzen das gesamte Spektrum psychischer Störungen diagnostizierbar ist.
Bei der Therapie nehmen daher die Nichttumorpatienten mit einer Tumor-Vorgeschichte (Langzeitüberleber) eine Mittelstellung ein zwischen den Akuttumorpatienten (ähnliche Verwendung der Opioide) und den Nichttumorpatienten (ähnliche Verteilung der Psychopharmaka). Dass hier die Akuttumorpatienten keine Psychopharmaka erhielten, ist Zufall; gleichwohl werden hier deutlich weniger Psychopharmaka als bei den beiden anderen Gruppen gegeben.
Insgesamt kann man daher (vereinfachend) sagen: Typisch für die Behandlung von Tumorschmerzen sind die Analgetika des WHO-Schemas, oft genug starke Opioide. Typisch für chronische Schmerzen (in der Schmerzambulanz der Uni Magdeburg) sind Psychopharmaka.
Literatur:
1 Brinkers M et al.: Aspekte einer liaisonpsychiatrischen Betreuung von Patienten einer universitären Schmerzambulanz. Der Schmerz 2018; 32: 115-20 2 Arndt V et al.: Quality of life in long-term and very long term cancer survivors versus population controls in Germany. Acta Oncologica 2017; 56: 190-7 3 Brinkers M et al.: The incidence of mental disorders increases over time in patients with Cancer pain: Data from a retrospective cohort study pain research and management. Pain Res Manag 2021; 2021: 5515629
Das könnte Sie auch interessieren:
Adjuvantes Osimertinib reduziert ZNS-Rezidive bei EGFR-mutierter Erkrankung
Etwa 30% der Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) präsentieren sich mit resezierbarer Erkrankung und werden einer kurativen Operation unterzogen. Viele Patienten ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...