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Umweltsubstanzen mit schädlicher Hormonwirkung. Wer schützt uns davor?
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Micksche
Ehem. Leiter des Instituts für Krebsforschung, MedUni Wien<br>E-Mail: michael.micksche@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Am 4. Juli dieses Jahres haben die Mitgliedsstaaten der EU für den Entwurf der Europäischen Kommission über die wissenschaftlichen Kriterien zur Identifizierung von „endokrinen Disruptoren“ im Bereich Pflanzenschutzmittel gestimmt. „Das sei ein wesentlicher Schritt für einen besseren Schutz der Bürger vor schädigenden Substanzen. Es soll damit sichergestellt werden, dass jede als Pestizid eingesetzte Substanz, die für Mensch und Tier als endokriner Disruptor identifiziert wird, vom Markt genommen wird bzw. diesen nicht erreicht“, so die EU-Kommission in einem Pressestatement.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Endokrine Disruptoren sind chemische Stoffe, die das Hormonsystem von Mensch und Tier beeinflussen. Sie haben drei kumulative Merkmale: eine endokrine Wirkungsweise, eine schädigende Wirkung und eine Kausalbeziehung zwischen den beiden. Gemäß Definition der WHO (2002) ist ein endokriner Disruptor ein körperfremder Stoff oder ein Gemisch, welches die Funktion(en) eines endokrinen Systems ändert und dadurch gesundheitsschädliche Auswirkungen auf einen intakten Organismus, auf die Nachkommen oder (Sub-)Populationen hat.<br />Endokrine Disruptoren werden auch als Xenohormone, Umwelthormone oder endokrin aktive Substanzen (EAS) bezeichnet. Wenn diese Stoffe in einer wirksamen Dosis in den Körper gelangen, können sie durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen. Sie können natürlich, z.B. als Phytoöstrogene, vorkommen oder synthetisch hergestellt werden; Letztere finden sich in Pflanzenschutzmitteln (DTT), Lebensmittelkontaktmaterialien, z.B. Bisphenol A (BPA), Umweltschadstoffen (Dioxine und polychlorierte Biphenyle – PCB) und sowohl in Kosmetika (Parabene) als auch in Spielzeug. Einige EAS werden aber auch aufgrund ihrer endokrin aktiven Eigenschaften gezielt in der Medizin eingesetzt wie z.B. die Antibabypille.<br />Wiewohl EAS eine Gesundheitsgefahr für Tier und Mensch darstellen können, ist ihre tatsächliche Bedeutung für den tierischen und humanen Stoffwechsel noch relativ unerforscht. Daher sind EAS seit einigen Jahren Gegenstand von teilweise kontroversen Diskussionen von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft.<br />EAS interferieren mit den natürlichen Hormonen, da sie eine starke Bindungsfähigkeit in Bezug auf Östrogen-, aber auch Androgenrezeptoren haben. Sie können sowohl eine agonistische – indem sie natürliche Hormone „darstellen“ – als auch eine antagonistische Aktivität aufweisen, wenn sie die Rezeptoren blockieren und damit Hormone in ihrer Wirkung behindern. Somit werden durch EAS-Synthese Transport, Metabolismus, aber auch die Elimination von Hormonen beeinflusst. Ein Beispiel dafür ist die Beeinträchtigung der Produktion von Thyroidhormonen durch mindestens 10 EAS-Pestizide.<br />Begonnen hat die Story mit DDT, als in den 1940er-Jahren entdeckt wurde, dass dieses Insektizid eine Hormonwirkung entfaltet, da Piloten, die dieses Mittel versprüht hatten, durch ungewollte Kinderlosigkeit auffielen.<br />Laut WHO-Bericht (2012) wird angenommen, dass eine EAS-Exposition des Menschen mit einer Reihe von hormonabhängigen Pathologien und Erkrankungen wie Diabetes, metabolischem Syndrom, Brust- und Prostatakrebs sowie Fettleibigkeit und Fertilitätsstörungen in Zusammenhang steht bzw. dafür (mit-)verantwortlich ist; des Weiteren wird dies auch bei bestimmten (auto-)immunologischen, kardiopulmonalen, neurologischen (ZNS-)Krankheitsbildern vermutet. <br />Aus toxikologischer Sicht sind EAS auch eine Gefahr für uns, aber auch für die Gesundheit der nächsten Generation. Hormone sind essenziell für die Entwicklung vom Embryo bis zur Pubertät. Der Einfluss dieser ähnlich wie Östrogen wirksamen Substanzen ist auch abhängig vom Alter und Geschlecht der exponierten Person. EAS sind weit verbreitet in der Umwelt, in bestimmten Produkten und in der Nahrung und können auch im Körper akkumulieren und – auch wenn sie nur in geringen Mengen vorhanden sind – mit Substanzen mit ähnlicher Wirkung Synergien haben. <br />Aus diesen Gründen besteht bei Wissenschaftlern, bei der Industrie und auch bei NGOs eine berechtigte und große Sorge bezüglich der Bewertungsverfahren und Zulassungskriterien von EAS in der EU, aber auch weltweit, wie die Mitteilung der Endocrine Society zeigt: „Dieser Entwurf der EU ist nicht geeignet, uns vor der Umwelt zu schützen und Gesundheit zu garantieren. Wir fordern, dass wissenschaftliche Gesellschaften Input leisten können.“</p></p>
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