© Getty Images/iStockphoto

Transkriptom-Diversifizierung durch RNA-Editing: ein neues Angriffsziel bei der Krebstherapie?

<p class="article-intro">Posttranskriptionelle Modifizierungen der RNA-Transkripte – wie etwa Veränderungen der RNA-Enden und Spleißen der Exons – sind entscheidend für deren Funktion und Stabilität. RNA-Editing nimmt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung unter den posttranskriptionellen Veränderungen ein, da es gezielt die Basensequenz der RNA im Vergleich zum Genom verändern kann und somit – analog einer Mutation – die darin kodierten Proteine verändern kann. Da RNA-Editing in Krebszellen meistens erhöht ist, beeinflusst es einerseits wichtige zelluläre Funktionen, andererseits spielt es eine wichtige Rolle für die Sichtbarkeit der Krebszellen für das Immunsystem.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>RNA-Editing ist die posttranskriptionelle Ver&auml;nderung von Basen in der RNA.</li> <li>Tumoren weisen oft mehr RNA-Editing auf als gesundes Vergleichsgewebe.</li> <li>RNA-Editing kann sich einerseits wie eine Mutation auswirken, durch die die Krebszelle einen Wachstumsvorteil hat; andererseits beeinflusst es eine m&ouml;gliche antitumorale Immunantwort.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Grunds&auml;tzlich sind mittlerweile &uuml;ber 100 chemische Basenmodifizierungen in den RNAs bekannt. Alle diese Modifizierungen, welche nach oder w&auml;hrend der Transkription der RNA entstehen, beeinflussen in irgendeiner Form die Wirkungsweise und den Metabolismus der RNA. Unter RNA-Editing versteht man eine ganz bestimmte posttranskriptionelle Ver&auml;nderung der RNA, n&auml;mlich die Deaminierung von Adenosin (A) oder Cytosin (C). Durch Deaminierung von A entsteht Inosin (I; ein Guanosin-Analog), wohingegen durch Deaminierung von C ein Uracil (U) entsteht. Beide RNA-Editing-Prozesse verursachen folglich eine Ver&auml;nderung der genetischen Information und demnach eine m&ouml;gliche Ver&auml;nderung der Sequenz des translatierten Proteins, sofern das Editing in einer kodierenden Region passiert. W&auml;hrend das A-zu-I-Editing von ADAR (&bdquo;adenosin deaminases acting on RNA&ldquo;) ausgef&uuml;hrt wird, wird C-zu-U-Editing von APOBEC (&bdquo;Apolipoprotein B editing complex&ldquo;)-Deaminasen bewerkstelligt. Im Vergleich zu einer Mutation kann das RNA-Editing sehr flexibel und dynamisch reguliert werden. So kann innerhalb einer Zelle die Menge an editierter RNA variieren und es k&ouml;nnen Tochterzellen ein v&ouml;llig anderes RNA-Editing aufweisen als die parentale Zelle.</p> <h2>Editierte Gene (Editom)</h2> <p>RNA-Editing ist in nahezu allen Metazoen zu finden und ist somit ein wichtiger universeller posttranskriptioneller Regulationsmechanismus. W&auml;hrend bis vor einigen Jahren nur eine Handvoll bestimmter editierter Gene bekannt waren, konnten durch die neuen Hochleistungs-DNA/ RNA-Sequenzierungen viele neue Editing- Stellen im Genom identifiziert werden. Die Gesamtheit der RNA-Editing-Stellen wird als Editom zusammengefasst. Man geht heute davon aus, dass jeder bestimmte Zelltyp eines gesunden Gewebes eine bestimmte Editing-Signatur besitzt (also ein ganz bestimmtes Editom). F&uuml;r viele dieser Editing-Stellen ist die funktionelle Auswirkung noch v&ouml;llig unerforscht, f&uuml;r manche hingegen wei&szlig; man, dass die editierte Form zur Translation eines Proteins mit komplett ver&auml;nderter Funktion f&uuml;hrt. Viele der A-zu-I-editierten Gene sind in neuronalem Gewebe und im Gehirn zu finden (z. B. der Glutamat-Rezeptor), und ein ver&auml;ndertes Editing dieser Gene f&uuml;hrt in Tierversuchen zu kognitiven Defiziten. Bekanntestes Beispiel f&uuml;r das C-zu-TEditing ist das Apolipoprotein B, das in der Leber nicht editiert ist, im D&uuml;nndarm aber durch APOBEC1 editiert wird und durch diese C- zu-T-Konvertierung ein fr&uuml;hzeitiges Stop-Codon erh&auml;lt. Dadurch wird eine k&uuml;rzere Apolipoprotein-B-Variante translatiert, die f&uuml;r die Resorption der Lipoproteine wichtig ist. Analog dem A-zu-GEditing sind auch beim C-zu-T-Editing mittlerweile zahlreiche Gene identifiziert worden, die durch diesen Mechanismus posttranskriptionell ver&auml;ndert werden. Interessanterweise zeigen zahlreiche Forschungsarbeiten, dass in Krebszellen die RNA-Editing-Signatur im Vergleich zum gesunden Gewebe ver&auml;ndert ist. Man findet auch neue Editing-Stellen, die im gesunden Vergleichsgewebe nicht zu finden sind. Somit entstehen durch RNA-Editing in den Krebszellen Proteinvarianten der editierten Gene, die im Vergleichsgewebe nicht vorkommen. Obwohl nur wenige editierte Proteinvarianten funktionell charakterisiert sind, geht man davon aus, dass viele dieser Proteine f&uuml;r die Krebszelle einen Wachstumsvorteil bilden. Andererseits werden aber die Proteine einiger editierter Gene f&uuml;r das Immunsystem sichtbar. Jede K&ouml;rperzelle (sowie auch die meisten Krebszellen) pr&auml;sentiert st&auml;ndig Peptide zelleigener Proteine auf MHC-IMolek&uuml;len, um z. B. bei einer Virusinfektion eine zytolytische Immunantwort einleiten zu k&ouml;nnen. Da die auf MHC-I pr&auml;sentierten Peptide, die von editierten Transkripten stammen, eine ver&auml;nderte Sequenz aufweisen, die dem Immunsystem nicht bekannt ist, sollten diese somit zumindest theoretisch eine Immunantwort ausl&ouml;sen. Tats&auml;chlich konnte experimentell gezeigt werden, dass viele Krebspatienten T-Zellen besitzen, die bestimmte editierte Genprodukte erkennen k&ouml;nnen. Allerdings sind diese T-Zellen, genauso wie viele dieser tumorspezifischen Zellen, bei Krebspatienten stillgelegt (z. B. durch T-Zell-Exhaustion) und nicht in der Lage, den Tumor zu bek&auml;mpfen.</p> <h2>ADARs und die IFN-Response</h2> <p>Interessanterweise passiert das meiste A-zu-I-RNA-Editing nicht in kodierenden Regionen, sondern in den nicht kodierenden Alu-Sequenzen. Alu-Repeats sind repetitive DNA-Regionen, die sich im Laufe der Evolution aus Retroviren im Genom festgesetzt haben. Man sch&auml;tzt, dass rund 10 % des menschlichen Genoms aus diesen repetitiven Alu-Elementen bestehen. Tats&auml;chlich gehen viele Forscher davon aus, dass die eigentliche Hauptaufgabe der ADARs nicht die Rekodierung von bestimmten Genen ist, sondern vielmehr das gezielte Editing dieser Alu-Elemente. Werden n&auml;mlich Alu-Elemente nicht editiert, so werden diese aufgrund ihrer doppelstr&auml;ngigen Struktur von RNA-Sensoren in den Zellen erkannt (z. B. von MDA5 [&bdquo;melanoma differentiation associated gene 5&ldquo;] und RIG-I [&bdquo;retinoic acid inducible gene I&ldquo;]) und l&ouml;sen einen Interferon(IFN)- Response aus, da die RNA-Sensoren Alu- Elemente nicht von RNA-Viren unterscheiden k&ouml;nnen. Da eine IFN-Response Apoptose (also den gezielten Zelltod) ausl&ouml;sen und Immunzellen rekrutieren und aktivieren kann, ist es f&uuml;r jede Zelle wichtig, transkribierte Alu-Elemente durch ADARs zu deaminieren und somit deren Erkennung durch MDA5 und RIG-I zu verhindern. Best&auml;tigend konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass ADAR-Knockout- M&auml;use nur lebensf&auml;hig sind, wenn sie gleichzeitig MDA5-defizient sind. In Krebszellen sind viele dieser Alu-Elemente aktiv, wodurch deren Deaktivierung durch ADARs essenziell ist. Daher sind viele Krebszellen auf ADAR angewiesen und zeigen erh&ouml;hte Therapie-Sensitivit&auml;t und geringere Viabilit&auml;t, wenn ADAR deaktiviert ist (Abb. 1).</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s74_abb1.jpg" alt="" width="1458" height="1055" /></p> <p>&nbsp;</p> <h2>Therapeutische Ans&auml;tze</h2> <p>Derzeit gibt es keine Inhibitoren f&uuml;r RNA-Editing in klinischer Anwendung. Funktionierende Inhibitoren w&uuml;rden jedoch mehrere Ans&auml;tze f&uuml;r den therapeutischen Einsatz liefern. Erstens k&ouml;nnten ADAR-Inhibitoren das Editing von Alu- Elementen inhibieren, was eine IFN-Response in den Krebszellen ausl&ouml;sen w&uuml;rde. Diese IFN-Response w&uuml;rde sehr wahrscheinlich die Krebszellen f&uuml;r immuntherapeutische Intervention angreifbar machen, was im Mausversuch bereits gezeigt werden konnte (Abb 1). Zweitens k&ouml;nnten ADAR-Inhibitoren die Auspr&auml;gung editierter Proteinvarianten unterbinden. Zellen h&auml;tten somit von diesen Proteinen keinen Vorteil mehr und k&ouml;nnten demnach ebenfalls f&uuml;r Therapien angreifbarer werden. Letztlich k&ouml;nnte auch unabh&auml;ngig von ADAR-Inhibitoren das Editom f&uuml;r immuntherapeutische Ans&auml;tze genutzt werden. Da es bei Patienten nachweislich T-Zellen gibt, die spezifisch editierte Proteinvarianten erkennen k&ouml;nnen, w&auml;re es denkbar, diese Immunzellen mittels Immuncheckpoint- Therapien (also Anti-PD-1/PD-L1- oder CTLA-4-Antik&ouml;rper) reaktivieren zu k&ouml;nnen und somit eine antitumorale Immunantwort auszul&ouml;sen. Und schlie&szlig;lich k&ouml;nnte das RNA-Editom auch pr&auml;diktiv f&uuml;r bestimmte Therapien sein. So zeigen Forschungen &uuml;ber die chronische lymphatische B-Zell-Leuk&auml;mie (CLL), dass die Editing-Signatur sich nicht nur signifikant von der von naiven B-Lymphozyten oder Ged&auml;chtnis-B-Zellen unterscheidet, sondern auch h&ouml;chst pr&auml;diktiv f&uuml;r das progressionsfreie &Uuml;berleben nach Therapie ist.</p> <p><strong>Acknowledgement:</strong><br />Die Forschung wird unterst&uuml;tzt durch den FWF (P28201).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Eisenberg E, Levanon EY: A-to-I RNA editing &ndash; immune protector and transcriptome diversifier. Nat Rev Genet 2018; 19(8): 473-90 &bull; Gannon HS et al.: Identification of ADAR1 adenosine deaminase dependency in a subset of cancer cells. Nat Commun 2018; 9(1): 5450 &bull; Geisberger R: Transcriptome diversification by RNA editing in CLL. Oral presentation at the 15<sup>th</sup> international CLL workshop. Fuschl, 2019 &bull; Ishizuka JJ et al.: Loss of ADAR1 in tumours overcomes resistance to immune checkpoint blockade. Nature 2019; 565(7737): 43-8 &bull; Liddicoat BJ et al.: RNA editing by ADAR1 prevents MDA5 sensing of endogenous dsRNA as nonself. Science 2015; 349(6252): 1115-20 &bull; Paz- Yaacov N et al.: Elevated RNA editing activity is a major contributor to transcriptomic diversity in tumors. Cell Rep 2015: 13(2): 267-76 &bull; Roundtree IA et al.: Dynamic RNA modifications in gene expression regulation. Cell 2017; 169(7): 1187-200 &bull; Tan MH et al.: Dynamic landscape and regulation of RNA editing in mammals. Nature 2017; 550(7675): 249-54 &bull; Zhang M et al.: RNA editing derived epitopes function as cancer antigens to elicit immune responses. Nat Comm 2018; 9(1): 3919</p> </div> </p>
Back to top