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Transkriptom-Diversifizierung durch RNA-Editing: ein neues Angriffsziel bei der Krebstherapie?
Jatros
Autor:
Dr. Roland Geisberger
Universitätsklinik für Innere Medizin III, mit Hämatologie, internistischer Onkologie, Hämostaseologie, Infektiologie, Rheumatologie und Onkologisches Zentrum<br> Salzburg Cancer Research Institute,<br> Laboratory for Immunological and Molecular Cancer Research (SCRI-LIMCR)<br> Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg<br> Cancer Cluster Salzburg<br> E-Mail: r.geisberger@salk.at
30
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11.07.2019
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<p class="article-intro">Posttranskriptionelle Modifizierungen der RNA-Transkripte – wie etwa Veränderungen der RNA-Enden und Spleißen der Exons – sind entscheidend für deren Funktion und Stabilität. RNA-Editing nimmt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung unter den posttranskriptionellen Veränderungen ein, da es gezielt die Basensequenz der RNA im Vergleich zum Genom verändern kann und somit – analog einer Mutation – die darin kodierten Proteine verändern kann. Da RNA-Editing in Krebszellen meistens erhöht ist, beeinflusst es einerseits wichtige zelluläre Funktionen, andererseits spielt es eine wichtige Rolle für die Sichtbarkeit der Krebszellen für das Immunsystem.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>RNA-Editing ist die posttranskriptionelle Veränderung von Basen in der RNA.</li> <li>Tumoren weisen oft mehr RNA-Editing auf als gesundes Vergleichsgewebe.</li> <li>RNA-Editing kann sich einerseits wie eine Mutation auswirken, durch die die Krebszelle einen Wachstumsvorteil hat; andererseits beeinflusst es eine mögliche antitumorale Immunantwort.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Grundsätzlich sind mittlerweile über 100 chemische Basenmodifizierungen in den RNAs bekannt. Alle diese Modifizierungen, welche nach oder während der Transkription der RNA entstehen, beeinflussen in irgendeiner Form die Wirkungsweise und den Metabolismus der RNA. Unter RNA-Editing versteht man eine ganz bestimmte posttranskriptionelle Veränderung der RNA, nämlich die Deaminierung von Adenosin (A) oder Cytosin (C). Durch Deaminierung von A entsteht Inosin (I; ein Guanosin-Analog), wohingegen durch Deaminierung von C ein Uracil (U) entsteht. Beide RNA-Editing-Prozesse verursachen folglich eine Veränderung der genetischen Information und demnach eine mögliche Veränderung der Sequenz des translatierten Proteins, sofern das Editing in einer kodierenden Region passiert. Während das A-zu-I-Editing von ADAR („adenosin deaminases acting on RNA“) ausgeführt wird, wird C-zu-U-Editing von APOBEC („Apolipoprotein B editing complex“)-Deaminasen bewerkstelligt. Im Vergleich zu einer Mutation kann das RNA-Editing sehr flexibel und dynamisch reguliert werden. So kann innerhalb einer Zelle die Menge an editierter RNA variieren und es können Tochterzellen ein völlig anderes RNA-Editing aufweisen als die parentale Zelle.</p> <h2>Editierte Gene (Editom)</h2> <p>RNA-Editing ist in nahezu allen Metazoen zu finden und ist somit ein wichtiger universeller posttranskriptioneller Regulationsmechanismus. Während bis vor einigen Jahren nur eine Handvoll bestimmter editierter Gene bekannt waren, konnten durch die neuen Hochleistungs-DNA/ RNA-Sequenzierungen viele neue Editing- Stellen im Genom identifiziert werden. Die Gesamtheit der RNA-Editing-Stellen wird als Editom zusammengefasst. Man geht heute davon aus, dass jeder bestimmte Zelltyp eines gesunden Gewebes eine bestimmte Editing-Signatur besitzt (also ein ganz bestimmtes Editom). Für viele dieser Editing-Stellen ist die funktionelle Auswirkung noch völlig unerforscht, für manche hingegen weiß man, dass die editierte Form zur Translation eines Proteins mit komplett veränderter Funktion führt. Viele der A-zu-I-editierten Gene sind in neuronalem Gewebe und im Gehirn zu finden (z. B. der Glutamat-Rezeptor), und ein verändertes Editing dieser Gene führt in Tierversuchen zu kognitiven Defiziten. Bekanntestes Beispiel für das C-zu-TEditing ist das Apolipoprotein B, das in der Leber nicht editiert ist, im Dünndarm aber durch APOBEC1 editiert wird und durch diese C- zu-T-Konvertierung ein frühzeitiges Stop-Codon erhält. Dadurch wird eine kürzere Apolipoprotein-B-Variante translatiert, die für die Resorption der Lipoproteine wichtig ist. Analog dem A-zu-GEditing sind auch beim C-zu-T-Editing mittlerweile zahlreiche Gene identifiziert worden, die durch diesen Mechanismus posttranskriptionell verändert werden. Interessanterweise zeigen zahlreiche Forschungsarbeiten, dass in Krebszellen die RNA-Editing-Signatur im Vergleich zum gesunden Gewebe verändert ist. Man findet auch neue Editing-Stellen, die im gesunden Vergleichsgewebe nicht zu finden sind. Somit entstehen durch RNA-Editing in den Krebszellen Proteinvarianten der editierten Gene, die im Vergleichsgewebe nicht vorkommen. Obwohl nur wenige editierte Proteinvarianten funktionell charakterisiert sind, geht man davon aus, dass viele dieser Proteine für die Krebszelle einen Wachstumsvorteil bilden. Andererseits werden aber die Proteine einiger editierter Gene für das Immunsystem sichtbar. Jede Körperzelle (sowie auch die meisten Krebszellen) präsentiert ständig Peptide zelleigener Proteine auf MHC-IMolekülen, um z. B. bei einer Virusinfektion eine zytolytische Immunantwort einleiten zu können. Da die auf MHC-I präsentierten Peptide, die von editierten Transkripten stammen, eine veränderte Sequenz aufweisen, die dem Immunsystem nicht bekannt ist, sollten diese somit zumindest theoretisch eine Immunantwort auslösen. Tatsächlich konnte experimentell gezeigt werden, dass viele Krebspatienten T-Zellen besitzen, die bestimmte editierte Genprodukte erkennen können. Allerdings sind diese T-Zellen, genauso wie viele dieser tumorspezifischen Zellen, bei Krebspatienten stillgelegt (z. B. durch T-Zell-Exhaustion) und nicht in der Lage, den Tumor zu bekämpfen.</p> <h2>ADARs und die IFN-Response</h2> <p>Interessanterweise passiert das meiste A-zu-I-RNA-Editing nicht in kodierenden Regionen, sondern in den nicht kodierenden Alu-Sequenzen. Alu-Repeats sind repetitive DNA-Regionen, die sich im Laufe der Evolution aus Retroviren im Genom festgesetzt haben. Man schätzt, dass rund 10 % des menschlichen Genoms aus diesen repetitiven Alu-Elementen bestehen. Tatsächlich gehen viele Forscher davon aus, dass die eigentliche Hauptaufgabe der ADARs nicht die Rekodierung von bestimmten Genen ist, sondern vielmehr das gezielte Editing dieser Alu-Elemente. Werden nämlich Alu-Elemente nicht editiert, so werden diese aufgrund ihrer doppelsträngigen Struktur von RNA-Sensoren in den Zellen erkannt (z. B. von MDA5 [„melanoma differentiation associated gene 5“] und RIG-I [„retinoic acid inducible gene I“]) und lösen einen Interferon(IFN)- Response aus, da die RNA-Sensoren Alu- Elemente nicht von RNA-Viren unterscheiden können. Da eine IFN-Response Apoptose (also den gezielten Zelltod) auslösen und Immunzellen rekrutieren und aktivieren kann, ist es für jede Zelle wichtig, transkribierte Alu-Elemente durch ADARs zu deaminieren und somit deren Erkennung durch MDA5 und RIG-I zu verhindern. Bestätigend konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass ADAR-Knockout- Mäuse nur lebensfähig sind, wenn sie gleichzeitig MDA5-defizient sind. In Krebszellen sind viele dieser Alu-Elemente aktiv, wodurch deren Deaktivierung durch ADARs essenziell ist. Daher sind viele Krebszellen auf ADAR angewiesen und zeigen erhöhte Therapie-Sensitivität und geringere Viabilität, wenn ADAR deaktiviert ist (Abb. 1).</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s74_abb1.jpg" alt="" width="1458" height="1055" /></p> <p> </p> <h2>Therapeutische Ansätze</h2> <p>Derzeit gibt es keine Inhibitoren für RNA-Editing in klinischer Anwendung. Funktionierende Inhibitoren würden jedoch mehrere Ansätze für den therapeutischen Einsatz liefern. Erstens könnten ADAR-Inhibitoren das Editing von Alu- Elementen inhibieren, was eine IFN-Response in den Krebszellen auslösen würde. Diese IFN-Response würde sehr wahrscheinlich die Krebszellen für immuntherapeutische Intervention angreifbar machen, was im Mausversuch bereits gezeigt werden konnte (Abb 1). Zweitens könnten ADAR-Inhibitoren die Ausprägung editierter Proteinvarianten unterbinden. Zellen hätten somit von diesen Proteinen keinen Vorteil mehr und könnten demnach ebenfalls für Therapien angreifbarer werden. Letztlich könnte auch unabhängig von ADAR-Inhibitoren das Editom für immuntherapeutische Ansätze genutzt werden. Da es bei Patienten nachweislich T-Zellen gibt, die spezifisch editierte Proteinvarianten erkennen können, wäre es denkbar, diese Immunzellen mittels Immuncheckpoint- Therapien (also Anti-PD-1/PD-L1- oder CTLA-4-Antikörper) reaktivieren zu können und somit eine antitumorale Immunantwort auszulösen. Und schließlich könnte das RNA-Editom auch prädiktiv für bestimmte Therapien sein. So zeigen Forschungen über die chronische lymphatische B-Zell-Leukämie (CLL), dass die Editing-Signatur sich nicht nur signifikant von der von naiven B-Lymphozyten oder Gedächtnis-B-Zellen unterscheidet, sondern auch höchst prädiktiv für das progressionsfreie Überleben nach Therapie ist.</p> <p><strong>Acknowledgement:</strong><br />Die Forschung wird unterstützt durch den FWF (P28201).</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Eisenberg E, Levanon EY: A-to-I RNA editing – immune protector and transcriptome diversifier. Nat Rev Genet 2018; 19(8): 473-90 • Gannon HS et al.: Identification of ADAR1 adenosine deaminase dependency in a subset of cancer cells. Nat Commun 2018; 9(1): 5450 • Geisberger R: Transcriptome diversification by RNA editing in CLL. Oral presentation at the 15<sup>th</sup> international CLL workshop. Fuschl, 2019 • Ishizuka JJ et al.: Loss of ADAR1 in tumours overcomes resistance to immune checkpoint blockade. Nature 2019; 565(7737): 43-8 • Liddicoat BJ et al.: RNA editing by ADAR1 prevents MDA5 sensing of endogenous dsRNA as nonself. Science 2015; 349(6252): 1115-20 • Paz- Yaacov N et al.: Elevated RNA editing activity is a major contributor to transcriptomic diversity in tumors. Cell Rep 2015: 13(2): 267-76 • Roundtree IA et al.: Dynamic RNA modifications in gene expression regulation. Cell 2017; 169(7): 1187-200 • Tan MH et al.: Dynamic landscape and regulation of RNA editing in mammals. Nature 2017; 550(7675): 249-54 • Zhang M et al.: RNA editing derived epitopes function as cancer antigens to elicit immune responses. Nat Comm 2018; 9(1): 3919</p>
</div>
</p>