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Neues zu myeloproliferativen Neoplasien und zur chronischen myeloischen Leukämie
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Nathan Cantoni
Oberarzt mbF Hämatologie, Medizinische Universitätsklinik Leiter Klinische Forschung, Onkologiezentrum Mittelland<br> Kantonsspital Aarau<br> E-Mail: nathan.cantoni@ksa.ch
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Auf der diesjährigen Jahrestagung der EHA wurden bei den myeloproliferativen Neoplasien Studien mit JAK-1/2-Inhibitoren, Interferon, PI3K-Delta-Inhibitoren und einer Kombination eines JAK-1/2-Inhibitors mit einer hypomethylierenden Substanz präsentiert. Insgesamt gab es in den Oral Sessions nur drei Studien zur chronischen myeloischen Leukämie. Der folgende Bericht gibt einen Überblick.</p>
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<p class="article-content"><h2>Lymphom unter Therapie mit JAK-1/2-Inhibitoren</h2> <p>Prof. Jäger aus Wien zeigte in der MPN-Session die retrospektiven Daten zum Risiko für MPN-Patienten, unter Behandlung mit JAK-1/2-Inhibitoren ein Lymphom zu entwickeln.<sup>1</sup> Der Zusammenhang zwischen MPN und Lymphomen ist bereits bekannt, zusätzlich existieren wenige «case reports» über die Entwicklung eines Lymphoms unter Therapie mit JAK-1/2-Inhibition. In dieser Arbeit wurden circa 1500 Patienten aus den Kohorten Wien und Paris diesbezüglich analysiert. Das Risiko für das Auftreten eines Lymphoms unter JAK-1/2-Inhibitoren war mit 5,8 % vs. 0,36 % (Wiener Kohorte) bzw. 3,5 % vs. 0,23 % (Pariser Kohorte) signifikant erhöht. Die Lymphome traten in einer Zeitspanne von 13 bis 35 Monaten nach Beginn der Therapie auf. Eine JAK2-Mutation konnte im Lymphomgewebe dieser Patienten nicht gefunden werden. Die Lymphome waren hauptsächlich ein diffuses grosszelliges B-Zell-Lymphom mit atypischer Manifestation (extranodale, Knochenmark- oder leukämische Manifestation). Zusätzlich konnte man zeigen, dass ein Immunglobulin- Rearrangement bei 16 % aller Patienten der Kohorten vor Beginn der Behandlung vorhanden war, 75 % der Patienten mit diesem Rearrangement und unter JAK-1/2-Inhibition entwickelten dann im Verlauf ein Lymphom. Als Ursache für das Auftreten von Lymphomen bei diesen Patienten werden die immunsuppressive Wirkung sowie die Reduktion der myeloischen Proliferation im Knochenmark unter JAK-1/2-Inhibition postuliert.<br /> Diese mögliche Komplikation unter JAK-1/2-Inhibition muss man ernst nehmen, gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass diese Beobachtung mit den Daten aus den grossen Phase-III-Studien zu den verschiedenen JAK-1/2-Inhibitoren überprüft wird.</p> <h2>Interferon in der Behandlung der myeloproliferativen Neoplasien</h2> <p><strong>DALIAH-Studie</strong><br /> Eine dänische Gruppe aus Roskilde stellte die Daten der Phase-III-Studie DALIAH vor, die die Wirksamkeit und Toxizität einer Behandlung mit «Low dose»-Interferon im Vergleich zu Hydroxyurea bei Patienten mit MPN untersucht. Am EHAMeeting wurden die Daten der geplanten Interimsanalyse gezeigt.<sup>2</sup> Die Dosierung von Interferon war mit 35μg oder 45μg pro Woche niedriger als in vorgängigen Studien bei MPN-Patienten, dies, um mögliche Nebenwirkungen von Interferon zu reduzieren. Diese Hypothese konnte aber nicht bestätigt werden: In der Interferon- Gruppe war die Rate der Behandlungsabbrüche aufgrund von Toxizität trotz niedrigerer Dosierung und jüngeren Alters der Patienten mit 26 % deutlich höher als erwartet. Zusätzlich war das Ansprechen, definiert gemäss den ELN-Richtlinien für MPN, in der Gruppe mit Hydroxyurea signifikant besser. Wie erwartet war die Reduktion des JAK-2-Allel-Burden unter Interferon höher als mit Hydroxyurea.<br /> Diese Daten zu Interferon sind eher enttäuschend, wie immer bei Interferon- Studien braucht man aber wahrscheinlich Geduld und die Langzeitdaten der Studien müssen abgewartet werden.</p> <p><strong>PROUD-PV- und CONTINUATION-PV-Studie</strong><br />Diese Beobachtung wurde auch in der anschliessenden Präsentation unterstrichen. Prof. Kiladjian stellte das Follow-up der PROUD-PV- und CONTINUATION-PVStudie vor.<sup>3</sup> Hier wurden 254 Patienten mit Polycythaemia vera zwischen einer Behandlung mit Hydroxyurea (Standardbehandlung) oder mit Ropeginterferon Alfa-2b randomisiert. Ropeginterferon alfa-2b ist ein neues, lang wirkendes monopegyliertes Interferon, welches alle 2 bis 4 Wochen gespritzt werden muss. Durch diese neue Applikationsform werden eine bessere Verträglichkeit und dementsprechend eine bessere Adhärenz erwartet. Die Daten des Ansprechens, welche eine «non inferiority» von Ropeginterferon alfa-2b gegenüber Hydroxyurea zeigten, wurden bereits am ASH-Meeting 2016 gezeigt. Nach einem längerem Follow- up von aktuell 24 Monaten konnte jetzt sogar ein besseres Ansprechen unter Ropeginterferon alfa-2b nachgewiesen werden. Im Verlauf der Behandlung nach 24 Monaten konnte in der interventionellen Gruppe auch eine deutliche Reduktion der Beschwerden sowie der JAK-2-V617FAllellast gezeigt werden.</p> <h2>PI3K-Delta-Inhibition bei der Myelofibrose</h2> <p>Bei Patienten mit Myelofibrose (MF), welche eine Behandlung benötigen und für eine allogene Stammzelltransplantation nicht infrage kommen, fehlt weiterhin eine zugelassene Alternativtherapie bei Versagen oder Unverträglichkeit der Therapie mit Ruxolitinib. Diesbezüglich stellte Frau Moyo aus Nashville in der MPNSession spannende Daten über die Phase- I-Studie mit Umbralisib vor, einem selektiven PI3K-Delta-Inhibitor.<sup>4</sup> Es ist bereits bekannt, dass PI3K Delta in MF überexprimiert ist und eine Inhibition zur Reduktion der Proliferation der hämatopoetischen Stammzelle führt. In dieser Dosisfindungsstudie wurde Umbralisib in Kombination mit Ruxolitinib bei Patienten mit suboptimalem Ansprechen oder Verlust des Ansprechens unter Ruxolitinib getestet. Vorgestellt wurden die Daten der ersten 23 Patienten. Die Kombination wurde sehr gut vertragen, mit nur milden Fällen von Transaminasenerhöhung und einem Patienten mit einer Kolitis. Bezüglich des Ansprechens konnten erfreulicherweise eine deutliche Verbesserung der Hämoglobinwerte sowie eine Reduktion der Splenomegalie und der Beschwerden dokumentiert werden. Bei zwei Patienten konnte nach Progression unter Ruxolitinib durch zusätzliche Behandlung mit Umbralisib sogar eine komplette Remission der Grunderkrankung erreicht werden.</p> <h2>Azacitidin in Kombination mit Ruxolitinib</h2> <p>Eine weitere interessante Kombination mit Ruxolitinib und Azacitidin wurde von der Gruppe aus dem MD Anderson vorgestellt.<sup>5</sup> In dieser laufenden Phase-II-Studie wird die Kombination von Ruxolitinib mit Azacitidin bei therapienaiven Myelofibrosepatienten in akzelerierter Phase, definiert als ≥10 % Blasten im peripheren Blut oder Knochenmark, untersucht. Ruxolitinib wird in der klassischen Dosierung von 10mg bis 25mg zweimal täglich gestartet. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen wird Azacitidin erst ab dem 4. Zyklus und in einer reduzierten Dosierung von 25mg/ m<sup>2</sup> vom Tag 1 bis 5 eingesetzt. Im Verlauf kann die Dosis je nach Ansprechen und Toxizität erhöht werden. Erfreulicherweise waren die beobachteten Nebenwirkungen bei den ersten 52 Patienten ähnlich wie in den früheren Studien mit Ruxolitinib als Monotherapie und die Abbruchsrate aus Toxizitätsgründen betrug nur 8 % . Gleichzeitig war auch das Ansprechen in dieser Patientenpopulation mit aggressiver Erkrankung sehr gut, mit einem klinischen Ansprechen von 75 % der Patienten und insbesondere mit einer Reduktion der Splenomegalie nach 24 Wochen bei 58 % der Patienten. Die Studie rekrutiert weiterhin und weitere Resultate werden in den nächsten Jahren folgen.</p> <h2>Chronische myeloische Leukämie</h2> <p>Beiträge zur chronischen myeloischen Leukämie (CML) gab es dieses Jahr sehr wenige, insgesamt wurden nur drei Oral Presentations zu diesem Thema vorgestellt.</p> <p><strong>DESTINY-Studie</strong><br />Die erste Studie war die britische DESTINY- Studie. In dieser Studie mit 174 Patienten mit CML in der ersten chronischen Phase wurde nach Erreichen einer stabilen MR4 oder MMR die Dosierung des Tyrosinkinase- Inhibitors (TKI; hier Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib) zuerst für 12 Monaten halbiert und die Behandlung danach gestoppt.<sup>6</sup> Diese Studie ist aus zwei Aspekten sicherlich interessant: Sie untersucht das Konzept der Dosisreduktion vor dem Stoppen und überprüft gleichzeitig das Stoppen zum ersten Mal bei Patienten mit nur einer MMR. In der Gruppe mit einer MR4 konnte zwei Jahren nach Stoppen der Therapie eine Rate des behandlungsfreien Überlebens (TFS) von 72 % gezeigt werden. Diese Daten sind im Vergleich zu den früheren Stopp-Studien zwar besser, eine klare Erklärung dazu gibt es allerdings noch nicht; möglicherweise besteht eine schrittweise Verbesserung der antileukämischen Wirkung des Immunsystems aufgrund der Halbierung der TKI-Dosis vor dem Therapiestopp. Bei den Patienten mit einer MMR betrug die Rate des therapiefreien Überlebens nur 36 % , sodass in dieser Population das Absetzen der Behandlung nur bei ausgewählten Patienten evaluiert werden sollte.</p> <p><strong>CHOICES-Studie</strong><br />Anschliessend wurde die multizentrische CHOICES-Studie vorgestellt.<sup>7</sup> Es ist bekannt, dass nach Einleitung einer TKIBehandlung die Autophagie der CMLStammzelle induziert wird. Dieser Prozess führt zu einer Reduktion der Apoptose sowie einem längeren Überleben der CMLStammzelle und erklärt möglicherweise die Persistenz der Erkrankung trotz Behandlung mit TKI. Dementsprechend wird in dieser Studie eine medikamentöse Inhibition der Autophagie mit Hydroxychloroquin, einem bekannten Malaria- und Rheumamittel, untersucht. 62 Patienten mit CML unter Behandlung mit Imatinib wurden randomisiert. Die Kombination wurde gut vertragen. In der Gruppe mit einer Kombination von Imatinib und Hydroxychloroquin war die Anzahl der Patienten mit einer Verbesserung des Ansprechens, definiert als Reduktion des BCR/ABL-Levels, im Vergleich zu der Gruppe mit einer Standardbehandlung nur mit Imatinib grösser. Diese Daten sind interessant, zur Beurteilung der klinischen Signifikanz dieser Behandlung muss man aber noch Langzeitdaten dieser Studie abwarten.</p> <p><strong>EUTOS-Register</strong><br />Schliesslich wurde eine Arbeit aus dem EUTOS-Register mit Evaluation des ELTSScores im Vergleich zum Sokal Score vorgestellt. Beide Scores wurden in mehr als 5000 Patienten analysiert. Mit dem ELTSScore wurden 21 % mehr Patienten als «low risk» eingestuft, diese Umverteilung zeigte keine Effekte bezüglich des Ansprechens oder Überlebens. Zusammenfassend empfehlen die Autoren der Studie, den ELTS-Score standardmässig einzusetzen, und beurteilen den Sokal Score als zu pessimistisch. Man darf aber nicht vergessen, dass die meisten CML-Studien bisher mit dem Sokal Score durchgeführt wurden, und so ist eine vollständige Umstellung wahrscheinlich nicht realistisch.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Sexl V et al.: Frequent immunoglobulin rearrangement, JAK1/2 inhibition and aggressive B-cell lymphoma development in patients with myelofibrosis. EHA 2018; Abstr. #S130 <strong>2</strong> Knudsen TA et al.: Interim analysis of the DALIAH trial – a randomized controlled phase III clinical trial comparing recombinant interferon alpha-2 vs. hydroxyurea in mpn patients. EHA 2018; Abstr. #S131 <strong>3</strong> Gisslinger H et al.: Comparison of long-term efficacy and safety of ropeginterferon alfa-2b vs. HU in polycythemia vera patients aged below or above 60 years: two-year analysis from the PROUD/CONTINUATION phase III trials. EHA 2018; Abstr. #S132 <strong>4</strong> Moyo T et al.: Resurrecting response to ruxolitinib: a phase I study testing the combination of ruxolitinib and the PI3K delta inhibitor umbralisib in ruxolitinib-experienced myelofibrosis. EHA 2018; Abstr. #S133 <strong>5</strong> Masarova L et al.: Phase 2 study of ruxolitinib in combination with 5-azacitidine in patients with myelofibrosis. EHA 2018; Abstr. #S812 <strong>6</strong> Clark R et al.: Final results of the destiny study of de-escalation and stopping treatment in chronic myeloid leukaemia. EHA 2018; Abstr. #S809 <strong>7</strong> Horne GA et al.: CHOICES: a randomized phase II trial for imatinib vs hydroxychloroquine plus im for patients with CML in MCyR with residual disease detectable by q-pcr. EHA 2018; Abstr. #S810 <strong>8</strong> Pfirrmann M et al.: The EUTOS long-term survival (ELTS) score is superior to the sokal score for prognosis of survival probabilities of patients with chronic-phase chronic myeloid leukaemia. EHA 2018; Abstr. #S811</p>
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