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Neuerungen in der frühen Brustkrebschirurgie
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Walter P. Weber
Brustzentrum<br> Universitätsspital Basel<br> Universität Basel
Autor:
Dr. med. Giacomo Montagna
Brustzentrum<br> Universitätsspital Basel<br> Universität Basel
Autor:
Dr. med. Mathilde Ritter
Brustzentrum<br> Universitätsspital Basel<br> Universität Basel
30
Min. Lesezeit
30.05.2019
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<p class="article-intro">Deeskalation v.a. in puncto Axillachirurgie lautet der Trend: Die Datenlage deutet vermehrt darauf hin, dass die Axilladissektion beim frühen Mammakarzinom auch bei Patientinnen mit tumorbefallenem Sentinellymphknoten keinen Vorteil in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben oder das Gesamtüberleben aufweist. Die chirurgische Deeskalation reflektiert sich auch in der Brustchirurgie im Sinne zunehmender Brusterhaltung, dank Reduktion der Sicherheitsabstände, lokalem «downstaging» mittels neoadjuvanter Systemtherapie sowie Abschaffung der Tumormultizentrizität als Kontraindikation.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Axillachirurgie</h2> <p>Eine der wichtigsten Neuigkeiten in der Axillachirurgie seit der letzten St.-Gallen- Konsensus-Konferenz 2017 beinhaltet die Veröffentlichung der Langzeit-Follow-up- Daten aus zwei grossen multizentrischen Phase-III-Nichtunterlegenheitsstudien, in denen klinisch nodal negative Patientinnen mit limitiert tumorbefallenem Sentinellymphknoten in eine Kontrollgruppe mit Axilladissektion (ALND) und eine Experimentalgruppe ohne axilläre Therapie randomisiert wurden.<sup>1, 2</sup> In den zwei Studien, IBCSG 23-01 und ACOSOG Z0011, lagen die Raten an axillären Rezidiven beider Gruppen unter 2 % , wobei sich keine statistisch signifikanten Unterschiede in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben oder das Gesamtüberleben zeigten (Abb. 1). Dies weist nachdrücklich darauf hin, dass ALND nicht länger als Standardtherapie bei allen nodal positiven Brustkrebspatientinnen angesehen werden kann.<sup>1–5</sup><br /> Aktuell wird im Falle von residuellem Tumor nach neoadjuvanter Chemotherapie und bei palpablen Lymphknotenmetastasen weiterhin eine ALND durchgeführt. Ersteres könnte sich in naher Zukunft ändern, da die ersten Ergebnisse der Alliance- A011202-Studie (NCT01901094) im Jahr 2024 verfügbar sein werden. In dieser grossen Phase-III-Nichtunterlegenheitsstudie werden Patientinnen mit residuellen Mikro-/Makrometastasen in den Sentinellymphknoten nach neoadjuvanter Chemotherapie inkludiert und in eine Kontrollgruppe mit ALND und in eine experimentelle Gruppe mit axillärer Radiotherapie im Sinne einer ausgedehnten regionären Radiotherapie randomisiert. Somit klärt diese Studie die wichtige Frage, ob auch bei neoadjuvant behandelten Patientinnen residueller Tumor in der Axilla zurückgelassen werden darf, wenn eine regionäre Radiotherapie folgt.<br /> Noch einen Schritt weiter geht die multizentrische TAXIS-Studie (NCT03513614):<sup>6</sup> Diese Phase-III-Studie stellt das Paradigma infrage, dass bei Patientinnen mit palpablen Lymphknotenmetastasen eine neoadjuvante Systemtherapie unabhängig von der Tumorbiologie bzw. eine ALND im Falle einer primären chirurgischen Therapie durchgeführt werden muss. Dabei wird ein neues chirurgisches Konzept, die fokussierte Axillachirurgie («tailored axillary surgery», TAS) eingeführt, welche die Entfernung aller palpatorisch auffälligen Befunde und der Sentinellymphknoten beinhaltet und somit das Ausmass der Axillachirurgie an das Ausmass des Lymphknotenbefalls anpasst. Nodal positive Patientinnen, sowohl solche, bei denen eine neoadjuvante Chemotherapie durchgeführt wird, als auch solche, die sich keiner neoadjuvanten Chemotherapie unterziehen, werden in eine Experimentalgruppe mit TAS in Kombination mit einer ausgedehnten regionären Radiotherapie und eine Kontrollgruppe mit radikaler ALND randomisiert. Mittels Non- Inferiority-Design wird die Hypothese getestet, dass die ALND im Vergleich zur TAS keinen Vorteil in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben oder das Gesamtüberleben aufweist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1903_Weblinks_lo_onko_1903_s27_abb1.jpg" alt="" width="550" height="313" /></p> <h2>Brustchirurgie</h2> <p>Die Tendenz zur chirurgischen Deeskalation reflektiert sich auch in der Brustchirurgie: 2014 zeigten Moral et al. mittels einer Metaanalyse auf, dass das lokalrezidivfreie Überleben nicht vom Millimeterabstand des Karzinoms zum Tumorrand abhänge, sondern nur davon, ob der Resektionsrand bzw. die tuschemarkierten Ränder mit Zellen («no ink on tumor») befallen seien, und dementsprechend wurden die Guidelines modifiziert.<sup>7, 8</sup> Als Konsequenz davon wurde nun in einer kürzlich publizierten Metaanalyse eine deutliche Reduktion der Reexzisionsraten beschrieben, nämlich von 22 % (95 % CI: 20–23) vor Veröffentlichung der Guidelines auf 14 % (95 % CI: 12–15) danach.<sup>9</sup><br /> Ein weiterer relevanter Punkt ist der Resektionsabstand nach neoadjuvanter Systemtherapie, da in solchen Fällen ein höheres Risiko für Lokalrezidive besteht, wie in diversen Studien gezeigt wurde. Eine Metaanalyse des «Early Breast Cancer Trialist Collaborative Group», welche über 4000 Patientinnen aus zehn randomisierten Studien inkludierte, beschrieb ein 15-Jahre-Lokalrezivrisiko von 21,4 % bei den neoadjuvant und 15,9 % bei den adjuvant behandelten Patientinnen (Abb. 2).<sup>10</sup> Eine kürzlich publizierte retrospektive Studie weist darauf hin, dass «no ink on tumor» auch nach neoadjuvanter Therapie ausreichend sei, basierend auf einer hohen 5-Jahres-Rate an rezidivfreiem Überleben, nämlich 96,3 % (CI: 94,0– 98,6), ohne erwiesenen Unterschied zwischen bzw. über 2mm Resektionsabstand.<sup>11</sup> Jedoch bedarf es noch weiterer Studien, um den angemessenen Resektionsabstand nach neoadjuvanter Therapie zu determinieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1903_Weblinks_lo_onko_1903_s28_abb2.jpg" alt="" width="550" height="367" /></p> <p>Neben der Verringerung der Sicherheitsabstände und dem lokalen «downstaging » durch die neoadjuvante Systemtherapie ist ein weiterer möglicher Weg zur Förderung der brusterhaltenden Operationen das Überdenken der Tumormultizentrizität als Kontraindikation hierfür. An der St.-Gallen-Konsensus-Konferenz 2017 empfahlen 61 % der Experten die brusterhaltende Operation auch für multizentrische Tumoren, sofern die Resektionsränder eindeutig seien und eine Radiotherapie problemlos durchgeführt werden könne. Kürzlich publizierte prospektive, nicht randomisierte Daten der ACOSOG-Z11102- Studie unterstützen diese Empfehlung.<sup>12</sup> Dabei wurden 198 Patientinnen prospektiv erfasst, 96 % von ihnen wiesen zwei Tumorherde auf und die mittlere Grösse des grössten Tumorfokus betrug 1,5cm (0,1–7,0). In 67,6 % der Fälle wurde die Brusterhaltung erfolgreich in einer einzigen Operation durchgeführt, die Rate an Konversionen zur Mastektomie betrug nur 7,1 % (95 % CI: 3,9–10,6 % ). Somit können wir aus diesen Resultaten schliessen, dass brusterhaltende Operationen im Sinne von grossvolumigen Tumorektomien bei den meisten dieser Patientinnen durchführbar sind, jedoch müssen noch weitere Ergebnisse bzgl. sekundärer Endpunkte wie Ästhetik, Strahlungstoxizität und onkologische Sicherheit abgewartet werden, bevor die Brusterhaltung als Standardtherapie auch bei multizentrischen Tumoren angesehen werden kann.</p> <p>Eine Methode, grossvolumige Tumorektomien durchzuführen und trotzdem ein gutes kosmetisches Resultat zu erreichen, ist die Kombination von plastischen chirurgischen und onkologischen Operationstechniken, die sogenannte onkoplastische Chirurgie. Clough et al. veröffentlichten im letzten Jahr eine grosse prospektive Serie von 350 onkoplastischen Reduktionsmammoplastiken, die zwischen 2004 und 2016 durchgeführt wurden.<sup>13</sup> Die mittlere Tumorgrösse betrug dabei 26mm (0–180mm). Die Rate von tumorbefallenen Resektionsrändern fiel mit 12,6 % niedrig aus, wie auch die Komplikationsrate mit 8,9 % . Die kumulative 5-Jahres-Inzidenz betrug für lokale Rezidive 2,2 % , für regionale Rezidive 1,1 % sowie für Fernrezidive 12,4 % . Daraus lässt sich schliessen, dass das Verfahren onkologisch sicher ist und als Alternative zur Mastektomie angewandt werden kann.</p> <p>Die wichtigste offene Frage auf dem Gebiet der onkoplastischen Chirurgie stellt sich zum positiven Effekt auf die Lebensqualität durch die Verbesserung der kosmetischen Ergebnisse. Um u.a. auch diese Frage zu beantworten, wurde 2017 ausgehend von Prof. Walter Weber, Chefarzt der Brustchirurgie des Universitätsspitals Basel, das «Oncoplastic Breast Consortium » (OPBC) gegründet.<sup>14</sup> Das OPBC ist eine rapide wachsende, globale Non- Profit-Organisation, die sich der Ermittlung und Priorisierung von Wissenslücken in diesem Bereich verschrieben hat. Zum Stand von 1. April 2019 besteht das OPBC aus 390 spezialisierten Brustchirurgen aus den Bereichen Gynäkologie, Chirurgie und plastische Chirurgie aus 68 verschiedenen Nationen sowie 33 Patientenvertretern aus 18 Ländern. Gegenwärtig konzentriert sich das OPBC auf Forschungsprojekte, die sich mit der grossen Heterogenität in der Brustrekonstruktionspraxis nach Mamillen- sparender Mastektomie befassen und hat sich generell verpflichtet, onkologisch sichere und effektive onkoplastische Operationen in der Routineversorgung von Brustkrebspatientinnen zu etablieren.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Galimberti V et al.: Axillary dissection versus no axillary dissection in patients with breast cancer and sentinelnode micrometastases (IBCSG 23-01): 10-year follow-up of a randomised, controlled phase 3 trial. Lancet Oncol 2018; 19: 1385-93 <strong>2</strong> Giuliano AE et al.: Effect of axillary dissection vs no axillary dissection on 10-year overall survival among women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: the ACOSOG Z0011 (Alliance) randomized clinical trial. JAMA 2017; 318: 918-26 <strong>3</strong> Giuliano AE et al.: Axillary dissection vs no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: a randomized clinical trial. JAMA 2011; 305: 569-75 <strong>4</strong> Giuliano AE et al.: Locoregional recurrence after sentinel lymph node dissection with or without axillary dissection in patients with sentinel lymph node metastases: the American College of Surgeons Oncology Group Z0011 randomized trial. Ann Surg 2010; 252: 426-32; discussion 32-3 <strong>5</strong> Galimberti V et al.: Axillary dissection versus no axillary dissection in patients with sentinel-node micrometastases (IBCSG 23-01): a phase 3 randomised controlled trial. Lancet Oncol 2013; 14: 297-305 <strong>6</strong> Henke G et al.: Tailored axillary surgery with or without axillary lymph node dissection followed by radiotherapy in patients with clinically node-positive breast cancer (TAXIS): study protocol for a multicenter, randomized phase-III trial. Trials 2018; 19: 667 <strong>7</strong> Moran MS et al.: Society of Surgical Oncology-American Society for Radiation Oncology consensus guideline on margins for breastconserving surgery with whole-breast irradiation in stages I and II invasive breast cancer. Ann Surg Oncol 2014; 21: 704-16 <strong>8</strong> Moran MS et al.: Society of Surgical Oncology- American Society for Radiation Oncology consensus guideline on margins for breast-conserving surgery with whole-breast irradiation in stages I and II invasive breast cancer. J Clin Oncol 2014; 32: 1507-15 <strong>9</strong> Havel L et al.: Impact of the SSO-ASTRO margin guideline on rates of re-excision after lumpectomy for breast cancer: a meta-analysis. Ann Surg Oncol 2019; doi: 10.1245/s10434-019- 07247-5 [Epub ahead of print] <strong>10</strong> Early Breast Cancer Trialists' Collaborative G: Long-term outcomes for neoadjuvant versus adjuvant chemotherapy in early breast cancer: meta-analysis of individual patient data from ten randomised trials. Lancet Oncol 2018; 19: 27-39 <strong>11</strong> Choi J et al.: Margins in breast-conserving surgery after neoadjuvant therapy. Ann Surg Oncol 2018; 25: 3541-7 <strong>12</strong> Rosenkranz KM et al.: The feasibility of breast-conserving surgery for multiple ipsilateral breast cancer: an initial report from ACOSOG Z11102 (Alliance) trial. Ann Surg Oncol 2018; 25: 2858-66 <strong>13</strong> Clough KB et al.: Long-term results after oncoplastic surgery for breast cancer: a 10-year follow-up. Ann Surg 2018; 268: 165-71 <strong>14</strong> https://oncoplasticbc.org/ (accessed march 17th, 2019)</p>
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