Neue Kombinationstherapien bei der akuten myeloischen Leukämie

Auch auf der ersten virtuellen Jahrestagung der European Hematology Association (EHA) wurde eine Fülle spannender Daten zur akuten myeloischen Leukämie (AML) präsentiert. Wir sprachen mit OÄ Dr. Elisabeth Koller über ihre Highlights vom Kongress und baten sie um ihre Einschätzung der Datenlage.

In der Late Breaking Oral Session wurde die VIALE-A-Studie präsentiert. Was waren die wichtigsten Ergebnisse?

E. Koller: Die VIALE-A-Studie war definitiv das Highlight des EHA-Kongresses zur AML. Es handelt sich um eine randomisierte Studie mit österreichischer Beteiligung, die sich mit den älteren AML-Patienten beschäftigt, einer schwer zu behandelnden Population. In VIALE-A wurden Patienten über 75 Jahre oder jüngere Patienten mit einer schweren Komorbidität eingeschlossen. Die Patienten wurden 2:1 randomisiert und erhielten entweder eine Kombination von Azacitidin und Venetoclax (400mg) oder Azacitidin und Placebo. Das primäre Endziel der Studie konnte erreicht werden. Im experimentellen Kombinationsarm war das Gesamtüberleben signifikant länger als im Kontrollarm,es betrug 14,7 versus 9,6 Monate (HR: 0,66; 95% CI: 0,52–0,85); p<0,001) (Abb. 1). Auch andere, sekundäre Studienendpunkte wie ein Vorteil beim Erreichen der Remission, bei der Zeit bis zum Therapieansprechen und der Transfusionsunabhängigkeit konnten erreicht werden. Damit war die Studie erfolgreich und wird wesentlich zur Zulassung der Kombination bei dieser herausfordenden Patientenpopulation beitragen.

Abb. 1: Gesamtüberleben in der VIALE-A-Studie (nach DiNardo C et al.: EHA 2020, Abstr. #LB2601)

Es wurden Studien zu weiteren Kombinationen mit Azacitidin präsentiert. Welches waren die wichtigsten und was ist von diesen Kombinationen zu erwarten?

E. Koller: Es gab zum Beispiel Studien zur Kombination mit IDH-Inhibitoren. IDH1/2-Mutationen werden bei etwa 15–20% der AML-Patienten festgestellt und nehmen oft im Verlauf der Erkrankung zu. In den USA wurde der IDH2-Inhibitor Enasidenib bereits bei Patienten mit IDH2-Mutation in der rezidivierten/refraktären Situation zugelassen. Am EHA-Kongress wurde nun eine randomisierte Studie präsentiert, die die Kombination von Enasidenib und Azacitidin mit der Standardtherapie Azacitidin alleine bei IDH2-mutierten AML-Patienten untersuchte. Das Gesamtüberleben betrug in beiden Versuchsarmen etwa 22 Monate. Allerdings wies der experimentelle Kombinationsarm eine höhere Rate an kompletten Remissionen und an MRD-(minimale Resterkrankung)-negativen Patienten auf. Enasidenib in Kombination mit Azacitidin stellt deshalb ebenfalls eine gute Behandlungsoption dar.

Eine weitere interessante Therapieoption könnte in Zukunft eine Kombination aus Azacitidin und Magrolimab sein. Magrolimab ist ein Anti-CD47-Antikörper, der an das an der Oberfläche von AML-Zellen exprimierende CD47 bindet. Durch die Hemmung von CD47 können AML-Zellen in Apoptose gebracht werden. Azacitidin verstärkt dieses Signal, sodass eine synergistische Wirkung der beiden Medikamente erzielt werden kann. Die ersten am EHA-Kongress präsentierten Daten zeigten sehr gute Ergebnisse bei Hochrisikopatienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) und AML-Patienten. Die Ergebnisse einer randomisierten Studie zu dieser Kombination werden mit Spannung erwartet.

Eine weitere interessante Kombination besteht aus Azacitidin und APR-246 bei TP53-mutierten AML- und Hochrisiko-MDS-Patienten. Besonders bei sekundären Leukämien und im Verlauf der Erkrankung treten TP53-Mutationen häufig auf; diese Patienten sind meist sehr schwierig zu behandeln. APR-246 zeigte in dieser Patientengruppe sehr positive Effekte. Die Ergebnisse konnten im Vergleich zum Standard deutlich verbessert werden. Auch hier ist bereits eine randomisierte Studie eingeleitet worden.

Es gab auch eine Studie, die eine Tripelkombination von Ivosidenib mit Venetoclax und Azacitidin prüfte. Wie schätzen Sie diese Ergebnisse ein?

E. Koller: In dieser multizentrischen Studie wurde zusätzlich zu Azacitidin und dem IDH1-Inhibitor Ivosidenib auch Venetoclax kombiniert. Im Phase-I-Teil der Studie wurde die tolerable Dosis von Venetoclax ermittelt und im Phase-II-Teil die Behandlung der Tripelkombination untersucht. Die Patienten zeigten eine sehr hohe Ansprechrate von 90% mit einer hohen Rate an kompletten Remissionen. Diese Dreierkombination ist also tolerabel und machbar. Diese ersten, sehr hoffnungsvollen Ergebnisse müssen im Weiteren durch randomisierte Studien bestätigt werden.

Gab es darüber hinaus noch AML-Studien, die Sie für besonders wichtig erachten?

E. Koller: Eine genetische Studie zu den Risikofaktoren bei der AML fand ich besonders spannend. Am EHA-Kongress wurde ein molekuares Work-up der RATIFY-Studie präsentiert, in der eine Standardchemotherapie mit Midostaurin kombiniert wurde. Bei über 400 Patienten wurden nun in einem Follow-up die Art und die Lokalisation der FLT3-ITD-Mutation genauer analysiert. Bisher wusste man, dass eine FLT3-ITD-Mutation generell ein schlechter prognostischer Faktor ist. Darüber hinaus spielen aber noch weitere Faktoren wie die Allelratio oder die Lokalisation der Mutation im FLT3-Gen eine Rolle. Die meisten Mutationen treten in der Juxtamembran-Domäne von FLT3 auf. Die Patienten mit diesen Mutationen habeneinegute Prognose. Bei etwa einem Viertel der Patienten treten diese Mutationen in einem bestimmten Bereich der Tyrosinkinase-Domäne, dem sogenanten β1-Sheet, auf. Die Mutationen in diesem Bereich gehen mit einer schlechteren Prognose für die Patienten einher. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Patienten mit FLT3-ITD-Mutationen im β1-Sheet nicht auf Midostaurin ansprechen. Das ist eine wichtige Botschaft für alle behandelnden Ärzte, denn diese Patienten sollten vorrangig einer Knochenmarkstransplantation unterzogen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!
Unsere Gesprächspartnerin:

OÄ Dr. Elisabeth Koller
3. Medizinische Abteilungy
Hämatologisch-Onkologisches Zentrum
Hanusch-Krankenhaus der Österreichischen Gesundheitskasse, Wien

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