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Liegt im Darm die Zukunft der Immuntherapie?
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Micksche
Ehem. Leiter des Instituts für Krebsforschung, MedUni Wien<br> E-Mail: michael.micksche@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
26.12.2017
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<p class="article-intro">Das Mikrobiom – und somit auch die Darmflora – scheint mitverantwortlich für die Entstehung und den Erhalt der Immunreaktionen gegen Krebszellen zu sein. Die Effektivität der Therapie mit Checkpoint- Inhibitoren kann – auf Basis von präklinischen Studien – durch Modulation des Mikrobioms der Tumorträger gesteigert werden. Da fragt man sich nun: Geht die Wirksamkeit von Immuntherapien über den Darm?</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der menschliche Körper beherbergt etwa 100 Billionen Mikroben (Bakterien, Pilze und Viren mit insgesamt etwa 3,3 Millionen Genen), die in Symbiose mit dem Organismus leben – wobei von einem geschätzten Gesamtgewicht von 1,5kg ausgegangen wird.</p> <p>Die Gesamtheit aller mikrobiellen Gene bzw. Genome (DNA) im menschlichen Organismus wird als <em>Mikrobiom</em> bezeichnet und ist vom Begriff der <em>Mikrobiota</em>, die die Gesamtheit aller Mikroorganismen darstellt, zu unterscheiden. Erst in den letzten Jahren wurde erkannt, dass dieses System einen gewaltigen Einfluss auf viele Funktionen des menschlichen Organismus hat. Man bezeichnet das Mikrobiom als eigenes „Super“-Organ. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Verdauung, bei der Resorption von Nährstoffen und der Homöostase von Darmzellen. Aber auch für die Funktion des Nerven- und Immunsystems ist das Mikrobiom offensichtlich von großer Bedeutung.</p> <p>Das Mikrobiom spielt auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems, sowohl bei der natürlichen als auch der adaptiven (T-Zell-mediierte, Antikörper-abhängige Immunität) Abwehr des Organismus. Dies beginnt in frühester Jugend und ist für das ganze Leben ein bestimmender Faktor. Der Geburtsprozess (vaginal oder mittels Kaiserschnitt) soll ebenso wie das Stillen einen Einfluss auf die Zusammensetzung/ Diversität des Mikrobioms haben. Es gibt nun zahlreiche experimentelle Hinweise, dass das Mikrobiom eine komplexe Rolle bei der Modulation der Pro- und Anti-Tumor-Immunantwort spielt. Veränderungen der intestinalen Barriere enden in bakteriellen Veränderungen und damit in chronisch entzündlichen Prozessen. Dauern letztere Prozesse über Jahre, führen sie von veränderten Immunantworten bis hin zur immunologischen Erschöpfung und steigern damit das Risiko für Krebsentstehung und -progression.</p> <p>Es ist dokumentiert, dass verschiedene Mikrobiota-Profile mit der Entstehung bestimmter Krebsarten, mit der Schwere von Nebenwirkungen und auch mit dem Ansprechen gegenüber immuntherapeutischen Interventionen in Korrelation zu bringen sind. So wurde in einem Mausmodell gezeigt, dass die Therapieergebnisse bzw. -erfolge mit einem Checkpoint- Inhibitor (Anti-CTLA-4) von der Präsenz gewisser Mikrobiota im Darm abhängig waren. Tumoren in Antibiotika-behandelten bzw. in „germ-free“ Mäusen hatten keine Reaktion auf die Checkpoint-Blockade gezeigt. In einer weiteren Studie wurde dokumentiert, dass die Präsenz von Bifidobakterium mit dem Antitumoreffekt korreliert. Eine orale Gabe dieses Bakteriums führte zu einer Tumorkontrolle wie bei einer Therapie mit Anti-PD-L1; und die Kombination von beidem resultierte in einer nahezu kompletten Tumorelimination. Diese Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass das Mikrobiom – die Darmflora – die Wirksamkeit (?!) von Immuntherapien mit Checkpoint- Inhibitoren positiv beeinflussen kann.</p> <p>Heute findet offensichtlich eine wesentliche Wende im Denken der Tumorimmunologen statt. War man früher besonders auf die Lymphknoten als die Stelle, wo die Auseinandersetzung – das Priming – mit dem Antigen stattfindet, fixiert, so ist man nun geneigt, dem Darm-Immunsystem diese Rolle zuzuordnen. Es scheint eine komplexe Interaktion zwischen dem Darm-Mikrobiom, dem intestinalen Immunapparat und der systemischen Immunfunktion zu bestehen. Eine Störung dieser Balance durch exogene Faktoren/Einflüsse wie z.B. Antibiotika, Ernährung (?) etc. kann auch zu einer Verminderung der immunologischen Überwachung – der „Immunosurveillance“ – gegen Krebs führen.</p> <p>In Bezug auf den individuellen Patienten bedeutet dies, dass die Bestimmung der Zusammensetzung des Mikrobioms von wesentlicher klinischer Relevanz sein kann. Noch kann auf Basis der Analyse des Darm-Mikrobioms keine Vorhersage bezüglich des Ansprechens auf Immuntherapien, aber auch auf andere Therapiemodalitäten gemacht werden. Die Manipulation des Darm-Mikrobioms z.B. durch Gabe von „Bakteriencocktails“ oder spezifischen „Ernährungsrezepten“ könnte einen neuen Weg für eine personalisierte Krebs-Immuntherapie eröffnen. Liegt darin die Zukunft der Immunonkologie?</p></p>
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