© Dennis Koenig Photographie

Immuntherapien in der Hämatologie

„Leider werden Patienten oft zu spät zur CAR-T-Zell-Therapie überwiesen“

Die Immuntherapie zur Behandlung hämatologischer Neoplasien hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Im Vordergrund stehen nach wie vor Therapieansätze mit „Chimeric antigen receptor“(CAR)-T-Zellen und bispezifischen Antikörpern (biAK). Univ.-Prof. Dr. Marion Subklewe, Expertin für Immuntherapie vom Klinikum der Universität München, gibt uns im Interview einen Überblick über den aktuellen Stand von CAR-T-Zell- und biAK-Therapien in Klinik und Forschung. Sie erklärt u. a., warum das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) mittlerweile ein geringeres Problem darstellt als Hämatotoxizitäten.

Können Sie bitte umreißen, wie sich die Krebs-Immuntherapie in den letzten Jahren entwickelt hat? Was waren die entscheidenden Schritte?

M. Subklewe: Im Bereich der Hämatologie wissen wir schon seit mehr als 50 Jahren, dass bestimmte Immunzellen, und zwar die T-Zellen, hochrelevant für die Bekämpfung von Krebszellen sind. Als Mutter der Immuntherapie bezeichnet man die allogene Stammzelltransplantation (allo-SZT), welche bekanntermaßen sehr erfolgreich zur Behandlung akuter Leukämien (AL) eingesetzt wird und immer noch die beste kurative Wirkung aller AL-Therapien zeigt.

In den letzten 10–15 Jahren wurden drei neue immuntherapeutische Ansätze entwickelt, bei welchen wiederum die T-Zellen zur Krebstherapie verwendet werden. Der erste Ansatz sind die Checkpoint-Inhibitoren (CPI), z.B. Pembrolizumab, welche sehr erfolgreich in die Klinik eingezogen sind und die Krebstherapie insbesondere auch bei vielen soliden Tumoren revolutioniert haben. 2018 wurde den Entdeckern dieser bahnbrechenden Therapieoption der Nobelpreis für Medizin verliehen. Eine Behandlung mit CPI basiert darauf, dass endogene, also patienteneigene T-Zellen reaktiviert werden und die Krebszellen wieder bekämpfen können.

2015 wurden dann die bispezifischen Antikörper (biAK) zugelassen. Sie fungieren als Adaptormoleküle, die zugleich die T-Zelle und eine Zielstruktur auf einer Krebszelle binden und diese so in eine räumliche Nähe bringen. Dadurch kommt es zur Lyse der Zielzelle und im günstigen Fall des gesamten Tumors. Im Bereich der Hämatologie wurde das erste Konstrukt bereits zur Therapie der B-akuten lymphatischen Leukämie (B-ALL) zugelassen, viele weitere biAK befinden sich aktuell im Zulassungprozess.

In einem dritten Ansatz wurden die T-Zellen dann noch stärker modifiziert, was zur Entwicklung der „Chimeric antigen receptor“(CAR)-T-Zellen geführt hat. Diese zählen zum Bereich der sogenannten synthetischen Immunität und wurden in Europa erstmals 2018 zugelassen. Für eine CAR-T-Zell-Therapie werden dem Patienten T-Zellen entnommen, genetisch verändert, expandiert und einmalig rücktransfundiert.

Welche Herausforderungen bestehen bei der Entwicklung von CAR-T-Zell- und biAK-Produkten?

M. Subklewe: Bei beiden therapeutischen Ansätzen wird – sei es nun durch Antikörper oder T-Zell-Rezeptoren – gezielt eine charakteristische Oberflächenstruktur der Krebszelle gebunden. Die große Herausforderung besteht nun darin, geeignete Zielstrukturen zu identifizieren. Diese sollten auf möglichst allen Krebszellen und auch Krebs initiierenden Zellen exprimiert werden – und zu einem möglichst geringen Grad auf anderen Geweben oder gar lebensnotwendigen Organen.

Eine Erfolgsgeschichte ist das Identifizieren der CD19- und CD20-Zielstrukturen auf B-Zell-Neoplasien wie der B-ALL oder aggressiven B-Zell-Lymphomen. Jene Antigene sind zwar nicht krebsspezifisch, sondern Linien-Antigene – sie kommen auf allen B-Zellen vor. Somit zerstört eine Anti-CD19-/CD20-Immuntherapie auch die gesunden B-Zellen des Patienten, es kommt zu einer B-Zell-Aplasie. Dennoch ist diese Toxizität gut zu managen, eine hervorragende Lebensqualität ist auch ohne B-Zellen möglich.

Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) ist die Hürde, eine geeignete Zielstruktur zu identifizieren, deutlich höher. Die sogenannten Linien-Antigene der myeloischen Zellen, z.B. CD33 und CD123, werden auch bei der gesunden Hämatopoese exprimiert und bergen deshalb die Gefahr des „On-target, off-tumor“-Effekts. Dies ist leider auch der Grund, warum zahlreiche Studien zu biAK- und CAR-T-Zell-Therapien bei soliden Tumoren wie dem Mammakarzinom oder dem Glioblastom abgebrochen wurden. Duales Targeting der Zielzelle ist eine mögliche Strategie, die Spezifität von CAR-T-Zellen zu erhöhen.

Welche Parameter sind maßgeblich für das Ansprechen auf bispezifische Antikörper und CAR-T-Zell-Therapie?

M. Subklewe: Bei beiden Plattformen ist die Fitness des T-Zell-Kompartiments entscheidend für den Therapieerfolg. Wir wissen, dass sich ein erhöhter Anteil von naiven T-Zellen und bestimmten stammzellartigen Gedächtnis-T-Zellen („stem cell-like memory T-cells“, TSCM) positiv auswirkt auf die Effektivität und das Outcome der CAR-T-Zell- und biAK-Therapien. Dies liegt daran, dass die genannten T-Zell-Typen eine hohe proliferative Kapazität aufweisen und also besser expandieren können.

Es gibt ein Markerpanel, um diese Zellpopulation zu identifizieren, welches z.B. CD45RA und CXCR7 enthält. Erste therapeutische Ansätze, CAR-T-Zellen gezielt aus dieser Zellpopulation zu generieren, befinden sich bereits in Umsetzung.

Auch andere Parameter modulieren das Ansprechen auf CD19-gerichtete CAR-T-Zellen. Einen negativen Impact auf das Ansprechen hat der proinflammatorische Status des Patienten. Ist etwa der Serummarker C-reaktives Protein (CRP) oder Ferritin vor der Transfusion von CAR-T-Zellen erhöht, hat dies negative Auswirkungen auf die Funktion und Expansion der CAR-T-Zellen.

Weiters spielt die Tumormikroumgebung eine Rolle, da diese u.a. die T-Zell-Immunantwort unterdrücken kann. Ebenso aussagekräftig sind bestimmte genetische Aberrationen im Tumor selbst, etwa Mutationen in TP53 oder c-Myc bei aggressiven Lymphomen.

Retrospektiv sind die Erkenntnisse zu Entzündungs- und Tumormarkern schon in vielen Studien bestätigt worden. Aufgrund der Komplexität und Integration verschiedener Marker für die individuelle Prognose jedes einzelnen Patienten benötigen wir prospektive Studien, bei welchen Patienten gezielt nach dem Expressionslevel definierter Biomarker für die Immuntherapien ausgewählt werden.

Nach welchen Kriterien werden Patienten zurzeit für eine CAR-T-Zell-Therapie ausgewählt?

M. Subklewe: Entscheidend ist jedenfalls die Fitness des Patienten, beurteilt nach dem Performance Status (PS) der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG). Ideal wäre, wenn der ECOG PS bei 0 oder 1 liegt. Günstig sind außerdem ein geringes Tumorvolumen und niedrige Entzündungswerte (CRP, Ferritin), wie bereits erwähnt.

<< Wir in München forschen an CAR-T-Zellen, die im Patienten selbst wieder ,ausgeschaltetʻ werden können.>>

Außerdem wurde festgestellt, dass Patienten, die auf die Bridging-Therapie – also jene Therapie, die verabreicht wird, bevor der Patient die CAR-T-Zell-Transfusion erhält – schlecht ansprechen, oft dann auch kein gutes Ansprechen auf die CAR-T-Zell-Therapie zeigen. Leider ist dies eine zu späte Erkenntnis, da die Bridging-Therapie ja erst verabreicht wird, wenn die Entscheidung für eine CAR-T-Zell-Therapie schon gefallen ist. Dies kann zu der schwierigen ethischen Frage führen, ob einem Patienten, der sehr schlecht auf die Bridging-Therapie reagiert, die schon bereitstehende CAR-T-Zell-Therapie verwehrt werden sollte. Unglücklicherweise verschlechtert sich bei ca. 10% der Patienten zusätzlich der ECOG deutlich, sodass die Durchführung der CAR-T-Zell-Transfusion nicht mehr möglich ist. Emotional ist das natürlich für den Patienten und seine Angehörigen, aber auch für unser Team sehr aufreibend. Aus diesem Grund wäre es wichtig, Biomarker zu finden, die das Ansprechen auf die CAR-T-Zell-Therapie vor der Einleitung der Bridging-Therapie prognostizieren können.

Generell werden die Patienten leider oft zu spät zur CAR-T-Zell-Therapie überwiesen, nach mehreren Vortherapien und schon in schlechtem Allgemeinzustand. Dies behindert den Erfolg der CAR-T-Zell-Therapie natürlich deutlich. Ich kann nur immer wieder betonen, dass bereits beim ersten Rezidiv und natürlich bei primär refraktären Patienten, die sich für eine CAR-T-Zell-Therapie eignen würden, der Kontakt zu einem CAR-T-Zell-Zentrum gesucht werden kann und sollte.

Immuntherapien mit CAR-T-Zellen oder biAK sind zum Teil mit starken Nebenwirkungen verbunden. Bitte geben Sie uns einen Überblick über den Status quo.

M. Subklewe: Die drei häufigsten Nebenwirkungen einer CAR-T-Zell-Therapie sind das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS), Neurotoxizität wie das „immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome“ (ICANS) und Hämatotoxizitäten.

Das CRS ist sicher die bekannteste Nebenwirkung, die mittlerweile zum Glück schon sehr gut zu managen ist. Dies ist nicht zuletzt der steilen Lernkurve der letzten 2–3 Jahre zu verdanken. Ein höhergradiges CRS tritt nur noch bei etwa 2–4% der Patienten auf. Mit dem monoklonalen Antikörper Tocilizumab lässt es sich sehr gut behandeln.

Auch beim Umgang mit der Neurotoxizität konnten wir gute Fortschritte erzielen. Diese Nebenwirkung ist produktabhängig und tritt bei der Verwendung von Axileucel am häufigsten auf. Tendenziell erfahren bei einer Therapie mit Axi-cel ca. 20–30% der Patienten eine Neurotoxizität vom Grad 3. Diese stellt eine Herausforderung dar, kann jedoch mit hoch dosierten Steroiden oder Anti-Interleukin-1(IL-1)-Antikörpern meist gut behandelt werden. In den allermeisten Fällen sind die auftretenden Neurotoxizitäten erfreulicherweise komplett reversibel.

Die am häufigsten auftretende Nebenwirkung – also die mit der höchsten kumulativen Inzidenz – ist die Hämatotoxizität, und damit verbunden ist eine erhöhte Rate von bakteriellen, viralen und opportunistischen Infektionen. 10 von 15 Todesfällen, die nicht auf ein Rezidiv zurückzuführen sind, werden von Infektionen nach der CAR-T-Zell-Transfusion verursacht. Diese hohe „non-relapse related mortality“ wird bedingt durch die Immunschwäche, die im Zuge von Zytopenien nach einer CAR-T-Zell-Therapie auftritt. In den ersten 90 Tagen dominieren bakterielle und teilweise auch virale Infektionen, im weiteren Verlauf treten in erster Linie opportunistische Infektionen auf. Durch eine geeignete prophylaktische Behandlung (antiviral, antibiotisch, antimykotisch) sowie die Substitution von Immunglobulinen nach Transfusion können viele dieser Infektionen verhindert werden. Für den Arzt bzw. die Ärztin ist es wichtig, zu bedenken, dass es sich bei den hämatotoxischen Nebenwirkungen um teilweise langanhaltende Immundefekte handelt, die nicht schon Wochen, sondern erst Monate nach der CAR-T-Zell-Transfusion überstanden sind.

Bei den biAK, die zurzeit ja nur zur Therapie der ALL zugelassen sind, sind die Nebenwirkungen ähnlich wie bei der CAR-T-Zell-Therapie, wenngleich diese weniger häufig auftreten. Es gibt zudem einige vielversprechende, weit fortgeschrittene Studien zu biAK bei aggressiven oder indolenten Lymphomen, bei welchen sich bislang ein mildes Nebenwirkungsprofil zeigt. Das CRS scheint weniger häufig aufzutreten, Neurotoxizitäten werden kaum beobachtet, besonders wenn die biAK subkutan verabreicht werden. Möglicherweise liegt dies an einer günstigeren Pharmakokinetik des biAK. Genaue Daten dazu liegen leider noch nicht vor.

Welche interessanten CAR-T-Zell-Produkte werden derzeit klinisch untersucht oder befinden sich bereits im Zulassungsprozess?

M. Subklewe: Wir erwarten 2022 mehrere interessante Zulassungen. Liso-cel etwa soll bei aggressiven Lymphomen in der Drittlinie zugelassen werden, weitere CAR-T-Zell-Produkte beim follikulären Lymphom ebenfalls in der dritten Linie oder beim multiplen Myelom in der vierten Line. Erstmals wird die CAR-T-Zell-Therapie auch für die Zweitlinie zugelassen werden, und zwar Axi-cel bei Patienten mit aggressiven B-Zell-Lymphomen nach einem Rezidiv innerhalb der ersten zwölf Monate nach der ersten Therapie. Dies wird den Therapiealgorithmus beim aggressiven B-Zell-Lymphom revolutionieren.

Viele weitere spannende Studien sind derzeit im Laufen, etwa zu allogenen CAR-T-Zellen von gesunden Spendern. Außerdem wird viel daran gearbeitet, die Therapie verträglicher zu machen. Bei uns an der Uniklinik München forschen wir außerdem zu „Adapter“-CAR-T-Zellen für die Behandlung der AML, indem „Universal“-CAR-T-Zellen erst durch die zusätzliche Infusion eines Antikörper-ähnlichen Konstruktes, des „Adapters“, angeschaltet werden. Diese Plattform ermöglicht einen einfachen Wechsel der Zielstruktur und erhöht die Sicherheit durch die Möglichkeit, die Adapterinfusion zu stoppen und somit die CAR-T-Zellen „abzustellen“.

In den nächsten fünf Jahren werden viele klinische Studien mit innovativen Ansätzen und weitere Zulassungen im Bereich der CAR-T-Zellen erwartet – wir dürfen also gespannt und optimistisch in die Zukunft blicken.

Vielen Dank für das Gespräch!
Unsere Gesprächspartnerin:

Univ.-Prof. Dr. Marion Subklewe
Medizinische Klinik und Poliklinik III (Hämatologie und Onkologie)
Klinikum der Universität München
Genzentrum München
Ludwig-Maximilians-Universität München
E-Mail: marion.subklewe@med.uni-muenchen.de

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