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Kolorektales Karzinom
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Florian Otto
Hämatologie und internistische Onkologie<br> Tumor- und Brustzentrum ZeTuP<br> St. Gallen<br> E-Mail: florian.otto@zetup.ch
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Drei Themenkreise standen beim diesjährigen Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) in Chicago im Vordergrund der Sitzung über kolorektale Karzinome, die von Gunnar Folprecht aus Dresden und Christopher H. Lieu aus Denver geleitet wurde: chirurgische Deeskalation, Einfluss der Lokalisation des Primärtumors auf Prognose und Therapiewirksamkeit und – wie könnte es anders sein – Immuntherapie.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Immuntherapie spielt auch beim metastasierten kolorektalen Karzinom eine Rolle.</li> <li>Die schlechtere Prognose der Karzinome des rechten Hemikolons beruht weitgehend auf bekannten klinischen und molekularen Faktoren.</li> <li>Die Wirksamkeit von Bevacizumab und Cetuximab hängt von der Lokalisation des Primärtumors ab.</li> <li>Ein Stent kann die Notfalloperation beim stenosierenden Kolonkarzinom vermeiden helfen.</li> </ul> </div> <h2>Immunzellinfiltrat zur Prognosevorhersage</h2> <p>Jerome Galon präsentierte die Ergebnisse einer aufwendig qualitätskontrollierten Studie zur Evaluation einer «Immunoscore» genannten Methode, die von einer Firma angeboten wird, deren Mitgründer Galon ist. Standardisierte computergestützte Messung der lymphozytären Infiltrate im Primärtumor (Kolonkarzinom Stadium I–III) bei 2667 auswertbaren Patienten ergab eine Einteilung in 26 % mit hohem, 49 % mit mittlerem und 25 % mit niedrigem Immunoscore. Diese Einteilung erlaubte eine gute Separation der Patienten bezüglich der Zeit bis zum Rezidiv, des krankheitsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens. Es wurde allerdings nicht berichtet, ob der Immunoscore als prognostischer Marker von anderen bekannten Prädiktoren, z.B. dem Mikrosatellitenstatus, unabhängig ist.</p> <h2>Immuntherapie – nicht nur bei MSI-H-Tumoren</h2> <p>Drei relativ kleine Studien (Phase I und II) zur Immuntherapie hatten es in die Auswahl geschafft: Michael J. Overman aus Houston berichtete über die Ergebnisse einer Studie beim metastasierten kolorektalen Karzinom (mKRK) mit hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H). In diesem kleinen Patientenkollektiv (4 % aller mKRK) wurden 70 Patienten mit dem Checkpoint-Inhibitor Nivolumab therapiert, wobei 25 % eine partielle Remission (PR) und 30 % eine Krankheitsstabilisierung (SD) erreichten. 27 Patienten erhielten eine Kombination aus Nivolumab mit dem Anti-CTLA-4-Antikörper Ipilimumab. Unter Inkaufnahme einer höheren Toxizität erreichten 33 % der Patienten eine PR, 52 % eine SD. Bemerkenswert war, dass 3 Monate nach Therapiebeginn kaum noch Krankheitsprogressionen beobachtet wurden – bei allerdings noch recht kurzer Nachbeobachtungszeit.<br /> Johanna C. Bendell aus Nashville konnte bei 20 Patienten mit <em>KRAS</em>-mutiertem, Mikrosatelliten-stabilem mKRK zeigen, dass die Kombination zweier Agentien, die einzeln beim mKRK unwirksam sind, in Kombination zu einem Ansprechen führen können: Der MEK1/2-Inhibitor Cobimetinib, der nach präklinischen Daten die intratumorale T-Zell-Akkumulation fördert und eine vermehrte Expression von MHC Klasse I bewirkt, konnte in Kombination mit dem gegen PD-L1 gerichteten Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab bei jeweils 4 der 20 Patienten eine PR und SD bewirken.<br /> Erstaunlicherweise war es in einem nordamerikanischen Netzwerk möglich, innerhalb von 6 Monaten 39 Patienten mit therapierefraktärem metastasiertem Analkarzinom in eine Studie mit Nivolumab einzuschliessen. Cathy Eng berichtete über eine Ansprechrate von 24 % sowie 46 % SD, allerdings bei einem progressionsfreien Überleben (PFS) von im Mittel nur 3,9 Monaten.</p> <h2>Die Seite entscheidet</h2> <p>Der nächste Themenkomplex mutete schon fast politisch an: Was ist gefährlicher, rechts oder links? Zumindest beim kolorektalen Karzinom lässt sich diese Frage beantworten.<br /> Deborah Schrag aus Boston präsentierte eine SEER-Datenbankanalyse an über 200  000 Patienten zum Vergleich der Prognose von Tumoren des rechten und des linken Hemikolons. Während sich die Prognose im Stadium II als nicht von der Lokalisation des Primärtumors abhängig zeigte, hatten Patienten, deren Tumor im Stadium III im rechten Hemikolon erstdiagnostiziert wurde, eine deutlich schlechtere Prognose im Vergleich zu Patienten mit linksseitigem Tumor. Auch beim mKRK (Stadium IV) war das Gesamtüberleben bei rechtsseitigen Karzinomen deutlich ungünstiger. Bekanntermassen zeichnen sich Tumoren des rechten Hemikolons allerdings durch ein Auftreten in höherem Alter, geringere Symptome, z.B. weniger sichtbare Blutungen, flachere Beschaffenheit, schlechteren Differenzierungsgrad, gehäuft Siegelring- und muzinöse Histologie und eine Tendenz zur peritonealen Metastasierung aus, wie Kimmie Ng, ebenfalls aus Boston, in der Diskussion darstellte. Sie erwähnte auch den möglichen Einfluss des unterschiedlichen Mikrobioms, etwa eine stärkere Besiedelung mit <em>Fusobacterium nucleatum</em>, welche die Prognose ebenfalls ungünstig beeinflusst. Wurden die SEER-Daten für das Patientenalter adjustiert, waren die prognostischen Unterschiede deutlich geringer ausgeprägt.<br /> Ein Teil der schlechteren Prognose bei rechtsseitigen kolorektalen Tumoren lässt sich vermutlich auch auf das häufigere Vorkommen ungünstiger molekularer Aberrationen zurückführen. Michael S. Lee aus Chapel Hill berichtete über molekulare Analysen an <em>KRAS</em>-Wildtyp-mKRK nach Anti-EGFR-Antikörpertherapie. Auch in diesem Patientenkollektiv war das durchschnittliche Gesamtüberleben bei rechtsseitigen Tumoren kürzer als bei linksseitigen. Rechtsseitige Karzinome waren gekennzeichnet durch einen höheren Anteil prognostisch ungünstiger molekularer Charakteristika, wie MSI-H, <em>BRAF</em>-Mutationen und Hypermethylierung (CIMP-H). Von den vier sogenannten «consensus molecular subtypes» (CMS) waren die beiden ungünstigsten, nämlich CMS1 (immun) und CMS3 (metabolisch), im rechten Hemikolon häufiger vertreten. Die Seitenunterschiede lassen sich also vermutlich zumindest grösstenteils durch eine Imbalance bereits bekannter molekularer und klinischer Faktoren erklären.</p> <h2>Verschiedene Therapien für rechts- vs. linksseitiges mKRK?</h2> <p>Eine retrospektive Analyse der CALGB/SWOG80405-Studie, bei der eine systemische Primärtherapie des mKRK mit Bevacizumab vs. Cetuximab auf Basis einer Chemotherapie mit FOLFOX oder FOLFIRI verglichen wurde, erbrachte interessante Unterschiede in Abhängigkeit von der Lokalisation des Primärtumors. Alan Vanook aus San Francisco berichtete über eine Verteilung von 68 % linksseitigen und 27 % rechtsseitigen Tumoren in der Studienpopulation, wobei das mittlere Gesamtüberleben des <em>KRAS</em>-Wildtyp-Subkollektivs bei linksseitigen Tumoren 34,2 Monate, bei rechtsseitigen 19,4 Monate betrug. Betrachtete man nun das Überleben in Abhängigkeit von dem in der Primärtherapie gewählten Antikörper, war dieses bei rechtsseitigen Tumoren unter Bevacizumab mit 24,5 Monaten deutlich länger als unter Cetuximab mit 16,4 Monaten, bei linksseitigen Tumoren kehrte sich die Prognose mit 32,1 Monaten unter Bevacizumab und 37,5 Monaten unter Cetuximab um. Inwiefern sich diese Unterschiede allerdings durch weitere molekulare Faktoren erklären lassen, blieb offen. Die Diskussion, ob diese Ergebnisse, die sich in ähnlicher Weise in der deutschen FIRE-3-Studie in einer Post-hoc-Analyse gezeigt haben, einen Einfluss auf die klinische Praxis haben sollten, wurde allerdings sehr kontrovers geführt.</p> <h2>Kann weniger Chirurgie mehr sein?</h2> <p>Etwa 20 % aller kolorektalen Karzinome präsentieren sich bereits im Stadium der Obstruktion. In dieser Situation untersuchte die britische randomisierte CREST-Studie, ob mit der Einlage eines Stents eine Notfalloperation vermieden werden kann, um Zeit zu gewinnen für einen präoperativen Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes, die Therapie allfälliger Komorbiditäten, ein präoperatives Staging und die Zuweisung an spezialisierte Kolorektalchirurgen. Des Weiteren gab es die Hoffnung, durch das Stenting die Rate an Stomata zu verringern. James Hill aus Manchester präsentierte die Ergebnisse: Die Sorge wegen interventioneller Probleme, die das onkologische Ergebnis verschlechtern könnten, bewahrheitete sich nicht. So kam es nur bei 6 % der Patienten zu einer Perforation und das 1-Jahres-Überleben war bei beiden Gruppen gleich. Die Stomarate konnte von 69 % auf 46 % gesenkt werden. Die Stenteinlage war bei 82 % der Patienten erfolgreich.<br /> Die Operation des Rektumkarzinoms im Stadium II und III schliesst in Japan neben der auch in Europa heutzutage als Standard durchgeführten totalen mesorektalen Exzision (TME) eine laterale Lymphknotenresektion (LLND) ein, die eine Lymphadenektomie entlang der Iliaca communis und interna sowie in der Fossa obturatoria umfasst. Eine neoadjuvante Radiochemotherapie gehört in Japan nicht zum Standard – bei trotzdem sehr gutem onkologischem Ergebnis. Vor diesem Hintergrund wurde die grosse randomisierte JCOG0212-Studie durchgeführt, von deren Ergebnissen Shin Fujita berichtete. Zwar war das rezidivfreie Überleben über 5 Jahre in beiden Armen praktisch identisch, statistisch konnte eine Nichtunterlegenheit des Verzichts auf die LLND aber nicht bestätigt werden. Der Therapiestandard in Japan wird sich also wohl nicht ändern.</p></p>
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<p>Literatur beim Verfasser<br /><br /></p>
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