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HDACs als epigenetische Regulatoren des Zellwachstums und der Entwicklung
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Christian Seiser
Abteilung für Zell- und Entwicklungsbiologie<br> Zentrum für Anatomie und Zellbiologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: christian.seiser@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Histondeazetylasen (HDACs) sind epigenetische Regulatoren, die das Wachstum und die Differenzierung unserer Zellen kontrollieren. Diese Enzyme sind vielversprechende Targets für Inhibitoren in der Tumortherapie und der Behandlung von neurologischen und immunologischen Erkrankungen. Die Identifizierung der relevanten HDACs für spezifische Erkrankungen könnte zu einer Behandlung mit spezifischeren Inhibitoren und einer potenziellen Reduktion von Nebenwirkungen der Therapie führen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Funktion von Histondeazetylasen</h2> <p>Die moderne Epigenetik befasst sich mit Mechanismen, die die Genregulation in vererbbarer Art und Weise verändern, ohne dass es zu einer Änderung der DNA-Sequenz kommt. Im Zusammenspiel mit Zelltyp-spezifischen Transkriptionsfaktoren regulieren epigenetische Mechanismen die Differenzierung von Stammzellen und halten die Identität von differenzierten Zellen in unserem Körper aufrecht. Die Verpackung unseres genetischen Materials basiert auf der Organisation der DNA mithilfe von Histonproteinen als Chromatin mit dem Nukleosom als prinzipieller Grundeinheit. Diese Struktur erlaubt auch, die Zugänglichkeit der DNA für Transkription und Replikation dynamisch zu regulieren. Einer der wichtigsten epigenetischen Mechanismen ist die reversible Azetylierung von Histonproteinen, die mit aktiven Genen assoziiert ist.<sup>1</sup> Histonazetyltransferasen modifizieren positiv geladene Lysinreste an Histonen und neutralisieren dabei diese Ladung. Dadurch wird die elektrostatische Anziehung zwischen DNA und Histonen abgeschwächt und die nukleosomale Struktur aufgelockert (Abb. 1). Histondeazetylasen entfernen Azetylgruppen von Histonen und reduzieren dadurch die Zugänglichkeit des Chromatins und haben dadurch einen repressiven Effekt auf die Genexpression.<sup>2</sup> Interessanterweise sind in unseren Zellen nicht nur Histone, sondern auch viele andere Proteine wie Transkriptionsfaktoren und metabolische Enzyme an der Aminosäure Lysin azetyliert.<sup>3</sup> Die Bedeutung der Azetylierung ist jedoch nur für wenige Faktoren aufgeklärt und wird die Experten noch für lange Zeit beschäftigen. Generell kann die Azetylierung zu einer Änderung der Affinität zu anderen Proteinen oder zu DNA führen oder die Stabilität und die intrazelluläre Lokalisation von Proteinen verändern. In menschlichen Zellen wurden 11 klassische HDACs identifiziert, die unterschiedliche Funktionen in der Regulation der Genexpression ausüben.<sup>4</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s76_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1446" /></p> <p> </p> <h2>Klinische Relevanz von Histondeazetylasen</h2> <p>Einige Mitglieder der HDAC-Familie sind in bestimmten Krebsformen wie B-Zell- und T-Zell-Lymphomen und Leukämien überexprimiert und mehrere Deazetylasen (HDAC1, HDAC5 und HDAC7) können als Biomarker für Tumorzellen fungieren.<sup>5</sup> Hemmung der Histondeazetylasen durch HDAC-Inhibitoren führt zu Zellzyklusarrest, Differenzierung, Apoptose oder Autophagie in Tumorzellen.<sup>6</sup> Daher ist die Entwicklung von HDAC-Inhibitoren ein aktives Gebiet der Krebsforschung und diese Substanzen werden seit einigen Jahren in der Klinik getestet. Vier HDAC-Inhibitoren, Romidepsin, Vorinostat, Belinostat und Panobinostat, sind von der FDA für die Behandlung von T-Zell-Lymphomen oder multiplen Myelomen zugelassen. Diese Medikamente sind bei soliden Tumoren weniger effektiv, aber neuere Untersuchungen zeigen, dass HDAC-Inhibitoren in Kombination mit herkömmlichen Tumortherapeutika eine sensibilisierende Wirkung zeigen.<sup>6</sup> Des Weiteren haben epigenetische Therapeutika das Potenzial, die Wirkung von Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren zu verbessern.<sup>7</sup> Allerdings sind die bisher verwendeten HDAC-Inhibitoren zum Großteil Pan-Inhibitoren<sup>7</sup> und ihre Anwendung ist von zum Teil beträchtlichen Nebenwirkungen wie Thrombozytopenie, Infektionen, Müdigkeit, Übelkeit und Herzrhythmusstörungen begleitet.6 Die genetische Charakterisierung der Funktionen der individuellen Mitglieder der HDAC-Familie in der Kontrolle der Zellproliferation, Differenzierung und Krankheitsentwicklung sollte es erlauben, spezifischere Medikamente mit potenziell verringerten Nebenwirkungen zu entwickeln. Die Histondeazetylasen HDAC1 und HDAC2 tragen zu einem überwiegenden Anteil der Deazetylaseaktivität in Säugetierzellen bei<sup>2</sup> und ich werde daher die biologische und medizinische Bedeutung von HDACs in diesem Artikel anhand dieser Enzyme diskutieren.</p> <h2>HDACs als Regulatoren von Proliferation und Differenzierung</h2> <p>Die Deazetylasen HDAC1 und HDAC2 sind die Gründungsmitglieder der HDAC-Familie. Die beiden Deazetylasen sind im Kern lokalisiert und können alleine oder miteinander Dimere bilden.<sup>2</sup> Als Einzelproteine sind sie enzymatisch inaktiv und erst ihr Einbau in Korepressor-Komplexe führt zu ihrer Aktivierung und Rekrutierung zu spezifischen Zielgenen. Zusätzlich zu ihrer regulatorischen Rolle für die Genexpression haben diese Enzyme auch eine wichtige Rolle während der Replikation und der Reparatur von DNA-Schäden.<sup>8</sup> Knockout- Studien mit Deletion des Gens in der gesamten Maus haben gezeigt, dass HDAC1 essenziell für die Embryonalentwicklung ist und embryonale Stammzellen reduzierte Proliferation zeigen, die mit erhöhter Expression des CDK-Inhibitors p21 (CDKN1A) einhergeht.<sup>9</sup> Im Gegensatz dazu hat die komplette Deletion von HDAC2 je nach Mausmodell keinen Effekt oder führt zum Tod eines Teils der Tiere nach der Geburt.<sup>2</sup> In Abwesenheit von HDAC1 ist HDAC2 stärker exprimiert, was auf einen Kompensationsmechanismus schließen lässt. Tatsächlich führen Gewebe- oder Zelltypspezifische konditionelle Deletionen von HDAC1 und HDAC2 zu dosisabhängigen Effekten.<sup>2, 10</sup> Der Verlust eines einzelnen Enzyms führt nur in wenigen Fällen zu einem erkennbaren Phänotyp. Inaktivierung von drei der vier <em>Hdac1</em>/<em>Hdac2</em>-Allele resultiert in einem Paralog-spezifischen Phänotyp für HDAC1 in T-Zellen,<sup>11, 12</sup> B-Zellen<sup>13</sup> und der Epidermis<sup>14</sup> und HDAC2 in Oozyten<sup>15, 16</sup> und dem sich entwickelnden Nervensystem<sup>17</sup>. Generell regulieren HDAC1 und HDAC2 die Spezifizierung von Stammzellen und Progenitorzellen, das korrekte Timing der Differenzierung und die Aufrechterhaltung der Zellidentität von differenzierten Zellen. In diesen Experimenten zeigte sich auch, dass HDAC1 in B-Zellen eine tumorfördernde Funktion hat,<sup>18</sup> während dieses Enzym überraschenderweise eine Tumorsuppressoraktivität in der Epidermis<sup>14</sup> und in T-Zellen<sup>11, 12</sup> aufweist. Im Gegensatz dazu führt der komplette Verlust von HDAC1 und HDAC2 in den meisten Zelltypen und Geweben zu Zelltod.<sup>11, 12, 19–21</sup> Mechanistisch gesehen beruhen diese Effekte zum einen auf Hyperazetylierung von Histonen und anderen Proteinen wie p53 und c-Myc und zum anderen auf der Induktion von genomischer Instabilität. <br />HDAC1 und HDAC2 wurden auch in verschiedenen Krankheitsmodellen in der Maus untersucht. Deletion von HDAC1 in einem Hauttumormodell führte zu einer Beschleunigung der Tumorgenese,<sup>14</sup> während gleichzeitige Inaktivierung von HDAC1 und HDAC2 zu einem stark proapoptotischen Effekt in Lymphomen führt.<sup>22</sup> Weiters konnte die Gruppe von Wilfried Ellmeier kürzlich zeigen, dass Mäuse mit einer HDAC1-Deletion in T-Zellen in einem Mausmodellsystem für Multiple Sklerose (EAE) die Autoimmunerkrankung nicht entwickeln.<sup>23</sup></p> <h2>Enzymatische und nicht enzymatische Funktionen von Histondeazetylasen</h2> <p>In den konditionellen KO-Studien zeigt es sich, dass HDAC1 und HDAC2 nicht nur katalytische, sondern auch nicht enzymatische Funktionen haben.<sup>11, 14</sup> Um eine nicht enzymatische Funktion dieser Deazetylasen zu untersuchen, wurden Knockin- Mäuse hergestellt, die wegen eines Aminosäureaustausches (Histidin 141 zu Alanin) am aktiven Zentrum inaktiv sind, aber dennoch in Korepressor-Komplexe eingebaut werden. Diese inaktiven Enzyme haben einen dominant negativen Effekt auf die Funktion von HDAC1/HDAC2-Korepressor- Komplexen und führen im Fall von inaktivem HDAC2, wenn in der ganzen Maus exprimiert, zu perinataler Letalität.<sup>24</sup> Diese Resultate zeigen, dass die enzymatische Aktivität von HDAC2 essenziell für die Mausentwicklung ist.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>In der klinischen Anwendung liegt die Zukunft der HDAC-Inhibitoren wahrscheinlich in der Kombinationstherapie mit herkömmlichen Krebsmedikamenten und in Kombination mit der Immuntherapie. Die Expression von katalytisch inaktiven HDAC-Mutanten entspricht dem Effekt von Isoform-spezifischen HDAC-Inhibitoren. In der präklinischen Forschung wäre ein nächster Schritt die Validierung der Spezifität von HDAC-Inhibitoren mit genetisch veränderten Zelllinien, die katalytisch inaktive HDAC-Mutanten exprimieren. Dieselben inaktiven Mutanten könnten in Mausmodellen für bestimmte Erkrankungen die Behandlung mit einem spezifischen HDAC-Inhibitor imitieren. Solche Versuche würden erlauben, relevante Targets für HDAC-Inhibitoren zu identifizieren und auf längere Sicht die Tumortherapie und die Behandlung von Autoimmunerkrankungen durch epigenetische Medikamente zu verbessern.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Allis CD et al.: Epigenetics. 2015, Cold Spring Harbor Laboratory Press, U.S. <strong>2</strong> Moser MA et al.: Transcription and beyond: the role of mammalian class I lysine deacetylases. Chromosoma 2014; 123(1-2): 67-78 <strong>3</strong> Choudhary C et al.: The growing landscape of lysine acetylation links metabolism and cell signalling. Nat Rev Mol Cell Biol 2014; 15(8): 536-50 <strong>4</strong> Ellmeier W, Seiser C: Histone deacetylase function in CD4(+) T cells. Nat Rev Immunol 2018; 18(10): 617-34 <strong>5</strong> West AC, Johnstone RW: New and emerging HDAC inhibitors for cancer treatment. J Clin Invest 2014; 124(1): 30-9 <strong>6</strong> Eckschlager T et al.: Histone deacetylase inhibitors as anticancer drugs. Int J Mol Sci 2017; 18(7): pii: E1414 <strong>7</strong> Ahuja N et al.: Epigenetic therapeutics: a new weapon in the war against cancer. Annu Rev Med 2016; 67: 73-89 <strong>8</strong> Bhaskara S et al.: Histone deacetylases 1 and 2 maintain S-phase chromatin and DNA replication fork progression. Epigenetics Chromatin 2013; 6(1): 27 <strong>9</strong> Lagger G et al.: Essential function of histone deacetylase 1 in proliferation control and CDK inhibitor repression. Embo J 2002; 21(11): 2672-81 <strong>10</strong> Matthias P: Too much or too little, how much HDAC activity is good for you? Blood 2013; 121(11): 1930-1 <strong>11</strong> Dovey OM et al.: Histone deacetylase (HDAC) 1 and 2 are essential for normal T cell development and genomic stability in mice. Blood 2013; 121(8): 1335-44 <strong>12</strong> Heideman MR et al.: Dosage-dependent tumor suppression by histone deacetylases 1 and 2 through regulation of c-Myc collaborating genes and p53 function. Blood 2013; 121(11): 2038- 50 <strong>13</strong> Reichert Net al.: Multiple roles of class I HDACs in proliferation, differentiation, and development. Cell Mol Life Sci 2012; 69(13): 2173-87 <strong>14</strong> Winter M et al.: Divergent roles of HDAC1 and HDAC2 in the regulation of epidermal development and tumorigenesis. EMBO J 2013; 32(24): 3176-91 <strong>15</strong> Ma P et al.: Compensatory functions of histone deacetylase 1 (HDAC1) and HDAC2 regulate transcription and apoptosis during mouse oocyte development. Proc Natl Acad Sci USA 2012; 109(8): E481-9 <strong>16</strong> Ma P, Schultz RM: Histone deacetylase 2 (HDAC2) regulates chromosome segregation and kinetochore function via H4K16 deacetylation during oocyte maturation in mouse. PLoS Genet 2013; 9(3): e1003377 <strong>17</strong> Hagelkruys A et al.: A single allele of Hdac2 but not Hdac1 is sufficient for normal mouse brain development in the absence of its paralog. Development 2014; 141(3): 604-16 <strong>18</strong> Pillonel V et al.: Histone deacetylase 1 plays a predominant pro-oncogenic role in Emu-myc driven B cell lymphoma. Sci Rep 2016; 6: 37772 <strong>19</strong> Yamaguchi T et al.: Histone deacetylases 1 and 2 act in concert to promote the G1-to-S progression. Genes Dev 2010; 24(5): 455-69 <strong>20</strong> Haberland M et al.: Genetic dissection of histone deacetylase requirement in tumor cells. Proc Natl Acad Sci USA 2009; 106(19): 7751-5 <strong>21</strong> Le- Boeuf M et al.: Hdac1 and Hdac2 act redundantly to control p63 and p53 functions in epidermal progenitor cells. Dev Cell 2011; 19(6): 807-18 <strong>22</strong> Matthews GM et al.: Functionalgenetic dissection of HDAC dependencies in mouse lymphoid and myeloid malignancies. Blood 2015; 126(21): 2392-403 <strong>23</strong> Goschl L et al.: A T cell-specific deletion of HDAC1 protects against experimental autoimmune encephalomyelitis. J Autoimmun 2018; 86: 51-61 <strong>24</strong> Hagelkruys A et al.: Essential non-redundant function of the catalytic activity of HDAC2 in mouse development. Mol Cell Biol 2015; 36(3): 462-74</p>
</div>
</p>
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