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Fertilität und Schwangerschaft nach Brustkrebs
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Jürgen M. Weiss
Frauenklinik<br> Luzerner Kantonsspital, Luzern<br> E-Mail: juergen.weiss@luks.ch
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Die Brustkrebsinzidenz nimmt in der Schweiz bei jungen Frauen unter 50 Jahren zu, vor allem bei den Frauen unter 40 Jahren.<sup>1</sup> Da gleichzeitig die Heilungschancen beim Mammakarzinom besser werden, sehen wir zunehmend junge Brustkrebsüberlebende im reproduktiven Alter mit Kinderwunsch.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Jede prämenopausale Patientin sollte im Rahmen ihrer Tumordiagnose über alle Möglichkeiten des Fertilitätserhaltes beraten werden.</li> <li>Eine Schwangerschaft nach einer Brustkrebserkrankung ist für Mutter und Kind unschädlich.</li> <li>Die wichtigsten Massnahmen zum Fertilitätserhalt sind: a) Stimulation der Ovarien und Einfrieren von befruchteten oder unbefruchteten Eizellen; b) Einfrieren von laparoskopisch entnommenem Ovargewebe; c) die unzureichend evidenzbasierte Gabe von GnRH-Agonisten; d) Kombinationen</li> <li>Weder die ovarielle Stimulation noch die Retransplantation des Ovargewebes erhöht beim Mammakarzinom die Rezidivgefahr.</li> </ul> </div> <p>Vor der onkologischen Therapie sollten mit jeder Patientin die Möglichkeiten des Fertilitätserhaltes erörtert werden, da eine Chemo- und/oder Radiotherapie bei einem hohen Anteil der Frauen zum Verlust der reproduktiven Funktion führen kann. Eine Schwangerschaft nach einem Karzinom kann daher oft nur dann erreicht werden, wenn vor der onkologischen Behandlung eine Massnahme zum Fertilitätserhalt durchgeführt wurde. Leider werden etliche Frauen noch immer gar nicht oder unzureichend über die Möglichkeiten des Fertilitätserhalts informiert.<br /> In den letzten Jahren konnten auf dem Gebiet des Fertilitätserhalts bedeutende Fortschritte erzielt werden. Dadurch ist es heute für immer mehr Frauen möglich, ihre reproduktive Funktion nach einer onkologischen Therapie zu erhalten. Ein innovatives Verfahren zum Erhalt der reproduktiven Funktion der Frau ist die laparoskopische Ovargewebsentnahme mit anschliessender Kryokonservierung. Diese Massnahme kann direkt einige Tage nach Diagnosestellung erfolgen und die onkologische Therapie kann so ohne Zeitverlust stattfinden. Nach Abschluss der onkologischen Therapie und bei guter Prognose in Hinblick auf Rezidivfreiheit und Überleben kann das Ovargewebe entweder in das kontralaterale Ovar oder in eine peritoneale Tasche retransplantiert werden. Die Methode, die erst kürzlich noch als experimentell eingestuft wurde, ist heute weiter gereift. Weltweit sind dadurch inzwischen knapp 100 Lebendgeburten entstanden.</p> <h2>Einfluss der Chemo- oder Radiotherapie auf reproduktive Organe</h2> <p>Die Determinanten der Schädigung sind das Alter, die Dosis und die Art der Chemo- oder Strahlentherapie. Bei Patientinnen unter 30 Jahren ist die Schädigung generell schwächer ausgeprägt als bei jenen über 35–40 Jahre. So liegt zum Beispiel die mittlere sterilisierende Dosis am Ovar zwischen 18 Gray (bei Mädchen unter 10 Jahren) und 8 Gray (Frauen mit 40 Jahren).<sup>2</sup> Alkylanzien haben einen besonders negativen Effekt auf das Ovar.</p> <p><strong>Uterus</strong><br /> Eine pelvine Strahlentherapie wirkt sich nachweislich negativ auf die Gebärmutter aus. Eine präpubertäre Radiatio schädigt den Uterus am meisten.<sup>3</sup> So verringert sich das mittlere Uterusvolumen bei Frauen, die als Kinder mit Knochenmarkstransplantation und/oder Radiound Chemotherapie behandelt wurden, um 64 % .<sup>4</sup> Auf der anderen Seite gibt es aber viele Schwangerschaften und Lebendgeburten von Frauen auch nach einer pelvinen Radiotherapie. So scheinen sich die nachweislichen morphologischen Schädigungen des Uterus nicht in dem Masse negativ auf die Schwangerschaftschance auszuwirken wie erwartet.</p> <p><strong>Ovar</strong><br /> Cyclophosphamid schädigt den Eierstock besonders stark, indem durch Aktivierung der PTEN-, PI3K- und Akt-Signalwege die Follikelrekrutierung unkontrolliert beschleunigt wird und das Ovar ausbrennt.<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s24_chkl_1_.jpg" alt="" width="1527" height="824" /></p> <h2>Sexualität</h2> <p>Nach einer onkologischen Therapie kommt es nicht nur darauf an, dass die Integrität der Organfunktion wiederhergestellt wird, sondern auch, wie die sexuelle Funktion von den Frauen erlebt wird. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass die Sexualität der Frauen nach einer Krebserkrankung und deren Therapie eingeschränkt ist,<sup>6</sup> und zwar umso mehr, je älter die Frauen sind. Nach Abschluss der Therapie verbessert sich die sexuelle Funktion wieder stetig.<sup>7</sup> Es gibt wenig evidenzbasierte Methoden, die sexuelle Funktion zu verbessern. Internetbasierte Ansätze zeigen erste Erfolge.<sup>8</sup></p> <h2>Positiver Effekt der Beratung zum Fertilitätserhalt</h2> <p>Nur die Beratung der Frauen nach ihrer Krebsdiagnose zum Fertilitätserhalt stärkt schon das Coping der Frauen, indem ein Fenster aufgestossen wird, das über die aktuell belastende Diagnose in die Zukunft weist. Das lässt sich auch durch Studien belegen.<sup>9</sup> Jede prämenopausale Frau sollte deshalb vor Beginn einer onkologischen Behandlung über die Möglichkeiten des Fertilitätserhaltes beraten werden.</p> <h2>Ovarprotektoren</h2> <p><strong>Präklinisch</strong><br /> Der Immunmodulator AS101 und das antiapoptotisch wirkende Sphingosin- 1-Phosphat (S1P) wurden in Zellkulturen und im Tiermodell erfolgreich zur Ovarprotektion eingesetzt.<sup>10, 11</sup> Allerdings gibt es zu diesen Substanzen noch keine klinischen Studien.</p> <p><strong>GnRH-Agonisten</strong><br /> Seit Mitte der 90er-Jahre werden Gn- RH-Agonisten, die nach anfänglichem Flare-up zu einer ovariellen Ruhe führen, als Ovarprotektoren während einer Chemotherapie eingesetzt.<sup>12</sup> Die Datenlage ist seitdem kontrovers. Eine rezente Metaanalyse hat zwar gezeigt, dass nach Gn- RH-Agonisten die Menstruationen wieder regelmässiger waren, eine konklusive Evidenz dafür, dass auch die Ovarfunktion und Fertilität besser waren, konnte jedoch nicht abgeleitet werden.<sup>13</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s25_chkl_2.jpg" alt="" width="1527" height="889" /></p> <h2>Ovarielle Stimulation</h2> <p>Um befruchtete und/oder unbefruchtete Eizellen vor einer onkologischen Therapie einfrieren zu können, muss vorher über ca. 10–14 Tage eine hormonelle Stimulation des Eierstocks durchgeführt werden. Früher war man der Ansicht, dass diese Stimulation nur in der frühfollikulären Phase des Zyklus gestartet werden kann. Unter dieser alten Prämisse konnte es vorkommen, dass eine solche Hormonstimulation erst nach 3- bis 4-wöchiger Wartezeit durchgeführt werden konnte. Das führte oft zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung der onkologischen Therapie. Neue Daten zeigen jedoch, dass die Stimulation zu jedem Zykluszeitpunkt, auch in der Lutealphase des Menstruationszyklus, gestartet werden kann. So kann heute mit der Stimulation direkt nach Diagnosestellung begonnen werden.<sup>14</sup><br /> Die Stimulation mit Gonadotropinen führt zu einer polyfollikulären Reaktion der Ovarien, die ihrerseits supraphysiologische Estradiolmengen sezernieren. Dies könnte für ein hormonsensitives Mammakarzinom kontraproduktiv sein. Daher sind wir bei positiven Hormonrezeptoren sehr zurückhaltend und empfehlen generell in diesen Fällen keine Hormonstimulation, sondern eine Kryokonservierung von Ovargewebe. Andere Gruppen stimulieren auch bei positiven Hormonrezeptoren. Das Stimulationsprotokoll, das dafür verwendet wird, benutzen wir für unsere Patientinnen, die negative Hormonrezeptoren aufweisen (Abb. 1).<sup>15</sup> Durch die Zugabe von Letrozol, einem Aromataseinhibitor, werden die Östradiolspiegel im Vergleich zur konventionellen Stimulation deutlich gesenkt.</p> <p><strong>Erhöht die ovarielle Stimulation die Rezidivgefahr?</strong><br /> Eine aktuelle prospektive Studie hat diese Frage an 120 Patientinnen nach Hormonstimulation vs. 217 Kontrollpatientinnen untersucht. Das mittlere Follow-up betrug 5 bzw. 7 Jahre. Die Rezidivrate war bei den stimulierten Frauen mit 5 % genauso hoch wie in der Kontrollgruppe mit 5,5 % .<sup>16</sup> Die ovarielle Stimulation mit oben genanntem Schema (Abb. 1) führt demnach bei Mammakarzinompatientinnen zu keiner erhöhten Rezidivrate.</p> <h2>Rezidivgefahr durch die Retransplantation von Ovargewebe?</h2> <p>Vor allem bei Leukämien existiert das Risiko eines Rezidivs, sollte Ovargewebe nach Kryokonservierung wieder eingesetzt werden.<sup>17</sup> Daher ist eine Leukämie eine Kontraindikation für dieses Verfahren. Bei anderen Krebserkrankungen wird eine mögliche Rezidivgefahr immer wieder diskutiert. Nach einer Übersicht von 2013 gab es keine Rezidive nach Retransplantation bei Mammakarzinomen und Lymphomen.<sup>18</sup> Diese beiden Diagnosen stellen den häufigsten Grund für eine Ovargewebsentnahme zum Fertilitätserhalt dar. Diese Daten sind ermutigend. Wie könnte eine solche potenzielle Gefahr des Wiedereinbringens von malignen Zellen durch die Retransplantation von Ovargewebe in High-Risk-Fällen wie bei Leukämien vermieden werden? Zum einen könnten unreife Eizellen aus dem Ovargewebe präpariert werden und nach In-vitro- Maturation befruchtet werden.<sup>19</sup> Zum anderen ist eine Xenotransplantation auf die SCID-Maus zumindest eine theoretische Möglichkeit. Es konnte gezeigt werden, dass in diesem Modell reife MII-Eizellen gewonnen werden können. Der Einsatz von xenotransplantiertem Gewebe beim Menschen ist bisher aus ethischen und medizinischen Gründen nicht erfolgt.<sup>20</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s26_abb_1.jpg" alt="" width="1814" height="508" /></p> <h2>Schwangerschaft nach Brustkrebs</h2> <p>Bei den Patientinnen, die zum Fertilitätserhalt beraten werden, stellt das Mammakarzinom die häufigste Diagnose dar. Häufig wird eine lang dauernde endokrine Therapie angewendet.</p> <p><strong>Verlängerte adjuvante endokrine Therapie</strong><br /> Jüngste Publikationen zur endokrinen Therapie des Mammakarzinoms zeigen Vorteile für eine auf 10 Jahre verlängerte Therapie im Vergleich zur herkömmlichen fünfjährigen Therapie (aTTom-, ATLASund MA17R-Studie).<sup>21</sup> Diese Therapieverlängerung steht im Widerspruch zum erhöhten Schwangerschaftsrisiko mit fortschreitendem Alter.</p> <p><strong>Schwangerschaft im fortgeschrittenen Alter</strong><br /> Sollte die verlängerte adjuvante endokrine Therapie auf breiter Basis eingeführt werden, werden diese jungen Brustkrebsüberlebenden vielfach über 40 und 45 Jahre alt sein. Frauen über 45 Jahre weisen ein erhöhtes Risiko für peripartale und neonatale Risken auf.<sup>22</sup> Diese Abwägung muss im Konsens mit der Frau und den Spezialdisziplinen getroffen werden. Eine andere Option wird gerade in einer klinischen Studie geprüft: Frauen, die mindestens 18 Monate und höchstens drei Jahre eine endokrine Therapie erhielten, unterbrechen die Therapie, um nach einem Wash-out von 3 Monaten innerhalb von 2 Jahren eine Schwangerschaft zu erzielen. Das rezidivfreie Intervall bis zu 14 Jahre stellt das primäre Outcome dar (POSITIVE-Studie).</p> <p><strong>Sicherheit für die Frau</strong><br /> Einige Patientinnen fragen besorgt, ob eine Schwangerschaft nach einem Mammakarzinom eine erhöhte Rezidivgefahr darstellen könnte. Eine aktuelle Metaanalyse hat sich mit dieser Sorge befasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Gesamtüberleben nicht negativ, sondern eher positiv beeinflusst wird.<sup>23</sup> Somit ist diese Sorge unbegründet und den Frauen sollte nicht von einer Schwangerschaft abgeraten werden.</p> <p><strong>Sicherheit für das Kind</strong><br /> Die Frage, ob die vorangegangene onkologische Behandlung der Mutter schädlich für das Kind sein könnte, lässt sich mit der Childhood Cancer Survivor Study beantworten. Es wurden 4699 Kinder evaluiert. Die Fehlbildungsrate lag mit 2,7 % im niedrigen normalen Rahmen.<sup>24</sup> Somit ist eine Schwangerschaft bei Krebspatientinnen nicht nur für die Mutter, sondern auch für die Nachkommen unschädlich.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> http://www.nicer.org/de/statistiken-atlas/krebsinzidenz/, (letzter Zugriff: 6. 2. 2017) <strong>2</strong> Wallace WH: Cancer 2011; 117(10): 2301-10 <strong>3</strong> Wo JY, Viswanathan AN: Int J Radiat Oncol Biol Phys 2009; 73(5): 1304-12 <strong>4</strong> Beneventi F et al: Fertil Steril 2015; 103(2): 455-61 <strong>5</strong> Ronness H et al: Fertil Steril 2016; 105(1): 20-9 <strong>6</strong> Marino JL et al: Menopause 2016; 23(9): 1000-8 <strong>7</strong> Carter J et al: Int J Gynecol Cancer 2012; 22(9): 1624-33 <strong>8</strong> Schover LR et al: J Natl Compr Canc Netw 2013; 11(11): 1389-97 <strong>9</strong> Deshpande NA et al: Cancer 2015; 121(22): 3938-47 <strong>10</strong> Li F et al: Hum Reprod 2014; 29(1): 107-13 <strong>11</strong> Kalich-Philosoph L et al: Sci Transl Med 2013; 5(185): 185ra62 <strong>12</strong> Blumenfeld Z et al: Hum Reprod 1996; 11(8): 1620-6 <strong>13</strong> Munhoz RR et al: JAMA Oncol 2016; 2(1): 65-73 <strong>14</strong> von Wolff M et al: Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2016; 199: 146-9 <strong>15</strong> Oktay K et al: J Clin Endocrinol Metab 2006; 91: 3885-90 <strong>16</strong> Kim J et al: J Clin Endocrinol Metab 2016; 101(4): 1364-71 <strong>17</strong> Dolmans MM et al: Blood 2010; 116: 2908-14 <strong>18</strong> Bastings L et al: Hum Reprod Update 2013; 19(5): 483-506 <strong>19</strong> Soares M et al: Fertil Steril 2015; 104(3): 672-80 <strong>20</strong> Dittrich R et al: Fertil Steril 2015; 103(6): 1557-65 <strong>21</strong> O´Leary CG et al: Curr Opin Oncol 2016; 28(6): 455-60 <strong>22</strong> Glasser S et al: Fertil Steril 2011; 95(8): 2548-51 <strong>23</strong> Hartmann EK, Eslick GD: Breast Cancer Res Treat 2016; 160(2): 347-60 <strong>24</strong> Signorello LB et al: J Clin Oncol 2012; 30(3): 239-45</p>
</div>
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