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Die Stammzelltransplantation bleibt – trotz neuer Substanzen und CAR-T-Zellen
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28.02.2019
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<p class="article-intro">Auch an diesem ASH gab es zahlreiche Beiträge zur autologen und allogenen Stammzelltransplantation. Wenngleich manch ein Experte meinen mag, dass in Anbetracht neuer Substanzen und innovativer Zelltherapien die Stammzelltherapie in absehbarer Zeit überflüssig werde, zeigen die aktuell vorgestellten Daten, dass die Stammzelltransplantation ihre feste Rolle in der Behandlung akuter Leukämien wie auch lymphoproliferativer Neoplasien und des Myeloms weiterhin behält.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Welche neuen Daten zur autologen Stammzelltransplantation (ASZT) beim multiplen Myelom (MM) wurden an diesem ASH vorgestellt?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Es gab sehr viel Neues. Die Variablen, die Medikamente und Substanzen, die wir einsetzen können, nehmen an Zahl zu und nun dreht sich alles um die Kombinationen vor und nach der Hochdosistherapie. Weil das Myelom aber meist einen langsamen Verlauf hat, benötigt man viele Jahre Follow- up. Aber es gab einige Beiträge, die Therapien mit Bortezomib, Thalidomid und Dexamethason versus Thalidomid und Dexamethason verglichen haben und zeigen konnten, dass die Triplettherapie klar besser ist. Ausserdem wurden Daten mit Zehnjahres-Follow-up vorgestellt, die extrem wertvoll sind, wenngleich wir Thalidomid heutzutage nicht mehr oft verwenden. Inzwischen bräuchten wir Studien, in denen Lenalidomid eingesetzt wird. Ausserdem wurden Studien präsentiert, die untersuchten, ob es einen Vorteil bringt, wenn Bortezomib durch eine neuere Substanz, etwa Carfilzomib, ersetzt wird. In einer Late-Breaking-Session wurde zudem gezeigt, wie man mit Antikörperkombinationen tiefe Remissionen erreichen kann. Das heisst, die Frage, wie induzieren wir am besten vor Hochdosistherapie, um eine tiefe Remission zu erzielen, wird uns noch lange beschäftigen.<br /> Die Hochdosistherapie ist immer noch da. Es wird zwar behauptet, dass sie in fünf Jahren nicht mehr eingesetzt wird, aber das haben wir vor fünf Jahren auch schon gesagt. Deshalb führt derzeit kein Weg an ihr vorbei. Die Frage ist aber, was im Anschluss daran folgt. Dass weiterbehandelt werden sollte, ist inzwischen klar, nur wie: Machen wir zuerst eine Konsolidierung mit weiteren Triplets und dann eine Erhaltung oder geben wir gleich Lenalidomid? Je mehr einzelne Komponenten wir haben, umso schwieriger wird es bzw. umso länger werden wir brauchen, um Resultate zu bekommen.</p> <p><strong>Michele Cavo präsentierte die Zehnjahresdaten einer Analyse von drei Phase-III-Studien mit der Fragestellung, ob doppelte versus Single-ASZT bei neu diagnostizierten MM-Patienten effektiver ist.<sup>1</sup> Was sind die Ergebnisse?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Die alte Frage ist: Kann man durch mehr Hochdosistherapie tiefere Remissionen und besseres Ansprechen erreichen? Im Grossen und Ganzen scheint es so zu sein, nach dem Motto «Mehr hilft auch mehr» (Abb. 1). Die Tandemtransplantation scheint zumindest in dem Kontext ihren Stellenwert zu haben, wo wir ein langes Follow-up brauchen und wir noch keine Daratumumab-Induktion hatten – diese könnten wir zwar theoretisch einsetzen, wird derzeit aber nicht gemacht. Die Frage ist, ob alle Patienten sie benötigen oder ob wir diejenigen selektieren können, die einen grösseren Benefit davon haben. Cavo et al. haben daher auch versucht, die Patienten anhand von bekannten «adverse risk factors» wie Zytogenetik in Risikogruppen einzuteilen. Dabei hat sich abgezeichnet, dass Patienten mit einem niedrigen Risiko nicht unbedingt davon profitieren, wohingegen Patienten mit einem hohen Risiko klare Vorteile haben. Einschränkend muss man festhalten, dass die Patienten zu einer Zeit transplantiert wurden, wo wir das heutige Arsenal neuer Substanzen noch nicht zur Verfügung hatten.</p> <p><strong>Stellt sich nun für Sie die Frage, ob Sie eine ASZT doppelt oder einfach machen oder eine CAR-T-Zell-Therapie einleiten?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Im Augenblick handhaben wir es so, dass wir die Hochrisikopatienten identifizieren. Diese Patienten bekommen ein Tandemkonzept, vorausgesetzt, sie sind ansonsten gesund und vertragen die erste Hochdosistherapie gut. Patienten mit Standardrisiko erhalten bei uns eine einfache ASZT. Auf die CAR-T-Zell-Therapien sind wir sehr gespannt, aber sie sind im Augenblick in der Schweiz noch nicht verfügbar. Diese Therapien sind sehr teuer, sehr aufwendig, aber auch sehr effektiv – vor allem am Anfang. Allerdings bleibt das Problem der Rezidive. Die Daten dazu sind ernüchternder als noch vor ein bis zwei Jahren. Allerdings handelt es sich dabei um die erste Generation der CAR-T-Zellen. Es wird ja weiter geforscht und die nächsten werden besser werden.<br /> Es gibt eine Patientengruppe mit einer so aggressiven Krankheit, die trotz all der neuen Substanzen, trotz Hochdosistherapie so rasch fortschreitet, dass wir entweder gar nicht zur Hochdosistherapie kommen oder es unmittelbar danach zur Progression kommt. Das wird die Zielgruppe sein, die hoffentlich CAR-TZell- Therapien bekommen wird.</p> <p><strong>Die Salvage-Hochdosis-Chemotherapie (HDCT), gefolgt von ASZT, wurde in der Phase-II-Studie GMMG mit der kontinuierlichen Gabe von Lenalidomid plus Dexamethason beim relapsierten MM verglichen. Es wurden keine Unterschiede im progressionsfreien Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) festgestellt.<sup>2, 3</sup> Inwieweit sind die Ergebnisse dennoch relevant?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Das überrascht nicht, weil wir wissen, dass diejenigen Patienten am meisten von einer Stammzelltransplantation profitieren, die sehr gut ansprechen. Je refraktärer die Krankheit ist, umso weniger wirksam ist die Stammzelltransplantation. Die Arbeitsgruppe hat trotzdem versucht herauszufinden, ob bestimmte Personen davon doch profitieren. Dazu müssen wir noch mehr Daten im weiteren Verlauf abwarten. Es gibt aber inzwischen so viele neue Substanzen für Patienten mit Rezidiven, die besser vertragen werden.</p> <p><strong>Das Mikrobiom und seine Relevanz für die Begünstigung einer Graft-versus- Host-Reaktion (GvHD) nach SZT ist derzeit im Gespräch. Die Arbeitsgruppe von Stein-Thöringer hat intestinale Enterokokken in Zusammenhang mit einer akuten GvHD identifiziert.<sup>4</sup> Weitere Arbeiten beschäftigen sich mit der Dysbiose im Darm im Zusammenhang mit der chronischen GvHD.<sup>5</sup> Was halten Sie von diesen Ansätzen?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Die Ergebnisse sind extrem spannend. Die Daten sind nicht neu, sie kommen größtenteils vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center, wo sich auf infektiologischer Seite Eric G. Pamer und auf hämatologischer Seite Marcel van den Brink damit beschäftigen. Sie versuchen seit Jahren herauszuarbeiten oder zu selektieren, welches Mikrobiom – welche Zusammensetzung der Darmflora – für GvHD prädisponiert. Unser Darm ist unser grösstes immunologisches Organ, weil die Darmschleimhaut flächenmäßig groß ist und viele Lymphknoten und andere Immunzellen enthält. Zudem ist die Darmschleimhaut für Homöostase und Immunregulation enorm wichtig, das hat man erst in den letzten Jahren gelernt. Dies ist auch für andere Krankheiten wie z.B. Allergien etc. entscheidend. Im Transplantationssetting und davor greifen wir mit Antibiotika massiv in das Mikrobiom ein. Das konnte die Gruppe auch zeigen: Durch die Gabe gewisser Antibiotika werden bestimmte Keime selektiert, wodurch die Balance gestört wird. Je nachdem, welche Keime sich vermehren oder verschwinden, hat dies grossen Einfluss auf das Immunsystem und den Entzündungszustand (Abb. 2). Die Konsequenz daraus ist, dass man mit Stuhltransplantationen versuchen kann, die Balance wiederherzustellen. Insofern ist das sehr relevant und sehr spannend.</p> <p><strong>Welche randomisierten Studien zur allogenen Transplantation waren am ASH wichtig?</strong></p> <p><strong>A. M. Müller:</strong> Vor allem bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) besteht danach grosser Bedarf, und deshalb gibt es in diesem Bereich die meisten Neuigkeiten. Dort sehen wir enorm hohe Rezidivraten und werden allmählich bei den Therapien auch etwas innovativer. Bis vor zwei Jahren wurden 30 Jahre lang nur Anthrazykline und Cytarabin gegeben – das war der Standard. Alle anderen Therapien wurden zwar ausprobiert, waren aber nie besser. Die Rezidivraten sind jedoch hoch, und wir wissen, dass es bestimmte genetische Subgruppen gibt, die offenbar von einer Chemotherapie nicht profitieren. Ausserdem sind viele der Patienten zu alt für eine aggressive Chemotherapie, da zumindest die myeloischen Leukämien Krankheiten des Alters sind. 5-Azacytidin ist sehr gut tolerabel, hat wenig Nebenwirkungen und kann ambulant verabreicht werden, auch an Patienten im hohen Alter. Ausserdem sprechen Patienten mit bestimmten genetischen Eigenschaften wie einer <em>TP53</em>-Mutation, die extrem ungünstig ist und mit Resistenz gegen Chemotherapien einhergeht, offenbar nicht schlechter auf 5-Azacytidin an. Die Frage ist, ob man mehr und ältere Patienten durch hypomethylierende Therapien in Remission bringen und anschliessend einer Transplantation zuführen kann. Dies scheint durchaus möglich zu sein. Der Vorteil für die Patienten ist, dass sie weniger gestresst werden als bei einer Standardinduktion, die schon komplikationsreich ist.<br /> Ein weiterer Punkt, der derzeit erforscht wird, ist, wie die Rate der AML-Rezidive nach Transplantation gesenkt werden kann. Diese ist bedauerlicherweise sehr hoch. Untersucht wird, ob die Outcomes sich verbessern, wenn man nach Transplantation eine Art Erhaltungstherapie oder überbrückende Therapie gibt, bis sich ein «Graft versus leukemia»-Effekt etablieren kann. Die Daten dazu sind bislang konträr. Während letztes oder vorletztes Jahr positive Daten präsentiert wurden, haben aktuelle Daten gezeigt, dass die Gabe von 5-Azacytidin nach Transplantation die Rezidivrate nicht vermindert. Dabei stellt sich die Frage, ob man die Substanz kombinieren muss, zum Beispiel mit Lenalidomid. Das beschäftigt alle Transplanteure derzeit sehr und wir schauen gespannt auf neue Daten.</p> <p><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Cavo M et al.: Double vs single autologous stem cell transplantation for newly diagnosed multiple myeloma: long-term follow-up (10-years) analysis of randomized phase 3 studies. Blood 2018; 132(1): 124 <strong>2</strong> Goldschmidt H et al.: Salvage autologous transplant and lenalidomide maintenance versus continuous lenalidomide/dexamethasone for relapsed multiple myeloma: results of the randomized GMMG phase III multicenter trial relapse. Blood 2018; 132(1): 253 <strong>3</strong> Baertsch M et al.: Subgroup analyses of the randomized GMMG phase III multicenter trial relapse suggest survival benefit of salvage autologous transplant primarily in low risk multiple myeloma. Blood 2018; 132(1): 254 <strong>4</strong> Stein-Thöringer CK et al.: Intestinal enterococcus is a major risk factor for the development of acute Gvhd. Blood 2018; 132(1): 358 <strong>5</strong> Markey KA et al.: Pre-transplant and peri-d100 gastrointestinal dysbiosis is associated with the subsequent development of chronic graft-versus-host disease. Blood 2018; 132(1): 359</p>
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