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Behandlung der Polycythaemia vera
Jatros
Autor:
OA Dr. Sonja Burgstaller
Abteilung für Innere Medizin IV<br>Hämatologie und Onkologie<br>Klinikum Wels-Grieskirchen<br>E-Mail: sonja.burgstaller@klinikum-wegr.at
30
Min. Lesezeit
13.07.2017
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<p class="article-intro">Die Polycythaemia vera (PV) ist eine myeloproliferative Neoplasie, die durch eine klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle gekennzeichnet ist. Die Hauptursachen für Morbidität und Mortalität sind u.a. arterielle und venöse thromboembolische Komplikationen, sodass eine rechtzeitige Diagnosestellung und adäquate Behandlung von Bedeutung sind.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>JAK2-Mutation</h2> <p>Die Ursache der PV ist unbekannt. Fast alle Patienten erwerben aber eine Mutation im Januskinase-2-Gen (JAK2-Gen). Dieses Gen ist für die Produktion von Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten essenziell. Durch die Mutation (an der Position V617F bei etwa 95 % der Patienten, im Exon 12 bei etwa 3 % der Patienten) kommt es zu einer dauerhaften Aktivierung des Gens und folglich zu einer Überproduktion der drei Zelllinien.<sup>1</sup> Die Entdeckung des Zusammenhangs der JAK2-Mutation mit PV hat die Diagnosestellung wesentlich erleichtert. Zusätzlich zur JAK2-Mutation können auch andere Mutationen beim gleichen Patienten auftreten. In einer rezent erschienenen Arbeit wurden mittels „next generation sequencing“ (NGS) eine oder mehrere zusätzliche Mutationen neben JAK2 nachgewiesen. Nur für drei dieser Gene (ASXL1, SRSF2, IDH2) zeigte sich auch eine prognostische Bedeutung in den untersuchten PV-Kohorten.<sup>2</sup></p> <h2>WHO-Diagnosekriterien</h2> <p>Für die Diagnose der PV wurden von der WHO 2016 ganz aktuell die Diagnosekriterien neu formuliert (Tab. 1). In der WHO-Klassifikation 2016 wurden die für die Diagnose einer PV geforderten Hämoglobin- und Hämatokritwerte gesenkt, da mit den zuletzt verwendeten Grenzwerten Erkrankungen mit niedrigeren Blutwerten unterdiagnostiziert wurden. Außerdem wurde der Knochenmarksbiopsie wieder mehr Bedeutung beigemessen, die histologische Beurteilung wurde auch aufgrund der möglicherweise prognostischen Aussagekraft wieder Teil der Hauptkriterien. Eine initial vorhandene Vermehrung der kollagenen Fasern, die bei etwa 20 % der Patienten nachweisbar ist, stellt möglicherweise einen Prädiktor für eine raschere Progression in eine Post-PV-Myelofibrose dar. Diese kann nur durch eine histologische Beurteilung der Knochenmarksbiopsie nachgewiesen werden.<sup>3</sup></p> <h2>Prognose</h2> <p>In einer 2013 von Tefferi et al publizierten Studie an über 1500 Patienten mit PV wurde ein medianes Überleben von 14,1 Jahren beschrieben. Damit unterschied sich das Überleben der PV-Patienten von dem einer alters- und geschlechtsgematchten US-Vergleichspopulation.<sup>4</sup> In einer 2014 erschienenen Arbeit wurde das kürzere Überleben der PV-Patienten im Kontext mit den anderen Philadelphia-negativen myeloproliferativen Neoplasien sowie der Normalbevölkerung bestätigt.<sup>5</sup></p> <h2>Risikostratifizierung</h2> <p>Die Risikostratifizierung bildet die Basis für jegliche Therapieentscheidung.<sup>6</sup> Die aktuelle Risikostratifizierung zielt darauf ab, das Risiko für das Auftreten von thromboembolischen Komplikationen abzuschätzen und nicht das Überleben bzw. das Risiko einer Transformation in eine Myelofibrose/akute Leukämie abzuschätzen. Hauptrisikofaktoren sind höheres Lebensalter und Thrombosen in der Anamnese (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1704_Weblinks_s20.jpg" alt="" width="1419" height="1104" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Vor Therapieeinleitung ist es erforderlich, alle Parameter zur Durchführung einer Risikostratifizierung einzuholen. Zusätzlich ist die Berücksichtigung allgemeiner kardiovaskulärer Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Nikotinabusus, Übergewicht) von großer Bedeutung. Die adäquate Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren ist die Basis einer erfolgreichen Therapie von PV-Patienten.</p> <h2>Aderlass</h2> <p>Bei allen PV-Patienten ist ein Hämatokrit (Hkt) von unter 45 % anzustreben. Die Bedeutung des Ziel-Hkt von unter 45 % wurde 2012 durch eine randomisierte italienische Studie (CYTO-PV) untermauert. In dieser Studie wurden die Patienten in zwei Gruppen randomisiert – Gruppe 1 mit einem Ziel-Hkt von 45–50 % und Gruppe 2 mit einem Ziel-Hkt unter 45 % . Therapeutisch erhielten alle Patienten ohne Kontraindikation niedrig dosiertes Aspirin und Aderlässe. Für Hochrisikopatienten wurde Hydroxyurea (HU) als zytoreduktive Substanz empfohlen. Der primäre Endpunkt – Tod durch eine kardiovaskuläre Ursache oder Auftreten eines thromboembolischen Ereignisses – trat in der Gruppe 1 signifikant häufiger auf als in der Gruppe 2.<sup>7</sup></p> <h2>Acetylsalicylsäure</h2> <p>In der ECLAP-Studie konnte der signifikante Vorteil der PV-Patienten, die niedrig dosiertes Aspirin eingenommen hatten, im Vergleich zur Placebogruppe gezeigt werden. Der kombinierte Endpunkt – Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod – trat in der Aspiringruppe signifikant seltener als in der Placebogruppe auf.<sup>8</sup> Aufgrund dieser Daten sollte jeder PV-Patient ohne Kontraindikationen niedrig dosiertes Aspirin erhalten.</p> <h2>Zytoreduktive Therapie</h2> <h2>Interferon alpha</h2> <p>Interferon alpha (IFN α) wird in unterschiedlichen Formulierungen schon sehr lange in der Behandlung der PV eingesetzt. In einer 2011 von Kiladjian J et al publizierten Metaanalyse wurden 17 Studien mit jeweils nur geringen Patientenzahlen, insgesamt aber etwa 400 Patienten ausgewertet.<sup>9</sup> Hier konnte ein hämatologisches Ansprechen bei 80 % der Patienten gezeigt werden. 60 % der Patienten erreichten Phlebotomiefreiheit und ein Großteil der Patienten berichtete über eine Verringerung des Pruritus. Aufgrund des Auftretens von Nebenwirkungen brachen aber fast 25 % der Patienten die Therapie ab. <br />Die Einführung der pegylierten Interferone hat die Verträglichkeit verbessert. Zwei Studien mit pegyliertem Interferon haben die Wirksamkeit bestätigt.<sup>10, 11</sup> Das hämatologische Ansprechen liegt zwischen 80 und 100 % , zusätzlich konnte in beiden Studien ein kontinuierlicher Abfall der JAK2-Allellast gezeigt werden. Für die Toleranz der Substanzen scheint ein Therapiebeginn mit einer niedrigen Dosis und sukzessiver Steigerung, für die Wirkung eine lange Therapiedauer bedeutsam zu sein. Im Gegensatz zur hämatologischen Remission, die bereits nach wenigen Wochen eintritt, findet man (komplette) molekulare Remissionen erst nach bis zu einem Jahr. Die österreichische PEGINVERA-Studie setzte ein neues monopegyliertes Prolin-Interferon ein. Hier konnten bei sehr guter Verträglichkeit hämatologische Ansprechraten von knapp 100 % und molekulare Ansprechraten um 50 % erreicht werden.<sup>12</sup> Zwei randomisierte Phase-III-Studien, die pegyliertes Interferon gegen Hydroxyurea testen, sind im Laufen. Erste Ergebnisse wurden in Form von Abstracts präsentiert. Beide Substanzen haben den primären Endpunkt – kein Unterschied in der hämatologischen Ansprechrate nach 12 Monaten – erreicht. Die Ergebnisse nach einem längeren Follow-up werden mit großem Interesse erwartet.</p> <h2>Hydroxyurea</h2> <p>Die meisten Daten zum Einsatz von Hydroxyurea (HU) bei Philadelphia-negativen MPN stammen aus Studien an Patienten mit essenzieller Thrombozythämie (ET). In der einzigen Studie, in der HU gegen eine unbehandelte Kontrollgruppe randomisiert wurde, wurden 114 Patienten mit ET eingeschlossen. In der mit HU behandelten Patientengruppe traten signifikant weniger thromboembolische Ereignisse auf als in der Gruppe ohne myelosuppressive Therapie.<sup>13</sup> Etwa 10–20 % der HU-behandelten Patienten sprechen inadäquat an.<sup>14</sup> Zudem können schwere Nebenwirkungen wie Hautulzera, Hyperkeratosen, aktinische Keratosen, gastrointestinale Nebenwirkungen und orale Ulzera auftreten. Ein erhöhtes leukämogenes Risiko durch eine HU-Therapie ist nicht mit Sicherheit auszuschließen.</p> <h2>JAK1/2-Inhibitor</h2> <p>Der JAK1/2-Inhibitor Ruxolitinib wurde für die Behandlung von PV-Patienten, die resistent oder intolerant gegenüber einer Therapie mit HU sind, zugelassen. Die Zulassung basierte auf den Daten einer Phase-II-Studie und der Phase-III-Studie RESPONSE. In der 2014 publizierten Phase-II-Studie konnten eine gute Tolerabilität sowie auch Wirksamkeit bei Patienten, welche eine fortgeschrittene PV mit Refraktärität/Intoleranz gegenüber HU hatten, gezeigt werden.<sup>15</sup> Mit Ruxolitinib konnte ein Rückgang der Zahl der Aderlässe sowie der Milzgröße erreicht werden. Außerdem weist es eine gute Wirksamkeit gegen Juckreiz und andere konstitutionelle Symptome auf. Diese Daten konnten weitgehend in der RESPONSE-Studie bestätigt werden.<sup>16</sup> Ruxolitinib war der Standardtherapie bezüglich Hämatokritkontrolle, Milzverkleinerung und Verbesserung der krankheitsassoziierten Symptome überlegen. Diese Ergebnisse führten schließlich zur Zulassung der Substanz nach HU.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die PV ist eine Erkrankung, deren Verlauf primär durch das Auftreten von thromboembolischen Komplikationen gekennzeichnet ist. Neuere Studiendaten weisen darauf hin, dass sich das Gesamtüberleben von Patienten mit PV doch signifikant von dem einer altersgematchten Normalpopulation unterscheidet. Aus diesem Grund sind eine exakte und rechtzeitige Diagnosestellung und ein adäquates Management von eminenter Bedeutung. Eine Verbesserung der Risikostratifizierung durch Einbeziehung neuer Prognosefaktoren sollte darauf abzielen, das Management der Erkrankung zu verbessern und somit das Auftreten thromboembolischer Komplikationen, die mit einer entsprechend erhöhten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet sind, zu senken. In Zukunft werden vor allem bei jüngeren Patienten krankheitsmodifizierende Therapien wie beispielsweise Interferon alpha in den Vordergrund treten.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kralovics R et al: A gain-of-function mutation of JAK2 in myeloproliferative disorders. N Engl J Med 2005; 352(17): 1779-90 <strong>2</strong> Tefferi A et al: Targeted deep sequencing in polycythemia vera and essential thrombocythemia. Blood Adv 2016; 1: 21-30 <strong>3</strong> Arber DA et al: The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood 2016; 127(20): 2391-405 <strong>4</strong> Tefferi A et al: Survival and prognosis among 1545 patients with contemporary polycythemia vera: an international study. Leukemia 2013; 27(9): 1874-81 <strong>5</strong> Tefferi A et al: Long-term survival and blast transformation in molecularly annotated essential thrombocythemia, polycythemia vera, and myelofibrosis. Blood 2014; 124(16): 2507-13 <strong>6</strong> Barbui T et al: In contemporary patients with polycythemia vera, rates of thrombosis and risk factors delineate a new clinical epidemiology. Blood 2014; 124(19): 3021-3 <strong>7</strong> Marchioli R et al: Cardiovascular events and intensity of treatment in PV. N Engl J Med 2013; 368(1): 22-33 <strong>8</strong> Landolfi R et al: Efficacy and safety of low-dose aspirin in polycythemia vera. N Engl J Med 2004; 350(2): 114-24 <strong>9</strong> Kiladjian JJ et al: The renaissance of interferon therapy for the treatment of myeloid malignancies. Blood 2011; 117(18): 4706-15 <strong>10</strong> Kiladjian JJ et al: Pegylated interferon alfa-2a induces complete hematologic and molecular responses with low toxicity in polycythemia vera. Blood 2008; 112(8): 3065-72 <strong>11</strong> Quintas-Cardama A et al: Pegylated interferon alfa-2a yields high rates of hematologic and molecular responses in patients with advanced essential thrombocytosis and polycythemia vera. J Clin Oncol 2009; 27(32): 5418-24 <strong>12</strong> Gisslinger H et al: Ropeginterferon alfa-2b, a novel IFN alfa-2b, in­duces high response rates with low toxicity in patients with polycythemia vera. Blood 2015; 126(15): 1762-9 <strong>13</strong> Cortelazzo S et al: Hydroxyurea for patients with essential thrombocythemia and a high risk of thrombosis. N Engl J Med 1995; 332(17): 1132-6 <strong>14</strong> Alvarez-Larrán A et al: Frequency and prognostic value of resistance/intolerance to hydroxycarbamide in 890 patients with polycythemia vera. Br J Haematol 2016; 172(5): 786-93 <strong>15</strong> Verstovsek S et al: A phase 2 study of ruxolitinib, an oral JAK1 and JAK2 inhibitor, in patients with advanced polycythemia vera who are refractory or intolerant to hydroxyurea. Cancer 2014; 120(4): 513-20 <strong>16</strong> Vannucchi A et al: Ruxolitinib versus standard therapy for the treatment of polycythemia vera. N Engl J Med 2015; 372: 426-35</p>
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