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Aktuelle Erkenntnisse und Ausblicke
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Nicolas Bonadies
Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor <br> Inselspital, Universitätsspital Bern <br> E-Mail: nicolas.bonadies@insel.ch
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Die myelodysplastischen Syndrome (MDS) umfassen eine Gruppe von erworbenen klonalen Erkrankungen der blutbildenden Stammzellen, die mit Zellarmut und Reifungsstörungen einhergehen. Bei rund 50 % der Patienten wird die Erkrankung durch Zufall entdeckt. Ein Drittel der Patienten stirbt früh an den Folgen eines Überganges in eine akute myeloische Leukämie und zwei Drittel sterben an Komplikationen, wie Infektionen, Blutungen und kardiovaskulären Ereignissen, welche mit einer chronischen Zellarmut assoziiert sind. Bei der EHA-Jahrestagung 2018 wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert.</p>
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<p class="article-content"><h2>ESA bleiben die Grundlage der Anämietherapie</h2> <p>Bereits 2008 hat eine Metaanalyse von Moyo et al. alle damals verfügbaren Daten aus relevanten Studien zur Wirksamkeit von Erythropoese-stimulierenden Agenzien (ESA) zur Behandlung von Anämien bei MDS-Patienten zusammengefasst. Seitdem sind Ansprechraten um 60 % der Benchmark für ESA-Studien, insbesondere für MDS-Patienten mit einem günstigen Nordic Score (<500IU/ Serum EPO und <2 Transfusionen/Monat). Ausserdem zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen rekombinanten humanen Erythropoetinen (rHuEPO) und Darbepoetin (DAR) (57,6 % vs. 59,4 % ; p=0,828).<sup>1</sup> <br /> Die Wirksamkeitsdaten einer bei der EHA vorgestellten, randomisierten Phase- III-Studie mit DAR wurden bereits 2017 publiziert. Im Vergleich zu Placebo fanden sich für Patienten, die mit DAR 500μg s.c. alle 3 Wochen behandelt wurden, eine niedrigere Transfusionsbedürftigkeit (36 % vs. 59 % ) und ein höheres erythroides Ansprechen (15 % vs. 0 % ; p=0,016).<sup>2</sup> An der EHA-Jahrestagung wurden nun die Langzeit-Überlebensund -Sicherheitsdaten zu dieser Studie präsentiert, die keinen Hinweis auf eine erhöhte Mortalität, Transformation in eine AML oder relevante Nebenwirkungen ergaben. DAR wurde offenbar weder in der geblindeten noch in der «open label» Phase genügend ausdosiert (nur 500μg alle 3 Wochen), sodass mit einer Verkürzung des Dosierungsintervalls auf 2 Wochen das erythroide Ansprechen zusätzlich auf 34,7 % angehoben werden konnte. Das geringere Ansprechen im Vergleich zum Benchmark beruht wahrscheinlich auf dem Studiendesign, das Behandlungspausen bei raschem Ansteigen des Hämoglobins vorschrieb.<sup>3</sup> Die Behandlung mit ESA bleibt somit der Grundpfeiler in der Erstlinientherapie von Anämien bei Lower-Risk-MDS-Patienten, insbesondere für diejenigen mit einem günstigen Nordic Score. Aufgrund der nun vorliegenden Phase-III-Daten und wegen der 2- oder 3-wöchentlichen Applikation hat DAR gewisse Vorteile gegenüber den rHuEPO, wobei die höheren Kosten zu berücksichtigen sind. Ausserdem ist eine systematisierte Dosierungsstrategie mit einer raschen Überprüfung des Ansprechens wichtig, da refraktäre Patienten auch unabhängig vom IPSS/ IPSS-R eine schlechtere Prognose haben und Zweitlinientherapien oder klinischen Studien zugeführt werden sollten.</p> <h2>Therapie mit Guadecitabin (SGI-110) bei Hochrisiko-MDS</h2> <p>Guadecitabin (SGI-110) ist ein Dinukleotid- Antimetabolit von Decitabin (DEC). Nach metabolischer Aktivierung durch Phosphorylierung und Einbau in die DNA inhibiert es die DNA-Methyltransferase in vitro deutlich stärker als Azacytidin (AZA) oder DEC. Letztere werden von der Cytidindeaminase (CDA) abgebaut, weshalb eine Überexpression von CDA ein möglicher Resistenzmechanismus bei Therapien mit hypomethylierenden Agenzien (HMA) sein kann. Guadecitabin ist jedoch resistent gegenüber der CDA, was zu einer länger anhaltenden Wirkung führen sollte. Die Substanz wird in einer Dosis von 60mg/m<sup>2</sup> täglich subkutan über 5 Tage alle 28 Tage verabreicht.<br /> Von der noch laufenden einarmigen Phase-II-Studie der Gruppe um Garcia- Manero wurden die Ergebnisse von 83 unbehandelten Patienten mit IPSS-Int-2/ High-Risk-MDS präsentiert, die Guadecitabin erhielten. Primärer Endpunkt war die CR. Die ORR in der Guadecitabin- Gruppe betrug 71 % , CR wurde bei 16 Patienten dokumentiert, CRp trat bei 3 % und hämatologische Verbesserung bei 37 % auf. Das mediane Gesamtüberleben betrug 14 Monate und es fand sich kein Zusammenhang zwischen Zytogenetik/ Mutationsstatus und dem Ansprechen. Die häufigste Toxizität waren Infektionen. <sup>4</sup> Es ist zu berücksichtigen, dass in diese Studie zahlreiche Patienten mit t- MDS und ungünstigem Karyotyp eingeschlossen wurden und daher die Daten nur eingeschränkt mit der AZA-Zulassungsstudie verglichen werden können. Abzuwarten bleibt, ob die Patienten schneller und auch länger ansprechen und somit die In-vitro-Daten auch klinisch reproduziert werden können. Zukünftige, kontrollierte und randomisierte Studien sind nötig, um Guadecitabin mit AZA oder DEC in der Erstlinientherapie bei High-Risk-MDS-Patienten vergleichen zu können.</p> <h2>Der Telomerase-Inhibitor Imetelstat bei Niedrigrisiko-MDS</h2> <p>David Steensma hat die Interimsanalyse der IMerge-Studie vorgestellt. Es handelt sich hierbei um eine globale Phase- II/III-Studie, in der die Sicherheit und Wirksamkeit von Imetelstat untersucht wurden. Eingeschlossen waren transfusionsabhängige MDS-Patienten mit IPSSLow- oder -Intermediate-1-Risiko, die refraktär oder nicht geeignet für ESA waren. Imetelstat ist eine neue, interessante Substanz, welche die Telomeraseaktivität inhibiert. Proliferierende Zellen exprimieren die Telomerase, um die DNA während der Replikation der Chromosomen vor Arrosion/Defekten zu schützen. Eine erhöhte Telomeraseaktivität wurde in zahlreichen Tumorzellen und auch beim MDS festgestellt. Die Hemmung der Telomerase führt daher zu einer Unterdrückung der Zellteilung in Tumorzellen und stellt somit auch einen möglichen Angriffspunkt zur Behandlung des MDS dar. In den vorläufigen Daten der IMerge-Studie fand sich eine Transfusionsfreiheit ≥8 Wochen bei 38 % aller eingeschlossenen Patienten und bei 54 % der Non-del5q-, HMA- und LEN-naiven Patienten mit einem medianen Therapieansprechen von 23 resp. 43 Wochen.<sup>5</sup><br /> Die Telomerase ist aber nicht nur in proliferierenden Tumorzellen stärker exprimiert, sondern in allen Zellen, die sich zur Regeneration teilen müssen. Die therapeutische Breite des Medikamentes ist deshalb gering und erklärt das Nebenwirkungsspektrum mit Thrombopenien, Neutropenien (>50 % ) und reversiblem Anstieg der Transaminasen. Die Resultate sind in Anbetracht des Nebenwirkungsprofils doch eher bescheiden, aber für diese Patientenpopulation mit ungünstiger Prognose interessant; verlässliche Aussagen zur langfristigen Sicherheit sind aber noch nicht abschliessend möglich.<sup>5</sup></p> <h2>Neue Therapieoption für Patienten mit TP53-Mutationen</h2> <p>Eines der Highlights des EHA-Jahrestreffens auf dem Gebiet des MDS war die Arbeit von Sallman und Kollegen. Unter HMA erreichen MDS-/AML-Patienten mit mutiertem TP53 Ansprechraten von 20– 30 % und ein medianes Überleben von sechs bis zwölf Monaten. Patienten mit TP53-Mutationen haben in allen Krebsentitäten eine sehr schlechte Prognose, weil die entarteten Zellen nach einer zytotoxischen Chemotherapie nicht absterben und zusätzliche genetische Veränderungen ansammeln können. Dies gilt auch für MDS- und AML-Patienten, die trotz Chemotherapie und allogener HSCT weiterhin eine sehr schlechte Prognose haben. APR-246 ist eine neue Substanz, welche die normale Konformation des mutierten TP53-Proteins und damit auch die Funktion als «Wächter der genomischen Integrität» wiederherstellt. Die vorgestellten Daten einer Phase-Ib-Studie mit APR-246 waren eindrücklich und eröffnen möglicherweise eine neue, vielversprechende Option für MDS/AMLPatienten mit mutiertem TP53. APR-246 wurde in einem 3+3-Dosiseskalationsdesign (50, 75, 100mg/kg i.v. täglich über 4 Tage) initial als Monotherapie gefolgt von einer Kombination mit AZA verabreicht.<sup>6</sup><br /> Die primären und sekundären Endpunkte waren Sicherheit und Response gemäss den IWG-2006-Kriterien. Die Nebenwirkungen waren milde und umfassten Nausea und Polyneuropathie von Grad 1–2, eine dosislimitierende Toxizität trat bisher nicht auf. Alle Patienten zeigten ein Ansprechen mit einer CR-Rate von 89 % (Abb. 1). Diese vielversprechenden Daten sollen nun in der geplanten Phase-II-Studie bestätigt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1805_Weblinks_lo_onko_1805_s24_abb1.jpg" alt="" width="1458" height="1197" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Moyo V et al.: Erythropoiesis-stimulating agents in the treatment of anemia in myelodysplastic syndromes: a meta-analysis. Ann Hematol 2008; 87: 527-36 <strong>2</strong> Platzbecker U et al.: A phase 3 randomized placebo-controlled trial of darbepoetin alfa in patients with anemia and lower- risk myelodysplastic syndromes. Leukemia 2017; 31: 1944-50 <strong>3</strong> Platzbecker U et al.: A multicenter, randomized, double-blind placebo-controlled study of darbepoetin alfa for the treatment of anemic patients with low or intermediate- 1 risk myelodysplastic syndromes. EHA 2018, Abstract S1559 <strong>4</strong> Garcia-Manero G et al.: A phase 2 clinical trial of guadecitabine (SGI-110) for patients with previously untreated myelodysplastic syndromes. EHA 2018, Abstract S1555 <strong>5</strong> Fenaux P et al.: Imetelstat in RBC transfusion- dependent (TD) lower risk MDS relapsed/refractory to erythropoiesis stimulating agents (ESA) (IMerge): updated efficacy and safety. EHA 2018, Abstract S1557 <strong>6</strong> Sallman D et al.: Phase 1b/2 combination study of APR- 246 and azacitidine (AZA) in patients with TP53 mutant myelodysplastic syndromes (MDS) and acute myeloid leukemia (AML). EHA 2018, Abstract S1558</p>
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