
Was braucht es zur Entwicklung der ersten neuroprotektiven Therapien?
Leading Opinions
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29.06.2017
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<p class="article-intro">Bei der 13<sup>th</sup> International Conference on Alzheimer’s and Parkinson’s Diseases diskutierten Wissenschaftler aus der ganzen Welt im Austria Center Vienna über Gründe, Diagnoseverfahren und neue potenzielle Therapiemöglichkeiten von degenerativen Krankheiten.</p>
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<p class="article-content"><p>In seiner Keynote Lecture stellte Prof. Werner Poewe, Abteilung für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck, die aktuellen Konzepte in der Behandlung der Parkinsonerkrankung in den Mittelpunkt. Mit der Frage «Sind wir bereit für Studien zur Verhinderung von Parkinson?» eröffnete er seinen Vortrag. Vor genau 200 Jahren publizierte J. Parkinson seinen «Essay on the Shaking Palsy» und beschrieb als Erster die Parkinsonerkrankung («Parkinsonʼs disease», PD). Mit der Entdeckung der Dopamindefizienz bei PD-Patienten gelang mehr als 100 Jahre später der bisher grösste Durchbruch in der Behandlung der PD und die symptomatische Therapie mit L-Dopa gilt seit den 60er-Jahren als effizienteste Goldstandard-Behandlung. Die Suche nach einer neuroprotektiven Therapie, die PD verhindern oder aufhalten kann, blieb bisher ergebnislos.</p> <h2>Modifikationstherapien bei PD: Frustration und aktuelle Hoffnungen</h2> <p>Mehr als 20 publizierte und unpublizierte Studien brachten negative oder nicht aussagekräftige Resultate.<sup>1</sup> Die möglichen Gründe reichen laut Poewe von der Wahl des falschen Versuchsmodells (Toxin-basierte Modelle in den Anfängen der Forschung, die nicht der humanen Krankheit entsprachen), der Wahl der falschen Angriffsziele, Wirkstoffkandidaten oder -dosen, schwierigen Studiendesigns bis hin zur Auswahl einer für die Therapie ungeeigneten Zielgruppe. PD sei wahrscheinlich keine einheitliche Entität und die unterschiedlichen Ausprägungen (genetische PD, sporadische PD …) bedürfen differenzierter Behandlungen. Seit der Entdeckung von Genmutationen in α-Synuclein als Ursache autosomal dominanter PD vor 20 Jahren ist dieses Gen in den Mittelpunkt der Forschungsbemühungen gerückt. Strategien zur Modifikation der PD durch den Eingriff in den α-Synuclein-Wirkmechanismus umfassen die Reduktion der α-Synuclein-Produktion, den Eingriff in lysosomale Funktionen, das Verhindern von α-Synuclein-Ag­gregation und Fehlfaltung sowie die Etablierung von α-Synuclein-Immunothera­pien. All diese Strategien werden aktuell getestet und befinden sich in einem frühen Stadium der Entwicklung (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Neuro_1703_Weblinks_s10.jpg" alt="" width="2151" height="1305" /></p> <h2>Die prodromale Phase im Fokus</h2> <p>In den Fokus aktueller Studiendesigns – sowohl bei PD als auch der Alzheimer­erkrankung – geraten immer mehr prodromale oder sogar präklinische Stadien der Erkrankung. Schlüsselfragen, die es hier zu beantworten gilt, sind: Zu welchem Zeitpunkt ist die Therapie wirksam und welche Patientengruppe ist dafür empfänglich? Ablagerungen von β-Amyloid im Gehirn können beispielsweise mittels PET bis zu 20 Jahre vor der klinischen Manifestation detektiert werden. Andererseits führen β-Amyloid-Ablagerungen nicht zwangsläufig zu einer Alzheimererkrankung. Experten sind sich daher einig, dass eine erfolgreiche Immuntherapie sehr früh ansetzen muss und eine Stratifizierung der Patientenpopulation dazu beitragen kann, möglichst individuelle Therapiekonzepte zu erstellen. Essenziell ist in diesem Zusammenhang auch die genaue Charakterisierung potenzieller Biomarker der prodromalen Phase. Bei der PD wurden bereits RBD («REM sleep behaviour disorder»), Hyposmie, Konstipation, Depression, SN-Hyperechogenie, Abnormitäten in der DAT SPECT und Ergebnisse aus Gewebebiopsien als Biomarker für PD identifiziert.<sup>2</sup></p> <h2>Neue Anti-α-Synuclein-Antikörper am Horizont?</h2> <p><strong>PRX002/RG7935</strong><br /> PRX002/RG7935 ist ein monoklonaler IgG1-Antikörper gegen α-Synuclein, der eine mehr als 400-fach höhere Affinität für aggregiertes vs. monomerisches α-Synuclein hat. Es wird angenommen, dass eine α-Synuclein-Immuntherapie mit PRX002/RG7935 die neuronale Toxizität reduziert und den Zell-Zell-Transfer zwischen Neuronen verhindert.<sup>3</sup> PRX002/RG7935 wurde als krankheitsmodifizierende Therapie entwickelt, die die Progression von PD verlangsamen soll. In einer multiplen, doppelblinden placebokontrollierten Phase-Ib-Dosisstudie («ascending dose»; NCT021577) wurden 80 Patienten mit idiopathischer PD, aufgeteilt in 6 randomisierte Dosiskohorten, eingeschlossen und Sicherheit und Verträglichkeit geprüft. Das Studiendesign sah eine 12-wöchige klinische Bewertung und eine 24-wöchige Sicherheitsbeobachtung vor.</p> <p>Neben dem Primärziel der Prüfung von Sicherheit und Verträglichkeit waren die Beurteilung von Pharmakokinetik und Immunogenität als sekundäre Ziele festgelegt. Des Weiteren wurden auch multiple Endpunkte bezüglich explorativer Ziele definiert. In dieser Studie führte die Gabe einer einzelnen Dosis PRX002/RG7935 zu einer raschen und anhaltenden Reduktion von freiem Serum-α-Synuclein um bis zu 97 % in einer dosis- und zeitabhängigen Weise. Alle Dosislevels wiesen akzeptable Sicherheits- und Toleranzprofile auf. Darüber hinaus wurde über einen Beobachtungszeitraum von 12 Wochen bei den Studienteilnehmern keine bedeutende Behinderungsprogression festgestellt.<sup>4</sup> Die Daten geben grünes Licht dafür, PRX002/RG7935 in eine Phase-II-Studie zu überführen.</p> <p><strong>BIIB054</strong><br /> In einer randomisierten doppelblinden, placebokontrollierten Dosisstudie («single ascending doses») wurde der Anti-α-Synuclein-Antikörper BIIB054 bei gesunden Probanden getestet. BIIB054 ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der selektiv an pathogenes, aggregiertes α-Synuclein bindet. Seine Effizienz wurde in multiplen präklinischen Modellen demonstriert.<sup>5</sup> Die Studie sollte die Sicherheit und Verträglichkeit verschiedener BIIB054-Dosen – gesunden Probanden in einer einzigen i.v. Infusion verabreicht – evaluieren. Sekundäre Zielvorgabe war die Ermittlung der Serumpharmakokinetikprofile und der Immunogenität von BIIB054 nach der Verabreichung einmaliger Dosen unterschiedlicher Grösse. Die Studie wurde mit 48 gesunden Probanden, aufgeteilt in 6 Kohorten an zwei Studienorten in den USA, durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die Sicherheit von BIIB054 gegeben war und in Dosen bis zu 90mg/kg gut vertragen wurde.<sup>6</sup> BIIB054 zeigte ein positives pharmakokinetisches Profil, wobei die Dosen proportional zu Serumexposition und Cmax waren. Die BIIB054-CSF-Exposition lag mit durchschnittlich 0,5 % im erwarteten Bereich. Alles in allem unterstützen die Daten die Argumentation, weitere klinische Studien zu BIIB054 in PD durchzuführen.</p> <h2>Digitale Biomarker bei Parkinson</h2> <p>In der Praxis werden vom Arzt Therapieentscheidungen zur Behandlung von PD basierend auf durchschnittlich zwei Kontrollen im Jahr getroffen. Die Verfassung des Patienten an diesen Tagen muss nicht unbedingt repräsentativ für den tatsächlichen Zustand sein – die Symptome sind über das Jahr verteilt manchmal mehr, manchmal weniger stark ausgeprägt. Auch wenn der Patient nach seinem Befinden in den zwei Wochen vor dem Kontrolltermin gefragt wird, so wird doch der Grossteil der möglichen Datenpunkte nicht beachtet. Mit einem Tool, das über das Smartphone objektiv Daten sammelt und zusätzlich auch die Einschätzung des Patienten auf einer täglichen Basis darstellt, sollen in naher Zukunft sogenannte digitale Biomarker generiert werden. In der Phase-I-Studie RG7935/PRX002 sammelten 44 Teilnehmer über 24 Wochen Datenpunkte und ermöglichten so die Auswertung von 5135 vollständig absolvierten Tests: täglichen «aktiven Tests», in denen die Patienten Daten zu Sprache, Tremor, Fingerfertigkeit und Bradykinesie lieferten, sowie passivem Monitoring des motorischen Verhaltens im Alltag. Die Studie bestätigte, dass das hochfrequente Aufzeichnen von motorischen Symptomen in frühen PD-Stadien durchführbar und klinisch relevant ist. Die Adhärenz der Studienteilnehmer zu diesem Programm war über 24 Wochen sehr gut und das Sammeln der Daten durch die Probanden erfolgte kontinuierlich und konsistent.<sup>7</sup> Die gesammelten Resultate entsprachen den parallel dazu erhobenen klinischen Werten und den Einschätzungen durch die Patienten selbst. Manche durch das Tool gemessenen Teilaspekte konnten sogar signifikante Unterschiede zwischen gesunden Kontrollindividuen und PD-Patienten messen, deren Motorsymptome basierend auf der MDS-UPDRS als «normal» eingestuft wurden. Darüber hinaus zeigte diese «Single case»-Studie, dass es möglich ist, mit diesem Gerät auch Unterschiede in der Symptomausprägung nach einer pharmakologischen Intervention zu detektieren. Die Entwickler dieses Tools hoffen, dass dieses hochfrequente «remote monitoring» subtile, aber klinisch relevante Beeinträchtigungen der motorischen Funktion sowie Veränderungen im motorischen Verhalten registrieren kann. Eine weiterführende Testung des Systems in einer Phase-II-Studie ist dazu in Vorbereitung.</p> <h2>Schlüsselfaktoren für die Entwicklung erfolgreicher Immuntherapien</h2> <p>Neurodegenerative Erkrankungen wie beispielsweise AD werden durch die Ablagerung und Ausbreitung von Aggregaten toxischer Proteinformen im Zentralnervensystem ausgelöst. Das Konzept des Einsatzes von Autoantikörpern gegen diese schädlichen aggregierten Proteine basiert auf der Beobachtung, dass Antikörper gegen β-Amyloid bei gesunden älteren Personen relativ häufig auftreten, bei Alzheimerpatienten jedoch reduziert sind.<sup>8</sup> Die Spekulation, dass ältere gesunde Individuen aufgrund ihres funktionierenden Immunsystems einer Alzheimererkrankung entkommen, führte zur Entwicklung der sogenannten «reverse translational medicine» (RTM™) durch ein schweizerisches Technologieunternehmen. Dieses Technologieprinzip nutzt das B-Zell-Repertoire gesunder älterer Menschen, um daraus verschiedene rekombinante, humane monoklonale Antikörper zu generieren. Das Screening der einzelnen Klone lieferte Kandidaten gegen mehrere Pathogene neurodegenerativer Erkrankungen, unter anderem auch Antikörper gegen β-Amyloid. Der in der Entwicklung am weitesten fortgeschrittene Kandidat Aducanumab befindet sich bereits in der Phase-II-Testung.<sup>9</sup></p> <p>Wichtige Aspekte, die bei einer solchen Selektion erfolgreicher Kandidaten für eine Immuntherapie zum Tragen kommen, inkludieren die Auswahl der relevantesten Angriffsziele (z.B. β-Amyloid-Spezies) der Therapie, die Etablierung einer konsistenten Dosisantwort, die Wahl des richtigen Zeitpunktes und der erforderlichen Dauer der Intervention, die Bestätigung der Korrelation zwischen einer Veränderung der Biomarker und den klinischen Effekten sowie das erfolgreiche Management der ARIA («amyloid-related imaging abnormalities»). Experten vermuten, dass bei der Entwicklung zukünftiger Strategien die Stratifizierung von sowohl β-Amyloid als auch Tau-Liganden mittels PET, aber auch die Entwicklung von Kombinationstherapien im Vordergrund stehen werden. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass den meisten neurodegenerativen Erkrankungen (Alzheimer, Parkinson, Multisystematrophie, frontotemporale Demenz und andere) multiple Pathologien zugrunde liegen und eine erfolgreiche Therapie wahrscheinlich auf mehrere Auslöser abzielen muss.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Hart RG et al: Neuroprotection trials in Parkinson’s dis­ease: systematic review. Mov Disord 2008; 24(5): 647-54 <strong>2</strong> Postuma RB, Berg D et al: Advances in markers of prodromal Parkinson disease. Nat Rev Neurol 2016, 12: 622-34 <strong>3</strong> Games D et al: AD/PD 2015 <strong>4</strong> Jankovic J et al: Results from a phase 1B multiple ascending-dose study of PRX002, an anti-α-synuclein monoclonal antibody, in patients with Parkinson’s disease. AD/PD 2017 <strong>5</strong> Weihofen A et al: Binding and functional characterization of human-derived anti-α-synuclein antibody BIIB054. AD/PD 2017 <strong>6</strong> Brys M et al: Randomized, double-blind, placebo-con­trolled, single ascending dose study of anti-α-synuclein antibody BIIB054 in healthy volunteers. AD/PD 2017 <strong>7</strong> Lindemann M et al: Remote, high-frequency monitoring of motor symptoms in early-stage Parkinson’s disease patients in the phase I RG7935/PRX002 clinical trial. AD/PD 2017 <strong>8</strong> Hyman BT et al: Autoantibodies to amyloid-beta and Alzheimer’s disease. Ann Neurol 2001; 49(6): 808-10 <strong>9</strong> Hock C et al: Antibody therapy for Alzheimer’s disease – key challenges. AD/PD 2017</p>
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