
Was bringen die neuen Leitlinien?
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Die Präsentation der neuen Leitlinien zum Einsatz von CGRP-Antikörpern in der Migräneprophylaxe war eines der Highlights am 16. Kongress der European Headache Foundation und wurde erwartungsgemäß begleitet von einer angeregten Diskussion.
Das GRADE-System
„Leitlinien für die klinische Praxis sind systematisch entwickelte Statements, die dazu dienen, praktisch tätige Ärzte über die richtigen Entscheidungen in spezifischen klinischen Situationen zu informieren“, sagte Prof. Dr. Simona Sacco, Neurologin an der Universität von L’Aquila, Italien. Leitlinien können eine wichtige Rolle bei der Formulierung von Gesundheitskonzepten und -strategien spielen. „Allerdings ist der Nutzen einer Leitlinie natürlich von der Qualität derselben abhängig“, fuhr Sacco fort. Deshalb müssen Leitlinien nach einer stringenten Methodik entwickelt werden.
Dafür wird in der Regel das GRADE-System („Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluations“) herangezogen (www.gradeworkinggroup.org). Dieses System bietet ein zehnstufiges Verfahren, mit dem spezifische Empfehlungen zu spezifischen klinischen Fragen entwickelt werden können.
Beurteilt wird hier einerseits die Stärke einer Empfehlung (stark oder schwach), andererseits die Qualität der Evidenz, die dazu geführt hat (hoch, mittel, niedrig, sehr niedrig). „Wenn es gar keine Evidenz zu einer Frage gibt, kann ein Konsensusstatement von Experten zumindest nützliche Hinweise liefern“, so Sacco.
Das Update 2022 der EHF-Leitlinien zum Gebrauch von CGRP-Antikörpern wurde nach der GRADE-Methodologie erstellt.1 „Hier kamen wir zu starken Empfehlungen für die CGRP-Antikörper, sowohl für die episodische als auch für die chronische Migräne“, erklärte die Expertin.
Konkrete Empfehlungen
„Wir haben in den neuen Guidelines versucht, konkrete Fragen zu beantworten“, erläuterte Prof. Dr. med. Zaza Katsarava, Klinik für Neurologie, Evangelisches Krankenhaus Unna, Deutschland. „So haben wir etwa die CGRP-Antikörper als Erstlinientherapie für all jene Patienten definiert, die einer Prophylaxe bedürfen. Allerdings sind wir von einem sogenannten holistischen Ansatz ausgegangen. Das bedeutet: Wenn ein Patient ohnehin eine Indikation für einen Betablocker oder ein Antidepressivum hat, würde man dieses Medikament auch als sinnvoll in der Migräneprophylaxe sehen und keinen CGRP-Blocker verschreiben.“
Für eine Kombination mehrerer prophylaktischer Medikamente gibt es derzeit wenig Evidenz, obwohl eine rezente Metaanalyse zu dem Schluss kam, dass die Kombination von Botulinumtoxin mit CGRP-Blockern wirksamer ist als Botulinumtoxin alleine.2 „Im Allgemeinen ist aber eine Monotherapie vorzuziehen“, so Katsarava.
Eine Wirksamkeitsevaluierung nach Beginn eines neuen Medikaments, wie eines CGRP-Blockers, sollte frühestens drei Monate nach Therapiebeginn erfolgen. „Das hat damit zu tun, dass Real-World-Daten eine Steigerung der Ansprechraten mit zunehmender Therapiedauer andeuten.“
Nach zwölf bis 18 Monaten sollte bei CGRP-Blockern eine Therapiepause erwogen werden. Allerdings sollte die Behandlung bei neuerlicher Verschlechterung nach Pausieren fortgesetzt werden.
CGRP-Blocker werden auch bei Patienten mit Medikamenten-Übergebrauch empfohlen. Ob bei mangelndem Ansprechen die Umstellung von einem CGRP-Blocker auf einen anderen sinnvoll ist, bleibt derzeit offen; es kann jedoch versucht werden.
Eher nicht verwendet werden sollten CGRP-Blocker bei schwangeren und stillenden Frauen; Vorsicht ist bei Gefäßerkrankungen und Raynaud-Phänomen geboten, bei Erenumab auch, wenn eine schwere Obstipation anamnestisch bekannt ist.
Vergleich von Leitlinienund Statements
„Ich habe die Aussagen einer Reihe von anderen Leitlinien und Positionspapieren zum Thema CGRP-Blocker mit unserer Leitlinie verglichen“, erklärte Prof. Dr. Todd J. Schwedt, Neurologe in Scottsdale, Arizona. „Im Allgemeinen gibt es sehr gute Übereinstimmung, was die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Medikamentenklasse sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne angeht“, fuhr Schwedt fort.
Zur vergleichenden Wirksamkeit von CGRP-Blockern und anderen Substanzen gibt es nur begrenzt Daten. Zur Frage, an welchem Punkt CGRP-Blocker angeboten werden sollten, differieren die unterschiedlichen Statements erheblich. Unklar ist, wie andere Prophylaktika im Kontext der CGRP-Blocker gemanagt werden sollten. Eine Wirksamkeitsevaluierung sollte nach drei bis sechs Monaten erfolgen. Über Therapiepausen besteht keine Einigkeit. Einig ist man sich hingegen weitgehend darüber, dass CGRP-Blocker auch bei Medikamenten-Übergebrauch angeboten werden sollten. Über die Definition eines Therapieerfolgs besteht eine gewisse, aber keine komplette Einigkeit. „Zu all diesen offenen Fragen benötigen wir sicher noch weitere Studien“, schloss Schwedt.
Statements aus der Diskussionsrunde
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Konkrete Empfehlungen für einzelne Patientengruppen, wie z.B. schwangere Frauen, wären sehr empfehlenswert. Allerdings wird das Risiko durch CGRP-Blocker für den Fötus als gering eingeschätzt.
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Leitlinien sollten kein starres Regelwerk, sondern lediglich Empfehlungen sein. Wir sind als Ärzte verpflichtet, die beste Versorgung anzubieten. Und es ist die Frage, ob die Medizin bei Befolgung von Leitlinien wirklich billiger wird.
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Die Frage, ob CGRP-Antikörper bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sicher sind, ist offen. Die Erfahrung eines Diskutanten mit einem Patienten mit Morbus Crohn war günstig.
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Leitlinien können eine Hilfe bei den niemals ausbleibenden Kostendiskussionen mit den Sozialversicherungsträgern sein.
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Der sogenannte holistische Ansatz darf nicht dazu führen, dass unsere Patienten inferiore Medikamente bekommen. Die Daten für Betablocker und Antidepressiva in der Migräneprophylaxe sind sicher schlechter als jene für CGRP-Blocker.
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Man sollte vielleicht bei Vorliegen von Migräne und Depression für jede der beiden Erkrankungen unabhängig die beste Medikation ermitteln.
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Wir sollten uns nicht primär um die Kosten kümmern, wir haben eine ethische Verpflichtung gegenüber unseren Patienten, keine Kostenverpflichtung.
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Ein Medikament kann nur wirken, wenn es auch genommen wird. Künftige Studien sollten daher einen starken Fokus auf Nebenwirkungen und Studienabbrüche haben.
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Es ist sehr wichtig, dass auch Patientenvertreter in den Leitliniengruppen sitzen.
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In manchen Ländern wird argumentiert, dass CGRP-Blocker keine Erstlinienmedikation sein dürfen, weil das zu sozialer Ungleichheit aufgrund der Kosten führen würde.
Quelle:
„New guidelines – Round table discussion“; Plenary Session beim 16. Kongress der European Headache Foundation, 8. Dezember 2022, Wien
Literatur:
1 Sacco S et al.: J Headache Pain 2022; 23(1): 67 2 Scuteri D et al.: Toxins (Basel) 2022; 14(8)
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