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Hauptstammintervention – State of the Art 2019
Jatros
Autor:
OA Dr. Hermann Blessberger
Autor:
OA Dr. Jürgen Kammler
<br>Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin<br> Kepler Universitätsklinikum Linz<br> Klinikvorstand:<br> Prim. Priv.-Doz. Dr. Clemens Steinwender<br> E-Mail:<br> hermann.blessberger@kepleruniklinikum.at<br> juergen.kammler@kepleruniklinikum.at<br> Web: www.kepleruniklinikum.at
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19.12.2019
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<p class="article-intro">Die Therapie einer Stenose des Hauptstammes der linken Koronararterie galt früher als Domäne der Herzchirurgie. Neuere Studien belegen auch den Nutzen und die Sicherheit der interventionellen Revaskularisation. Im Sinne einer individualisierten Medizin ist die Auswahl des Verfahrens unter Berücksichtigung der Patientenvoraussetzungen entscheidend.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>An erfahrenen Zentren ist die ungeschützte Hauptstammintervention für ausgewählte Patientinnen und Patienten effektiv und sicher.</li> <li>Die geeignete Methode der Revaskularisation (PCI, Bypass-OP oder kombiniertes Vorgehen) soll, vor allem bei komplexen Fällen, in einem Heart-Team interdisziplinär diskutiert werden.</li> <li>Das Ausmaß der koronaren Herzkrankheit (SYNTAX-Score), die klinischen Patientencharakteristika sowie anatomische und technische Aspekte sollen bei der Auswahl des Revaskularisationsverfahrens mitberücksichtigt werden.</li> </ul> </div> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Eine signifikante Stenose des Hauptstammes der linken Koronararterie findet sich bei 4–7 % aller Patienten, bei denen eine Koronarangiografie durchgeführt wird.<sup>1</sup> Dabei ist bereits eine Verengung von über 50 % als signifikant zu werten (Abb. 1). Der Großteil der Stenosen befindet sich im distalen Teil (63 %) des Hauptstammes, während nur 22 % ostial und 15 % im Schaftbereich lokalisiert sind. Bei distalen Stenosen können auch die Abgänge des Ramus interventricularis anterior sowie des Ramus circumflexus mit betroffen sein. Während lange Zeit das Vorliegen einer signifikanten Hauptstammstenose als klare Indikation zu einer aortokoronaren Bypass-Operation gesehen wurde, besteht nun die Evidenz, dass in ausgewählten Fällen die perkutane koronare Intervention (PCI) eine Alternative ist. Erfolgt die PCI bei einem Patienten, dessen Hauptstamm nicht durch eine vorangegangene Bypass-Operation „geschützt“ worden ist, spricht man von einer „ungeschützten“ Hauptstammintervention.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s13_abb1.jpg" alt="" width="350" height="446" /></p> <p> </p> <h2>Studienlage</h2> <p>Die bisher publizierten randomisierten Studien, die PCI und Bypass-OP bei Hauptstammstenose verglichen haben, sind aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Stenttypen und Interventionstechniken sowie aufgrund verschiedener Endpunktdefinitionen und unterschiedlich langer Beobachtungzeiträume (zwischen 3 und 10 Jahren) nicht gut vergleichbar.<sup>2–7</sup> In der Subgruppenanalyse der Patienten mit Hauptstammstenose der SYNTAX-Studie (n = 705 Patienten) konnte gezeigt werden, dass nach 5 Jahren kein signifikanter Unterschied im kombinierten Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt, Insult und wiederholter Revaskularisation zwischen der PCI-Gruppe (Paclitaxel drug-eluting stents [DES]) und der Bypass-Gruppe bestand.<sup>5</sup> Es wurde allerdings eine höhere Rate an Schlaganfällen in der Bypass-Gruppe und an wiederholten Revaskularisationen in der PCIGruppe verzeichnet. Wurden die Patienten gemäß ihrem SYNTAX-Score aufgeteilt, so zeigte sich bei einem „hohen“ SYNTAX-Score von 33 Punkten und mehr ein statistisch signifikanter Unterschied zugunsten der aortokoronaren Bypass-OP. In der EXCEL-Studie (n = 1905 Patienten) zeigte sich eine PCI mit einem Everolimus- DES in einem Beobachtungszeitraum von 3 Jahren non-inferior zu einer Bypass- Operation.<sup>6</sup> Nur Patienten mit einem niedrigen bis mittleren SYNTAX-Score konnten in diese Studie eingeschlossen werden. Der kombinierte Endpunkt beinhaltete in dieser Studie nur die „harten“ Endpunkte Tod, Insult und Myokardinfarkt, jedoch nicht wiederholte Revaskularisation. In der ebenfalls 2016 publizierten NOBLE-Studie (n = 1201 Patienten) war die Hauptstamm-PCI mit einem DES (vorwiegend mit Biolimus beschichtete Stents, jedoch auch 11 % DES der ersten Generation<sup>8</sup>) während eines Follow-ups von 5 Jahren der Bypass-OP unterlegen.<sup>7</sup> Der kombinierte Endpunkt von NOBLE setzte sich aus Tod, Myokardinfarkt (nicht periprozedural), Schlaganfall oder wiederholter Revaskularisation zusammen. Die Publikationen der 10-Jahres-Langzeitdaten oben genannter Studien werden noch tiefere Einblicke in den klinischen Verlauf nach Hauptstammrevaskularisation mittels PCI oder Bypass-OP geben. Diese Informationen werden in der Folge dabei helfen, die Therapieempfehlungen in Zukunft weiterzuentwickeln.</p> <h2>Guidelines</h2> <p>In den 2018 veröffentlichten Guidelines für myokardiale Revaskularisation der European Society of Cardiology (ESC) wird empfohlen, den SYNTAX-Score individuell zu berechnen und das Verfahren zu wählen, das eine möglichst vollständige koronare Revaskularisation sicherstellt.<sup>9</sup> Dabei erhielt die aortokoronare Bypass-Operation bei der Hauptstammstenose – unabhängig vom SYNTAX-Score – eine Klasse-I-Empfehlung (Level of Evidence [LoE] A). Die PCI wurde in Abhängigkeit des SYNTAX- Scores bewertet: Score 0–22 Punkte: Klasse I (LoE A), Score 23–32 Punkte: Klasse IIa (LoE A), Score ≥ 33 Punkte: Klasse III (LoE B).</p> <h2>Patientenauswahl</h2> <p>Das für den Patienten beste Verfahren der Revaskularisation soll – vor allem bei klinisch komplexen Fällen – in einem Heart-Team interdisziplinär von interventionell tätigen Internisten und Herzchirurgen diskutiert werden. Das Ziel ist eine möglichst vollständige koronare Revaskularisation. Dabei sollen klinische Patientencharakteristika sowie anatomische und technische Aspekte berücksichtigt werden.<sup>9</sup> So spricht das Vorliegen klinischer Faktoren wie schwerer Begleiterkrankungen, hohen Alters, Gebrechlichkeit, deutlich eingeschränkter Lebenserwartung oder Mobilität eher für eine interventionelle Sanierung, während Diabetes mellitus, eine eingeschränkte Linksventrikelfunktion unter 35 %, eine Kontraindikation für eine duale Plättchenhemmertherapie oder wiederholte In-Stent-Restenosen in der Anamnese eine Operation favorisieren. Bei einem geringeren Ausmaß der koronaren Mehrgefäßerkrankung (abgebildet durch einen niedrigen SYNTAX-Score) oder anatomischen Hindernissen wie einer ausgeprägten Skoliose, Thoraxdeformierungen, Z. n. Radiatio der Brustwand oder einer Porzellanaorta erscheint die interventionelle Revaskularisation sinnvoller. Ist ein zusätzlicher Eingriff an einer Herzklappe oder an der Aorta ascendens notwendig, die koronare Herzkrankheit stärker ausgeprägt (höherer SYNTAX-Score) oder sind die Koronarien sehr stark verkalkt, profitieren die Patientinnen und Patienten eher von einer Herz-OP.</p> <h2>Hauptstammregister des Kepler Universitätsklinikums ausgewertet</h2> <p>Alle Patientinnen und Patienten, die seit dem Jahr 2002 eine ungeschützte Hauptstammintervention mittels DES an der Klinik für Kardiologie des Kepler Universitätsklinikums erhalten haben, wurden in ein Register eingeschlossen. Die Daten von den bis Ende 2013 behandelten Patienten wurden schon vorläufig ausgewertet. Die 256 Patienten, unter denen auch 42 (16,4 %) mit akutem Koronarsyndrom (STEMI oder NSTEMI) waren, wiesen im Schnitt ein Alter von 71 Jahren auf. Etwa ein Drittel war weiblich. Die Stenosen waren zu 67 % im distalen Hauptstamm lokalisiert und wurden in 77 % der Fälle mit einer 1-Stent-Strategie revaskularisiert. Die mediane Follow-up-Zeit betrug 4,2 Jahre (Interquartilenabstand: 2,0–7,0 Jahre). Bis auf 13 Patienten (5,1 %) konnten alle hinsichtlich klinischer Ereignisse nachverfolgt werden. Zur Beurteilung des Langzeitverlaufes nach ungeschützter Hauptstammintervention wurden sowohl die Mortalität als auch ein kombinierter Endpunkt (MACCE) aus Tod jedweder Ursache, Zielgefäß- oder Zielläsions- Revaskularisation sowie Myokardinfarkt oder Schlaganfall analysiert. Im Beobachtungszeitraum wurde durchschnittlich eine neuerliche Koronarangiografie durchgeführt. Die Hälfte der Patienten (n = 129; 50,4 %) erreichte den kombinierten Endpunkt, 88 (34,4 %) Patienten verstarben. Mit einer Kaplan-Meier-Analyse konnte hinsichtlich Mortalität und des kombinierten Endpunktes im Beobachtungszeitraum kein Unterschied nach Verwendung von DES der ersten oder zweiten Generation festgestellt werden. Höheres Lebensalter, niedrigere linksventrikuläre Auswurffraktion, eingeschränkte Nierenfunktion, Diabetes mellitus oder Vorhofflimmern in der Anamnese sowie ein höherer EuroSCORE II waren mit einem schlechteren Outcome im Follow-up assoziiert. Obwohl für diesen Einsatz nicht validiert, zeigte sich nach Adjustierung für klinische Confounder lediglich der logistische EuroSCORE II als unabhängiger Prädiktor einer erhöhten Langzeit-Mortalität und MACCE-Rate in unserer Kohorte (HR 2,24 bzw. HR 1,50 bei Anstieg um eine Terzile, Abb. 2). Der logistische EuroSCORE II wurde primär entwickelt, um die 30-Tages-Mortalität nach Herzoperationen abzuschätzen. Dabei fließen 18 Variablen (unter anderem Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, klinischer Zustand, Akuität und Art des Eingriffes) in die Kalkulation des Scores mit ein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s13_abb2.jpg" alt="" width="650" height="907" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ragosta M et al.: Prevalence of unfavorable angiographic characteristics for percutaneous intervention in patients with unprotected left main coronary artery disease. Catheter Cardiovasc Interv 2006; 68(3): 357-62 <strong>2</strong> Buszman PE et al.: Left main stenting in comparison with surgical revascularization: 10-year outcomes of the (left main coronary artery stenting) LE MANS trial. JACC Cardiovasc Interv 2016; 9(4): 318-27 <strong>3</strong> Ahn JM et al.: Randomized trial of stents versus bypass surgery for left main coronary artery disease: 5-year outcomes of the PRECOMBAT Study. J Am Coll Cardiol 2015; 65(20): 2198-206 <strong>4</strong> Boudriot E et al.: Randomized comparison of percutaneous coronary intervention with sirolimus-eluting stents versus coronary artery bypass grafting in unprotected left main stem stenosis. J Am Coll Cardiol 2011; 57(5): 538-45 <strong>5</strong> Morice MC et al.: Five-year outcomes in patients with left main disease treated with either percutaneous coronary intervention or coronary artery bypass grafting in the synergy between percutaneous coronary intervention with taxus and cardiac surgery trial. Circulation 2014; 129(23): 2388- 94 <strong>6</strong> Stone GW et al.: Everolimus-eluting stents or bypass surgery for left main coronary artery disease. N Engl J Med 2016; 375(23): 2223-35<strong> 7</strong> Makikallio T et al.: Percutaneous coronary angioplasty versus coronary artery bypass grafting in treatment of unprotected left main stenosis (NOBLE): a prospective, randomised, open-label, noninferiority trial. Lancet 2016; 388(10061): 2743-52 <strong>8</strong> Park DW, Park SJ: Percutaneous coronary intervention of left main disease: pre- and post-EXCEL (evaluation of XIENCE everolimus eluting stent versus coronary artery bypass surgery for effectiveness of left main revascularization) and NOBLE (Nordic-Baltic-British Left Main Revascularization Study) era. Circ Cardiovasc Interv 2017; 10(6): e004792 <strong>9</strong> Neumann FJ et al.: 2018 ESC/EACTS Guidelines on myocardial revascularization. Eur Heart J 2019; 40(2): 87-165</p>
</div>
</p>