Im Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. Gerd Köhler

Ausblick: Prävention & Management von diabetischen Fußkomplikationen

Priv.-Doz. Dr. Gerd Köhler, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz, schaffte in einem kurzen Interview einen Überblick über die Versorgungssituation des diabetischen Fußes in Österreich. Zukünftig sieht er allem voran Optimierungsbedarf in der österreichischen Versorgungsstruktur.

Herr Doz. Köhler, die Ziele der St. Vincent Declaration zur Eindämmung von Fußkomplikationen sind, mehr als 30 Jahre nach ihrer Verabschiedung, nicht zur Gänze umgesetzt. Wie lange, schätzen Sie, wird das noch dauern?

G. Köhler: In den letzten 18 Jahren habe ich die Hoffnung verloren, dass sich in der Eindämmung der diabetischen Fußkomplikationen schnell etwas ändert. Das hat mit den Strukturen in der Versorgung des diabetischen Fußsyndroms in Österreich, aber auch mit generellen Strukturen in der Versorgung zu tun. In der Medizin hat sich in der letzten Zeit in diesem Feld sehr viel getan – Stichwort Revaskularisierung und Druckentlastung. Da die aktuellen Versorgungsstrukturen in Österreich aber nicht mit der Medizin mithalten können, habe ich aktuell nicht die Hoffnung, dass sich in den nächsten 5 bis 10 Jahren in diesem Feld viel verändern wird.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen, in welchen Bereichen die größten Herausforderungen, um Fußkomplikationen bei Menschen mit Diabetes in Österreich zu minimieren?

G. Köhler: Medizinisch gab es im Bereich des diabetischen Fußsyndroms Fortschritte. Das beginnt bei der Druckentlastung, die wesentlich moderner geworden ist. Mittlerweile gibt es vorgefertigte Hilfsmittel, wie Vakuumschienen und einfach zu verarbeitende Gipsmaterialien.

Das zentrale Problem ist die Pathogenese der Erkrankung mit der sensorischen Neuropathie. Menschen mit diabetischem Fußsyndrom nehmen ihr Problem nicht wahr und daher müssen wir Ansätze um die Patienten herum bauen.

Des Weiteren gibt es optimierte Operationstechniken und neue endovaskuläre Verfahren. Aber einerseits hat nicht jeder Patient Zugang dazu, und andererseits benötigt man multiprofessionelle Ansätze, die in der Medizin immer noch nicht im Fokus sind. Ähnlich wie im Tumorboard bräuchte man eigentlich auch ein Fußboard, in welchem Chirurgen, Internisten, orthopädische Schuhtechniker und Wundmanager zusammen einen konkreten Plan erstellen, der individuell an den Patienten angepasst ist. Da sollten wir hin.

Aber wie so oft scheitert es an den Mitteln und am Interesse an dem Krankheitsbild diabetisches Fußsyndrom. Zusätzlich denke ich, wir müssen vielleicht unsere Erwartungen an die Therapie ein wenig zurückschrauben und nicht erwarten, dass ein Ulkus unbedingt abheilen muss. Alternativ sollten wir anvisieren, dass ein Patient noch 10 Jahre mit seinem Ulkus gehen kann. Damit ein Patient aber 10 Jahre mit seinem Ulkus gehen kann, braucht man gewisse Strukturen zur optimalen Versorgung bzw. ist es notwendig, schon früher einzugreifen im Sinne der Prävention.

Erwarten Sie in diesem Zusammenhang signifikante neue Beiträge der Pharmakotherapie, der Gefäßchirurgie oder der Prävention und Früherkennung bzw. Beiträge in weiteren Feldern?

G. Köhler: Seitens der Pharmakotherapie ist aktuell nichts bahnbrechendes zu erwarten – eher sind endovaskuläre oder operative Behandlungen ausbaufähig. Hinsichtlich der Wundbehandlung wird es eine neue deutsche und in weiterer Folge auch österreichische Leitlinie geben – da gibt es aber auch keine großen Neuigkeiten. Ein Verbandsstoff hat in einer randomisierten kontrollierten Studie einen Vorteil gezeigt.

Vorrangig muss beim diabetischen Fuß die Druckentlastung optimiert werden, wenn Wunden heilen sollen.

Den Fokus sollten wir zukünftig in die Prävention setzen: Wir haben neue Pharmakotherapien im Diabetesbereich, mit denen man die Glukosekontrolle optimieren kann. Dadurch ist damit zu rechnen, dass weniger Neuropathien entstehen. Wenn schon eine Neuropathie entstanden ist, sollte in der Prävention angesetzt werden.

Der erste Schritt wäre, diese Vorgehensweise ins Disease-Management-Programm (DMP) einzubauen. Auf eine Neuropathie hin zu prüfen ist bereits Bestandteil, aber was noch hinzugefügt werden müsste, ist, dass Patienten mit Neuropathie regelmäßig untersucht werden müssen, denn der Patient wird nicht sagen, wenn er ein Problem hat. Das ist aktuell nicht im DMP verankert.

Einen weiteren Schritt könnte man noch in der Therapie von präulzerösen Läsionen setzen: Wenn ein Patient eine Neuropathie und präulzeröse Läsionen hat, also zum Beispiel Hyperkeratosen, dann gehören sie regelmäßig abgetragen. In Deutschland kann dafür eine Podologie verschrieben werden. In Österreich müssen Patienten das selbst bezahlen. Darin könnte ein Präventionsschritt gesetzt werden, den wir derzeit nicht haben.

Welche Rolle sollten Programme, wie „Therapie Aktiv“, bei der Verbesserung der Betreuungssituation spielen?

G. Köhler: Um hier einen Schritt weiterzukommen: Wenn keine Neuropathie vorhanden ist sollte einmal pro Jahr ein Neuropathiescreening, so wie es jetzt schon vorgesehen ist, zumindest mit Vibrationstest und Monofilament erfolgen. Sobald eine Neuropathie vorhanden ist, gehören bei jedem Besuch bei DMP-Ärzten die Füße kontrolliert, und es ist zu ermitteln, ob es akute Probleme gibt – ob das Schuhwerk das richtige ist, ob der Patient regelmäßig zur Fußpflege geht und ob er seine Nägel kürzen kann. Das gehört an dieser Stelle schon überprüft und hier sind schon weitere Präventionsmaßnahmen zu setzen, - z.B. den Patienten weiterzuschicken zu einer Fußpflege.

Wie könnte die Kooperation zwischen ambulanten und mobilen Versorgungsstrukturen und im intramuralen Bereich verbessert werden?

G. Köhler: Wenn ich von der Prävention ausgehe, bräuchte man nach der regelmäßigen Fußkontrolle durch den DMP-Arzt eine nachgeschaltete Struktur – und die gibt es nicht. Es gibt ein paar Zentren, die sich mehr mit dem Fuß beschäftigen und die entsprechenden Strukturen haben. Eine Alternative wäre es, wie zum Beispiel in Deutschland Schwerpunktpraxen für Diabetes zu gründen, die auch den diabetischen Fuß versorgen. Aber da bedarf es entsprechender Positionen, die abrechenbar sind – aktuell sind die Sätze für einen Verbandswechsel in Österreich zu niedrig, deswegen wird die Versorgung im niedergelassenen Bereich nicht funktionieren. Da bräuchte man entweder ein dem Krankenhaus vorgeschaltetes Wundzentrum, das die Versorgung übernehmen kann, oder aber eine Spezialambulanz. Dabei stellt sich wiederum die Frage nach den Kosten. Wir haben schon einmal probiert, in der Steiermark solche Zentren aufzubauen, es hat aber nicht funktioniert. Durch die frustranen Ergebnisse im Bereich des diabetischen Fußsyndroms ist das Interesse an dieser Arbeit nicht sehr groß.

Zusammengefasst gehört nach dem DMP-Arzt ein multiprofessionelles Behandlungsteam als Ansprechpartner geschaffen. Wenn man die Mittel gut einsetzt, unser Gesundheitssystem ein bisschen reformiert und das Geld anders verteilt, könnte man schon einiges herausholen und noch dazu Geld sparen.

Wie haben sich die Zahlen zum diabetischen Fußsyndrom in Österreich und international entwickelt und wo werden wir in den nächsten 20 Jahren landen?

G. Köhler: Die Zahl der Menschen mit Diabetes steigt, aber die der Menschen mit Diabetes, bei denen Amputationen durchgeführt werden, ist relativ gleich geblieben. Zum diabetischen Fußsyndrom selbst gibt es keine Zahlen in Österreich. Dies kann an der verbesserten Stoffwechselkontrolle und an Revaskularisierungsmethoden liegen. Wissen tun wir es nicht.

Mit den derzeitigen Strukturen rechnen wir aber damit, dass es mehr Menschen mit diabetischem Fußsyndrom geben wird. Aber wir hoffen, dass sich doch noch etwas tut, gerade in der Prävention, denn da wäre es relativ einfach, mit ganz gezielten Maßnahmen einzugreifen, und ich glaube, da könnte man schon etwas bewegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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