S3-Leitlinie „Chronische Wunden“
Autor:innen:
Lara Sophie Slucik1
Priv.-Doz. Dr. Christoph Ausch1,2
1 Sigmund Freud PrivatUniversität, Fakultät für Medizin
2 Chirurgie am Küniglberg und Wundheilung Wien
Korrespondierender Autor:
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Chronische Wunden sind ein wachsendes medizinisches und gesundheitsökonomisches Problem. Sie betreffen rund 1–2% der Bevölkerung und sind mit hoher Morbidität, verringerter Lebensqualität und substanziellen Kosten für Gesundheits- und Pflegesysteme verbunden.
Keypoints
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Chronische Wunden stellen eine interdisziplinäre Herausforderung dar; moderne S3-Leitlinien bieten praktikable Algorithmen für Klinik und Praxis.2
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Digitale Tools und KI-gestützte Systeme tragen signifikant zu objektiver Verlaufsbewertung und Outcome-Verbesserung bei, insbesondere in strukturschwachen Regionen.6,8,12
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Innovative regenerative und biotechnologische Therapien sind vielversprechend, sollten aber kontrolliert und in spezialisierten Zentren eingesetzt werden.2,4
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Multiprofessionelle Zusammenarbeit, strukturierte Dokumentation und qualitätsgesicherte Prozesse sind Schlüssel zur erfolgreichen Wundtherapie und verbesserten Lebensqualität der Patient:innen.2
Die im Oktober 2023 aktualisierte S3-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden“ (AWMF Reg.-Nr. 091–001) gibt einen strukturierenden Rahmen für die evidenzbasierte Versorgung, der durch innovative Ansätze aus Digitalisierung, künstlicher Intelligenz (KI) und regenerativer Medizin ergänzt wird.1,2
Ziel der Leitlinie ist es, eine konsensbasierte, interdisziplinäre und praxisnahe Grundlage für Diagnostik, Therapie und Qualitätsmanagement chronischer Wunden zu bieten und damit sowohl Abheilungsraten als auch Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
Pathogenese & Klassifikation
Chronische Wunden lassen sich klassischerweise in Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum, diabetisches Fußsyndrom und Mischformen unterteilen (Tab.1).2 Als kritische Pathomechanismen gelten persistierende Biofilme, Veränderungen des Mikrobioms, gestörte Immunreaktionen und altersbedingte Zellseneszenz, die für einen Therapieresistenz-Status verantwortlich gemacht werden können. Die neue Leitlinie betont die Relevanz differenzierter Ätiologie für eine gezielte und individualisierte Therapie.
Diagnostik & digitale Innovation
Die Basisdiagnostik umfasst eine systematische Anamnese, standardisierte Wundbeschreibung und apparative Verfahren wie Doppler-Sonografie und Ankle-Brachial-Index(ABI)-Messung. Digitale Tools und KI-gestützte Wundanalyse (z.B. Wound Viewer, App-Systeme) sind zunehmend integrative Bestandteile, die laut Studien zu objektiver Verlaufskontrolle und besserer Outcome-Prediction beitragen. Telemedizinische Ansätze ermöglichen Versorgung und Monitoring besonders in strukturschwachen Regionen.2
Praxisalgorithmus
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Systematische Einordnung nach Lokalisation und Ätiologie
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Einsatz digitaler Tools zur Verlaufskontrolle und Dokumentation
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Wundbiopsie bei therapierefraktärer Persistenz oder Malignomverdacht
State of the Art der Therapie
Das international etablierte TIME-Prinzip („tissue management, infection/inflammation control, moisture balance, edge advancement“) bildet weiterhin die Basis der Lokaltherapie. Moderne Wundauflagen mit angepasstem Exsudatmanagement, gezielte Biofilm- und Infektionskontrolle sowie aktives, regelmäßiges Débridement sind leitlinienkonforme Standards.2
Ambulante und stationäre Negativ-Druck-Therapie (NPWT) gilt als evidenzbasierte Technik bei großflächigen Defekten.1 Die gezielte Integration der systemischen Therapie zur Grunderkrankungsbehandlung (z.B. PAVK, Diabetes) bleibt Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Wundheilung.
Algorithmus: Therapie chronischer Wunden (vereinfachtes Schema)2
1. Diagnostik
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Anamnese, Klassifikation, Ätiologie
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Durchblutung prüfen: ABI, Doppler (PAVK-arterieller Verschluss)
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Grunderkrankungen erkennen und optimieren (z.B. chronische venöse Insuffizienz [CVI], Diabetes)
2. Therapie nach TIME-Prinzip
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T („tissue management“): Débridement je nach Wundzustand (chirurgisch, enzymatisch, autolytisch)
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I („infection/inflammation control“): Infektions- und Biofilmkontrolle, ggf. mikrobiologische Diagnostik/Antibiotika
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M („moisture balance“): feuchtes Wundmilieu durch adäquate Auflagen (Alginate, Hydrofasern, Schaumverbände)
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E („edge advancement“): Wundrand- und Hautschutz (Silikon, Barrieremittel)
3. Adjunktive Maßnahmen
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Kompression bei venösen Ulzera
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Revaskularisation bei arteriellen Ulzera
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Druckentlastung beim diabetischen Fußsyndrom
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„negative pressure wound therapy“ (NPWT) bei großflächigen Defekten oder therapierefraktären Wunden
4. Regenerative/innovative Ansätze
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„platelet-rich plasm“ (PRP)/„platelet-rich fibrin“ (PRF), bioaktive Matrix, stammzellbasierte Verfahren bei Nichtansprechen auf Standardmaßnahmen – v.a. im spezialisierten Setting
5. Monitoring & Qualitätssicherung
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Verlaufskontrolle/Wunddokumentation (digital/KI-gestützt)
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Interdisziplinäre Wundboards
Regenerative/innovative Ansätze
Aktuelle Studien zeigen, dass PRP/PRF, bioaktive Matrixmaterialien, extrazelluläre Vesikel und stammzellbasierte Therapien bei therapierefraktären Wunden vielversprechende Ergebnisse ermöglichen. Experimentelle Konzepte wie senolytische Therapie, biozidfreie Biofilmtherapien und 3D-Bioprinting stehen im Fokus translationaler Forschung und sollten vorerst spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben.2–5
Digitale Innovationen, insbesondere KI-gestützte Tools und telemedizinische Monitoringsysteme, etablieren sich zunehmend als Outcome-optimierende Elemente in kontrollierten Studienumgebungen.6,7
Praktische Handlungsanleitungen für Klinik und Praxis
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Initialdiagnostik: Anamnese, Ätiologie, apparative Verfahren, digitale Wundanalyse
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Lokale Therapie: aktives Débridement, Infektionsmanagement, exsudatregulierende „advanced dressings“, Schutz der Wundränder
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Systemische Therapie: klare Behandlungsstrategie der Grunderkrankungen, interdisziplinäre Abstimmung
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Regenerative Verfahren: bei Nichtansprechen der Standardtherapie und in spezialisierten Einrichtungen PRP/PRF, Matrixtherapie, stammzellbasierte Anwendungen nach aktueller Evidenzlage einplanen2
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Qualitätsmanagement: Einsatz multiprofessioneller Wundboards, strukturierte Dokumentation, Monitoring von Prozess- und Ergebnisqualität, digitale Verlaufskontrolle
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Interdisziplinarität: regelmäßige Fallbesprechung, Integration von Dermatologie, plastischer Chirurgie und Allgemeinmedizin
Qualitätssicherung & Interdisziplinarität
Die Leitlinie fordert ein strukturiertes Wundmanagement mit transparenten Qualitätsindikatoren wie Heilungsrate, Komplikationsrate sowie Rezidivhäufigkeit. Multiprofessionelle Boards und die Integration digitaler Dokumentationssysteme sind wesentliche Elemente der modernen Versorgungsrealität. Outcome-basierte Steuerung und kontinuierliches Feedback der Pati-ent:innen sind unverzichtbar für langfristigen Erfolg.2
Emerging Science: Publikationstrends 2023–2025
Die letzten Jahre zeigen rasche Fortschritte (Tab. 2):
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Digitale Ansätze wie das „Wound Viewer“-System ermöglichen objektive Klassifikation und Verlaufskontrollen.6,8
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Künstliche Intelligenz verbessert Diagnosegenauigkeit, Outcome-Prediction und individualisierte Therapieplanung signifikant.6,9
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Senolytische Therapie zur gezielten Eliminierung altersbedingter dysfunktionaler Zellen als potenzielles Zukunftskonzept
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Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT): weiterhin Gegenstand großer Studien bei therapierefraktären, ischämischen Wunden9
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Biofilm und Mikrobiom: Innovative, biozidfreie Therapieansätze werden aktiv getestet, jedoch noch nicht routinemäßig empfohlen.10,11
Fazit & Ausblick
Die moderne Therapie chronischer Wunden basiert auf aktuellen S3-Leitlinien und wird durch Forschung und Digitalisierung dynamisch ergänzt. Individualisierte Wundversorgung bedeutet heute: Kombination klassischer Standards, gezielte Integration neuer Technologien und stete Qualitätsüberprüfung. Die nächsten Jahre versprechen durch KI, digitale Tools und regenerative Medizin weitere erhebliche Fortschritte.
Literatur:
1 Sen CK: Human wound and its burden: updated 2025 compendium of estimates. Adv Wound Care (New Rochelle) 2025; 14(9): 429-38 2 S3-Leitlinie 2023: https://register.awmf.org/assets/guidelines/091-001l_S3_Lokaltherapie-schwerheilender-chronischer-Wunden_2023-11.pdf (zuletzt aufgerufen am: 11.11.2025) 3 Kolimi P et al.: Innovative treatment strategies to accelerate wound healing: trajectory and recent advancements. Cells 2022; 11(15): 2439 4 Mahmoudi N et al.: Tailored bioengineering and nanomedicine strategies for sex-specific healing of chronic wounds. Br J Dermatol 2025; 192(3): 390-401 5 Hurlow J et al.: Clinical management of chronic wound infections: the battle against biofilm. Wound Repair Regen 2025; 33(1): e13241 6 Stefanelli A et al.: Developing an AI-powered wound assessment tool: a methodological approach to data collection and model optimization. BMC Med Inform Decis Mak 2025; 25(1): 297 7 Sarp S et al.: Digital twin in healthcare: a study for chronic wound management. IEEE J Biomed Health Inform 2023; 27(11): 5634-43 8 Bai X et al.: Digital health interventions for chronic wound management: a systematic review and meta-analysis. J Med Internet Res 2024; 26: e47904 9 Secco J et al.: Clinically validated classification of chronic wounds method with memristor-based cellular neural network. Sci Rep 2024; 14(1): 30839 10 Sen CK: Human wound and its burden: updated 2022 compendium of estimates. Adv Wound Care (New Rochelle) 2023; 12(12): 657-70 11 Matoori S, Engel E: Emerging technologies and solutions for chronic wound care and diagnosis. ACS Appl Bio Mater 2025 8(6): 4413-5 12 Freeman S et al.: Use of artificial intelligence-driven wound care management to enhance access to care rural and northern communities. Int Wound J 2025; 22(10): e70767
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