© Getty Images

Resistente Gonorrhoe-Erreger: ein globales Problem

<p class="article-intro">Besonders in Asien und den westlichen USA kommt es zu vermehrter Resistenzentwicklung des Gonorrhoe-Erregers Neisseria gonorrhoeae, doch auch in der Schweiz ist Achtsamkeit geboten: Gonokokken verfügen über eine ausgeprägte genomische Plastizität, was ihnen eine rasche Anpassung an ihre Umwelt erlaubt. Ob Antibiotika noch wirken und welche, weiss Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager, Chefarzt am Dermatologischen Ambulatorium des Stadtspitals Triemli, im Interview zur aktuellen Situation.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><em><strong>Bei der Behandlung der Gonorrhoe werden Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika, insbesondere gegen Azithromycin, zunehmend zum Problem. Wie sch&auml;tzen Sie die Lage aktuell in der Schweiz ein? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Tats&auml;chlich ist es in den letzten Jahren weltweit zur Ausbreitung von St&auml;mmen mit verminderter Empfindlichkeit und selten auch Resistenzen gegen Cephalosporine und v. a. Azithromycin gekommen. Infolgedessen existieren mehrere Surveillance-Programme zur &Uuml;berwachung der Resistenzentwicklung, insbesondere der World Health Organization (WHO) und der Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Die europ&auml;ischen Daten werden ebenfalls &uuml;berwacht, schweizweit existiert jedoch kein entsprechendes Netzwerk. Hingegen zeigen eigene Daten, dass die verminderte Empfindlichkeit, insbesondere gegen&uuml;ber Ceftriaxon, in der Schweiz aktuell noch kein Problem darstellt, die Situation jedoch genau &uuml;berwacht werden sollte. Dies bedingt aber, dass unbedingt eine Kultur mit Resistenzpr&uuml;fungen bei allen F&auml;llen durchgef&uuml;hrt werden muss.</p> <p><em><strong>Wie beurteilen Sie die Lage europaweit? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Letztlich ist die zunehmende Resistenzentwicklung ein globales Problem, wobei speziell Asien und die Westk&uuml;ste der USA st&auml;rker betroffen sind. F&uuml;r Europa gilt, dass f&uuml;r Ceftriaxon, das aktuell als letztes verbleibendes Erstlinienmedikament empfohlen werden kann, die Resistenz auf niedrigem Niveau (&lt; 0,5 %) stabil ist. Resistenzen gegen Ceftriaxon und Einzelf&auml;lle mit Multiresistenz sind jedoch bekannt, speziell in Grossbritannien und Frankreich. Bei Azithromycin zeigte sich ein ausgepr&auml;gterer Anstieg der Resistenzen in den letzten Jahren in Europa von 5&ndash;15 % resistenter St&auml;mme mit zus&auml;tzlich einer hohen Rate an nur intermedi&auml;r empfindlichen Formen. Der Trend ist in Europa uneinheitlich und beispielsweise in Deutschland eher r&uuml;ckl&auml;ufig. In L&auml;ndern, wo Azithromycin als Erstlinienmedikament bei Chlamydieninfektionen verschrieben wird, besteht eine h&ouml;here Rate an Resistenzen gegen Neisseria gonorrhoeae, da in 10&ndash;20 % Koinfektionen vorliegen.</p> <p><em><strong>Welche Personengruppen sind besonders gef&auml;hrdet? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> In Asien bestehen mehr resistente Keime. &Uuml;berwachungsdaten aus nordeurop&auml;ischen L&auml;ndern zeigen, dass ein Viertel der Gonorrhoef&auml;lle reiseassoziiert sind, die H&auml;lfte davon wurde in Asien erworben. Somit sollte immer eine Reiseanamnese erhoben werden. Zus&auml;tzlich sind selbstverst&auml;ndlich Personengruppen betroffen, die h&auml;ufig ungesch&uuml;tzten genitalen, analen oder oralen Verkehr haben, namentlich die Gruppe der promiskuitiven M&auml;nner, die Sex mit M&auml;nnern haben (MSM), sowie die der Sexworker und Sexworkerinnen.</p> <p><em><strong>Welche Behandlungsoptionen stehen Patienten mit resistenten Keimen noch offen? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Bisher konnte auch bei multiresistenten Keimen durch Anwendung der sogenannten dualen Therapie (Ceftriaxon in Kombination mit Azithromycin) mit erh&ouml;hter Dosis die Infektion beseitigt werden. Dies gelang beispielsweise durch die Verwendung von 1 g Ceftriaxon in Kombination mit 1,5&ndash;2 g Azithromycin. Bei solchen Keimen ist jedoch wichtig, auch die Resistenzlage gegen&uuml;ber den Fluoroquinolonen, Tetrazyklinen und Penicillin abzukl&auml;ren, da bei fehlender Resistenzentwicklung die sogenannten alten Pr&auml;parate durchaus wieder eingesetzt werden k&ouml;nnen. Allenfalls kann auf Gentamicin (240 mg i. m., in Kombination mit Azithromycin) respektive Spectinomycin bei der genitalen oder anorektalen Gonorrhoe zur&uuml;ckgegriffen werden. Phase-III- und Phase- II-Studien sind aktuell mit Solithromycin, Zoliflodacin und Gepoditacin als Alternative im Gange.</p> <p><em><strong>Warum ist die Resistenzentwicklung gerade bei Gonorrhoe-Erregern schon so weit fortgeschritten? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Die Gonokokken haben es fertiggebracht, auf alle bisher eingesetzten Medikamente, beginnend bei den Sulfonamiden &uuml;ber Penicillin, Tetrazykline bis zu Fluorquinolonen und jetzt auch Cephalosporinen, Resistenzen zu bilden. Dies ist m&ouml;glich durch eine ausgepr&auml;gte nat&uuml;rliche Transformationskompetenz, d. h., dass DNA-Sequenzen aufgenommen und ausgeschleust werden k&ouml;nnen. Dies erlaubt einen horizontalen Gentransfer innerhalb der eigenen, aber auch nah verwandter Spezies, wie das vor allem im Rachenraum passieren kann. Diese ausgepr&auml;gte genomische Plastizit&auml;t und die daraus resultierende Variabilit&auml;t der Proteinexpression sowie Antigenit&auml;t von Neisseria gonorrhoeae sind die Grundlage f&uuml;r eine schnelle Anpassung der Bakterien an Umweltbedingungen. Die variable Oberfl&auml;chenbeschaffenheit beg&uuml;nstigt die Gonokokken zus&auml;tzlich dabei, sich der Immunantwort entziehen zu k&ouml;nnen.</p> <p><em><strong>Wie erkl&auml;ren Sie sich den Anstieg der Zahl von Gonorrhoe-Infektionen generell in Westeuropa seit den 1990er-Jahren? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Tats&auml;chlich existiert in Europa und insbesondere in der Schweiz seit 1996 eine Zunahme der F&auml;lle von damals ca. 250 auf aktuell &uuml;ber 3000 F&auml;lle j&auml;hrlich (laut dem Bundesamt f&uuml;r Gesundheit). Dies ist das Resultat von zunehmenden ungesch&uuml;tzten genitalen und analen Kontakten, insbesondere jedoch auch ungesch&uuml;tzten oralen Kontakten, v. a. bei anonymen Kontakten und im Sexgewerbe. Das Zunehmen der Zahl an ungesch&uuml;tzten Kontakten ist unter anderem durch die guten Methoden zur Behandlung der HIV-Infektion, die schwindende Bereitschaft, Kondome korrekt und regelm&auml;ssig zu verwenden, sowie die Unkenntnis der Risiken bei orogenitalen Kontakten zu erkl&auml;ren.</p> <p><em><strong>Inwiefern ist der h&auml;ufig symptomlose Verlauf der Erkrankung bei der Entwicklung resistenter Bakterien von Bedeutung? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Speziell die pharyngeale Infektion verursacht in einer grossen Mehrheit der F&auml;lle keine Symptome. Zus&auml;tzlich existieren im Rachenraum weitere apathogene Neisserien, die einen DNA-Austausch erlauben. Je l&auml;nger eine Infektion besteht, desto gr&ouml;sser ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Austausches. Bei der weiblichen genitalen Gonorrhoe ist zus&auml;tzlich zu bedenken, dass in etwa der H&auml;lfte ebenfalls keine Symptome bestehen und die Infektion somit &uuml;ber Monate unbemerkt verlaufen kann.</p> <p><em><strong>Gibt es M&ouml;glichkeiten f&uuml;r Dermatologen, in der Praxis der Resistenzentwicklung entgegenzuwirken? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Der wichtigste Punkt ist, die Resistenz mittels einer Kultur abzukl&auml;ren und die Infektion nicht nur mit einem DNA-Nachweis zu diagnostizieren. Wenn beispielsweise bei der Therapie die Resistenzentwicklung bereits bekannt ist (z. B. bei der Therapie des Partners), dann kann prim&auml;r die Behandlung mit einem entsprechenden Antibiotikum in korrekter Dosierung erfolgen. Wenn keine Daten vorhanden sind und der Patient im Verlauf nicht &uuml;berwacht werden kann, sollte die duale Therapie (500 mg Ceftriaxon i. m. und 1 g Azithromycin p. o.) eingesetzt werden. Um die Azithromycin-Resistenzentwicklung einzud&auml;mmen, sollte wenn m&ouml;glich f&uuml;r die Behandlung einer Chlamydieninfektion bevorzugt Doxycyclin gegeben werden.</p> <p><em><strong>Warum gestaltet sich die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Gonorrhoe so schwierig? Und f&uuml;r wie vielversprechend halten Sie den Meningokokken- Impfstoff MeNZB, der ja in einer retrospektiven Studie mit reduzierten Infektionsraten assoziiert wurde?<sup>1</sup> </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Durch die variable Oberfl&auml;chenbeschaffenheit der Gonokokken k&ouml;nnen sich diese der Immunantwort entziehen. Die Erkrankung hinterl&auml;sst deshalb auch keine ausreichende Immunit&auml;t, man kann sich ja durchaus mehrmals mit Gonokokken infizieren. Neben dieser Antigenvariabilit&auml;t gibt es weitere Mechanismen, die die Entwicklung einer Vakzine so schwierig machen, insbesondere der beschriebene Gentransfer. <br />Tats&auml;chlich konnte in Kuba, Neuseeland und Norwegen eine geringere Inzidenz von Gonokokkeninfektionen bei Personen direkt nach Impfung gegen Meningokokken der Gruppe B nachgewiesen werden. Die hohe Homologie der prim&auml;ren Sequenz zwischen Neisseria meningitidis und Neisseria gonorrhoeae sowie die Tatsache, dass viele Virulenzfaktoren &Auml;hnlichkeiten aufweisen, liessen an die M&ouml;glichkeit einer Kreuzschutzwirkung denken. Leider zeigte sich eine rasche Reduktion des Impfschutzes nach zwei Jahren, weshalb die Produktion der getesteten Vakzine MeNZB eingestellt wurde.</p> <p><em><strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></em></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Petousis-Harris H et al.: Effectiveness of a group B outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea in New Zealand: a retrospective case-control study. Lancet 2017; 390(10102): 1603-10</p> </div> </p>
Back to top