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Update zu urogenitalen Tumoren: Harnblase und Niere
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Dora Niedersüß-Beke, MBA
Zentrum für Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin<br> Wilhelminenspital, Wien<br> E-Mail: dora.niedersuess-beke@wienkav.at
30
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30.05.2019
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<p class="article-intro">Die Therapielandschaft des Blasen- und Nierenzellkarzinoms hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Der Artikel gibt einen Überblick über derzeitige Erstlinien- und Zweitlinientherapien und blickt auf künftige Entwicklungen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Blasenkarzinom</h2> <p>Das Urothelkarzinom ist unbehandelt ein hoch aggressiv verlaufender epithelialer Tumor, der beginnend am Nierenbecken über die Ureteren und die Blase (mit >90 % am häufigsten vorkommend) bis zur Urethra auftreten kann und durch eine hohe Rate früher systemischer Ausbreitung charakterisiert ist. Nach jahrzehntelanger Stagnation wurde die Therapie des Urothelkarzinoms durch die Einführung der Immuntherapeutika neu definiert.</p> <p><strong>(Neo-)Adjuvantes Setting</strong> <br />Im adjuvanten und neoadjuvanten Setting sind derzeit noch keine Checkpoint- Inhibitoren zugelassen. Im neoadjuvanten Setting wurden jedoch vielversprechende Daten der ABACUS- (2 x Atezolizumab vor einer Zystektomie) und der PURE-Studie (3 x Pembrolizumab vor einer Zystektomie) mit hohen Remissionsraten präsentiert. <br />Im adjuvanten Setting laufen ebenfalls Studien mit Checkpoint-Inhibitoren. Aktuell wird eine adjuvante platinhaltige Therapie bei Patienten mit Hochrisikotumoren (pT3–4 und/oder pN+), die keine neoadjuvante Chemotherapie erhalten haben, empfohlen.</p> <p><strong>Erstlinientherapie</strong> <br />Das mediane Überleben von Patienten mit nicht resezierbarem bzw. metastasiertem Urothelkarzinom beträgt unter einer Cisplatin-haltigen Chemotherapie, dem Goldstandard in der ersten Linie, 14–15 Monate. Nach Platinversagen beträgt das mediane Überleben in der Zweitliniensituation unter Vinflunin 5–7 Monate. „Cisplatin- unfitte“ Patienten, die bei Erstdiagnose >50 % der Population ausmachen, haben unter einer Erstlinientherapie mit Carboplatin/Gemcitabin ein medianes Gesamtüberleben von 9 Monaten. <br />Für Cisplatin-unfitte Patienten wurden mittlerweile zwei Checkpoint-Inhibitoren, Atezolizumab, ein PD-L1-Inhibitor, sowie Pembrolizumab, ein PD-1-Inhibitor, zugelassen. Die Zulassung wurde allerdings im Juni 2018 aufgrund einer Zwischenauswertung der aktuell laufenden Phase-III-Studien (Pembrolizumab: KEYNOTE-361; Atezolizumab: IMvigor 130) in der Erstlinientherapie auf PD-L1-positive Tumoren beschränkt, wobei die Definition der PD-L1-Positivität je nach Substanz etwas variiert (Atezolizumab: ≥5 % PD-L1 auf Immunzellen im Tumor; Pembrolizumab: CPS ≥10). Die gegenwärtige Therapieempfehlung zur Erstlinientherapie ist in Abbildung 1 dargestellt.</p> <p><strong>Zweitlinientherapie</strong> <br />In der Zweitlinientherapie des Blasenkarzinoms sind nach Platinversagen Atezolizumab, Pembrolizumab und Nivolumab unabhängig vom PD-L1-Status zugelassen. In diesem Setting zeigen alle bisher untersuchten Checkpoint-Inhibitoren Ansprechraten zwischen 15 und 20 % , eine lange Dauer des Ansprechens bei Respondern und ein günstiges Toxizitätsprofil. Details zu den Zulassungsstudien im Vergleich zur Chemotherapie in der Zweitlinie sind in Tabelle 1 zusammengefasst.</p> <p><strong>Neue Entwicklungen</strong><br />Zukünftig werden weitere „gezielte“ Therapieformen die Behandlung des Urothelkarzinoms erweitern. „Pan fibroblast growth“-Inhibitoren wie beispielsweise Erdafitinib, von dem bereits vielversprechende Daten einer Phase-II-Studie vorliegen, werden derzeit in Phase-III-Studien untersucht. Eine weitere neue Substanz, Enfortumab Vedotin, ist ein Antikörper- Chemotherapie-Konjugat, das über Nectin- 4 in die Tumorzelle geschleust und dort aktiviert wird. Auch dieses Konzept wird in Phase-III-Studien untersucht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s65_abb1_niedersuess-beke.jpg" alt="" width="1459" height="539" /></p> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s65_tab1_niedersuess-beke.jpg" alt="" width="1419" height="1133" /></h2> <h2>Nierenzellkarzinom</h2> <p>Das Nierenzellkarzinom (RCC) ist der dritthäufigste urologische Tumor des Erwachsenen. Der klarzellige histologische Subtyp ist dabei mit 80 % aller Nierenzellkarzinome der Vorreiter. Bei Erstdiagnose weisen etwa 30 % der Patienten mit Nierenzellkarzinom eine Fernmetastasierung auf. Weitere 20–30 % der Patienten entwickeln nach initial kurativer Therapie Metastasen. <br />Nach wie vor stellt die chirurgische Resektion des Primums die einzige kurative Therapieoption des Nierenzellkarzinoms dar. <br />Noch mehr als beim Urothelkarzinom hat sich die Therapielandschaft des Nierenzellkarzinoms in den vergangenen 13 Jahren erweitert, wobei die Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren ebenfalls den wichtigsten Teil davon ausmacht (Abb. 2). Aktuell werden in einer Vielzahl an vielversprechenden Studien verschiedene Kombinationen aus unterschiedlichen Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) und Immuntherapien getestet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s66_abb2_niedersuess-beke.jpg" alt="" width="2151" height="1033" /></p> <p><strong>Adjuvante Therapie</strong> <br />Nach der Präsentation einer weiteren negativen VEGF-gezielten TKI-Studie (ATLAS), in der Axitinib für ein Jahr bei Patienten mit einem Hochrisiko-RCC getestet wurde, wird eine adjuvante Therapie des Nierenzellkarzinoms weiterhin nur innerhalb von klinischen Studien empfohlen.</p> <p><strong>Erstlinientherapie</strong> <br />Vor Beginn einer Erstlinientherapie beim fortgeschrittenen RCC muss obligat eine Klassifizierung des Patienten anhand seines Risikoprofils (Einteilung nach MSKCC oder IMDC) erfolgen (Tab. 2). <br />Bei Patienten mit einem intermediären oder ungünstigen Risikoprofil ist, nach der rezenten Zulassung durch die EMA (europäische Arzneimittelbehörde), eine kombinierte Immuntherapie unerlässlich. In der Phase-III-Studie CheckMate-214 wurde die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab gegenüber Sunitinib bei bisher unbehandelten Patienten verglichen. Bei intermediärem oder ungünstigem Risikoprofil wurde unabhängig vom PD-L1-Status eine deutliche Überlegenheit im Gesamtüberleben durch Immuntherapie festgestellt. Bezüglich des progressionsfreien Überlebens und der Ansprechrate war bei den PD-L1-negativen Patienten kein Unterschied zu Sunitinib erkennbar, während sich bei PD-L1-Positivität (PD-L1 ≥1 % ) die Immuntherapie klar abhob. Bei günstigem Risikoprofil nach IMDC konnten diese Ergebnisse interessanterweise nicht erreicht werden, wobei sich nach 30 Monaten auch in dieser Subgruppe die Responseraten inklusive der kompletten Remissionen durch die Immuntherapie deutlich erhöhten. Es darf allerdings die Toxizität dieser hochpotenten Therapie mit 22 % Therapieabbrüchen und dem hohen systemischen Kortikosteroidbedarf (35 % ) zur Bekämpfung immunvermittelter Nebenwirkungen nicht vernachlässigt werden. <br />Die potenteste neue Kombination einer Immuntherapie mit einem VEGF-TKI, Pembrolizumab + Axitinib (KEYNOTE- 426-Studie), wurde erst kürzlich präsentiert. Ansprechraten von fast 60 % und eine Verlängerung des medianen progressionsfreien Überlebens (PFS) von 11,1 auf 15,1 Monate konkurrieren mit der Doppel- Immuntherapie-Kombination in der Erstlinientherapie. <br />In einer weiteren Phase-III-Kombinationsstudie (JAVELIN 101) wurde die Immuntherapie/ VEGFR-TKI-Kombination aus Avelumab und Axitinib evaluiert. Hier wurde der primäre Endpunkt, PFS bei PD-L1-positiven Patienten, mit einer Hazard- Ratio von 0,61 hochsignifikant erreicht. Eher enttäuschend war allerdings die Rate an kompletten Remissionen mit nur 4 % . Derzeit laufen zahlreiche weitere Kombinationsstudien zu Checkpoint-Inhibitoren mit VEGF-TKI. <br />Als Beispiel einer Therapiedeeskalation ist die KEYNOTE-427-Studie zu erwähnen, bei der Pembrolizumab als Monotherapie sowohl beim klarzelligen als auch beim nicht klarzelligen Subtyp untersucht wurde. Mit einem deutlich günstigeren Toxizitätsprofil als dem der Kombinationstherapien und bemerkenswerten Responseraten wird dieser Checkpoint-Inhibitor, besonders beim nicht klarzelligen Subtyp, eine wichtige Therapieoption darstellen. <br />Cabozantinib, ein VEGF-, MET- und AXL-TKI, der im Therapiealgorithmus ab der Zweitlinie bereits fest verankert ist, wurde nun auch für die Erstlinie bei intermediärem oder ungünstigem Risikoscore zugelassen. Dies basiert auf den Daten der Phase-II-CABOSUN-Studie, in der unbehandelte Patienten unter Cabozantinib im Vergleich zu Sunitinib ein längeres progressionsfreies Überleben sowie eine erhöhte Tumoransprechrate erreichten. <br />Tivozanib wurde 2017 für die Erstlinientherapie in Europa zugelassen und stellt als hochselektiver VEGF-TKI eine neue Therapieoption in der Erstlinie dar. In der TIVO-1-Studie wurde das PFS im Vergleich zu Sorafenib verlängert, nicht allerdings das Gesamtüberleben. Dies ist dadurch erklärbar, dass 61 % der Patienten im Sorafenib- Therapiearm als Zweitlinie Tivozanib erhielten, aber nur 26 % der Patienten im Tivozanib-Arm überhaupt mit einer weiteren Substanz therapiert wurden. <br />Zusammenfassend sind bei günstigem IMDC-Risikoscore Sunitinib, Pazopanib oder neu Tivozanib in der Erstlinienbehandlung möglich. Bei intermediärem oder ungünstigem IMDC-Risikoscore ist die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab als neuer Therapiestandard anzusehen. Es ist zu hoffen, dass eine weitere Verbesserung der Patientenselektion in Zukunft durch Biomarker ermöglicht wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s67_tab2_niedersuess-beke.jpg" alt="" width="1419" height="850" /></p> <p><strong>Weiterführende Therapie</strong> <br />Nach der Erstlinientherapie hängt die Substanzwahl beim RCC von vielen Faktoren ab, zu denen die vorangegangene Therapie, deren Verträglichkeit, die Zeit bis zur Progression bzw. die Aggressivität der Erkrankung und die Wahl zwischen intravenöser oder oraler Applikationsform zählen. Prinzipiell heben sich aufgrund der Datenlage zwei aus der Vielzahl an verfügbaren Substanzen ab, nämlich Nivolumab und Cabozantinib. Beide Substanzen konnten in Phase-III-Studien nach vorangegangener Anti-VEGF-Therapie einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber Everolimus beweisen. Während die Tumoransprechrate für beide Substanzen in den jeweiligen Studien ähnlich waren, zeigte sich für Nivolumab keine Verlängerung des PFS im Vergleich zu Everolimus, für Cabozantinib hingegen schon. Aus diesem Grund ist bei einer aggressiven, rasch voranschreitenden Erkrankung Cabozantinib zu bevorzugen. In den Subgruppenanalysen konnte Nivolumab besonders gute Gesamtüberlebensergebnisse in der Gruppe mit ungünstigem Risikoscore nach MSKCC erzielen; für Cabozantinib zeigte sich eine sehr gute Effektivität bei Knochenmetastasen. Ein wichtiger Punkt aus Patientensicht ist auch die Verträglichkeit der vorangegangenen TKI-Therapie. Bei darunter aufgetretenen schweren Nebenwirkungen oder deutlicher Beeinträchtigung der Lebensqualität bietet sich Nivolumab als zumeist sehr gut tolerierte Therapieoption an.<br /> Eine weitere Therapieoption in späteren Therapielinien ist die Kombination von Lenvatinib und Everolimus, mit der in einer Phase-II-Studie mit 153 vorbehandelten Patienten eine eindrucksvolle Ansprechrate sowie eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens gegenüber Everolimus erreicht wurde.<br /> Empfehlungen zur Therapiesequenz gibt es aktuell allerdings nur anhand von retrospektiven Analysen.</p></p>
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<p>bei der Verfasserin</p>
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