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Seltene Erkrankungen in der Rheumatologie
Jatros
Autor:
OA Dr. Lothar Boso
Bereichsleiter Rheumatologie, Abteilung für Innere Medizin, LKH Bludenz<br> E-Mail: doc.boso@vol.at
30
Min. Lesezeit
15.09.2016
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<p class="article-intro">Menschen mit einer seltenen rheumatologischen Erkrankung haben häufig einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zu einer gesicherten Diagnose gelangen, da die meist zahlreichen und unspezifischen Symptome nur schwer zuzuordnen sind. Das Erscheinungsbild der seltenen Erkrankungen in der Rheumatologie ist oft vielfältig. Die Diagnostik ist meist komplex und die Therapie muss auf den Einzelfall abgestimmt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Eine gezielte und umfangreiche Anamnese stellt gerade bei ausgefallenen Symptomkonstellationen das wesentliche Basisinstrument dar, um die Diagnose einer seltenen rheumatologischen Erkrankung zu stellen.</li> <li>Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachdisziplinen ist für die Diagnostik und das therapeutische Management meist essenziell.</li> <li>An die Möglichkeit zu denken, dass eine seltene Erkrankung aus dem rheumatologischen Formenkreis vorliegen könnte, ist der erste Schritt zur Diagnose, getreu dem Motto: „Man sieht nur, was man weiß.“ (Zitat: J. W. von Goethe)</li> </ul> </div> <p>Für das Management der seltenen rheumatologischen Erkrankungen sind neben medizinischer Erfahrung auch eine optimale Struktur und ein eng geknüpftes interdisziplinäres Netz essenziell. Die Europäische Union definiert als seltene Erkrankung ein Krankheitsbild, das eine Prävalenz von 5/10.000 Einwohner nicht überschreitet. In der Rheumatologie gibt es Hunderte verschiedene Erkrankungen. Neben den bekannten Diagnosen einer chronischen Polyarthritis oder Psoriasisarthritis gibt es noch eine Vielzahl an sehr seltenen und kaum bekannten chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Während in der hausärztlichen Praxis die allermeisten seltenen Erkrankungen nur sporadisch vorkommen, stellt sich das in der täglichen rheumatologischen Praxis häufig ganz anders dar. Die seltenen rheumatologischen Erkrankungen umfassen ein weites Feld an angeborenen und erworbenen Erkrankungen. Die folgende Darstellung kann daher nur ein kurzer Überblick und eine punktuelle Auswahl einzelner Krankheitsbilder sein.</p> <h2>Seltene rheumatologische Krankheitsbilder</h2> <p>Doch, wie kann man nun eine seltene rheumatologische Erkrankung erkennen? Das Wichtigste ist, zunächst einmal an die Möglichkeit zu denken, dass eine solche Erkrankung vorliegt. Am einfachsten gelingt dies natürlich, wenn man solche Erkrankungen schon einmal gesehen hat. Einige dieser Erkrankungen haben sehr eindrucksvolle klinische Bilder, die sich in das Gedächtnis einprägen und somit einen hohen Wiedererkennungseffekt aufweisen. Als Beispiele wären hier die rezidivierende Polychondritis oder das SAPHO-Syndrom zu nennen.<br /> <br /> <strong>Polychondritis</strong><br /> Bei der rezidivierenden Polychondritis handelt es sich um eine entzündlich-rheumatische Erkrankung mit Befall von Knorpel und Bindegewebe und – je nach Lokalisation – unterschiedlicher Organmanifestation. Eine pathognomonische Manifestation ist eine Chondritis an Ohr und Nasenknorpel. Der Verlauf ist meist chronisch rezidivierend und kann bei therapierefraktären Verläufen eine Destruktion der befallenen Areale zur Folge haben. Des Weiteren können auch innere Organe wie Nieren, Augen, Lunge oder auch die Gelenke betroffen sein. Die Ätiologie der Erkrankung ist unbekannt, eine autoimmune Genese erscheint aber wahrscheinlich, insbesondere aufgrund der gehäuften Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen. Die Therapie besteht aus Steroiden und je nach Ausmaß und Schweregrad der Erkrankung aus verschiedenen Immunsuppressiva. In letzter Zeit wird aber immer wieder über den erfolgreichen Einsatz verschiedener Biologika berichtet.<br /> <br /><strong> SAPHO-Syndrom</strong><br /> Das SAPHO-Syndrom ist ebenfalls ein seltenes Krankheitsbild aus dem Bereich der chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. SAPHO steht für Synovitis, Akne (häufig schwere Conglobata-Form), Pustulosis (der Hände und/oder Füße), Hyperostose (Sternoklavikulargelenk) und Osteitis (Spondylarthropathie, multifokale Osteomyelitis). Die Symptome können bei verschiedenen Patienten aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Gerade deshalb ist die Diagnosestellung dieser meist sehr belastenden Erkrankung sehr schwierig. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im diagnostischen und therapeutischen Management zwischen Rheumatologen, Dermatologen und Orthopäden würde vermutlich nicht nur eine frühere Diagnosestellung ermöglichen, sondern auch die Prognose deutlich verbessern. Therapeutisch werden neben NSAR, Steroiden und Antibiotika auch Immunsuppressiva, Bisphosphonate und Biologika aus der Gruppe der TNF-α-Blocker eingesetzt.<br /> <br /><strong> Takayasu-Arteriitis</strong><br /> Eine weitere wichtig zu erwähnende Erkrankung ist die Takayasu-Arteriitis. Sie zählt zu den granulomatösen Vaskulitiden der großen Gefäße und betrifft vorwiegend junge Frauen bis zum Alter von ca. 40 Jahren. Leitsymptom ist neben Allgemeinerscheinungen wie Fieber, Müdigkeit, Arthralgien und Myalgien vor allem eine Claudicatiosymptomatik im Bereich der oberen Extremitäten. Typische Befunde sind verminderte Pulsstärke (bis zur Pulslosigkeit an den Arterien der oberen Extremitäten), RR-Differenz, gelegentlich eine Mitbeteiligung der Koronargefäße (Angina pectoris, Myokardinfarkt) oder Hals- und Gehirngefäße (Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Synkopen). Verschiedene bildgebende Verfahren (MR-Angiografie, Gefäßultraschall, PET-CT) können die Diagnose einer Takayasu-Arteriitis bestätigen. Laborchemisch sind keine typischen Autoantikörper detektierbar. Charakteristischerweise zeigen sich eine Leukozytose, Anämie, Thrombozytose und eine deutliche Beschleunigung der BSG. Therapeutisch werden Steroide und Immunsuppressiva (meist Methotrexat) eingesetzt.</p> <h2>Verschiedene Leitsymptome</h2> <p>Um seltene Erkrankungen systematisch zu detektieren, ist eine besonders umfangreiche und gezielte Anamnese notwendig. Seltene Erkrankungen in der Rheumatologie präsentieren sich nicht durch entzündliche Gelenksschmerzen oder die typische Morgensteifigkeit. Hier müssen Symptome wie z.B. Epistaxis, Raynaud-Syndrom, Fieberschübe, Hautveränderungen und vieles mehr erfragt werden. Beispielsweise muss bei Vorliegen eines Raynaud-Syndroms, einer Sklerodaktylie und Schluckstörungen an die Möglichkeit einer systemischen Sklerose gedacht werden. Bei Erythema nodosa, Dyspnoe, Fieber und Arthritis ist bei der Differenzialdiagnose an die akute Sarkoidose zu denken. Weiters können Durchfall, abdominelle Beschwerden, Fieber und episodischer Charakter der Arthritiden Hinweise auf die seltene Erkrankung eines Morbus Whipple sein. Rhinitis, Epistaxis, Otitis, Sinusitis kombiniert mit Purpura, Fieber, Myalgien und Arthritiden können Symptome einer Kleingefäßvaskulitis sein. Beim Auftreten von oralen und genitalen Aphten, Pyodermien, Keratitis, Konjunktivitis, Uveitis sowie Thrombophlebitiden sollte das mögliche Vorliegen eines Morbus Behçet nicht übersehen werden.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die meisten Patienten werden aufgrund von Gelenks- und Muskelschmerzen zum Rheumatologen geschickt. Wie die verschiedenen Beispiele aber deutlich zeigen, ist die teilweise detektivische Anamnese oft entscheidend für die rasche Diagnose einer seltenen rheumatologischen Erkrankung. Häufig ist auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachdisziplinen notwendig, um eine exakte Diagnose zu stellen.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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