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Onkologische Systemtherapie beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Urs Huber
Onkozentrum STI<br> Seestrasse 259<br> CH-8038 Zürich<br> E-Mail: huber@1st.ch
30
Min. Lesezeit
28.02.2019
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<p class="article-intro">Für das fortgeschrittene Prostatakarzinom gibt es verschiedene Therapieansätze, die im folgenden Beitrag skizziert werden. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf Chemotherapie, aber auch auf Hormontherapie und neuere zielgerichtete Ansätze sowie Immuntherapie gelegt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Seit der Präsentation der Docetaxel- Studie TAX327 im Jahre 2004 zeichnet sich beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom eine äusserst positive Entwicklung im Sinne der breiteren Vernetzung von Urologie mit anderen medizinischen Fachrichtungen wie Onkologie, Radioonkologie, Nuklearmedizin, Pathologie u.a.m. ab. Dadurch beschleunigte sich die integrative Studientätigkeit mit dem Erfolg deutlich besserer Therapieergebnisse bei der in der westlichen Welt häufigsten Krebserkrankung des Mannes. Neben klassischer Chemotherapie etablieren sich additive Hormontherapien, Behandlungen mit nuklearmedizinischen Medikamenten, dann auch mit effizienter Osteoprotektion, Immuntherapien werden weiterentwickelt und zusehends werden Behandlungen seltener histologischer Prostatakarzinomentitäten eingeführt. Das kreative Modell der englisch-schweizerischen Studiengruppe mit dem Akronym STAMPEDE ist beispielhaft für die Erarbeitung von wesentlichen Forschungsergebnissen auf diesem auch gesundheitspolitisch wichtigen Terrain (Abb. 1).<br /> Die Bedeutung der Chemotherapie war bis zur Einführung der Docetaxel-Behandlung vernachlässigbar. Docetaxel, gegeben bei Kastrationsresistenz und unter Fortsetzung der ADT («androgen deprivation therapy»), appliziert zusammen mit Prednison, 3-wöchentlich, ist die erste Substanz mit nachweislich signifikanter Verlängerung (gegenüber der Standardtherapie zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie, Mitoxantron) des Gesamtüberlebens (+ 3 Monate), PSA-Response und Schmerzlinderung, bei Erhalt von Lebensqualität und unter Inkaufnahme von gut behandelbaren Nebenreaktionen. Bei Hochrisikopatienten mit Gleason-Score 7–10 war der Benefit am stärksten ausgeprägt, z.B. mit PSA-Senkung ≥50 % bei 62 % vs. 42 % in der Mitoxantron-Gruppe.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1901_Weblinks_lo_onko_1901_s54_abb1.jpg" alt="" width="800" height="405" /></p> <h2>Frühzeitiger Docetaxel-Einsatz lohnt sich</h2> <p>Am ASCO-Kongress 2014 wurden die CHAARTED-Ergebnisse in der Plenary Session präsentiert, ein Jahr später wurde gleichenorts die STAMPEDE-Studie vorgestellt. Beide Trials prüften Docetaxel bei Hochrisikopatienten mit metastasiertem, jedoch Hormontherapie-sensiblem Karzinom. Der Einsatz von Docetaxel sollte innerhalb von 4 Monaten nach ADT-Start beginnen. Die mediane Gesamtüberlebenszeit (OS) in der ADT-Gruppe betrug 44 Monate, in der ADT+Docetaxel-Gruppe 57,6 Monate (CHAARTED). Bei Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung war das OS gar um 22 Monate verlängert (STAMPEDE), der Krankheitsverlauf wurde hinausgezögert, wobei eine gute Lebensqualität erhalten blieb. Derart günstige Langzeitergebnisse im Falle von metastasierter Erkrankung werden in anderen Tumorentitäten kaum erreicht.<br /> Die Phase-III-Studie TROPIC<sup>2</sup> wurde 2010 publiziert: Beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) nach Versagen einer Erstlinien- Docetaxel-Therapie wurde Cabazitaxel + PRD mit Mitoxantron + PRD verglichen. Cabazitaxel ist ein semisynthetisches Taxan, im Gegensatz zu Docetaxel hirngängig und dem Mechanismus der «multiple drug resistance» nicht unterworfen. Cabazitaxel erbrachte einen signifikanten OSBenefit und gilt seither als Standard-Second- Line-Chemotherapie. Interessant ist, dass anhand eines höheren Neutropeniegrades die bessere Effizienz von Cabazitaxel abgeschätzt werden kann, und zudem, dass die Dosierung von 20mg/m<sup>2</sup> KOF «non-inferior» gegenüber der Standarddosis von 25mg ist.<sup>3</sup></p> <h2>Hormontherapie</h2> <p>Grundsätzlich wird die primäre Hormontherapie, die «androgen deprivation therapy» (ADT), auch bei Hormontherapierefraktärität/ Kastrationsresistenz fortgesetzt, «definitiv» nach Orchiektomie, heute zumeist medikamentös mittels LHRH-Agonisten resp. -Antagonisten. Als maximale ADT wird die Kombination der primären Hormontherapie mit Antiandrogenen bezeichnet, die Ergebnisse sind inhomogen, eine Metaanalyse zeigt einen leichten, nicht signifikanten Vorteil der Kombination bei höherer Nebenwirkungsrate.<br /> Eine wesentliche Nebenwirkung von Ketoconazol, eingesetzt als Fungizid, ist die unspezifische Blockierung der Androgensynthese. Diesen Effekt nutzte man bereits in den 1990er-Jahren zur Behandlung des Prostatakarzinoms – mit beachtlichem Erfolg. Die Pharmaforschung konnte diese Inhibition mit der Entwicklung von Abirateron präzisieren im Sinne der CYP17-Blockade: komplette Biosyntheseblockade von Testosteron. Abirateron, zusammen mit Prednison, wurde vorerst klinisch bei mCRPC nach Versagen einer Docetaxel-Therapie untersucht und die Resultate wurden in der Phase- III-Zulassungsstudie COU-AA-301 publiziert (1195 Patienten, randomisiert 2:1 Abirateron:Placebo):<sup>4</sup> Das OS in dieser Studie betrug 14,8 Monate gegenüber 10,9 Monaten mit Placebo. Diese guten Resultate wurden bestätigt in der Folgestudie COU-AA-302 im Einsatz ohne Kastrationsresistenz.<br /> Die LATITUDE- (alle Patienten mit Fernmetastasierung) und die STAMPEDEStudie (Patienten im fortgeschrittenen und/oder metastasierten Stadium) dokumentieren die hohe Effizienz von Abirateron. Die Zeit bis zur Tumorprogression verlängerte sich in STAMPEDE von 30 auf 43,9, in LATIDUDE von 14,8 auf 33 Monate. Diese Daten erwirkten rasch die Kassenzulässigkeit von Abirateron beim fortgeschrittenen, hormontherapiesensiblen Prostatakarzinom. Vorderhand muss Abirateron mit Prednison gegeben werden, da die Bildung von Kortisol gesenkt, die von ACTH erhöht wird. Weitere Nebenwirkungen sind daher u.a. Hypokaliämie, arterielle Hypertonie und Ödeme.<br /> Die Weiterentwicklung von Bicalutamid als Androgenrezeptorinhibitor (indiziert als Erstmonatsbehandlung bei Start der ATD zur Vermeidung des Flair-up, auch zwecks maximaler Androgenblockade eingesetzt) resultierte in Enzalutamid, welches im Vergleich zu Biclutamid nicht nur den Testosteronrezeptor blockiert, sondern auch die Translokation des Androgenrezeptorkomplexes am Zellkern und die Bindung an die Androgen-Transkriptions- DNA hemmt.<br /> Die AFFIRM-Studie<sup>5</sup> mit 1199 Patienten evaluierte das Outcome von mCRPC-Patienten nach Docetaxel-Therapie mit Enzalutamid versus Placebo (vgl. PREVAIL als Zulassungsstudie). Die noch laufende PROSPER-Studie6 mit 1401 ausgewerteten Teilnehmern untersucht ebenfalls das Outcome, jedoch bei Patienten ohne Metastasierung. Beide Arbeiten ergaben in den primären Endpunkten einen signifikanten OS-Vorteil, 18,4 vs. 13,6 Monate in metastasierter Erkrankung (AFFIRM), resp. 36,6 vs. 14,7 Monate bis zur Metastasierung. Auch in den sekundären Endpunkten (z.B. PSA-Progress, Zeit bis zur nächsten onkologischen Behandlung, Lebensqualität) war Enzalutamid überlegen.<br /> Dem additiven Hormontherapeutikum Abirateron und Docetaxel als Chemotherapie ist gemeinsam, dass ein Indikationsshift vom kastrationsresistenten, metastasierten Stadium in ein früheres Erkrankungsstadium (hormonsensitiv) gelang. Enzalutamid und Abirateron waren anfänglich nach Docetaxel-Therapieversagen zugelassen und sind nun in der Schweiz aufgrund der Studienlage vor dem Chemotherapieeinsatz (bei mCRPC) als kostenpflichtig angezeigt.<br /> Auch bleibt die Frage offen, ob bei hormonsensiblen Tumorstadien mit hoher Tumorlast zusätzlich zur ADT Abirateron (Dauerbehandlung) oder 4–6 Monate Chemotherapie mit Docetaxel verabreicht werden sollte. Die Sequenz ist auch abhängig vom Wunsch des Patienten und den Komorbiditäten.</p> <h2>Knochenmetastasen</h2> <p>Lymphogene (M1a) und ossäre, osteosklerotische Metastasen (M1b) sind der weitaus häufigste Streuungsweg. Bezüglich der Knochenbeteiligung hat sich die Therapie mit Bisphosphonaten (Zolendronatsäure) oder mit dem RANKL-Antagonisten Denosumab längst etabliert. Beide Präparate wurden ursprünglich zur Behandlung von Osteoporose eingesetzt. In ihrer (hohen) Effizienz bezüglich «sceletal- related events» sind sie äquipotent, unterscheiden sich im Nebenwirkungsprofil bezüglich Kieferknochenmyelonekrose kaum, jedoch sind Bisphosphonate nephrotoxisch und Denosumab kann circa 8–16 Monate nach Therapiestopp das Phänomen des Rebounds nach sich ziehen (Häufung von Wirbelkörperfrakturen).</p> <p><strong>Radium-223</strong><br /> Radium-223 ist ein Alpha-Strahlen emittierendes Atom mit sehr kurzer Reichweite. Als Kalziummimetikum wird Radium am Ort höheren Knochenumsatzes eingebaut, ist folglich ein ideales Therapeutikum bei Knochenmetastasen, zugelassen bei schmerzsymptomatischen mCRPC-Patienten. Die Phase-III-Zulassungsstudie ALSYMPCA<sup>7</sup> ergab nicht nur eine signifikant bessere Schmerzminderung, sondern auch ein verlängertes OS (14,9 vs. 11,3 Monate im Placeboarm).<br /> Von einem Radium-223-Früheinsatz, zusammen mit Abirateron (Chemotherapie- naiv, M1b) muss abgeraten werden, speziell dann, wenn nicht gleichzeitig eine suffiziente osteoprotektive Behandlung appliziert wird (ESMO 2018).<sup>8</sup></p> <h2>Therapierefraktärität</h2> <p>Das Thema des seltenen und therapierefraktären Prostatakarzinoms stellt eine grosse Herausforderung dar. Einerseits betrifft dies neuroendokrine Histologien, als «small» resp. «large cell prostate cancer » definiert. Nebst klassischer Behandlung mittels ADT werden hier Platinchemotherapien eingesetzt. Bei glandulären Prostatakarzinomen (duktal, muzinös, Siegelring-Zell-differenziert) handelt es sich zumeist um sehr aggressive Entitäten, auch die transitional (urothelial) differenzierten Prostatakarzinome sowie Prostatasarkome gelten als rasch wachsende bzw. schwierig angehbare Malignome.<br /> PARP-Inhibitoren sind Medikamente, welche pathologische DNA-Reparatur- Mechanismen in den Tumorzellen korrigieren können. Zugrunde liegende Pathologien treten gehäuft in Prostatakarzinomen mit typischer genetischer Prädisposition auf, wie bei mutiertem <em>BRCA1+2</em>, <em>PALB2</em> oder <em>ATM</em>. Der PARP-Inhibitor Olaparib wurde u.a. von der FDA als «breakthrough» betitelt und erhielt dadurch 2016 beschleunigt die Zulassung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1901_Weblinks_lo_onko_1901_s55_abb2.jpg" alt="" width="500" height="328" /></p> <h2>Ausblick</h2> <p>Mit Ausnahme des ausserhalb der USA nicht eingesetzten Sipuleucel-T hat die moderne Immuntherapie beim Prostatakarzinom (noch) nicht Einzug halten können. Zudem sind die Erfolge von Sipuleucel- T gegenüber den erwähnten additiven Hormon- oder Chemotherapien nicht überzeugend, die Herstellung der Substanz ist aufwendig und teuer. Es sind jedoch beachtliche Therapieerfolge z.B. mit Pembrolizumab gezeigt worden, insbesondere bei hoher Expression des «Programmed death»-Liganden (PD-L1) im Tumorgewebe<sup>9</sup> oder bei der DNA-Reparatur- Störung, der Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H).<br /> Ein vielversprechender neuer Therapieansatz fusst auf der Expression des prostataspezifischen Membranantigens (PSMA) auf den Tumorzellen. PSMA dient als sensibler Marker bei der Bildgebung mittels PET-CT, hauptsächlich ist nuklearmedizinisch angereichertes Lutetium oder Actinium, an PSMA gekoppelt, beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom eine hocheffiziente neue Therapieoption geworden. Deutsche Studienzentren sind hierin sehr aktiv.<br /> Auf dem Weg zur zielgerichteten Behandlung verfolgt man etliche Ansätze: Varianten des Androgenrezeptors könnten prädiktiv sein bezüglich des Ansprechens auf additive Hormontherapie (Beispiel: «splicing» Variante AR-V7). Überexpression des «cancer-driving» MYC-Gens oder Funktionsverlust des Tumorsuppressor- Gens PTEN sind ebenso im Visier neuester Forschung wie die gezielte Blockade des P-elF2a (Prädiktor für aggressive Erkrankung), z.B. mittels ISRIB (storniert die P-elF2a-Aktivität).</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Tannock IF et al.: Docetaxel plus prednisone or mitoxantrone plus prednisone for advanced prostate cancer. N Engl J Med 2004; 351: 1502-1512 <strong>2</strong> de Bono JS et al.: Prednisone plus cabazitaxel or mitoxantrone for metastatic castration-resitant prostate cancer progressing after docetaxel treatment. Lancet 2010; 376: 1147-1154 <strong>3</strong> Eisenberger M et al.: Phase III study comparing a reduced dose of cabazitaxel (20mg/m<sup>2</sup>) and the currently approved dose (25mg/m<sup>2</sup>) in postdocetaxel patients with mCRPC, PROSELICA. J Clin Oncol 2017; 35: 3198-3206 <strong>4</strong> de Bono JS et al.: Abiraterone and increased survival in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2011; 364: 1995-2005 <strong>5</strong> Scher HI et al.: Increased survival with enzalutamide in prostate cancer after chemotherapy. N Engl J Med 2012; 3667: 1187-1197 <strong>6</strong> Hussain M et al.: Enzalutamide in men with nonmetastatic castration-resistant prostate cancer. N Engl J Med 2018; 378: 2465-2474 <strong>7</strong> Parker C et al.: Alpha emitter radium-223 and survival in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2013; 369: 213-223 <strong>8</strong> Smith MR et al.: A phase III trial of radium-223 in combination with abiraterone and prednisone for the treatment of asymtomatic or mildly symptomatic chemotherapy naïve pts with bone predominant mCRPC. ESMO 2018; Abstract LBA30 <strong>9</strong> de Bono JS: A trial looking at pembrolizumab for men with prostate cancer (KEYNOTE-199) ; ongoing, phase II, recuitment ends 31/12/2018</p>
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