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Neoadjuvante Chemotherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Alexander Reinthaller
Gynecologic Cancer Unit, CCC Vienna<br> Universitätsklinik für Frauenheilkunde<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: alexander.reinthaller@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
27.12.2018
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<p class="article-intro">Wenige Themen in der Behandlung des epithelialen Ovarialkarzinoms polarisieren so wie der Einsatz einer neoadjuvanten Chemotherapie (NACT) bei fortgeschrittenen Tumorstadien. Befürworter argumentieren mit deutlich reduzierter perioperativer Morbidität und Mortalität bei gleichen onkologischen Ergebnissen, während Gegner auf die insgesamt schlechten Ergebnisse nach NACT im Hinblick auf progressionsfreies (PFS) und Gesamtüberleben (OS) hinweisen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die NACT sollte nur bei Patientinnen mit nicht ausreichend resektablem, fortgeschrittenem Ovarialkarzinom (OC) angewendet werden.</li> <li>Patientinnen, bei denen eine R0-Resektion oder ein Tumorrest von <10mm erzielbar ist, sollten wenn möglich primär operiert werden.</li> <li>Für eine adäquate Patientenselektion ist eine chirurgische Evaluation der Operabilität obligat.</li> <li>Der Stellenwert einer HIPEC nach NACT bei primär inoperablen Patientinnen ist nach wie vor unklar.</li> <li>Die Primäroperation mit optimaler Tumorreduktion und anschließender Chemotherapie ist die Standardtherapie des fortgeschrittenen OC.</li> </ul> </div> <h2>Studienlandschaft</h2> <p>Betrachtet man die Studienlandschaft, so finden sich zwei prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien (EORTCund CHORUS-Trial), die den Einsatz einer NACT gefolgt von einem Intervention-Debulking (IDS) gegenüber einer primären, zytoreduktiven Operation (PDS) untersuchen.<sup>1, 2</sup> Beide Studien zeigen im Hinblick auf PFS und OS keinen Unterschied bei signifikant niedriger Morbidität und Mortalität im NACT-Arm (Tab. 1). Allerdings werden beiden Studien im Vergleich zu anderen randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom die niedrigen optimalen Resektionsraten (mangelnde chirurgische Qualität, niedrige Rate an eingeschlossenen Patientinnen pro Zentrum, zu hohe Komplikationsraten im PDS-Arm, Selektionsbias) und die damit auch insgesamt schlechten onkologischen Ergebnisse (sehr kurzes PFS und OS in beiden Armen) vorgeworfen (Tab. 1). Zwischenzeitlich haben zwei weitere RCTs zum selben Thema (Japan Clinical Oncology Group Study JCOG 0602 und der SCORPION-Trial) den Patientinneneinschluss beendet. Beide Studien zeigen signifikant niedrigere perioperative Komplikationen im NACT-Arm. Die Überlebensdaten sind noch ausständig (Tab. 1).<sup>3, 4</sup><br /> Die derzeit zur Verfügung stehenden Daten aus den RCTs widersprechen doch erheblich retrospektiv erhobenen Daten aus chirurgisch orientierten Zentren. So zeigten z.B. Rosen et al. einen 7-Jahres- OS-Vorteil für Patientinnen mit PDS von 41 % vs. 8,6 % und nach erfolgreicher R0- Resektion von 73,6 % (PDS) vs. 21 % (NACT).<sup>5</sup><br /> In der Folge hat die 5th Ovarian Consensus Conference of the Gynecologic Cancer InterGroup festgestellt, dass die primäre chirurgische Therapie in der Erstlinie der Behandlung des epithelialen Ovarialkarzinoms nach wie vor von zentraler Bedeutung ist.<br /> Mit der Publikation des ersten RCT zur Anwendung einer HIPEC nach NACT ist die Studienlandschaft um eine weitere Facette reicher geworden. In dieser Studie wurden Patientinnen mit epithelialem Ovarialkarzinom FIGO III nach NACT und optimaler Zytoreduktion mit oder ohne HIPEC behandelt. PFS und OS waren in der HIPEC-Gruppe signifikant länger. Bedenkt man allerdings, dass hier nur Patientinnen mit optimaler Zytoreduktion eingeschlossen wurden (bei knapp 70 % gelang eine R0-Resektion, bei den übrigen Patientinnen war der Tumorrest <5mm), dann sind die Überlebensdaten insgesamt bescheiden. Hinzu kommt, dass in beiden Gruppen 90 % der Patientinnen keine vorangegangene Operation und damit auch keine chirurgische Evaluation hinsichtlich Resektabilität hatten. Es handelt sich also um ein eher unselektioniertes Patientenkollektiv, in dem auch potenziell primär R0-resektable Patientinnen eingeschlossen sind.<sup>6</sup><br /> Ein weiterer RCT wird in Zukunft versuchen mehr Klarheit in die Kontroverse PDS vs. NACT zu bringen. Der TRUSTTrial (NCT02828618) randomisiert konsekutiv alle Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom entweder in die PDS- oder in die NACT-Gruppe. Da die teilnehmenden Zentren sich hinsichtlich ihrer chirurgischen Qualität und Fallzahl vorab einem Audit unterziehen müssen, hat diese Studie das Potenzial, die Rolle einer qualitativ hochstehenden Chirurgie bei PDS vs. NACT im Gesamtkollektiv zu beurteilen. Dazu werden in diese Studie allerdings auch potenziell primär R0-resektable Patientinnen eingeschlossen, die dann je nach Randomisierung auch eine NACT erhalten könnten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1807_Weblinks_jatros_onko_1807_s25_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="711" /></p> <h2>Patientenselektion</h2> <p>Bis konklusivere Daten vorliegen, scheint die Patientenselektion für eine NACT wesentlich, um bei unreflektierter Anwendung einen eventuellen Nachteil für die Patientinnen zu vermeiden. Prinzipiell kann man vier Patientengruppen anhand des wahrscheinlichen operativen Ergebnisses bei Primäroperation unterscheiden:</p> <p><strong>1. Patientinnen, bei denen bei Primäroperation eine makroskopische Tumorfreiheit zu erzielen ist (R0-Resektion)</strong><br /> Diese Patientinnen profitieren am meisten von einer PDS. Die Gruppe umfasst, wenn sie in gynäkoonkologischen Zentren behandelt wird, 50–60 % der Patientinnen und ist somit die größte Subpopulation in der gesamten an einem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom erkrankten Kohorte. Das mediane PFS beträgt 24–26 Monate.</p> <p><strong>2. Patientinnen, bei denen bei Primäroperation ein Tumorrest von 1–10mm verbleibt</strong><br />Etwa 20–22 % der betroffenen Frauen fallen in diese Gruppe. Das mediane PFS beträgt 18–19 Monate. Trotzdem scheinen auch diese Patientinnen von einer primären Chirurgie zu profitieren. Vergleicht man die Ergebnisse nach NACT, haben diese Patientinnen durch PDS einen PFSVorteil von 6 Monaten. Allerdings müssen Vergleiche zwischen unterschiedlichen Studien mit Vorsicht gesehen werden. Wichtig ist, dass diese Patientinnen häufig eine hohe Tumorlast tragen, einer extensiven Chirurgie bedürfen und damit hohe Anforderungen an das behandelnde Zentrum stellen. Vor allem mögliche komplikationsbedingte Verzögerungen einer adjuvanten Therapie können die Prognose negativ beeinflussen.<sup>7</sup></p> <p><strong>3. Patientinnen, bei denen bei Primäroperation ein Tumorrest von >10mm verbleibt</strong><br />in diese Gruppe. Idealerweise sollte diese Gruppe so klein wie möglich gehalten werden. Das mediane PFS beträgt ca. 10– 13 Monate. Diese Patientinnen profitieren nicht von einer primären Chirurgie, es sei denn aus palliativen oder symptomatischen Gründen (z.B. bestehender Subileus/ Ileus). D.h., diese Patientinnen sollten mit einer NACT behandelt werden und bei Ansprechen eine IDS erhalten.</p> <p><strong>4. Patientinnen, bei denen aus anderen Gründen eine Primäroperation nicht möglich ist</strong><br />Ca. 5–10 % der betroffenen Frauen können aufgrund von Komorbiditäten, ausgedehnterer, parenchymatöser Metastasierung und/oder fortgeschrittenem biologischem Alter einer PDS nicht unterzogen werden. Auch diese Patientinnen sind Kandidatinnen für eine NACT und evtl., wenn möglich, eine IDS.</p> <h2>Zusammenfassung und Schlussfolgerungen</h2> <p>Nach wie vor ist die Zuteilung in die oben angeführten Gruppen aufgrund von klinischen Parametern, Bildgebung und CA125-Werten schwierig und unsicher. Die Entwicklung von Scores und Indices soll diesen Prozess erleichtern, nachvollziehbar machen und objektivieren. Die chirurgische Evaluierung – sei es endoskopisch oder offen – ist aber für eine entsprechende Patientenselektion unumgänglich.<br /> Bei Durchführung einer NACT sollten nicht mehr als 3 bis max. 4 Chemotherapiezyklen vor einer IDS durchgeführt werden, da ansonsten bereits mit einer Resistenzentwicklung zu rechnen ist.<br /> Für eine NACT sind auch der histologische Tumortyp und evtl. Genmutationen zu berücksichtigen. „High grade“ seröse und „high grade“ endometrioide Karzinome sprechen auf eine Chemotherapie in der Regel gut an, während dies von „low grade“ serösen, muzinösen und klarzelligen Tumoren nicht zu erwarten ist. Bei Letzteren ist daher die primär chirurgische Therapie als Therapie der Wahl anzusehen. <em>BRCA</em>-mutierte Tumoren (Keimbahn und somatisch) sind in der Regel sehr platinsensitiv und eignen sich daher unter Umständen besser für eine NACT.<br /> Abschließend ist festzuhalten, dass die PDS mit R0-Resektion die mit Abstand besten onkologischen Ergebnisse bringt und daher als Backbone der chirurgischen Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms anzusehen ist.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Vergote I et al.: Neoadjuvant chemotherapy or primary surgery in stage IIIC or IV ovarian cancer. N Engl J Med 2010; 363: 943-53 <strong>2</strong> Kehoe S et al.: Primary chemotherapy versus primary surgery for newly diagnosed advanced ovarian cancer (CHORUS): an open-label, randomised, controlled, non-inferiority trial. Lancet 2015; 386: 249-57 <strong>3</strong> Onda T et al.: Comparison of treatment invasiveness between upfront debulking surgery versus interval debulking surgery following neoadjuvant chemotherapy for stage III/IV ovarian, tubal, and peritoneal cancers in a phase III randomised trial: Japan Clinical Oncology Group study JCOG0602. Eur J Cancer 2016; 64: 22-31 <strong>4</strong> Fagotti A et al.: Phase III randomised clinical trial comparing primary surgery versus neoadjuvant chemotherapy in advanced epithelial ovarian cancer with high tumour load (SCORPION trial): final analysis ofperi-operative outcome. Eur J Cancer 2016; 59: 22-33 <strong>5</strong> Rosen B et al.: The impacts of neoadjuvant chemotherapy and of debulking surgery on survival from advanced ovarian cancer. Gynecol Oncol 2014; 134: 462-7 <strong>6</strong> Van Driel W et al.: Hyperthermic intraperitoneal chemotherapy in ovarian cancer. N Engl J Med 2018; 378(3): 230-40 <strong>7</strong> Sioulas VD et al.: Optimal primary management of bulky stage IIIC ovarian, fallopian tube and peritoneal carcinoma: are the only options complete gross resection at primary debulking surgery or neoadjuvant chemotherapy? Gynecol Oncol 2017; 145: 15-20</p>
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</p>