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Geriatrie

Mangelernährung und Sturzrisiko erkennen und damit Komplikationen vermeiden

<p class="article-intro">Mangelernährung und Stürze gehen bei alten Menschen mit diversen Komplikationen einher. Wie wichtig es ist, Mangelernährung und Sturzrisiko bei älteren Menschen zu erkennen und wie man das macht, erklärte Dr. med. Natascha Katja Deloséa, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin FMH, spez. Geriatrie, mit praktischen Beispielen an einem Workshop.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Immer wieder treffe sie im ambulanten Bereich auf betagte, polymorbide Patienten mit Mangelern&auml;hrung, berichtete Delos&eacute;a, seit Kurzem Haus&auml;rztin in Riggisberg. Im Alltag und bei den vielen Diagnosen, auf die eingegangen werden muss, ist es schwierig, auch auf dieses Problem zu achten und die richtigen Ern&auml;hrungsempfehlungen zu geben. &laquo;Mangelern&auml;hrung ist Realit&auml;t bei geriatrischen Patienten, und sie ist h&auml;ufig&raquo;, sagte Delos&eacute;a. In Spital und Rehaklinik sind bis zu 50 % der geriatrischen Patienten mangelern&auml;hrt, in Pflegeheimen bis zu 60 % und bei den zu Hause lebenden je nach Studie 15&ndash;60 % .</p> <h2>In frigo veritas</h2> <p>Junge Menschen sollten t&auml;glich 0,8g Eiweiss pro Kilogramm K&ouml;rpergewicht zu sich nehmen. F&uuml;r die &uuml;ber 65-J&auml;hrigen empfehlen die Europ&auml;ische Geriatrische Gesellschaft und die Schweizerische Gesellschaft f&uuml;r Ern&auml;hrungsmedizin deutlich mehr: 1,2&ndash;1,5g/kg KG/Tag. &laquo;&Auml;ltere Menschen haben einen h&ouml;heren Proteinbedarf, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken&raquo;, erkl&auml;rte Delos&eacute;a. &laquo;Insbesondere wenn der Betroffene unter Krankheiten leidet, die katabol wirken.&raquo; Bei diesen Patienten kann es rasch zu einer Sarkopenie kommen, die zu Gebrechlichkeit f&uuml;hrt. Hinzu kommt, dass alte Menschen generell weniger Appetit haben und h&auml;ufig unter Komorbidit&auml;ten wie Depressionen, Kauproblemen oder Polypharmazie leiden, die dazu f&uuml;hren, dass sie weniger essen. Mangelern&auml;hrung l&auml;sst aber nicht nur die Muskelmasse schwinden, sie erh&ouml;ht auch das Risiko f&uuml;r Infekte, Wundheilungsst&ouml;rungen und Dekubitus. Die Betroffenen werden zunehmend gebrechlicher, sind immer weniger mobil und werden so immer abh&auml;ngiger von Dritten. Eine Genfer Studie zeigte, dass Senioren (Durchschnittsalter 81 Jahre), die weniger als drei unterschiedliche Nahrungsmittel im K&uuml;hlschrank haben, im Vergleich mit Senioren mit einem gut gef&uuml;llten K&uuml;hlschrank ein deutlich h&ouml;heres Risiko haben, in den n&auml;chsten vier Wochen hospitalisiert zu werden (31 % vs. 8 % ; p=0,042), und dass die Zeit bis zur n&auml;chsten Hospitalisation signifikant k&uuml;rzer ist (31 vs. 100 Tage; p=0,002).<sup>1</sup> &laquo;In frigo veritas&raquo;, kommentierte Delos&eacute;a. &laquo;Wir &Auml;rzte denken bei unseren Patienten an alle m&ouml;glichen Krankheiten, aber leider viel zu selten an die Ern&auml;hrung. W&auml;hrend der Ausbildung wird uns leider auch nicht unbedingt erkl&auml;rt, wie wichtig das w&auml;re.&raquo; Die Angeh&ouml;rigen interessieren sich aber sehr f&uuml;r die Ern&auml;hrung, und auch die Krankenkassen haben erkannt, dass mangelern&auml;hrte Patienten mehr Kosten verursachen. Auch f&uuml;r Spit&auml;ler ist es interessant, solche Patienten zu erkennen. Kodiert der Arzt im Spital n&auml;mlich die Diagnose Mangelern&auml;hrung und wird diese behandelt, erh&auml;lt das Spital mehr Geld.<br /> Die Diagnose Mangelern&auml;hrung kann mit einfachen Fragen und Untersuchungen in der Praxis gestellt werden, z.B. mit dem Mini-Nutritional-Assessment-Bogen (MNA), den es in vielen verschiedenen Sprachen und auch als App f&uuml;r das iPhone gibt.<sup>2</sup> Erreicht ein Patient im MNA weniger als 11 Punkte, hat er ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Mangelern&auml;hrung; erreicht er weniger als 7 Punkte, ist er bereits mangelern&auml;hrt. Je nach Auspr&auml;gung der Mangelern&auml;hrung wird sie im ICD-Code unterschiedlich verschl&uuml;sselt (Tab. 1). &laquo;F&uuml;r die Krankenkassen ist es wichtig, dass man den Ern&auml;hrungszustand genau dokumentiert, also etwa Gewicht bei Erstdiagnose, Essmengen, Gewichtsverlauf, damit die Kasse die Codierungen nachvollziehen kann.&raquo; Seit Januar 2013 kann man bei den Kassen im ambulanten Bereich eine Kostengutsprache f&uuml;r den Einsatz von oralen Nahrungssupplementen beantragen. Die Formulare kann man unter www.geskes. ch (Homecare &gt; Kostengutsprache-Gesuche) herunterladen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s8_tab1.jpg" alt="" width="1445" height="396" /></p> <h2>Ein Mythos: Sturz wegen Synkope</h2> <p>Ein weiteres Problem in der t&auml;glichen Praxis mit geriatrischen Patienten ist das Sturzrisiko. 80 000 Menschen &uuml;ber 65 Jahre st&uuml;rzen pro Jahr in der Schweiz. 1300 Menschen sterben an den Folgen eines Sturzes, 90 % von ihnen sind &auml;lter als 65. Die Versorgung dieser Menschen verursacht pro Jahr Kosten von 1,4 Milliarden Franken.<sup>3</sup> &laquo;Oft vermutet man, der Patient sei wegen einer Synkope gest&uuml;rzt, und ordnet alle m&ouml;glichen Untersuchungen an&raquo;, so Delos&eacute;a. Synkopen sind aber selten, viel h&auml;ufiger st&uuml;rzen Senioren wegen umgebungsassoziierter Faktoren oder wegen Gang- und Gleichgewichtsst&ouml;rungen (Tab. 2). Diverse intrinsische und extrinsische Faktoren f&uuml;hren dazu, dass &auml;ltere Menschen eher st&uuml;rzen (Tab. 3). Muskelschw&auml;che &ndash; und hier sieht man, wie wichtig eine ad&auml;quate Ern&auml;hrung ist &ndash; erh&ouml;ht das Sturzrisiko um das 4,4-Fache, eine Gang- resp. Gleichgewichtsst&ouml;rung um das 3-Fache. &laquo;Holt man einen Patienten aus dem Wartezimmer, kann man schon eine erste Ganganalyse machen&raquo;, sagt Delos&eacute;a, &laquo;und zwar indem man hinter ihm zum Sprechzimmer geht.&raquo; Auch die Gehgeschwindigkeit hat einen Einfluss auf das Sturzrisiko: Betr&auml;gt sie weniger als 24m/ min ist das Sturzrisiko signifikant erh&ouml;ht. Die Gehgeschwindigkeit kann man mit dem &laquo;Timed up &amp; go&raquo;-Test pr&uuml;fen: Der Patient sitzt auf einem Stuhl mit Armlehne und wird aufgefordert, aufzustehen, drei Meter hin- und zur&uuml;ckzugehen und sich wieder hinzusetzen. Er darf dabei sein gewohntes Hilfsmittel verwenden, etwa einen Rollator, und seine gewohnten Schuhe. Braucht der Patient daf&uuml;r mehr als 14 Sekunden, hat er ein erh&ouml;htes Sturzrisiko. F&uuml;r eine strukturierte Ganganalyse wird der Patient w&auml;hrend des &laquo;Timed up &amp; go&raquo;-Tests von vorn und von der Seite gefilmt. Es werden drei Durchg&auml;nge gemacht, einmal mit und einmal ohne Hilfsmittel, und beim dritten Durchgang soll der Patient beim Gehen die Monate r&uuml;ckw&auml;rts aufsagen.<br /> &laquo;Die Gangsicherheit l&auml;sst sich mit dem Training von Gleichgewicht und Dual- Task-Situationen verbessern&raquo;, so Delos&eacute;a, &laquo;das habe ich in der ambulanten geriatrischen Rehabilitation, wo die Patienten &uuml;ber 3 bis 4 Monate zweimal pro Woche trainieren, immer wieder beobachten k&ouml;nnen. &raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s8_tab2.jpg" alt="" width="1445" height="528" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s8_tab3.jpg" alt="" width="1444" height="1150" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: SwissFamilyDocs Conference 2016, Montreux </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Boumendjel N et al: Refrigerator content and hospital admission in old people. Lancet 2000; 356: 563 <strong>2</strong> www. mna-elderly.com <strong>3</strong> www.bfu.ch <strong>4</strong> Rubenstein LZ: Falls in older people: epidemiology, risk factors and strategies for prevention. Age Ageing 2006; 35 (Suppl 2): ii37-41</p> </div> </p>
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