
Instrumentelle Therapie von LUTS/BPS beim geriatrischen Patienten und die Rolle des geriatrischen Assessments
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Durch die konstant steigende Lebenserwartung und den dadurch bedingten demografischen Wandel stellt die immer älter werdende Bevölkerung eine der größten Herausforderungen für die moderne Medizin dar. Die Zahl der über 80-Jährigen in Österreich (derzeit 414 000) wird, Prognosen zufolge, im Jahre 2030 auf 639 000 steigen und soll im Jahre 2060 die Millionengrenze erreichen.1
Keypoints
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Zum geriatrischen Assessment ist die Canadian Study of Health and Ageing (CSHA) Frailty Scale geeignet.
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Die CSHA Frailty Scale ermöglicht es, in weniger als einer Minute Patienten in die Kategorien fit und gebrechlich einzuteilen.
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Fitte ältere Patienten profitieren von einer TURP. Bei multimorbiden, gebrechlichen Patienten ist eine TURP mit deutlich schlechteren funktionellen Ergebnissen verbunden.
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Bei geriatrischen Patienten und/oder Patienten mit schweren Komorbiditäten und hohem Narkoserisiko sind die Prostataembolisation und die Rezum®-Wasserdampfablation geeignete Verfahren.
Nach Definition der europäischen Gesellschaft für geriatrische Medizin ist der typische geriatrische Patient meist über 70 Jahre alt und weist eine Multimorbidität und Multimedikation auf.2 Eine spezifische Altersgrenze existiert jedoch nicht.3 Was geriatrische Patienten jedoch eint, ist die Kondition der Gebrechlichkeit (Frailty). Nach Definition von Fried et al. liegt Gebrechlichkeit vor, wenn 3 von 5 Kriterien erfüllt sind. Dazu zählen das Empfinden von Energielosigkeit, Erschöpfung, ein ungewollter Gewichtsverlust von über 5kg innerhalb eines Jahres, eine muskuläre Schwäche, eine langsamere Gehgeschwindigkeit und ein niedriger Level physischer Aktivität.4 Gebrechlichkeit ist assoziiert mit einem schlechteren medizinischen Outcome und mit höheren Gesundheitskosten.5
Da die benigne Prostatahyperplasie (BPH) eine Erkrankung des alternden Mannes ist, kann in den kommenden Jahrzehnten mit einem deutlichen Anstieg an hochbetagten Patienten gerechnet werden, die eine chirurgische Intervention aufgrund von obstruktiven Beschwerden des unteren Harntrakts (LUTS), bei benignem Prostatasyndrom (BPS), benötigen.
Rolle des geriatrischen Assessments
Keine urologische Leitlinie (EAU, DGU etc.) zur Behandlung von männlichen LUTS bei BPH empfiehlt ein spezifisches, präoperatives geriatrisches Assessment, obwohl die transurethrale Resektion der Prostata (TURP) ein Eingriff ist, der vorwiegend bei älteren, oft multimorbiden Männern durchgeführt wird. Ein Grund dafür könnten die oft komplexe und aufwendige Durchführung des geriatrischen Assessments sein sowie das fragliche prädiktive Potenzial für das funktionelle, operative Ergebnis desselbigen. Die erste prospektive Studie einer französischen Arbeitsgruppe zur Rolle des geriatrischen Assessments vor geplanter TURP wurde im Jahr 2017 publiziert.6
Pichon et al. analysierten 60 Männer, 75 Jahre oder älter, die vor einer desobstruierenden chirurgischen Intervention (meist TURP) einem kurzen bzw. ausführlichen geriatrischen Assessment unterzogen wurden. Hier zeigte sich in der geriatrischen, „vulnerablen“ Gruppe (55%) ein signifikant schlechteres funktionelles Ergebnis verglichen mit der „fitten“ Gruppe (94%). Als Operationserfolg wurde die Freiheit vom Dauerkatheter (DK) nach 3 Monaten definiert. Des Weiteren bestand in der vulnerablen Gruppe eine höhere postoperative Morbidität. Die Autoren schlussfolgerten, dass ein geriatrisches Assessment das funktionelle Ergebnis einer endoskopischen chirurgischen Intervention bei Patienten mit BPS/LUTS, die 75 Jahre oder älter sind, voraussagen kann.
Diese Arbeit diente als Stimulus für eine österreichweite, multizentrische, prospektive Untersuchung an einer identen Patientenkohorte (75+, Zustand nach Harnverhalt mit Dauerkatheter).7 Als Operationserfolg wurde die erhaltene Spontanmiktion postoperativ und nach 3 Monaten definiert. Als Instrument zum geriatrischen Assessment diente die Canadian Study of Health and Ageing (CSHA) Frailty Scale, die auf einer Serie von simplen Piktogrammen beruht und die es auch in der Übersetzung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie gibt (Abb. 1).8 Sie ermöglicht es, in weniger als einer Minute Patienten in 2 Kategorien (1–3 fit und 4–7 gebrechlich) einzuteilen.
Abb. 1: Canadian Study of Health and Ageing (CSHA) Frailty Scale (Übersetzung: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie)
Im Rahmen dieser prospektiven, multizentrischen Studie war es möglich, einerseits die signifikantere Heterogenität hinsichtlich der Komorbidität bei älteren Patienten (75+) im Rahmen einer chirurgischen Intervention, TURP oder Holmium-Laser-Enukleation (HOLEP), bei BPS/LUTS zu demonstrieren und andererseits zu beweisen, dass ein einfaches geriatrisches Assessment zu einem gewissen Grad das funktionelle Ergebnis nach 3 Monaten nach desobstruktiver, chirurgischer Intervention voraussagen kann. In der „fitten“ Kohorte (78% aller Fälle) betrug die Erfolgsrate (DK-Freiheit) nach 3 Monaten 95%, während in der „vulnerablen“ Gruppe diese nur bei 83% lag. Als Limitation ist sicherlich die geringe Patientenzahl, insbesondere in der vulnerablen Gruppe, anzuführen. Außerdem wurde in keinem Fall eine präoperative urodynamische Untersuchung durchgeführt. Als eine zusätzliche Limitation dürfte die kurze Beobachtungszeit von 3 Monaten zu betrachten sein, jedoch wurde diese aufgrund der limitierten Lebenserwartung einer geriatrischen Population als angemessen gesehen.
Fitte Patienten
Somit können Studien zu geriatrischen Assessments wertvolle Informationen zum Management von älteren Patienten vor geplanter chirurgischer Intervention bei BPS/LUTS geben. In beiden vorgestellten Serien zeigt sich eine sehr hohe 3-Monats-Erfolgsrate (94% und 95%) bei „fitten“ Patienten. Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit denen jüngerer Männer. Es besteht kein Zweifel daran, dass fitte ältere Patienten von einer operativen Intervention profitieren, weshalb bei diesem Patientenkollektiv eine großzügige Indikationsstellung zur Operation erfolgen kann und das chronologische Alter kein Hindernis darstellt.
Multimorbide, gebrechliche Patienten
Im Gegensatz dazu zeigt sich bei multimorbiden, gebrechlichen Patienten ein umgekehrtes Bild mit deutlich schlechteren funktionellen Ergebnissen. Die niedrigere Erfolgsrate der TURP einhergehend mit einer höheren peri- und postoperativen Komplikationsrate und Morbidität unterstreicht die zunehmende Relevanz weniger invasiver Alternativen zur TURP. Der zugrunde liegende Pathomechanismus, verantwortlich für die Assoziation von geriatrischem Status und Vulnerabilität und dem funktionellen Ergebnis nach TURP, bedarf weiterer Erforschung. Es ist bekannt, dass mit zunehmendem Alter die Prävalenz von Detrusorunteraktivität steigt und im Gegensatz dazu die Rate an urodynamisch nachweisbarer Obstruktion sinkt. Obwohl Detrusorunteraktivität mit axonaler Degeneration, Sarkopenie und neurologischen Erkrankungen assoziiert ist, wurde eine Assoziation mit geriatrischem Status bisher nicht nachgewiesen.9 Darüber hinaus wird der eventuelle Einfluss einer präoperativen, urodynamisch nachgewiesenen Detrusorhypo- bzw. Akontraktilität auf das funktionelle Ergebnis nach TURP u.a. noch immer kontroversiell diskutiert.10
Nur 1 Minute für Voraussage nötig
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass ein simples einminütiges geriatrisches Assessment mithilfe der CSHA Frailty Scale das funktionelle Ergebnis nach TURP bei älteren Männern mit BPS/LUTS und nach Harnretention voraussagen kann. Fitten älteren Patienten kann die Operation empfohlen werden, da eine sehr hohe Erfolgsrate zu erwarten ist. Gebrechliche/multimorbide Patienten bedürfen einer detaillierten geriatrischen und eventuell urodynamischen Abklärung und minimal invasive Alternativen zur TURP sind in dieser Kohorte zu bevorzugen.
Minimal invasive operative Verfahren
Die transurethrale Prostataresektion (TURP) ist nach wie vor der Goldstandard in der operativen Therapie obstruktiver LUTS.11 Jedoch steigen die Morbidität und die Komplikationsraten der TURP mit zunehmendem Patientenalter und der Anzahl an Komorbiditäten.12 Parallel dazu zeigt sich bei geriatrischen Patienten ein schlechteres funktionelles Ergebnis nach TURP im Vergleich zu jüngeren Männern.6, 7
Die Indikationsstellung für operative Eingriffe bei geriatrischen Patienten mit LUTS/BPS muss somit der verbleibenden Lebenserwartung, dem perioperativen Risiko und dem zu erwartenden funktionellen Ergebnis gegenübergestellt werden. Minimal invasive operative Methoden zur Behandlung von BPS/LUTS könnten eine mögliche Alternative zur TURP darstellen. Mehrere dieser Verfahren, die in Lokalanästhesie durchgeführt werden können, stehen heute zur Verfügung: Wasserdampfablation der Prostata (Rezum®), Prostataarterienembolisation (PAE), das UroLift®-System zur Erweiterung der prostatischen Harnröhre mit Implantaten und ein passager implantierter Prostatastent (i-TIND®).
Lediglich für Rezum® und die PAE liegen Studienergebnisse speziell für multimorbide, geriatrische Patienten vor. Beide Verfahren kamen bei Männern mit DK nach rezidivierendem Harnverhalt zur Anwendung. Dieses Kollektiv ist nicht oder nur mit einem sehr hohen Risiko narkosetauglich und alle konventionellen operativen Verfahren zur Desobstruktion (TURP, Laserenukleation, offene OP) sind bei diesen Patienten mit einem hohen Risiko für perioperative Komplikationen und einer hohen postoperativen Morbidität verbunden.12
In einer prospektiven Serie an 11 Patienten (mittleres Alter 75 Jahre, mittleres Prostatavolumen 116ml) mit schweren Komorbiditäten und LUTS aufgrund von BPH, davon 5 mit DK, konnte die Spontanmiktion in 60% der Fälle wiederhergestellt werden und bei allen Männern kam es zu einer deutlichen Besserung im IPSS (–11,3) und der Lebensqualität (IPSS-QoL –4,5) nach 6 Monaten. Im Gegensatz dazu besserte sich die Harnflussrate nach 6 Monaten nur marginal, mit einem + von 0,4ml/sec.13
Für die Rezum®-Wasserdampftherapie liegen zwei Arbeiten an geriatrischen Patienten vor. McVary et al. berichteten 2019 in einer retrospektiven Serie an 38 Patienten (mittleres Alter 76 Jahre, medianes Prostatavolumen 56ml) über eine Wiederherstellung der Spontanmiktion in 70% der Fälle und einer Nachbeobachtungszeit von 15,8 Monaten. Die Komplikationsrate war gering, mit Hämaturie in 10% und Harnwegsinfektionen in 2,6% der Fälle.14
In einer österreichischen Studie an 3 urologischen Zentren wurde die Rezum®-Therapie an 136 „narkoseuntauglichen“ Männern mit rezidivierendem Harnverhalt und mit kardiovaskulären, neurologischen, pulmologischen oder anderen schweren Komorbiditäten untersucht.15 Das mittlere Patientenalter betrug 80 Jahre (59–97 Jahre) und das mittlere Prostatavolumen lag bei 54ml (20–200ml). Alle Eingriffe konnten unter Lokalanästhesie und mit optionaler Sedierung mit Midazolam komplikationslos durchgeführt werden. Eine Spontanmiktion nach Katheterentfernung war bei 78% der Patienten möglich. Die spontane Miktion blieb nach 3 Monaten in 93,5% der Fälle erhalten, nach 12 Monaten waren 91% der Patienten weiterhin „katheterfrei“. Theoretisch würden sich auch die nichtablativen Verfahren UroLift® und i-TIND® für diese spezielle Patientengruppe eignen, jedoch liegen zum aktuellen Zeitpunkt keine Studienergebnisse zur Behandlung geriatrischer Patienten mit diesen Methoden vor.
Geeignete Verfahren bei schweren Komorbiditäten und hohem Narkoserisiko
Für geriatrische Patienten und/oder für Patienten mit schweren Komorbiditäten und hohem Narkoserisiko sind somit die Prostataembolisation und die Rezum®-Wasserdampfablation eine risikominimierende minimal invasive Therapieoption, insbesondere bei chronischer Harnretention und DK. Eine Spontanmiktion konnte bei 60–78% der Patienten erfolgreich wiederhergestellt werden, mit vielversprechenden Resultaten auch nach 12 Monaten.
Literatur:
1 Austria S. 2021 Available from: www.statistik.at 2 Wiedemann A: [Geriatric assessment in urology]. Urologe A 2018; 57(10): 1257-70 3 EUGMS - European Union of Geriatric Medicine Society 4 Fried LP et al.: Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001; 56(3): M146-56 5 Hoogendijk EO et al.: Frailty: implications for clinical practice and public health. Lancet 2019; 394(10206): 1365-75 6 Pichon T et al.: Geriatric assessment can predict outcomes of endoscopic surgery for benign prostatic hyperplasia in elderly patients. J Endourol 2017; 31(11): 1195-202 7 Eredics K et al.: Can a simple geriatric assessment predict the outcome of TURP? Urol Int 2020; 104(5-6): 367-72 8 Rockwood K et al.: A global clinical measure of fitness and frailty in elderly people. CMAJ 2005; 173(5): 489-95 9 Aldamanhori R, Chapple CR: Underactive bladder, detrusor underactivity, definition, symptoms, epidemiology, etiopathogenesis, and risk factors. Curr Opin Urol 2017; 27(3): 293-9 10 Welk B et al.: Do urodynamic findings other than outlet obstruction influence the decision to perform a transurethral resection of prostate? Urology 2018; 117: 120-5 11 Oelke M et al.: EAU guidelines on the treatment and follow-up of non-neurogenic male lower urinary tract symptoms including benign prostatic obstruction. Eur Urol 2013; 64(1): 118-40 12 Reich O et al.: Morbidity, mortality and early outcome of transurethral resection of the prostate: a prospective multicenter evaluation of 10,654 patients. J Urol 2008; 180(1): 246-9 13 Malling B et al.: Prostate artery embolization for lower urinary tract symptoms in men unfit for surgery. Diagnostics (Basel) 2019; 9(2): 46 14 McVary KT et al.: Water vapor thermal therapy to alleviate catheter-dependent urinary retention secondary to benign prostatic hyperplasia. Prostate Cancer Prostatic Dis 2020; 23(2): 303-8 15 Eredics K et al.: Rezum water vapor therapy in multimorbid patients with urinary retention and catheter dependency. Prostate Cancer Prostatic Dis 2022; 25(2): 302-5
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