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Warum die Deutschen eine eigene Leitlinie formuliert haben
Leading Opinions
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22.11.2018
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<p class="article-intro">Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) hat eine neue Leitlinie zur Therapie der rheumatoiden Arthritis mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten herausgegeben.<sup>1</sup> Prof. Dr. med. Christoph Fiehn, federführender Autor und Rheumatologe in Baden-Baden, stellte die wichtigsten Punkte kürzlich auf dem Kongress der DGRh und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) in Mannheim vor. Wir haben Prof. Fiehn gefragt, warum es neben der europäischen Leitlinie eine eigene deutsche braucht und was die wichtigsten Unterschiede sind.</p>
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<p class="article-content"><p>Früh und möglichst vollständig sollte die Entzündung bei rheumatoider Arthritis (RA) unterdrückt werden. Ziel ist die Remission, die dank zielgerichteter Biologika heute bei viel mehr Patienten erreicht wird als früher. Wie in der Leitlinie der europäischen Rheumatologen- Gesellschaft EULAR gibt es auch in der neuen Leitlinie der DGRh übergreifende Prinzipien und Empfehlungen (Tab. 1).</p> <p>Das A und O ist eine frühzeitige Therapie: Idealerweise sollte der Patient innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Symptome krankheitsmodifizierende Medikamente (DMARDs) bekommen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Remission und dafür, dass die Medikamente ansprechen, sich die Funktion der Gelenke verbessert und die RA auch radiologisch nicht so rasch fortschreitet.<sup>2</sup> Unklar ist noch, ob DMARDs auch gestartet werden können, wenn der Patient zwar Arthritiden hat, die nicht durch eine andere rheumatische Erkrankung erklärt werden können, aber die Diagnose einer RA noch nicht sicher ist. Ob ein früher Therapiebeginn bei diesen Patienten den Langzeitverlauf positiv beeinflusst, ist noch offen. Einen Start mit DMARDs bei vermuteter, aber noch nicht gesicherter RA empfiehlt die Leitlinie zurzeit noch nicht, wenn auch im Einzelfall gute Gründe dafür sprechen können. Möglicherweise gibt es auch Subgruppen von Patienten, die von einer sehr frühen Therapie mehr profitieren als andere.<br /> Eine Remission wird nun wie in der EULAR-Leitlinie anhand des Simplified Disease Activity Index (SDAI) definiert. Mit einem SDAI-Zielwert von <3,3 verbessere sich im Vergleich zu den alten Remissionskriterien, die eine zu hohe klinische Aktivität und das Fortschreiten der Gelenkzerstörung zugelassen haben, die Prognose deutlich. Sprechen keine Kontraindikationen dagegen, wird eine Therapie mit Methotrexat (MTX) in Kombination mit Kortison begonnen. Bei vielen Patienten gelingt es, so die Krankheit zu kontrollieren. Wird damit keine Remission erreicht, können biologische DMARDs zum Einsatz kommen oder auch die neuen, gezielten synthetischen DMARDs Baricitinib und Tofacitinib (JAK-Inhibitoren). Diese sollten aber nur bei Patienten mit ungünstigen prognostischen Faktoren eingesetzt werden (Tab. 2). Hat ein Patient keine dieser Faktoren, können neben MTX andere konventionelle DMARDs versucht werden, z.B. Leflunomid (alleine oder in Kombination mit MTX) oder die Kombination Sulfasalazin (SSZ)/Hydroxychloroquin (HCQ)/MTX. Das Kortison sollte so früh wie möglich reduziert oder komplett abgesetzt werden. Nimmt ein Patient kein Kortison mehr ein und ist seit mindestens 6 Monaten dauerhaft beschwerdefrei, kann eine Verringerung der Medikamentendosis erwogen werden.</p> <p><strong>Prof. Fiehn, warum brauchte es eine neue Leitlinie?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Die letzte DGRh-Leitlinie – damals noch eine S1-Leitlinie – war von 2012. Inzwischen sind nicht nur neue zielgerichtete Medikamente hinzugekommen, wie die JAK-Inhibitoren. Wir haben auch eine Vielzahl von neuen Erkenntnissen, was prinzipielle Therapiestrategien angeht, zum Beispiel «treat to target«, eine neue und bessere Definition der Remission, wann man deeskalieren kann, Daten zu Nebenwirkungen – vor allem bei den Steroiden – oder zum Nutzen der Therapie bei bestimmten Patientenpopulationen. All diese Kenntnisse mussten neu bewertet werden.</p> <p><strong>Es gibt aber schon eine aktuelle, umfangreiche Leitlinie von der EULAR. Warum braucht Deutschland eine eigene?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Die Leitlinien der EULAR und die der DGRh kommen zu ähnlichen Prinzipien und Empfehlungen – das ist auch nicht verwunderlich, schliesslich basieren sie beide ja auf einer systematischen Sichtung der vorhandenen Evidenz. Es gibt jedoch Aspekte, die wir anders bewertet haben, und andere, die wir detaillierter und unserer Meinung nach für die Praxis nützlicher dargestellt haben. Die DGRh-Leitlinie soll also im täglichen Alltag einfacher anzuwenden sein.</p> <p><strong>Was ist in der DGRh-Leitlinie anders als in der von der EULAR?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> In einigen Punkten unterscheiden sich unsere Empfehlungen schon recht deutlich, zum Beispiel beim Kortison. So raten wir mit der Empfehlung 6, dass spätestens nach 8 Wochen eine niedrige Kortisondosis erreicht werden sollte. Und zwar nicht <7,5mg/d wie in der EULAR-Leitlinie, sondern 5mg oder weniger Prednisolonäquivalent. Nach 3–6 Monaten sollte das Kortison wenn möglich ausgeschlichen werden. Wir weisen mehr als die Kollegen von der EULAR-Leitlinie auf die Risiken der Kortisontherapie hin und dass man sie möglichst vermeiden sollte.</p> <p><strong>Die EULAR sagt zwar auch, dass man mit MTX starten sollte, wenn keine Kontraindikationen vorliegen, aber die Leitlinie lässt die Möglichkeit offen, dass man als Initialtherapie MTX mit einem anderen DMARD kombiniert.</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Wir finden, dass die Daten für eine initiale DMARD-Kombination nicht ausreichen, und empfehlen deshalb nur MTX als Initialtherapie. Die EULAR empfiehlt auch, ein biologisches DMARD mit MTX oder einem anderen konventionellen synthetischen DMARD zu kombinieren. Wir empfehlen aber ausdrücklich die Kombination von biologischem DMARD mit MTX, denn für die anderen konventionellen synthetischen DMARDs gibt es kaum Evidenz.</p> <p><strong>Die EULAR-Experten raten dazu, dass sich der Patient innerhalb von 1 bis 3 Monaten wieder vorstellen sollte. Sie empfehlen explizit einen ersten Wiedervorstellungstermin nach 6 Wochen. Warum legen Sie das so konkret fest?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Wir können dann frühzeitig kontrollieren, ob der Patient die Medikamente nimmt. Wir können ihn fragen, ob er sie verträgt, gegebenenfalls die Dosis anpassen oder bei MTX von der oralen auf die subkutane Gabe wechseln. Wir können seine Fragen beantworten und Unklarheiten beseitigen. Wir weisen in unserer Leitlinie darauf hin, dass der Arzt einige dieser Aufgaben an nicht-ärztliches Personal delegieren kann oder dass er es zum Beispiel am Telefon mit dem Patienten besprechen kann. Ein weiterer Unterschied zur EULAR-Leitlinie ist, dass wir in manchen Punkten viel detaillierter sind, zum Beispiel geben wir genauer die Prädiktoren für eine erfolgreiche Deeskalation an, die Rolle der Bildgebung oder die von Biomarkern.</p> <p><strong>Einige Aspekte sind in Ihrer Leitlinie neu im Vergleich zu der von 2012, aber genauso wie in der EULAR-Leitlinie. Was sind die wichtigsten?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Erstens: Das primäre Ziel sollte eine Remission sein, die nun strenger definiert ist, nämlich als nahezu vollständige Entzündungs- und Beschwerdefreiheit. Ist das nicht möglich, sollte man zumindest eine niedrige Krankheitsaktivität anstreben. Zweitens zwei wichtige Zeitpunkte für Therapieentscheidungen: Nach 3 Monaten sollte man die Therapie umstellen, wenn nicht mindestens 50 % Verbesserung des Composite-Scores erreicht sind. Nach 6 Monaten sollte man die Therapie erneut umstellen, wenn das Therapieziel, also eine Remission beziehungsweise eine niedrige Krankheitsaktivität, nicht erreicht ist. Drittens: JAKInhibitoren sind erstmals in den Therapiealgorithmus aufgenommen.</p> <p><strong>Ihre und die EULAR-Leitlinie äussern sich klar: Jeder Patient mit einer neu diagnostizierten RA soll ein DMARD bekommen, in der Regel zuerst MTX. Was ist mit einer fortgeschrittenen RA, die scheinbar inaktiv ist?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Hierzu gibt es leider wenige Daten. Wir haben kürzlich gezeigt, dass vermutlich auch diese Patienten mit DMARDs behandelt werden sollten.<sup>3</sup> Denn die Krankheit ist nur scheinbar inaktiv und schreitet trotzdem fort und die Patienten leiden an den Folgen der anhaltenden Entzündung.</p> <p><strong>Für Verwirrung sorgte kürzlich die Studie von Nick Bansback von der Universität von British Columbia.<sup>4</sup> Mit einem Biologikum fühlten sich die Patienten im Vergleich zur Standardtherapie insgesamt nur wenige Wochen – auf ihr ganzes Leben berechnet – besser, aber dieser Gewinn kostete 77 290 US-Dollar, also gut 74 000 Franken. Wertlos und zu teuer, so das Fazit der Studie. Wie sehen Sie das?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Man kann die Studie nicht so einfach auf Europa übertragen. In der Studie bekamen alle Patienten, die nach 12 Wochen oraler MTX-Therapie nicht ausreichend angesprochen hatten, entweder Etanercept/MTX oder die Tripeltherapie MTX/SSZ/HCQ. Ein solcher Ansatz wird aber weder in unserer noch in der EULAR-Leitlinie empfohlen. Wir raten, in diesem Stadium der Erkrankung nur denjenigen Patienten das biologische DMARD zu geben, die ungünstige Prognosekriterien haben, also zum Beispiel positive Anti-CCP-Antikörper, Rheumafaktoren oder sehr früh schon erosive Veränderungen im Röntgen. Nebenbei reicht auch die Gabe von oralem MTX nicht aus, um einen maximalen Therapieeffekt zu erreichen. Es sollte subkutan gegeben werden, bevor man auf ein biologisches DMARD umstellt. Die Studie könnte also höchstens als Argument dafür dienen, dass man bei einem Patienten auf jeden Fall schauen sollte, ob gute oder schlechte Prognosekriterien vorliegen, bevor man ein biologisches DMARD verschreibt – das ist in unserer Leitlinie die Phase II der Therapie. Würde man jedem Patienten ein biologisches DMARD geben, ohne vorher nach Prognosekriterien zu schauen, wäre der Kosten-Nutzen-Effekt tatsächlich gering.</p> <p><strong>Kann man die RA-Medikamente irgendwann absetzen?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Das komplette Absetzen aller krankheitsmodifizierenden Medikamente ist kaum möglich – ausser in seltenen, besonders milden und meist seronegativen Verläufen. Wohl gibt es aber die Möglichkeit der Deeskalation, wenn einmal eine anhaltende Remission über mindestens 6 Monate erreicht ist. Ob dabei zuerst das konventionelle synthetische DMARD oder das biologische DMARD reduziert werden sollte, ist noch nicht geklärt. Im Falle der biologischen DMARDs ist die Studienlage aber insofern sehr klar, dass das komplette Absetzen nicht zu empfehlen ist, sondern ein «Tapering» erfolgen soll, also dass man die Applikationsintervalle der subkutan gegebenen Präparate verlängert oder die Dosis reduziert. Nach einer Deeskalation bleiben etwa 85 % der Patienten in Remission. Ob man die Dosis reduziert, sollte man aber immer gemeinsam mit dem Patienten entscheiden. Man muss zudem wissen, dass das Vorgehen «off label» ist.</p> <p><strong>Können auch Nicht-Rheumatologen eine RA behandeln?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Nach der neuen, ebenfalls auf dem deutschen Rheumatologenkongress in Mannheim präsentierten Leitlinie zur frühen RA können auch Nicht- Rheumatologen eine Therapie mit einem DMARD, in der Regel mit MTX, beginnen, wenn sie die notwendigen Kenntnisse haben, sich die korrekte Differenzialdiagnose zutrauen und die Kontraindikationen kennen. Im weiteren Verlauf sollte aber ein internistischer Rheumatologe die Krankheitsaktivität bestimmen und die Therapie steuern.</p> <p><strong>Immer noch dauert es oft lange von den ersten Beschwerden bis zur Diagnose. Wie wollen Sie das lösen?</strong><br /> <strong>C. Fiehn:</strong> Eine Schlüsselaufgabe wird es sein, dass wir die rheumatologische Versorgung so strukturieren, dass jeder Patient mit RA-typischen Beschwerden rasch einen Termin beim Rheumatologen bekommt. Das ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz durchaus ein Problem. Gesundheitssysteme müssen sicherstellen, dass die Ressourcen dafür vorhanden sind, jeden Patienten mit einer RA rasch, angemessen und wirkungsvoll zu behandeln.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s66_tab1+2.jpg" alt="" width="2187" height="2949" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Fiehn C et al.: Z Rheumatol 2018; 77(Suppl 2 ): 35-53 <strong>2</strong> Combe B et al.: Ann Rheum Dis 2017; 76: 948-59 <strong>3</strong> Bauhammer J, Fiehn C: Z Rheumatol 2018; 77: 355-62 <strong>4</strong> Bansback N et al.: Ann Intern Med 2017; 67: 8-16 5 Raza K et al.: Ann Rheum Dis 2011; 70: 1822-5</p>
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</p>
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