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VEXAS-Syndrom: neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie

«Beeindruckende Ergebnisse, die Ansätze für neue Therapien bieten»

Eine Studie aus Frankreich liefert neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie des VEXAS-Syndroms.1 Es kommt offenbar zu einer Abnahme und Erschöpfung bestimmter Monozytenpopulationen. Veränderungen in bestimmten Signalwegen des Immunsystems führen zu einer Aktivierung des Inflammasoms und zu einer erhöhten Zelltodrate, was Entzündungsprozesse und Fehlfunktionen des Knochenmarks erklären kann. Könnte man in Zelltod und inflammatorische Signalwege eingreifen, böte das neue Therapieoptionen. PD Dr. med. Neumann aus St. Gallen erklärt, was er von den Ergebnissen hält und wie er in der Praxis vorgeht.

Haben die Ergebnisse der Studie1 Sie überrascht?

T. Neumann: Mich beeindruckt die Arbeit in vielerlei Hinsicht. Zunächst ist die wissenschaftliche Fragestellung bereits sehr ambitioniert. Die Autoren wollten eine Verbindung zwischen der vor vier Jahren erstmalig beschriebenen somatischen Mutation im UBA1-Gen und einer Erkrankung mit systemisch-entzündlichem Phänotyp herstellen. Bisher war wenig über die genaueren immunologischen Merkmale und die molekularen Mechanismen bekannt, die mit der auf einer genetischen Variante beruhenden gestörten Ubiquitinylierung verbunden sind. In der Studie wurden detaillierte zelluläre Untersuchungen durchgeführt, die insbesondere das Schicksal der myeloiden Zellen im peripheren Blut und im Gewebe in den Fokus nehmen. Unterschiedliche proinflammatorische Signalwege wurden untersucht und die Kaskaden, die zum programmierten Zelltod führen beziehungsweise das Inflammasom aktivieren, funktionell charakterisiert. Ich finde es beeindruckend, wie detailliert die Kollegen die Veränderungen im Immunsystem bei diesen Patienten beschrieben haben. Damit wird diese komplexe und unterschiedliche Ausprägung der Erkrankung sehr viel besser verständlich.

Welche Resultate finden Sie besonders beeindruckend?

T. Neumann: Die qualitativen und quantitativen Veränderungen der Monozyten sowie deren anhand von Oberflächenmarkern nachweisbare Erschöpfung sind deutlich zu erkennen. Auf der Ebene einzelner Zellen ist es den Forschern gelungen, molekulare Signalwege zu identifizieren, die an der Dysregulation von Monozyten beteiligt sind, insbesondere einen defekten TYROBP/DAP12- und β-Catenin-Signalweg. Weiterhin ist die Dysregulation der IL-1β- und IL-18-Achse, einhergehend mit der Aktivierung des Inflammasoms sowie proinflammatorischer programmierter Zelltodwege, sicher bedeutsam.

Was halten Sie vom Studienaufbau?

T. Neumann: Für derartige Untersuchungen ist es zunächst wichtig, die Patienten genetisch sicher zu charakterisieren, was mit dem Nachweis von einer oder drei Varianten im Codon 41 des UBA1-Gens sichergestellt wurde. Zwei Patienten hatten eine niedrige Varianz-Allel-Häufigkeit der UBA1-Mutation. Den VEXAS-Patienten mit gesicherter Mutation wurden Patienten mit einem autoinflammatorischen Phänotyp ohne Nachweis einer Mutation (VEXAS-«like») und Patienten mit einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) niedriger Risikokategorie gegenübergestellt. Sämtliche Untersuchungen wurden in allen drei Gruppen durchgeführt und miteinander verglichen, was für die Interpretation der Daten hilfreich ist.

Limitierend könnte die mit insgesamt 40 Patienten und 28 Kontrollen geringe Anzahl der Studienteilnehmer sein. Im klinischen Phänotyp handelt es sich um eine heterogene Erkrankung, was sich vermutlich auch im immunologischen Phänotyp widerspiegelt. Deshalb wäre es natürlich gut gewesen, wenn mehr Patienten teilgenommen hätten, um allfällige unterschiedliche immunologische Phänotypen des VEXAS-Syndroms abzubilden. Zukünftig wird es darum gehen, die jetzt identifizierten Signalwege funktionell zu charakterisieren, also zu zeigen, welche Auswirkungen sie im Körper haben. Das kann diese Studie nur begrenzt leisten, da keine tier- oder zellbasierten Modellsysteme untersucht wurden, die eine Analyse der funktionellen Auswirkungen von UBA1-Mutationen ermöglichen.

Die Autoren meinen, das VEXAS-Syndrom sei unterdiagnostiziert. Teilen Sie diese Meinung?

T. Neumann: Die Studie fand bei 163000 Personen 11 Patienten mit VEXAS-Syndrom, das entspricht 1 von 13591. Es ist noch zu früh, über eine Prävalenz der Erkrankung zu spekulieren, weil die Datengrundlage dazu fehlt. Es gibt die zitierten genetischen Daten, die darauf hinweisen, dass sich die Mutation in der untersuchten nordamerikanischen Population bei einem von 4269 Männern und bei einer von 26238 Frauen im Alter von >50 Jahren findet. Alle Personen mit der Mutation hatten hämatologische Veränderungen und die meisten wiesen auch autoimmune Phänomene, kutane oder pulmonale Veränderungen auf. Da wir bisher keine klinischen Klassifikationskriterien für das VEXAS-Syndrom haben, können wir auch keine Prävalenz der Erkrankung nach klinischen Kriterien angeben. Insofern müssen wir abwarten, bis weitere Kohorten mit charakteristischen Symptomen genetisch untersucht werden. Ich gehe aber davon aus, dass wir sowohl bei bisher nicht klassifizierten Erkrankungen als auch bei Patienten mit etablierten Diagnosen diese UBA1-Mutationen finden und dann womöglich die Diagnose in ein VEXAS-Syndrom ändern werden.

Sehen Sie das Inflammasom als mögliches Ziel für die Therapie?

T. Neumann: Die Ergebnisse der Studie legen den Schluss nahe, dass eine gezielte Therapie in Bezug auf den aktivierten IL-1β-Signalweg sinnvoll ist. Ob die Aktivierung des IL-6-Signalweges therapeutische Implikationen haben wird, kann bisher noch nicht abschliessend beurteilt werden. Die Erkrankung scheint nach bisherigen Erfahrungen nicht oder nur geringfügig auf konventionelle immunmodulatorische Therapien anzusprechen.

Warum ist das so?

T. Neumann: Das lässt sich bisher nicht sicher beantworten. Wir wissen aber, dass auch weitere autoinflammatorische Erkrankungen nur begrenzt auf konventionelle DMARDs ansprechen. Der Einsatz von Biologika, die IL-1 oder IL-6 blockieren, erscheint da sinnvoller.

Haben Sie 2020 bei der Erstbeschreibung2 schon gedacht, dass das VEXAS-Syndrom eine neue Krankheit ist?

T. Neumann: Sicherlich hat jeder von uns immer wieder Patienten, bei denen es uns nicht gelingt, eine Diagnose zu stellen. Wir wissen auch, dass es gerade im Spektrum der autoinflammatorischen Erkrankungen bestimmte wiederkehrende Krankheitsmuster gibt. Insofern hat mich vor allem der Ansatz der vom Genotyp ausgehenden Aufklärung einer Erkrankung fasziniert. Die klinische Bedeutung ist enorm, weil wir einen Komplex von Symptomen einer spezifischen Ursache, nämlich der genetischen Variante, zuordnen können. Insofern wäre es eigentlich korrekt, jetzt nicht mehr vom Syndrom, sondern von der VEXAS-Erkrankung zu sprechen.

Wie viele Patienten mit VEXAS-Syndrom haben Sie gesehen?

T. Neumann: Wir haben bisher einen Patienten genetisch identifiziert, der den bisher beschriebenen klinischen Phänotyp aufweist. Wegweisend waren in diesem Fall Knorpelveränderungen, die auch einer Polychondritis entsprechen könnten, die allerdings gemeinsam mit dysplastischen Knochenmarksveränderungen auftraten.

Bei welchen Symptomen sollte man an ein VEXAS-Syndrom denken?

T. Neumann: Soweit wir die Erkrankung bisher verstehen, gibt es ein typisches Muster. Das VEXAS-Syndrom geht fast immer mit einer progredienten Funktionsstörung des Knochenmarks einher. Im peripheren Blutbild zeigt sich eine makrozytäre Anämie. Thrombozytopenie und Lymphozytopenie können auftreten. Hautveränderungen im Sinne einer neutrophilen Dermatitis, pulmonale Infiltrate sowie eine nasale und aurikuläre Chondritis sind typisch. Die klinische Prätestwahrscheinlichkeit ist hoch, wenn dieser Symptomkomplex bei Männern im Alter von ≥50 Jahren mit einer systemisch-entzündlichen Multiorganerkrankung vorliegt. Sind andere Diagnosen ausgeschlossen, sollte eine genetische Diagnostik erfolgen.

Wie behandelten Sie Ihren Patienten?

T. Neumann: Aus der Literatur wissen wir, dass es bisher keinen generellen therapeutischen Ansatz gibt. Glukokortikoide und Tocilizumab können hinsichtlich Dermatitis und Chondritis einen Effekt zeigen. Anti-IL-1-Antikörper wurden ebenfalls eingesetzt, allerdings mit begrenztem therapeutischem Effekt und es wurden dabei auch ausgeprägte kutane Unverträglichkeitsreaktionen beschrieben, was den Einsatz limitiert. JAK-Inhibitoren stellen eine weitere Therapieoption dar, sind jedoch bisher nur in Kasuistiken beschrieben. Problematisch finde ich insbesondere die Knochenmarksveränderungen, deren Phänotyp einem MDS entspricht. Vor diesem Hintergrund stellen therapeutische Ansätze mit Ruxolitinib oder 5-Azacitidin eine Option dar. Ein kurativer Ansatz kann mit einer allogenen Stammzelltransplantation gelingen, wobei diese Therapie ein hohes periprozedurales Mortalitätsrisiko aufweist und sicher nur für sehr wenige Patienten im Rahmen von klinischen Studienprogrammen in Betracht kommt.

Bei unserem Patienten haben wir uns in Abwägung von Nutzen und Risiko bisher noch nicht für eine Therapie entschieden, was vor allem an der moderaten Krankheitsaktivität liegt.

Werden wir die VEXAS-Krankheit irgendwann mit einer UBA1-Gentherapie heilen können?

T. Neumann: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr spekulativ, aber ich halte es durchaus für denkbar. Interessanterweise sind Veränderungen im «ubiquitin-like modifier activating enzyme» (UBA)1 auch im Rahmen neurodegenerativer Erkrankungen, wo sie die Aufrechterhaltung der neuronalen Homöostase beeinflussen, bereits umfangreich untersucht worden. Insofern könnte aus der Sicht unterschiedlicher Erkrankungen ein Interesse an der Entwicklung von UBA1-Gentherapien bestehen.

1 Kosmider O et al.: VEXAS syndrome is characterized by inflammasome activation and monocyte dysregulation. Nat Commun 2024; 15: 910 2 Beck DB et al.: Somatic mutations in UBA1 and severe adult-onset autoinflammatory disease. N Engl J Med 2020; 383: 2628-38

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