
Riesenzellarteriitis – ein Update
Bericht:
Dr. med. Lydia Unger-Hunt
Die aktualisierten Leitlinien zur Therapie der Riesenzellarteriitis reflektieren die neuesten Erkenntnisse. So erlaubt beispielsweise die effektive Therapie mit Tocilizumab auch eine Reduktion der Kortisondosierung. Das Wichtigste in der Betreuung der Betroffenen ist aber nach wie vor die möglichst rasche Diagnose, um vor allem die schlimmste Komplikation, den irreversiblen Visusverlust, abwenden zukönnen, betont Prof. Sabine Adler aus Aarau.
Keypoints
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Bei klinischem Verdacht: «fast Track Clinic»
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Therapiebeginn mit Glukokortikoiden ist (noch) Standard.
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Bildgebung (MRI, PET/CT)rasch nach Glukokortikoidbeginn
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Therapie: Glukokortikoid als Basis, Tocilizumab/Methotrexat als Add-ons; Dauer unklar/individuell
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Zukunft: individualisierte bzw. risikostratifizierte Therapie
Empfehlungen zur Diagnose
Die rasche Diagnose der Riesenzellarteriitis («giant cell arteritis», GCA) sollte immer in den Händen eines spezialisierten Teams liegen, lautet die erste Empfehlung der EULAR-Leitlinien für den Einsatz von Bildgebung bei Vaskulitis grosser Gefässe in der klinischen Praxis.1 Zweitens sollte bei starkem klinischem Verdacht die Bildgebung zeitnah durchgeführt werden, wonach bei positivem Befund die GCA-Diagnose gestellt werden kann.
Bei Verdacht auf kranielle Manifestation ist, wenn möglich, eine Duplexsonografie der Aa. temporalis/axillaris durchzuführen. «Die PET/CT wird hierfür zwar noch nicht empfohlen, diese Untersuchung kann aber wahrscheinlich auch für die kranielle Diagnostik in Kürze sinnvoll eingesetzt werden», sagt Prof. Dr. med. Sabine Adler, Chefärztin Rheumatologie und Immunologie am Kantonsspital Aarau. Bei Verdacht auf extrakranielle Manifestation hilft die Sonografie meist nur bedingt, in der Regel ist die Grossbildgebung erforderlich. «Erlaubt ist, was vorhanden ist: PET, MRI mit Angiografie-Sequenzen und/oder CT», so die Expertin.
Doch unabhängig davon, welche Grossgerätetechnik zum Einsatz kommt, sollten auch bei gesicherter Diagnose einer kraniellen GCA zusätzlich die extrakraniellen Gefässe dargestellt werden. «Dieses Vorgehen wäre zwar nicht immer nötig, ist aber extrem hilfreich», meint Adler. Denn neben dem möglichen Nachweis einer extrakraniellen Beteiligung wäre es auch für das bessere Krankheitsverständnis wichtig, etwa um den Anteil der Betroffenen mit thorakoabdominaler Beteiligung zu ermitteln. «Diese Frage werden wir ohne entsprechende Untersuchungen und Datensammlungen nie beantworten können», sagt Adler.
«Fast Track» gegen Erblindung
Für den weiteren Verlauf der Erkrankung hat sich die «Fast Track Clinic» als besonders bedeutsam herauskristallisiert. In einer Studie war nach Training des ärztlichen Notaufnahmepersonals über «signs and symptoms» der GCA innerhalb relativ kurzer Zeit nicht nur eine raschere Diagnosestellung zu beobachten, sondern auch eine Reduktion des irreversiblen Visusverlusts (der am meisten gefürchteten GCA-Komplikation) von 37% in der historischen Kohorte auf 9% unter Fast-Track-Betreuung.2
«9% sind zwar immer noch viel, aber 37% sind einfach untragbar», kommentiert Adler. Das kurze Training beruhte dabei ausschliesslich auf den überschaubaren Kriterien des «American College of Rheumatology» (ACR). Demnach liegt eine GCA-Diagnose vor bei:
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Alter > 50 Jahre
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neu aufgetretenen Kopfschmerzen
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Anomalie der Temporalarterie (Druckempfindlichkeit oder abgeschwächtes Pulsieren unabhängig von einer Atherosklerose der Halsarterien)
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ESR ≥ 50mm/h
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abnormaler Temporalarterienbiopsie (in den USA hat die Biopsie Vorrang vor der Duplexsonografie).
Möglichst früh Glukokortikoide
Bezüglich der Therapie sind die entsprechenden EULAR-Empfehlungen massgeblich, wonach hoch dosierte Glukokortikoide (GC) insbesondere bei okulärem Befall frühzeitig eingesetzt und nachfolgend mit variabler Dauer ausgeschlichen werden.3 Die GC-Gabe wirkt sich übrigens einer dänischen Analyse zufolge bereits nach wenigen Tagen negativ auf die diagnostische Genauigkeit der PET/CT-Untersuchung aus: Nach dreitägiger GC-Behandlung nahm die Intensität der 19F-FDG-Aufnahme in der Aorta beziehungsweise in den Aortenästen signifikant ab, die Diagnose konnte jedoch noch gestellt werden.4 Nach bereits zehntägiger GC-Behandlung wäre die Diagnose im PET/CT nicht mehr mit 100%iger Sicherheit möglich gewesen. «Die Vaskulitis ist aber mit 100%iger Sicherheit immer noch vorhanden! Das heisst für die Praxis: Bitte Beeilung bei der GC-Verabreichung – und dann auch bei der Diagnostik», so Adler.
Ein Problem bei GC-Verabreichung sind allerdings die Nebenwirkungen, die bei mehr als 80% der Patient:innen auftreten. Gibt es Alternativen? Die Erforschung der Pathogenese der Krankheit lieferte erste Hinweise, wonach nicht nur GC generell, sondern auch der Einsatz spezifischerer Arzneimittel gegen beteiligte Zytokine sinnvoll sein könnte, etwa Anti-IL12/23-, Anti-IL-6R/6- oder IL-1RA-Wirkstoffe.5
Tocilizumab in EULAR-Empfehlungen aufgenommen
Zur IL-6 Blockade mit i.v. Tocilizumab (TCZ) gab es nach ersten Fallberichten auch immer mehr Phase-II-Studien, die eine Wirkung vs. Placebo respektive GC nachwiesen. In einer solchen Studie erreichten 85% der Patient:innen nach 52 Wochen ein rezidivfreies Überleben, vs. 20% in der Placebogruppe.6 Die nachfolgende Phase-III-Studie GiACTA bestätigte diese Ergebnisse, was zur Zulassung von TCZ in dieser Indikation führte.7 Zudem bedingten diese Resultate eine Änderung beziehungsweise Aktualisierung der EULAR-Empfehlungen.8
Der erste Schritt ist nach wie vor, die Patient:innen dringend an ein spezialisiertes Zentrum zu überweisen. Nach Bestätigung der Verdachtsdiagnose (Histologie/Bildgebung) sollen unmittelbar GC eingesetzt werden:
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Prednison 40–60mg/d
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Reduktion auf 15–20mg/d innerhalb von 2–3 Monaten; nach einem Jahr ≤5mg
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bei okulärer Manifestation hohe GC-Dosierung i.v. zu Beginn (keine Angabe der Dosis)
Sind «minor» oder «major relapses» (i.d.R. mit kranieller/okulärer Beteiligung) oder Nebenwirkungen absehbar (≥80%!), ist ein Beginn mit TCZ oder Methotrexat (MTX) möglich:
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Ziel ist eine Prednisolon-Dosierung von 0mg innerhalb von 6 Monaten.
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MTX kann als Alternative zu TCZ erwogen werden.
Neue Erkenntnisse zum Stopp von Tocilizumab
Bei einem Stopp der i.v. TCZ-Behandlung nach 52 Wochen verbleibt rund die Hälfte der Patient:innen in Remission, wie eine Studie von Prof. Adler zeigte.9 Die Gründe dafür sind noch nicht hinreichend geklärt, gewisse Trends für oder gegen einen Relaps waren aber zu erkennen. So haben Jüngere ein höheres Risiko für einen Relaps, ebenso Patient:innen mit höherer Vaskulitislast. Hingegen war mit positiver temporaler oder okulärer Beteiligung kein erhöhtes Risiko verbunden. Ähnliche Erkenntnisse zur Remission nach Therapiestopp ergab eine Untersuchung der subkutanen TCZ-Behandlung, die zudem die Überlegenheit der wöchentlichen subkutanen TCZ-Gabe vs. zweiwöchentliche Verabreichung bezüglich des Outcomes nachwies.10
Drei Biomarker könnten im Verlauf der Vaskulitis unter TCZ ein positives Zeichen geben: MMP-3 normalisiert sich im Verlauf der Therapie im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Ähnliche Tendenzen zeigen Pentraxin-3 und ICAM-1.11 «Eine 12-monatige TCZ-Therapie scheint für die Normalisierung der vaskulitischen Aktivität dieser potenziell relevanten Biomarker jedenfalls erforderlich zu sein, wobei es natürlich auch Menschen geben wird, die kürzer oder länger benötigen», kommentiert Adler.
Es erhebt sich nun die Frage: Sind GC überhaupt noch erforderlich, wenn mit TCZ eine effiziente Therapie möglich ist? In der GUSTO-Studie erhielten Patient:innen nach einem kurzen GC-Bolus über 3Tage nachfolgend kein Kortison mehr, an Tag 4 TCZ initial i.v., danach wöchentlich s.c. TCZ.12 14 der 18 eingeschlossenen Patient:innen waren innerhalb von 24 Wochen in Remission, 13 von 18 zeigten bis Woche 52 keinen Relaps. Das Monitoring per Duplex zeigte unter der initialen Hochdosis-GC-Gabe eine rasche Abnahme der Intima-Media-Dicke, sie stieg nach GC-Stopp erneut an und erholte sich dann unter TCZ wieder langsam.13 «Das sind wichtige Aussagen, aber ich bin noch nicht bereit, auf Glukokortikoide zu verzichten», sagt Adler.
New kids on the block: Baricitinib, Secukinumab, Mavrilimumab
«Der Januskinaseinhibitor Baricitinib zeigt bei GCA im Prinzip eine Art Anti-IL6-Effekt», erklärt Adler. In einer Pilotstudie waren Patient:innen mit Vortherapien (nicht TCZ) nach 52 Wochen zum Grossteil kortisonfrei.14
Der Anti-IL-17-Wirkstoff Secukinumab wurde in einer Phase-II-Proof-of-Concept-Studie an 52 Patient:innen vs. Placebo (=GC) untersucht: Zu Woche 28 waren 70% der Teilnehmer:innen in dauerhafter Remission, in Woche 52 waren es immerhin noch knapp 60% (vs. jeweils 20% bzw. 8% unter Placebo).15,16
Der GM-SCF-Rezeptorantagonist Mavrilimumab wiederum führte in einer Phase-II-Studie über 26 Wochen an 50 Zentren zu einer dauerhaften Remission bei 83,2% der Patienten vs. 49,4% unter Placebo (statistisch nicht signifikant).17
Aus der Forschungspipeline werden weitere Erkenntnisse zur Bildgebung, zu TCZ vs. MTX und zu neuen Aspekten der regulatorischen T-Zellen erhofft. «Das Wichtigste ist derzeit aber nicht ein weiteres wirksames Medikament, sondern dass Betroffene so früh wie möglich diagnostiziert werden», betont Prof. Adler abschliessend. «Patient:innen erblinden zu sehen – das ist schwer zu verkraften.»
Quelle:
«Riesenzellarteriitis: ein Update», Webinar Rheuma Schweiz, 17. April 2023
Literatur:
1 Dejaco C et al.: EULAR recommendations for the use of imaging in large vessel vasculitis in clinical practice. Ann Rheum Dis 2018; 77: 636-43 2 Patil P et al.: Fast track pathway reduces sight loss in giant cell arteritis: results of a longitudinal observational cohort study. Clin Exp Rheumatol 2015; 33(2 Suppl 89): S-103-6 3 Mukhtyar C et al.: EULAR recommendations for the management of large vessel vasculitis. Ann Rheum Dis 2009; 68: 318-23 4 Nielsen BD et al.: Three days of high-dose glucocorticoid treatment attenuates large-vessel 18F-FDG uptake in large-vessel giant cell arteritis but with a limited impact on diagnostic accuracy. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2018; 45: 119-28 5 Samson M et al.: Recent advances in our understanding of giant cell arteritis pathogenesis. Autoimmun Rev 2017; 16: 833-44 6 Villinger P et al.: Tocilizumab for induction and maintenance of remission in giant cell arteritis: a phase 2, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2016; 387: 1921-7 7 Stone JH et al.: Trial of tocilizumab in giant-cell arteritis. N Engl J Med 2017; 377: 317-28 8 Hellmich B et al.: 2018 Update of the EULAR recommendations for the management of large vessel vasculitis. Ann Rheum Dis 2020; 79(1): 19-30 9 Adler S et al.: Risk of relapse after discontinuation of tocilizumab therapy in giant cell arteritis. Rheumatology 2019; 58: 1639-43 10 Stone JH et al.: Long-term effect of tocilizumab in patients with giant cell arteritis: open-label extension phase of the Giant Cell Arteritis Actemra (GiACTA) trial. Lancet Rheumatol 2021; 3(5): e328-36 11 Gloor A et al.: Immuno-monitoring reveals an extended subclinical disease activity in tocilizumab-treated giant cell arteritis. Rheumatology 2018; 57(10): 1795-801 12 Christ L et al.: Tocilizumab monotherapy after ultra-short glucocorticoid administration in giant cell arteritis: a single-arm, open-label, proof-of-concept study. Lancet Rheumatology 2021; 3(9): e619-26 13 Seitz L et al.: Quantitative ultrasound to monitor the vascular response to tocilizumab in giant cell arteritis. Rheumatology 2021; 60(11): 5052-9 14 Koster MJ et al: Baricitinib for relapsing giant cell arteritis: a prospective open-label 52-week pilot study. Ann Rheum Dis 2022; 81(6): 861-7 15 Venhoff N et al.: Efficacy and safety of secukinumab in patients with giant cell arteritis: study protocol for a randomized, parallel group, double-blind, placebo-controlled phase II trial. Trials 2021; 22(1): 543 16 Venhoff N et al.: Secukinumab in giant cell arteritis: the randomised, parallel-group, double-blind, placebo-controlled, multicentre phase 2 TitAIN trial. EULAR 2022; OP0182 17 Cid MC et al.: Efficacy and safety of mavrilimumab in giant cell arteritis: a phase 2, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Ann Rheum Dis 2022; 81(5): 653-61
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