
Optimale Versorgung für Jung und Alt
Der interdisziplinäre Austausch ist der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (ÖGPMR) immer ein besonderes Anliegen. Zur Jahrestagung 2019 wurden unter anderem auch Experten aus dem Fachbereich Rheumatologie als Referenten geladen, die über spezielle Herausforderungen bei adoleszenten und geriatrischen Patienten berichteten.
Wie Kinder schrittweise Kompetenz erlangen
Wie Transition zwischen pädiatrischer Rheumatologie und internistischer Erwachsenenversorgung gelingen kann, erklärte Dr. Josef Feyertag vom Wiener Wilhelminenspital. In der Kinderrheumatologie sind vorwiegend Patienten mit Oligoarthritis sowie RF-negativer und Enthesitisassoziierter Polyarthritis zu versorgen. Aber auch Psoriasisarthritis, RF-positive Polyarthritis und systemische Arthritis sind Diagnosen, die manchmal schon vor dem 16. Lebensjahr manifest werden.
Der Übergang von der familienorientierten zur patienten- bzw. symptomorientierten Betreuung ist ein langer Weg, der mehrere Jahre dauert und strukturiert ablaufen sollte. „Die Betreuungsintensität in der Kinderrheumatologie ist ungleich höher als in der Erwachsenenrheumatologie“, so Feyertag. Der junge Patient muss schrittweise an diese neue Situation und an Eigenverantwortlichkeit herangeführt werden – und das in der Lebensphase der Pubertät, in der Jugendliche ohnehin oft mit vielen anderen Problemen zu kämpfen haben.
Dr. Feyertag präsentierte das Konzept der koordinierten Transition in die Erwachsenenrheumatologie gemäß dem Arbeitskreis „Transition“ der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie und der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Die Vorbereitungen dazu sollten schon in der frühen Adoleszenz (ab dem 11. Lebensjahr) beginnen, denn: „Ein Kind wird nicht plötzlich zum Erwachsenen.“
Bis zum 18. Lebensjahr sollen die Jugendlichen zunehmende Kompetenz für ihre Erkrankung erlangen. Das beinhaltet z. B. Sprechstunden ohne Anwesenheit der Eltern, selbstständige Einnahme von Medikamenten und eigenverantwortliches Termin-Management von Arztbesuchen und Kontrolluntersuchungen. Bezüglich des Ablaufs der Transition und der Themen, die angesprochen werden müssen, empfiehlt Feyertag die Führung von Checklisten (z. B. Abb. 1) im Rahmen von Jugendsprechstunden (einzeln oder in Gruppen). Die Jugendlichen sollen lernen, wie ihre Erkrankung heißt („Viele wissen das nicht!“), wie sie zustande kommt und verläuft, was die Medikamente bewirken und was sie bei Krankheitsschüben und in Notfallsituationen tun können. „Wichtig ist es auch, pubertätsspezifische Themen – wie Substanzkonsum, Empfängnisverhütung, Probleme in der Schule und Ausbildung etc. – anzusprechen“, betont Feyertag. Auch eine Beratung bei der Berufswahl sollte frühzeitig erfolgen. Ein Webtipp für jugendliche Rheumapatienten ist die Seite www.mein-rheuma-wird-erwachsen.de.
In den Jahren vor dem definitiven Transfer in die internistische Rheumatologie (17–22 Jahre) werden die Patienten auch über die Funktionsweise des Gesundheitssystems informiert. Der weiterbetreuende internistische Rheumatologe wird zusammen ausgewählt. „Das Ziel ist, dass der junge Erwachsene seine Erkrankung beherrscht und nicht von ihr beherrscht wird.“
Der Transfer findet dann statt, wenn der Patient – aus eigener Sicht und aus Sicht des Kinderrheumatologen – für den Betreuungswechsel bereit ist. Das ist in der Regel zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr. Damit ist die Transition aber noch nicht abgeschlossen: Die vollständige Integration der Patienten in die Erwachsenenmedizin ist laut Feyertag ein Prozess, der mehrere Jahre dauert und erst im jungen Erwachsenenalter zwischen 20 und 24 Jahren abgeschlossen ist. Bis dahin sollen Rückmeldungen von Patienten und betreuenden Rheumatologen an die Kinderrheumatologen erfolgen. Feyertag: „Eine gelungene Transition benötigt ein multiprofessionelles Team und eine gute Zusammenarbeit zwischen Kinderrheumatologen und Erwachsenenrheumatologen.“
Keine Altersgrenze für DMARDs
Die Behandlung älterer Rheumapatienten verläuft leider oft nicht optimal, sagt Prof. Dr. Marcus Köller vom SMZ Süd, Wien: „Je älter die Patienten sind, desto zurückhaltender werden spezifische Therapien verordnet.“1–3 Der Grund dafür ist vermutlich, dass Ärzte bei älteren Patienten mehr Bedenken haben, DMARDs einzusetzen. Diese Sorgen sind unberechtigt, wie Köller ausführte, denn sowohl Wirksamkeit als auch Verträglichkeit von DMARDs sind bei Jung und Alt vergleichbar.4–7 Die zurückhaltende Verordnung von DMARDs kann für ältere Patienten sogar schlimmere Folgen haben als für jüngere. Denn wenn es zu Entzündungsaktivität und Schmerzen kommt, müssen oft mehr Kortison und NSAR eingesetzt werden – Medikamente, die bei älteren Patienten hinsichtlich Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen bedenklicher sind als DMARDs.
Rheumatoide Arthritis bei Älteren gut zu behandeln, sei weiters auch zur Verhinderung geriatrischer Syndrome wichtig, betont Köller. „Bei älteren Patienten kommt es durch Krankheitsaktivität rascher zu Funktionseinschränkungen und damit zu geriatrischen Syndromen wie Sarkopenie und Frailty.“ Hohe RA-Krankheitsaktivität ist als Risikofaktor für geriatrische Syndrome wissenschaftlich belegt.8, 9 Auch die Sturzgefahr steigt bei RA-Patienten mit zunehmender Krankheitsaktivität.10
Es besteht also rein altersbedingt keine Beschränkung für die Anwendung von spezifischen Rheumamedikamenten, fasst Köller zusammen. Altersphysiologische Veränderungen und Komorbiditäten müssen aber selbstverständlich berücksichtigt werden.
RS3PE-Syndrom
Abschließend wies Köller auf einige seltenere rheumatische Erkrankungen hin, die sich typischerweise im hohen Alter manifestieren. Neben der Chondrokalzinose (Pseudogicht), der Polymyalgia rheumatica (mit dem klassischen Symptom des bilateralen morgendlichen Schulterschmerzes) und der Riesenzellarteriitis ist das RS3PE-Syndrom erwähnenswert. Es handelt sich dabei um eine remittierende seronegative symmetrische Synovitis. „Das hervorstechendste Symptom ist die starke ödematöse Schwellung an den Handrücken, was dazu verleiten könnte, Diuretika zu geben, wenn man nicht an eine entzündlich-rheumatische Erkrankung denkt.“ Im MRT zeigen sich deutlich entzündliche Veränderungen in den Gelenken und periartikulären Strukturen. Das RS3PE-Syndrom kann auch im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung auftreten. Die empfohlene Therapie besteht aus NSAR und Prednisolon.
Quelle: Rheuma-Sitzung im Rahmen der ÖGPMR-Jahrestagung 2019, 8.–9. November 2019, Wien
1 Schmajuk G et al.: Treatment of older adult patients diagnosed with rheumatoid arthritis: improved but not optimal. Arthritis Rheum 2007; 57(6): 928-34 2 Radovits BJ et al.: Missed opportunities in the treatment of elderly patients with rheumatoid arthritis. Rheumatology 2009; 48: 906-10 3 Tan TC et al.: Comparison of elderly- and young-onset rheumatoid arthritis in an Asian cohort. Int J Rheum Dis 2017; 20(6): 737-45 4 Köller MD et al.: Response of elderly patients with rheumatoid arthritis to methotrexate or TNF inhibitors compared with younger patients. Rheumatology 2009; 48(12): 1575-80 5 Edwards CJ et al.: Efficacy and safety of etanercept in elderly patients with rheumatoid arthritis: a post-hoc analysis of randomized controlled trials. Drugs Aging 2019; 36(9): 853-62 6 Tesser J et al.: Efficacy and safety of intravenous golimumab plus methotrexate in patients with rheumatoid arthritis aged < 65 years and those ≥ 65 years of age. Arthritis Res Ther 2019; 21: 190 7 Lahaye C et al.: Effectiveness and safety of abatacept in elderly patients with rheumatoid arthritis enrolled in the French Society of Rheumatology's ORA registry. Rheumatology 2016; 55(5): 874-82 8 Chen YM et al.: Geriatric syndromes in elderly patients with rheumatoid arthritis. Rheumatology 2009; 48(10): 1261-4 9 Tada M et al.: Correlation between frailty and disease activity in patients with rheumatoid arthritis: data from the CHIKARA study. Geriatr Gerontol Int 2019; 19(12): 1220-5 10 Böhler C et al.: Rheumatoid arthritis and falls: the influence of disease activity. Rheumatology 2010; 51: 20051-7
Das könnte Sie auch interessieren:
Bedeutung pulmonaler Symptome zum Zeitpunkt der Erstdiagnose
Bei der Erstdiagnose von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen können bereits pulmonale Symptome vorliegen, dies muss jedoch nicht der Fall sein. Eine Studie des Rheumazentrums Jena hat ...
Betroffene effektiv behandeln und in hausärztliche Betreuung entlassen
Bei bestimmten Patientinnen und Patienten mit Gicht ist eine rheumatologisch-fachärztliche Betreuung sinnvoll. Eine im August 2024 veröffentlichte S3-Leitlinie zur Gicht macht deutlich, ...
Gezielte Therapien bei axSpA – und wie aus ihnen zu wählen ist
Nachdem 2003 der erste TNF-Blocker zugelassen wurde, existiert heute für die röntgenologische (r-axSpA) und die nichtröntgenologische axiale Spondyloarthritis (nr-axSpA) eine ganze Reihe ...