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«Nicht nur für junge Sportler»

<p class="article-intro">Warum Ganzkörper-Elektromuskelstimulation (EMS) auch eine effektive Trainingsmöglichkeit für Patienten ist, die sich aus medizinischer Sicht eigentlich dringend bewegen sollten, aber das nicht können oder wollen, erklärt PD Dr. med. Bernd Wegener aus München. Er ist Gastprofessor an der Freien Universität Brüssel. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er eine klinische Studie zur Wirkung von Ganzkörper-EMS bei chronischen Rückenschmerzen durchgeführt.<sup>1</sup></p> <hr /> <p class="article-content"><p><em><strong>Sie haben am Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Physikalische Medizin und Rehabilitation im September an Ihrer Klinik eine eigene wissenschaftliche Sitzung zum Thema Ganzk&ouml;rper-EMS organisiert. Warum braucht es f&uuml;r EMS ein eigenes Symposium?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Ich m&ouml;chte keine Werbung f&uuml;r EMS machen und bin auch nicht finanziell involviert. Wir fanden es aber gerechtfertigt, eine eigene Sitzung zu EMS durchzuf&uuml;hren: Es ist eine innovative Neuerung im Bereich der physikalischen Medizin, das Thema ist noch sehr jung, viele Kollegen kennen es nicht und inzwischen gibt es einige Studien zu diversen Krankheitsbildern.</p> <p><em><strong>Welchen Stellenwert sehen Sie f&uuml;r EMS in der Rehabilitation?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Man kann damit ein unglaublich effektives Krafttraining durchf&uuml;hren. Der Aufwand ist aber viel geringer als bei klassischem Training mit Gewichten. Insofern k&ouml;nnen Patienten aller Reha-Bereiche, bei denen es auf ein Krafttraining ankommt, vom EMS-Training profitieren.</p> <p><em><strong>N&uuml;tzt EMS auch Patienten mit rheumatischen Erkrankungen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Der wesentliche Vorteil ist, dass der Patient ein Krafttraining machen kann, ohne schwere Gewichte zu stemmen. Das schont Gelenke und Muskeln, was Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen entgegenkommt. Es kann aber auch Patienten mit H&auml;mophilie helfen, deren Gelenke durch h&auml;ufige Einblutungen gesch&auml;digt worden sind und deshalb nicht so belastbar sind.</p> <p><em><strong>EMS kann Patienten mit chronischen R&uuml;ckenschmerzen helfen. W&uuml;rden Sie das jedem Patienten empfehlen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> In erster Linie jenen, bei denen Schmerzmedikamente nicht mehr den gew&uuml;nschten Effekt erzielen und die sehr h&auml;ufig der Empfehlung der k&ouml;rperlichen Aktivit&auml;t aus ganz unterschiedlichen Gr&uuml;nden nicht ausreichend Folge leisten oder dies einfach nicht k&ouml;nnen. Deshalb kann EMS auch Senioren n&uuml;tzen: Sie k&ouml;nnen damit ihre Muskeln einfacher und schneller trainieren als mit herk&ouml;mmlichem Krafttraining. In Studien ist immer wieder zu sehen, dass es zu relevanten Kraftzuw&auml;chsen kommt.</p> <p><em><strong>Aber wirkt sich das auch auf die Gesundheit aus?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Durch die gewonnene Kraft und die damit verbundene Muskelmasse darf erwartet werden, dass die Senioren seltener st&uuml;rzen. Mit EMS l&auml;sst sich vermutlich das Risiko von Frakturen deutlich senken. Um dies mit wissenschaftlichen Daten zu unterlegen, sind aber grosse epidemiologische Studien erforderlich, die bislang noch nicht durchgef&uuml;hrt wurden. Aus den bisherigen Studien bei j&uuml;ngeren Menschen zum k&ouml;rperlichen Training kann man jedoch extrapolieren, dass ein positiver Effekt bei Senioren zu erwarten ist.</p> <p><em><strong>Sind solche gr&ouml;sseren Studien geplant?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Sie kosten viel Geld und sind aufwendig zu organisieren und durchzuf&uuml;hren. Insofern wird es davon abh&auml;ngen, ob an der Erforschung dieses Themas ein &ouml;ffentliches Interesse entsteht, was den Zugang zur entsprechenden Finanzierung erm&ouml;glichen w&uuml;rde.</p> <p><em><strong>Welche Senioren k&ouml;nnten von EMS profitieren?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Grunds&auml;tzlich eigentlich alle, wenn sie sich ansonsten gesund f&uuml;hlen. In den Handlungsempfehlungen der Hersteller steht beschrieben, was absolute und relative Kontraindikationen sind. Unter medizinischer Anleitung sind viele der dort angef&uuml;hrten Kontraindikationen eher als Argument f&uuml;r ein Training zu interpretieren, zum Beispiel f&uuml;r Menschen mit Herzinsuffizienz oder durch eine Krebserkrankung geschw&auml;chte Menschen. Wir vom Fachkreis EMS bereiten gerade eine Publikation vor, in der wir die Kontraindikationen noch einmal &uuml;bersichtlich zusammenfassen. Ich sehe EMS aber auch als gute M&ouml;glichkeit f&uuml;r Patienten, die wir kaum f&uuml;r Sport begeistern k&ouml;nnen. Etwa diejenigen, die keine Lust haben, Sport zu betreiben, oder die vielen Menschen mit &Uuml;bergewicht. Es ist leicht, seinen &uuml;bergewichtigen Patienten zu sagen, sie sollten Sport machen. Wer das schon einmal ausprobiert hat, weiss, wie schwierig das ist. Genauso schwer f&auml;llt dies Menschen mit chronischen R&uuml;ckenschmerzen. Aus medizinischer Sicht steht hier also nicht nur ein effektives Fitnessinstrument zur Verf&uuml;gung, sondern EMS bietet Menschen, die sich aus medizinischer Sicht eigentlich dringend bewegen sollten, aber das nicht k&ouml;nnen oder wollen, eine effektive Trainingsm&ouml;glichkeit. Auch bei Senioren darf man im Vergleich zu den &uuml;blichen k&ouml;rperlichen Belastungen einen enormen Gewinn erwarten.</p> <p><em><strong>Eine h&auml;ufig beschriebene Nebenwirkung ist ein deutlicher Anstieg der Kreatinkinase. Sollten Patienten mit Nierenschw&auml;che lieber kein EMS machen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Das w&auml;re zu einfach. Die Kombination aus einem geschulten Trainer und der Konsultation des behandelnden Arztes sollte es m&ouml;glich machen, f&uuml;r jeden Einzelnen eine sinnvolle L&ouml;sung zu finden.</p> <p><strong><em>Worauf sollte man beim EMS-Training achten?</em> </strong><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Es gibt verschiedene Systeme, mit denen das Training angeboten wird. Nach meiner pers&ouml;nlichen Erfahrung ist eine fachkundige Anleitung des Trainierenden wichtig, um einerseits mit den richtigen &Uuml;bungen den gew&uuml;nschten Trainingseffekt zu erzielen und andererseits die richtige Dosis zu w&auml;hlen, damit es nicht zu Nebenwirkungen kommt.</p> <p><strong><em>Sollte EMS &auml;rztlich verordnet werden? Denn der Arzt kennt doch die Probleme des Patienten am besten.</em> </strong><br /> <strong><em>B. Wegener:</em></strong> Ich halte es nicht f&uuml;r sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt die Diskussion &uuml;ber EMS als Kassenleistung auf Rezept zu f&uuml;hren. Eine &auml;rztliche Empfehlung eines Trainings mit EMS ist sicherlich hilfreich. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass es noch andere Formen des Trainings gibt, und nicht versuchen, alle Probleme dieser Welt mit EMS zu l&ouml;sen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Konrad K et al.: The effects of whole-body elektromyostimulation (WB-EMS) training in comparison to a multimodal low back pain concept: a clinical intervention trial in patients with chronic back pain. In: Book of Abstracts, 24<sup>th</sup> Annual Congress of the European college of sport science, 3.&ndash;6. Juli 2019, Prag; 512-3</p> </div> </p>
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