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«Nicht nur für junge Sportler»
Leading Opinions
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28.11.2019
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<p class="article-intro">Warum Ganzkörper-Elektromuskelstimulation (EMS) auch eine effektive Trainingsmöglichkeit für Patienten ist, die sich aus medizinischer Sicht eigentlich dringend bewegen sollten, aber das nicht können oder wollen, erklärt PD Dr. med. Bernd Wegener aus München. Er ist Gastprofessor an der Freien Universität Brüssel. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er eine klinische Studie zur Wirkung von Ganzkörper-EMS bei chronischen Rückenschmerzen durchgeführt.<sup>1</sup></p>
<hr />
<p class="article-content"><p><em><strong>Sie haben am Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation im September an Ihrer Klinik eine eigene wissenschaftliche Sitzung zum Thema Ganzkörper-EMS organisiert. Warum braucht es für EMS ein eigenes Symposium?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Ich möchte keine Werbung für EMS machen und bin auch nicht finanziell involviert. Wir fanden es aber gerechtfertigt, eine eigene Sitzung zu EMS durchzuführen: Es ist eine innovative Neuerung im Bereich der physikalischen Medizin, das Thema ist noch sehr jung, viele Kollegen kennen es nicht und inzwischen gibt es einige Studien zu diversen Krankheitsbildern.</p> <p><em><strong>Welchen Stellenwert sehen Sie für EMS in der Rehabilitation?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Man kann damit ein unglaublich effektives Krafttraining durchführen. Der Aufwand ist aber viel geringer als bei klassischem Training mit Gewichten. Insofern können Patienten aller Reha-Bereiche, bei denen es auf ein Krafttraining ankommt, vom EMS-Training profitieren.</p> <p><em><strong>Nützt EMS auch Patienten mit rheumatischen Erkrankungen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Der wesentliche Vorteil ist, dass der Patient ein Krafttraining machen kann, ohne schwere Gewichte zu stemmen. Das schont Gelenke und Muskeln, was Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen entgegenkommt. Es kann aber auch Patienten mit Hämophilie helfen, deren Gelenke durch häufige Einblutungen geschädigt worden sind und deshalb nicht so belastbar sind.</p> <p><em><strong>EMS kann Patienten mit chronischen Rückenschmerzen helfen. Würden Sie das jedem Patienten empfehlen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> In erster Linie jenen, bei denen Schmerzmedikamente nicht mehr den gewünschten Effekt erzielen und die sehr häufig der Empfehlung der körperlichen Aktivität aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht ausreichend Folge leisten oder dies einfach nicht können. Deshalb kann EMS auch Senioren nützen: Sie können damit ihre Muskeln einfacher und schneller trainieren als mit herkömmlichem Krafttraining. In Studien ist immer wieder zu sehen, dass es zu relevanten Kraftzuwächsen kommt.</p> <p><em><strong>Aber wirkt sich das auch auf die Gesundheit aus?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Durch die gewonnene Kraft und die damit verbundene Muskelmasse darf erwartet werden, dass die Senioren seltener stürzen. Mit EMS lässt sich vermutlich das Risiko von Frakturen deutlich senken. Um dies mit wissenschaftlichen Daten zu unterlegen, sind aber grosse epidemiologische Studien erforderlich, die bislang noch nicht durchgeführt wurden. Aus den bisherigen Studien bei jüngeren Menschen zum körperlichen Training kann man jedoch extrapolieren, dass ein positiver Effekt bei Senioren zu erwarten ist.</p> <p><em><strong>Sind solche grösseren Studien geplant?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Sie kosten viel Geld und sind aufwendig zu organisieren und durchzuführen. Insofern wird es davon abhängen, ob an der Erforschung dieses Themas ein öffentliches Interesse entsteht, was den Zugang zur entsprechenden Finanzierung ermöglichen würde.</p> <p><em><strong>Welche Senioren könnten von EMS profitieren?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Grundsätzlich eigentlich alle, wenn sie sich ansonsten gesund fühlen. In den Handlungsempfehlungen der Hersteller steht beschrieben, was absolute und relative Kontraindikationen sind. Unter medizinischer Anleitung sind viele der dort angeführten Kontraindikationen eher als Argument für ein Training zu interpretieren, zum Beispiel für Menschen mit Herzinsuffizienz oder durch eine Krebserkrankung geschwächte Menschen. Wir vom Fachkreis EMS bereiten gerade eine Publikation vor, in der wir die Kontraindikationen noch einmal übersichtlich zusammenfassen. Ich sehe EMS aber auch als gute Möglichkeit für Patienten, die wir kaum für Sport begeistern können. Etwa diejenigen, die keine Lust haben, Sport zu betreiben, oder die vielen Menschen mit Übergewicht. Es ist leicht, seinen übergewichtigen Patienten zu sagen, sie sollten Sport machen. Wer das schon einmal ausprobiert hat, weiss, wie schwierig das ist. Genauso schwer fällt dies Menschen mit chronischen Rückenschmerzen. Aus medizinischer Sicht steht hier also nicht nur ein effektives Fitnessinstrument zur Verfügung, sondern EMS bietet Menschen, die sich aus medizinischer Sicht eigentlich dringend bewegen sollten, aber das nicht können oder wollen, eine effektive Trainingsmöglichkeit. Auch bei Senioren darf man im Vergleich zu den üblichen körperlichen Belastungen einen enormen Gewinn erwarten.</p> <p><em><strong>Eine häufig beschriebene Nebenwirkung ist ein deutlicher Anstieg der Kreatinkinase. Sollten Patienten mit Nierenschwäche lieber kein EMS machen?</strong></em><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Das wäre zu einfach. Die Kombination aus einem geschulten Trainer und der Konsultation des behandelnden Arztes sollte es möglich machen, für jeden Einzelnen eine sinnvolle Lösung zu finden.</p> <p><strong><em>Worauf sollte man beim EMS-Training achten?</em> </strong><br /> <em><strong>B. Wegener:</strong></em> Es gibt verschiedene Systeme, mit denen das Training angeboten wird. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist eine fachkundige Anleitung des Trainierenden wichtig, um einerseits mit den richtigen Übungen den gewünschten Trainingseffekt zu erzielen und andererseits die richtige Dosis zu wählen, damit es nicht zu Nebenwirkungen kommt.</p> <p><strong><em>Sollte EMS ärztlich verordnet werden? Denn der Arzt kennt doch die Probleme des Patienten am besten.</em> </strong><br /> <strong><em>B. Wegener:</em></strong> Ich halte es nicht für sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt die Diskussion über EMS als Kassenleistung auf Rezept zu führen. Eine ärztliche Empfehlung eines Trainings mit EMS ist sicherlich hilfreich. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass es noch andere Formen des Trainings gibt, und nicht versuchen, alle Probleme dieser Welt mit EMS zu lösen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Konrad K et al.: The effects of whole-body elektromyostimulation (WB-EMS) training in comparison to a multimodal low back pain concept: a clinical intervention trial in patients with chronic back pain. In: Book of Abstracts, 24<sup>th</sup> Annual Congress of the European college of sport science, 3.–6. Juli 2019, Prag; 512-3</p>
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