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Gonarthrose

Mehr Mastzellen in entzündeten Gelenken bei Frauen

In der Synovia von arthrotischen Kniegelenken findet man vermehrt Mastzellen. Eine Forschergruppe aus den USA hat jetzt gezeigt, dass die Zellzahl bei betroffenen Frauen noch einmal höher ist als bei männlichen Leidensgenossen. Das könnte geschlechterspezifische Unterschiede in der Symptomatik der Gonarthrose erklären.

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis für die Entstehung einer Arthrose grundlegend geändert. Früher war die gängige Meinung, Arthrose sei bloss eine degenerative Erkrankung. Der Knorpel im Gelenk reibt sich durch Über- oder Fehlbelastung ab und als «Begleiterscheinung» entzündet sich die Synovia. Inzwischen scheint aber ziemlich klar zu sein, dass die Entzündung weiter am Anfang der Gonarthrose steht und vermutlich eine Schlüsselrolle für die Pathogenese spielt.

Dazu passt, dass die Synovitis den arthrosetypischen Schäden in der Bildgebung oft vorausgeht und sich schon in frühen Stadien Entzündungszellen in der Synovia finden, vor allem Mastzellen, T-Lymphozyten und Makrophagen. Gemäss der nun gängigen Hypothese verläuft die Pathogenese folgendermassen: Das Gelenk wird geschädigt – zum Beispiel durch ein Trauma oder durch Fehl- oder Überbelastung. Dies löst eine Immunantwort aus, die eine chronische, milde Entzündung im Gelenk verursacht. Diese führt letztendlich zum arthrosetypischen Knorpelabbau, zu Funktionseinschränkungen und Schmerzen.

Eine gute Übersicht über die niedriggradige Entzündung als ein Schlüsselelement in der Pathogenese der Arthrose publizierte im Jahr 2016 eine Forschergruppe um Prof. William Robinson, Rheumatologe in der Stanford University School of Medicine.1 Eines der Fazits: Eine Arthrose bedeutet, dass das Gelenk als Organ versagt hat. Die Synovitis ist eines der Hauptcharakteristika einer Arthrose und ihr Vorliegen ist mit mehr Beschwerden, mit einer Gelenkdysfunktion und mit Knorpelverlust assoziiert. Die Entzündung ist massgeblich für die Pathogenese der Arthrose. Die lokale Entzündung kann durch eine systemische, zum Beispiel durch Übergewicht, verstärkt werden. Übergewicht belastet die Gelenke nicht nur durch mehr Gewicht, sondern löst auch eine chronische systemische Entzündung im Körper aus, da aus dem Fettgewebe Entzündungsmediatoren – etwa Adipokine und andere Zytokine – ins Blut freigesetzt werden. Es sei möglich, so Robertson, dass die systemische Entzündung die lokale Entzündung im Gelenk vorantreibt, was dann letztendlich in einer Gonarthrose resultiert.

Mehr Mastzellen und mehr Tryptase

Die Mastzellen haben Arthroseforscher schon seit einiger Zeit im Blick. Noch ist ein kausaler Zusammenhang nicht bewiesen, aber es mehren sich die Hinweise, dass diese Zellen massgeblich zum Entzündungsprozess und damit zum Voranschreiten der Arthrose beitragen. Eine Forschergruppe aus den USA geht jetzt sogar noch einen Schritt weiter: Auf dem amerikanischen Rheumatologenkongress ACR in Philadelphia berichteten sie über ihre Studie mit 157 Gonarthrosepatienten, darunter 96 Frauen und 61 Männer.2 Bei den Frauen fanden sich signifikant mehr Mastzellen in der Synovia, was – so das Fazit der Forschergruppe – die stärkeren Schmerzen erklären könnte, unter denen Frauen mit Gonarthrose leiden. Das wird in Studien nämlich immer wieder beobachtet. Und es ist auch bekannt, dass Frauen öfter unter Gonarthrose leiden und dass sie bei ihnen oft schwerer verläuft.3–6

Das Team um Dr. med. Dana Orange, Assistant Professor of Clinical Investigation an der Rockefeller University, schloss in ihre Studie Männer und Frauen über 45 Jahre ein, die eine von drei Einschlussvorgaben erfüllen mussten(ACR-Kriterien gemäss Klinik/Radiologie oder Klinik/Labor oder röntgenologische Kriterien Kellgren-Lawrence-Stadium 2–4).2 Bei allen Patienten war die Arthrose so weit fortgeschritten, dass sie einen Knieersatz benötigten. Patienten, die eine Kniefraktur gehabt hatten oder unter einer systemischen rheumatischen Erkrankung litten oder einen Gelenkersatz aus anderen Gründen bekommen sollten, waren von der Studie ausgeschlossen.

Das Ausmass der Schmerzen wurde mit dem PROMIS- und dem KOOS-Schmerzscore ermittelt. Die Forscher massen die Tryptase-Level im Serum und in der Gelenkflüssigkeit, die sie perioperativ gewannen. Tryptase wird von Mastzellen ausgeschüttet und ist ein Zeichen für deren Aktivität. Proben der Synovia wurden histologisch nach 13 Merkmalen untersucht, unter anderem auf Lymphozyten, Neutrophile, Plasmazellen, Russell-Körper, Fibrin, Zelldetritus, Fibrose und Anzahl der Mastzellen.

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Frauen sind von Kniearthrose häufiger und oft auch schwerer betroffen als Männer

Bezüglich Schmerzintensität bestätigte die Studie das, was schon aus anderen Untersuchungen bekannt war: Frauen litten unter stärkeren Schmerzen als Männer: Im PROMIS-Score gaben sie im Schnitt 7,2 (Männer: 6,2; p=0,001) an und im KOOS-Score 57 im Vergleich zu 49 (p=0,002). Dass die Frauen mehr Schmerzen hatten, weil sie schon länger unter Symptomen litten und ihre Arthrose womöglich fortgeschrittener war, ist unwahrscheinlich. Denn Frauen und Männer hatten im Schnitt seit genauso viel Jahren Beschwerden. Auch waren die Schweregrade der Arthrose vergleichbar.

Die Zahl der Mastzellen war bei Frauen signifikant höher als bei Männern, nämlich 63 pro Gesichtsfeld im Vergleich zu 46 (p=0,004). Dieser Unterschied blieb auch nach Bonferroni-Korrektur bestehen. Passend zur erhöhten Mastzellzahl waren auch die Tryptasespiegel bei Frauen höher (p<0,0001). Die anderen histologischen Parameter unterschieden sich zwischen Männern und Frauen nicht.

Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz, ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie im Universitätsklinikum Heidelberg, warnt allerdings davor, die Resultate überzuinterpretieren: «Ob Mastzellen eine Arthrose auslösen und ob das bei Frauen eine grössere Rolle spielt, ist nicht bewiesen. Bestätigen sich die Ergebnisse aber in weiteren grösseren Studien, könnte man möglicherweise zukünftig die Mastzellen mit Medikamenten gezielt beeinflussen.»

Kausalität oder Korrelation?

Mastzellen gehören zum angeborenen Immunsystem und reagieren rasch auf krank machende Stoffe von aussen oder Schäden im Körper.7 Der deutsche Mediziner Prof. Paul Ehrlich beschrieb die Zellen zum ersten Mal im Jahr 1878. Er nannte sie so, weil sie unter dem Mikroskop so «gemästet» aussahen. In den Zellen sind nämlich dick gepackt Granula mit Botenstoffen, unter anderem Histamin und Tryptase, enthalten, die auf bestimmte Reize hin ausgeschüttet werden. Die Botenstoffe führen zur Synovitis und lassen Blutgefässe einspriessen, was die Entzündung weiter vorantreibt. Was die Mastzellen veranlasst, ihre Botenstoffe freizusetzen, ist unklar, möglicherweise Stoffwechselprodukte von Knochen oder Knorpel.

Inzwischen weisen mehrere Studien darauf hin, wie wichtig Mastzellen offenbar in der Pathogenese der Arthrose sind. Eine der jüngsten Arbeiten kommt von Forschern von der Universität in Ancona.8 Sie fanden bei Patienten mit Arthrose deutlich mehr Mastzellen, bei Kniearthrose waren es im Durchschnitt 165 pro Gesichtsfeld im Vergleich zu 20 in der Kontrollgruppe. Je mehr Mastzellen zu sehen waren, desto schlimmer war die Synovia entzündet, desto mehr Blutgefässe hatten sich neu gebildet, desto mehr Schmerzen hatten die Patienten und umso grösser war die Funktionseinschränkung im Knie. In der Studie wurde aber nicht explizit analysiert, ob sich die Mastzellzahl zwischen Männern und Frauen unterschied.

Mastzellen gezielt beeinflussen

«Dass bei Patienten mit Arthrose eine erhöhte Konzentration an Mastzellen im Gelenk nachweisbar ist, wissen wir schon seit Längerem, aber welche Rolle diese Zellen spielen, ist noch unklar», sagt Renkawitz. «Wenn sich ein Nutzen bestätigt, könnte man überlegen, ob man bei Patienten mit sehr hohen Zellkonzentrationen diese gezielt mit Medikamenten beeinflusst – egal ob Mann oder Frau.»

Ansätze hierfür gibt es schon. So hat beispielsweise die Arbeitsgruppe aus Ancona in einer Pilotstudie mit 10 Patienten gesehen, dass Antikörper, die normalerweise gegen Asthma oder Neurodermitis eingesetzt werden, Arthrosebeschwerden besserten. Die Antikörper stabilisierten die Mastzellen so, dass sie weniger Botenstoffe ausschütteten.9

Forscher vom Research Institute of Fundamental and Clinical Immunology in Novosibirsk beobachteten nach Auswertung von öffentlich zugänglichen Daten der Osteoarthritis Initiative Cohort mit 4273 Patienten, dass diejenigen, die Antihistaminika genommen hatten, seltener die Diagnose einer Gonarthrose bekamen.10 Antihistaminika blockieren nicht nur die Wirkungen von Histamin, sondern können möglicherweise auch die Mastzellen stabilisieren. Dieselbe Forschergruppe testet nun mit 30 Patienten, ob eine Creme mit dem Antihistaminikum Diphenhydramin eine Arthrose bessern kann.

Antihistaminika werden standardmässig gegen allergische Erkrankungen angewendet. «Trotzdem würde ich sie noch nicht gegen Kniearthrose einsetzen», sagt Renkawitz. «Die Datenlage ist noch viel zu schwach und die Medikamente haben ja auch Nebenwirkungen. Und selbst wenn grosse Studien die Wirkung bei Gonarthrose belegen, wissen wir dann auch noch nicht, ob die Behandlung besser ist als herkömmmliche Therapien.»

So bleibt Patienten mit Arthrose vorerst nichts anderes übrig als die bisherige stufenweise Therapie: zuerst nichtmedikamentöse Massnahmen wie Physiotherapie, Koordinations- und Krafttraining, dann Salben, Gele oder Pflaster mit nichtsteroidalen Antiphlogistika und – wenn dies nichts nützt – diese Medikamente als Tablette. Zur kurzfristigen Schmerzlinderung kann man Kortisonspritzen oder Opioide verabreichen, und wenn das die Beschwerden immer noch nicht bessert, sollte man über einen Gelenkersatz nachdenken. Eine Operation sei aber immer der letzte Schritt, sagt Renkawitz. «Das sollte man erst mit dem Patienten diskutieren, wenn alle anderen konservativen Massnahmen ausgeschöpft sind.» Patienten, die mit mittelschwerer Arthrose bereits ein Kunstgelenk bekommen, leiden nämlich oft auch noch nach der Operation unter Schmerzen und sind unzufrieden.11 Abgesehen davon muss man auch die Lebensdauer der Kunstgelenke berücksichtigen; sie halten durchschnittlich 15 bis 25 Jahre.12 «Mit der heutigen Lebenserwartung leben viele Patienten noch länger und bräuchten einen Wechsel», sagt Renkawitz. «Aber unnötige Wechseloperationen sollte man vermeiden, weil jede Operation natürlich mit Komplikationen einhergehen kann – vor allem wenn man älter wird.»

Besser ist es natürlich, eine Arthrose zu verhindern, indem man kniebelastende Aktivitäten in Beruf und Freizeit vermeidet. Wenn man Knieschmerzen hat, sind Sportarten wie Schwimmen oder Radfahren gegenüber Tennis, Joggen oder Fussball zu bevorzugen. Übergewichtige profitieren doppelt vom Abnehmen: Zum einen werden dann die Kniegelenke weniger belastet, zum anderen könnte sich die systemische Entzündung reduzieren, weil weniger entzündungsfördernde Stoffe aus Fettgewebe freigesetzt werden.

1 Robinson WH et al.: Low-grade inflammation as a key mediator of the pathogenesis of osteoarthritis. Nat Rev Rheumatol 2016; 12(10): 580-92 2 Mehta B et al.: Mast cells may explain sex differences in osteoarthritis pain. Arthritis Rheumatol 2022; 74(Suppl 9): Abstract 1642 3Tschon M et al.: Gender and sex are key determinants in osteoarthritis not only confounding variables. A systematic review of clinical data. J Clin Med 2021; 10(14): 3178 4Hawker GA et al.: Differences between men and women in the rate of use of hip and knee arthroplasty. N Engl J Med 2000; 342(14): 1016-22 5 Hame SL, Alexander RA: Knee osteoarthritis in women. Curr Rev Musculoskelet Med 2013; 6(2): 182-7 6 Mehta SP et al.: Do women have poorer outcomes following total knee replacement? Osteoarthritis Cartilage 2015; 23(9): 1476-82 7 Amin K: The role of mast cells in allergic inflammation. Respir Med 2012; 106(1): 9-14 8 Farinelli L et al.: Synovial mast cells from knee and hip osteoarthritis: histological study and clinical correlations. J Exp Orthop 2022; 9: 13 9 Aquili A et al.: The effect of anti-IgE therapy in knee osteoarthritis: a pilot observational study. J Biol Regul Homeost Agents 2017; 31(4 Suppl 1): 1-5 10 Shirinsky I, Shirinsky V: H1-antihistamines are associated with lower prevalence of radiographic knee osteoarthritis: a cross-sectional analysis of the Osteoarthritis Initiative data. Arthritis Res Ther 2018; 20(1): 116 11 Leppänen S et al.: Mild knee osteoarthritis predicts dissatisfaction after total knee arthroplasty: a prospective study of 186 patients aged 65 years or less with 2-year follow-up. BMC Muskuloskelet Disord 2021; 22(1): 657 12 Evans JT et al.: How long does a knee replacement last? A systematic review and meta-analysis of case series and national registry reports with more than 15 years of follow-up. Lancet 2019; 393(10172): 655-63




Kommentar

«Spricht für Entzündungstheorie der Arthrose»

Dr. med. Michael Gengenbacher, Zurzach Care AG, Bad Zurzach.

Diese Studie bringt uns einen Schritt weiter in unserem Verständnis der Pathogenese einer Arthrose. Im Englischen wird Arthrose schon seit jeher korrekterweise Osteoarthritis, also Gelenkentzündung, genannt. Wir wissen schon seit Längerem, dass die Mastzellen bei Patienten mit Gonarthrose in der Synovia erhöht sind, aber dass in dieser Studie Frauen noch einmal signifikant mehr Mastzellen hatten, ist neu. Dies kann einen Zusammenhang mit einer Entzündung aufzeigen, die bei Frauen stärker ist. Dass sich bei Gonarthrose mehr Mastzellen nachweisen lassen, spricht für die immer mehr anerkannte Entzündungstheorie der Arthrose und dafür, dass es kein altersbedingter Verschleiss ist.

Die Stärke der Studie ist, dass die Kohorte gut charakterisiert ist, d.h., dass die Schmerzen mittels PROMIS-Intensity-Score und KOOS-Pain-Score objektiv und systematisch erfasst wurden und dass mittels Röntgenbild klar belegt wurde, dass die Patienten eine Arthrose im Endstadium hatten, verifiziert mittels Kellgren- und Lawrence-Score. Gut finde ich auch, dass Histologie und Serumbestimmung der Tryptase standardisiert waren. Dass die Ergebnisse per Zufall zustande gekommen sind, halte ich für unwahrscheinlich.

Die Studie hat natürlich wie jede Studie Limitierungen. Mit 157 Patienten haben die Kollegen wenige Teilnehmer eingeschlossen. Ich frage mich, warum man nicht mehr rekrutieren konnte. Gonarthrose ist ja schliesslich sehr häufig. Abgesehen davon gelten die Ergebnisse nur für eine Gonarthrose im Endstadium. So können wir nicht ausschliessen, dass Frauen mit mittelschwerer Arthrose vielleicht gar nicht mehr Mastzellen haben als Männer. Auch wissen wir noch nicht, ob die Mastzellen kausal für die Gonarthrose und die bei Frauen öfter berichteten stärkeren Schmerzen verantwortlich sind. All dies werden wir nur wissen, wenn die Untersuchungen in einem grösseren Patientenkollektiv mit allen Arthrosestadien wiederholt werden.

Konsequenzen für den Alltag ergeben sich aus dieser und ähnlichen Studien bisher nicht. Es ist viel zu früh, zu sagen, wir bräuchten eine geschlechterspezifische Arthrosetherapie. Möglicherweise wird es in Zukunft eher so sein, dass jeder Patient mit vielen Mastzellen eine spezifische Therapie bekommt – unabhängig davon, ob Mann oder Frau. In zukünftigen Studien sollte man aber mehr auf diese geschlechterspezifischen Faktoren achten. Und auch wenn erste Studien gezeigt haben, dass man mit einer Anti-IgE-Therapie oder Antihistaminika die Mastzellen bzw. ihre Wirkung modulieren kann, ist es viel zu früh, um diese Medikamente gegen Arthrose einzusetzen. Wichtig ist die zunehmende Erkenntnis, dass eine Entzündung die Arthrose mitverursacht.

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