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SGR 2018

70 Jahre Glukokortikoide: eine Standortbestimmung

<p class="article-intro">Die europäische Fachgesellschaft EULAR empfiehlt, bei Patienten mit rheumatoider Arthritis konventionelle Basismedikamente immer zu Beginn und bei Wechsel der Therapie mit einem Glukokortikoid (GC) zu kombinieren.<sup>1</sup> Prof. Dr. med. Frank Buttgereit von der Charité in Berlin erklärte auf dem SGR-Jahreskongress in Interlaken die Hintergründe, die zu der Empfehlung geführt haben, und wie GC heute korrekt eingesetzt werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Jahr 1948, also vor genau 70 Jahren, wurde die erste Patientin mit Kortison behandelt. &laquo;Die GC &uuml;bertreffen daher viele andere Medikamente hinsichtlich der Anzahl behandelter Patienten und der Vielzahl klinischer Anwendungen&raquo;, sagte Prof. Buttgereit. Eine amerikanische Studie zeigte beispielsweise, dass 20 % der ambulant behandelten Patienten ein GC aus unterschiedlichen Gr&uuml;nden und von &Auml;rzten verschiedener Fachrichtungen verschrieben bekommen (Abb. 1).<sup>2</sup> Und in Deutschland werden bei 44 % der RA-Patienten GC mehr oder weniger kontinuierlich eingesetzt.<sup>3</sup> &laquo;Trotz des medizinischen Fortschritts und der Biologika w&auml;re es auch heute ohne GC nach wie vor nicht immer m&ouml;glich, gute Medizin zu machen&raquo;, so der Experte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s52_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="891" /></p> <h2>GC hemmen auch radiografische Progression</h2> <p>GC werden vor allem wegen ihrer rasch einsetzenden antiinflammatorischen und immunsuppressiven Wirkung bei verschiedenen entz&uuml;ndlichen Autoimmunerkrankungen eingesetzt. &laquo;Zusammen mit den anderen Basistherapeutika helfen GC mit, die radiografische Progression zu vermindern &raquo;, erl&auml;uterte Buttgereit. Dies &uuml;berrasche vielleicht auf den ersten Blick, da GC-Therapien ja eher mit vermehrtem Knochenabbau in Verbindung gebracht werden. Doch betrachte man den Wirkmechanismus, werde schnell klar, warum GC tats&auml;chlich auch die radiografische Progression vermindern. Wie aus der Biologikaforschung bekannt ist, sind bei einer Entz&uuml;ndung Zytokine wie TNF-&alpha; und IL-1 lokal erh&ouml;ht. Diese Molek&uuml;le stimulieren die Osteoblasten und T-Zellen, RANK-Ligand zu bilden und an den RANK-Rezeptor auf den Pr&auml;osteoklasten zu binden. Dadurch differenzieren sich mehr Vorl&auml;uferzellen zu den knochenabbauenden Osteoklasten. &laquo;GC unterbrechen diese Kaskade, indem sie Entz&uuml;ndungsmediatoren wie TNF-&alpha; und IL-1 hemmen&raquo;, so Buttgereit. Und diese Inhibition vermindere schliesslich die radiografische Progression.<sup>4, 5</sup><br /> GC machen zudem Therapien mit Basismedikamenten wie Methotrexat besser vertr&auml;glich. Die europ&auml;ische Fachgesellschaft EULAR empfiehlt deshalb seit 2016, immer wenn eine Therapie mit einem konventionellen DMARD gestartet oder die Behandlung mit einem Basistherapeutikum ge&auml;ndert wird, kurzzeitig ein GC dazuzugeben.<sup>1</sup></p> <h2>1,5-fach erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Wirbelk&ouml;rperbr&uuml;che</h2> <p>&laquo;Selbstverst&auml;ndlich verursachen GC mitunter auch erhebliche unerw&uuml;nschte Nebenwirkungen&raquo;, f&uuml;hrte Prof. Buttgereit aus. Insbesondere in h&ouml;herer Dosierung und bei l&auml;ngerer Anwendung f&ouml;rdern diese Medikamente zum Beispiel Infektionen und ver&auml;ndern den Metabolismus, was Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Katarakt, Depression, Myopathie und Osteoporose f&ouml;rdert.<br /> Wie gross das Problem des Knochenabbaus unter einer GC-Therapie tats&auml;chlich ist, untersuchte vor einiger Zeit eine asiatische Gruppe in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 413 Teilnehmern, darunter 208 mit RA und 205 ohne RA. Die Analyse ergab: Patienten mit RA hatten 1,5-mal h&auml;ufiger Wirbelk&ouml;rperfrakturen als die Kontrollgruppe. &laquo;Das ist erheblich &raquo;, kommentierte der Experte. Die Mehrzahl der 90 RA-Patienten mit Wirbelk&ouml;rperbr&uuml;chen, n&auml;mlich 56,7 % , hatte zudem drei und mehr Wirbelk&ouml;rperfrakturen; bei der Population ohne RA mit Br&uuml;chen war es ein Viertel. Unter den RAPatienten war ausserdem der Schweregrad der Br&uuml;che deutlich ausgepr&auml;gter als in der Kontrollgruppe.<sup>6</sup></p> <h2>Nur so viel und so lange wie n&ouml;tig</h2> <p>Die Kunst in Praxis und Klinik besteht deshalb darin, die entz&uuml;ndungshemmende Wirkung von GC zu nutzen, ohne den Patienten zu schaden. &laquo;GC sollten daher immer in so geringer Dosis und so kurz wie m&ouml;glich und n&ouml;tig eingesetzt werden&raquo;, betonte Buttgereit. Tats&auml;chlich hat beim Einsatz der GC in den letzten Jahrzehnten ein Umdenken stattgefunden. In Deutschland beispielsweise wurden 1996 noch 55 % der RA-Patienten mit GC behandelt, 2016 nur noch 44 % . Auch die Dosis konnte deutlich reduziert werden. So hat sich einerseits der Anteil der RA-Patienten, die t&auml;glich weniger als 5mg GC bekommen, in den letzten Jahren deutlich erh&ouml;ht und andererseits der Anteil derjenigen, die t&auml;glich mehr als 7,5mg erhalten, deutlich reduziert. Doch es gibt eine Ausnahme: &laquo;Patienten mit einer frisch diagnostizierten RA werden heute aufgrund der Empfehlungen in den Leitlinien deutlich h&auml;ufiger mit GC behandelt als fr&uuml;her&raquo;, so Buttgereit. Ihr Anteil stieg zwischen 1996 und 2016 von 44 % auf 55 % .</p> <h2>Unerw&uuml;nschten Wirkungen vorbeugen</h2> <p>Gibt es eine sichere Dosis f&uuml;r GC? Und wenn ja, welche ist tats&auml;chlich sicher? Diese Fragen untersuchte eine EULAR-Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Buttgereit.<sup>7</sup> Das Ergebnis:</p> <ul> <li>Werden Patienten, beispielsweise mit RA, dauerhaft mit t&auml;glich 5mg oder weniger Prednisolon-&Auml;quivalent behandelt, &uuml;berwiegt bei der grossen Mehrzahl der Nutzen.</li> <li>Werden Patienten mit t&auml;glich 10mg oder mehr behandelt, &uuml;berwiegt hingegen bei der Mehrzahl der Patienten der Schaden.</li> </ul> <p>&laquo;Bei Tagesdosen zwischen 5mg und 10mg l&auml;sst sich das Nutzen-Risiko-Verh&auml;ltnis allerdings nur differenziert beurteilen &raquo;, sagte Prof. Buttgereit. Denn in diesem Zwischenbereich komme es nicht mehr nur auf die Dosis an, sondern auch auf die An- und Abwesenheit von bestimmten Risiken und protektiven Faktoren. In der Klinik und in der Praxis ist es deshalb wichtig, beim Patienten protektive Faktoren zu f&ouml;rdern und m&ouml;glichen negativen Folgen mit geeigneten Massnahmen vorzubeugen. Plakativ formuliert: Eine 72-j&auml;hrige Patientin, die &uuml;ber l&auml;ngere Zeit 7,5mg Prednisolon einnehmen muss, hat ein deutlich niedrigeres Knochenbruchrisiko, wenn sie sich kalziumreich ern&auml;hrt, regelm&auml;ssig Sport treibt, ihre Muskeln kr&auml;ftig erh&auml;lt und eine Vitamin-D-Supplementation und ein Bisphosphonat erh&auml;lt. Anders verh&auml;lt es sich bei einer gleichaltrigen Patientin, die ebenfalls t&auml;glich die gleiche Menge GC dauerhaft einnehmen muss, aber zus&auml;tzlich ein sehr niedriges K&ouml;rpergewicht, eine niedrige Knochendichte, eine positive Familienanamnese f&uuml;r Osteoporose, selber schon Frakturen hat und wegen einer Laktoseintoleranz auch keine Milchprodukte zu sich nimmt.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: SGR/SGAI-Kongress, 30.–31. August 2018, Interlaken </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2016 update. Ann Rheum Dis 2017; 76(6): 960-77 <strong>2</strong> Waljee AK et al.: Short term use of oral corticosteroids and related harms among adults in the United States: population based cohort study. BMJ 2017; 357: 1415 <strong>3</strong> Thiele K et al.: Current use of glucocorticoids in patients with rheumatoid arthritis in Germany. Arthritis Rheum 2005; 53(5): 740-7 <strong>4</strong> Rizzoli R, Biver E: Glucocorticoid-induced osteoporosis: who to treat with what agent? Nat Rev Rheum 2015; 11: 98- 105 <strong>5</strong> Buttgereit F et al.: Inflammation, glucocorticoids and risk of cardiovascular disease. Nat Clin Pract Rheumatol 2009; 5: 18-19 <strong>6</strong> Okano T et al.: High frequency of vertebral fracture and low bone quality in patients with rheumatoid arthritis &ndash; results from TOMORROW study. Mod Rheumatol 2017; 27(3): 398-404 <strong>7</strong> Strehl C et al.: Defining conditions where long-term glucocorticoid treatment has an acceptably low level of harm to facilitate implementation of existing recommendations: viewpoints from an EULAR task force. Ann Rheum Dis 2016; 75(6): 952-7</p> </div> </p>
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