«Grundlegend andere Therapiestrategie»
Unser Gesprächspartner:
Dr. med. Marco Sprecher
Klinik für Rheumatologie Universitätsspital Zürich
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
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Stammzellen aus dem Fettgewebe («adipose-derived stem cells», ADSC) haben in einer Phase-II-Studie Symptome eines Sjögren-Syndoms gelindert.1 Dr. Sprecher aus Zürich kommentiert den neuen Ansatz und die Limitierungen der Studie.
Was sind derzeit die Limitierungen bei der Behandlung des Sjögren-Syndroms?
M. Sprecher:Eines der Kardinalsymptome ist neben der Fatigue die Sicca-Symptomatik, für die es bis heute noch keine zufriedenstellenden Therapiestrategien gibt. Die Behandlung beschränkt sich hauptsächlich auf die symptomatische Gabe von Tränen- und Speichelersatzmitteln sowie Lidrand- und Mundpflege. Pharmakologisch kann mit Pilocarpin oder Cevimelin versucht werden, die Speichel- und Tränenproduktion zu fördern, was aber nur so lange funktioniert, wie eine Restfunktion der Drüsen vorhanden ist.
Was halten Sie vom Ansatz mit ADSC?
M. Sprecher: Ich finde die Idee sehr spannend. Während die meisten pharmakologischen Ansätze auf Immunsuppression abzielen, denkt man mit ADSC über den Tellerrand hinaus und setzt auf eine grundlegend andere Therapiestrategie. Die Ergebnisse setzen ein positives Signal für zukünftige Behandlungsstrategien. Insbesondere wurde nach 6 Monaten nicht nur eine signifikante Verbesserung der stimulierten Speichelflussrate und des Schirmer-Tests erreicht, sondern auch eine signifikante Verbesserung des ESSDAI, des ESSPRI sowie mehrerer Laboraktivitätsparameter. Dennoch muss man die Ergebnisse mit Vorsicht geniessen. Man darf nicht vergessen, dass es bei der Sjögren-Erkrankung zahlreiche kleine Studien mit vielversprechenden Resultaten gegeben hat, die sich letztlich in gross angelegten internationalen Studien leider nicht reproduzieren liessen.
Wie beurteilen Sie das Sudiendesign?
M. Sprecher: Positiv hervorzuheben ist der Innovationsgedanke, mit ADSC einen komplett neuen Therapieweg einzuschlagen. Gut finde ich, dass man bei allen Teilnehmern von einer Sjögren-Erkrankung ausgehen kann. Alle haben nämlich die ACR-EULAR-Klassifikationskriterien erfüllt und mehr als 90% hatten eine pathologische Speicheldrüsenbiopsie mit einem Fokus-Score ≥1. Mich erstaunt, dass die Teilnehmer zu Beginn der Studie mit einem ESSDAI von 19,2 in der Placebogruppe bzw. 17,1 in der ADSC-Gruppe eine aussergewöhnlich hohe Krankheitsaktivität hatten. Und dies, obwohl laut Tabelle scheinbar nur 27,6% der Patienten in der Placebogruppe bzw. 31,4% in der ADSC-Gruppe eine systemische Beteiligung hatten. Umso erstaunlicher finde ich, dass trotz dieser sehr hohen Krankheitsaktivität in der Placebogruppe kaum jemand ausgestiegen ist.
Als Limitierung sehe ich, dass es sich um eine monozentrische Studie mit einer recht kleinen Teilnehmerzahl handelt. Die Studienteilnehmer waren vom ethnischen Hintergrund her fast ausschliesslich Han-Chinesen und der Männeranteil war für die Sjögren-Erkrankung überdurchschnittlich hoch. Aus der Forschung wissen wir, dass Ethnie, Geolokation und Geschlecht prägende Faktoren der Erkrankung sind. Inwiefern sich die Ergebnisse auf die Weltbevölkerung übertragen lassen, lässt sich daher nicht beantworten. Die Studie geht zudem nicht darauf ein, welcher der vielen gemessenen Parameter als primärer Endpunkt definiert wurde. Auch wissen wir nicht, wie lange der Effekt der Stammzellinjektion anhält.
Halten Sie die in der Studie beobachteten Effekte für klinisch relevant?
M. Sprecher: Die dargestellten Effekte sind tatsächlich klinisch relevant und auch von den Betroffenen bemerkbar, was sich unter anderem in der signifikanten Verbesserung des subjektiven ESSPRI widerspiegelt. Erstaunlich ist zudem die deutliche Verbesserung des ESSDAI. Die Autoren erwähnen, dass sich hauptsächlich eine Verbesserung der artikulären, kutanen und muskulären Domänen zeigte, die exakten Zahlen werden aber nicht erwähnt.
Wie ordnen Sie den Ansatz im Vergleich zu anderen neuen Therapien ein?
M. Sprecher: Ein direkter Vergleich kann noch nicht gezogen werden. Hierfür braucht es gross angelegte, internationale Studien zur Bestätigung. Ich sehe in anderen Studien einige Hoffnungsträger. Interessant finde ich beispielsweise eine Studie über Nukleasetherapie mit dem RNase-Fc-Fusionsprotein RSLV-132, das eine signifikante Verbesserung von schwerer Fatigue und des ESSPRI zeigte.2 Des Weiteren zeigte eine Phase-IIb-Studie zum BAFF-Rezeptor-Hemmer Ianalumab eine signifikante dosisabhängige Verbesserung des ESSDAI gegenüber Placebo.3 Erwähnenswert ist auch Iguratimod, ein NK-kB-Inhibitor, der zahlreiche inflammatorische Zytokine hemmt.4,5 Alle erwähnten Präparate brauchen aber weitere klinische Studien, bis sie für den klinischen Alltag infrage kommen.
Literatur:
1 Li F et al.: Sci Rep 2023; 13: 13521 2 Posada J et al.: Arthritis Rheumatol 2021; 73: 143-50 3 Bowman SJ et al.: Lancet 2022; 399: 161-71 4 Chen H et al.: Mod Rheumatol 2021; 31: 394-8 5 Shao Q et al.: Scand J Rheumatol 2021; 50: 143-52
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