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„Der Knochen lebt bis zum Schluss“

<p class="article-intro">Die Knochenqualität von Rheumapatienten ist gefährdet: sowohl durch die Erkrankung selbst als auch durch die Therapie. Der Stellenwert der Osteoporose ist allgemein zu gering, mahnt Dr. Maya Thun, Wien. Sie möchte Rheumatologen motivieren, sich mit den Risikofaktoren und Therapiemöglichkeiten für Osteoporose auseinanderzusetzen. Der Erfolg zeigt sich bei behandelten Patienten, die Stürze dann ohne Knochenbruch überstehen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Rheumatoide Arthritis (RA) und Osteoporose sind zwei Erkrankungen, von denen Frauen h&auml;ufiger betroffen sind als M&auml;nner. Dr. Maya Thun erl&auml;utert die Zusammenh&auml;nge und erkl&auml;rt, wie man Rheumapatienten vor Knochenbr&uuml;chen bewahren kann.</p> <p><strong>Wie h&auml;ngen rheumatoide Arthritis und Osteoporose epidemiologisch zusammen?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Die Osteoporose ist eine Folgeerkrankung der RA. Sie wird besser als Knochenbrucherkrankung bezeichnet, denn es geht darum, dass die Betroffenen ein erh&ouml;htes Frakturrisiko haben, das aus einer Qualit&auml;tsminderung des Knochens resultiert. Wenn die Osteoklasten mehr Knochensubstanz abbauen, als die Osteoblasten aufbauen, wenn die Qualit&auml;t der st&uuml;tzenden Kollagenfasern aufgrund des h&ouml;heren Lebensalters abnimmt und wenn dann auch noch Kalzium- und/oder Vitamin-D-Mangel besteht, wird der Knochen br&uuml;chig und es kommt dann oft schon bei minimalen Traumen zu einer Fraktur. Es gibt viele Faktoren, die den Knochenstoffwechsel beeinflussen und zu einem Missverh&auml;ltnis zwischen Knochenaufbau und -abbau f&uuml;hren k&ouml;nnen. Bei einer inflammatorischen Erkrankung wie der RA werden Zytokine wie TNF-&alpha;, Interleukin 6 und Interleukin 1 freigesetzt, die unter anderem auch auf die Knochenzellen, insbesondere auf die Osteoklasten einwirken. Diese werden durch Zytokine &bdquo;motiviert&ldquo;: Ihre Anzahl steigt und ihre Aktivit&auml;t erh&ouml;ht sich. In weiterer Folge zerst&ouml;ren die Osteoklasten die Gelenke und f&uuml;hren zu einer negativen Knochenbilanz. Der Zusammenhang ist abh&auml;ngig von der Erkrankungsdauer und von der Krankheitsaktivit&auml;t der RA.</p> <p><strong>Welche Rheumamedikamente bedeuten ein Risiko f&uuml;r den Knochen?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Die RA wird anfangs zumeist mit Glukokortikoiden behandelt, weil dies rasch hilft: Entz&uuml;ndungen und Schwellungen gehen zur&uuml;ck. Der Knochen wird allerdings damit noch zus&auml;tzlich gesch&auml;digt, denn Glukokortikoide aktivieren ebenfalls die Osteoklasten und hemmen die Osteoblasten und Osteozyten. Sie f&ouml;rdern &uuml;berdies den Muskelabbau, vermindern die Kalziumresorption und erh&ouml;hen die Kalziumausscheidung. Dazu kommen hormonelle Ver&auml;nderungen. All das f&uuml;hrt zu einem rasanten Abbau an Knochensubstanz. Das Frakturrisiko steigt schon in der Anfangsphase der Therapie an. Mit einer Niedrigdosis von 5 mg sind die Auswirkungen von Glukokortikoiden nicht ganz so drastisch, weil durch die Reduktion der Inflammation der Knochen auch ein wenig gesch&uuml;tzt wird. Aber 7,5 mg Glukokortikoide &uuml;ber 3 Monate stellen bereits bei Osteopenie eine Indikation f&uuml;r eine antiosteoporotische Therapie dar, auch wenn die Knochendichte noch nicht im osteoporotischen Bereich liegt.<br /> Abgesehen von oralen Glukokortikoiden sind auch Protonenpumpenhemmer, Glitazone, hohe Dosen inhalativer Glukokortikoide, Aromatasehemmer, Antidepressiva, Antiepileptika, Vitamin-K-Antagonisten und hormonablative Therapien potenziell knochensch&auml;digend.</p> <p><strong>Besteht auch bei anderen rheumatischen Erkrankungen ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r verminderte Knochendichte?<br /><strong>M. Thun:</strong> </strong>Es betrifft viele rheumatische Erkrankungen. F&uuml;r RA, Morbus Bechterew und Lupus erythematodes ist die Evidenz so stark, dass sie von den osteologischen Fachgesellschaften als eigenst&auml;ndige Risikofaktoren anerkannt werden. Wir wissen aber, dass z. B. auch die Polymyalgia rheumatica eine hochinflammatorische Erkrankung ist und noch dazu haupts&auml;chlich mit Glukokortikoiden behandelt wird, sodass bei Patienten mit dieser Krankheit die Knochenbr&uuml;chigkeit erh&ouml;ht ist. F&uuml;r eine Aufnahme als Risikofaktor in die Leitlinien ben&ouml;tigt man noch weitere Studiendaten. Im Prinzip bedeutet jede inflammatorische Erkrankung eine Gefahr f&uuml;r die Knochensubstanz, z. B. auch COPD und chronisch-entz&uuml;ndliche Darmerkrankungen, bei denen die Inflammation den Knochen angreift.</p> <p><strong>Bedeutet das, dass man bei jedem Rheumapatienten, egal welchen Alters und Geschlechts, das Frakturrisiko erheben sollte?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Genau. Nat&uuml;rlich haben M&auml;nner aufgrund ihrer Konstitution ein geringeres Risiko. Aber es sollte bei jedem Rheumapatienten das Frakturrisiko beurteilt werden, insbesondere wenn man mit Glukokortikoiden behandelt. Wenn man Glukokortikoide verordnet, sollte man sofort auch an die Knochen denken, mit dem Patienten gemeinsam alle Risikofaktoren erheben &ndash; Rauchen, Alkohol, Menopause, COPD, Diabetes, Anorexieanamnese etc. &ndash;, das Frakturrisiko mittel FRAX oder DVO-Leitlinie kalkulieren und Kalzium und Vitamin D &bdquo;an Bord holen&ldquo;. Die Osteoporose wird oft als &bdquo;Schicksal&ldquo; hingenommen und nicht als behandelbare Erkrankung wahrgenommen. Selbst nach Fragilit&auml;tsfrakturen werden nur 20 % der Patienten einer Osteoporosetherapie zugef&uuml;hrt, und von diesen erh&auml;lt die H&auml;lfte nach 18 Monate auch keine Therapie mehr. Das hei&szlig;t: Der Stellenwert der Osteoporosetherapie ist in der Allgemeinbev&ouml;lkerung viel zu gering, obwohl die Osteoporose mit ihrer Komplikation der Fraktur eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung darstellt. 25 % der Patienten &uuml;berleben nach einer Schenkelhalsfraktur aufgrund der Folgekomplikationen kein Jahr und von den &Uuml;berlebenden bleiben viele gehbehindert. Ich f&uuml;rchte, die Behandlung der Osteoporose ist auch f&uuml;r &Auml;rzte nicht so &bdquo;befriedigend&ldquo;, weil der Erfolg &ndash; ein verhinderter Knochenbruch &ndash; nicht so direkt sichtbar ist. Es ist eine vorbeugende Therapie; sie sorgt daf&uuml;r, dass etwas nicht passiert, dass es zu keinen Frakturen kommt, dass der Patient l&auml;nger und mit einer guten Lebensqualit&auml;t lebt. Das ist der Behandlungserfolg.</p> <p><strong>Muss bei der Therapie der Osteoporose etwas Besonderes beachtet werden, wenn gleichzeitig eine rheumatische Erkrankung besteht?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Wenn das Frakturrisiko einen bestimmten Schwellenwert erreicht, ist eine spezifische antiosteoporotische Therapie sinnvoll. Da bei Rheumapatienten oft NSAR als Schmerzmedikation und Glukokortikoide eingesetzt werden und damit eine h&ouml;here gastrointestinale Komplikationsrate besteht, sollte von oralen Bisphosphonaten eher Abstand genommen werden. Andere Osteoporosemedikamente hingegen haben sogar einen Zusatznutzen, z. B. Denosumab. Dieses ist bei Rheumapatienten zweifach von Vorteil: Es behandelt die Osteoporose und als Osteoklastenhemmer vermindert es auch die Gelenksdestruktion. In einer Studie wurde nachgewiesen, dass bei aktiven Rheumapatienten unter Denosumab nicht nur die Knochendichte verbessert wurde, sondern auch die Gelenke radiologisch stabilisiert werden konnten. F&uuml;r Rheumapatienten, die unter Hochdosis-Glukokortikoiden stehen und schon Frakturen trotz Antiosteoporosetherapie erlitten haben, w&auml;re Teriparatid in Erw&auml;gung zu ziehen. Dieses Medikament stimuliert die Osteoblasten und ist bei glukokortikoidinduzierter Osteoporose effektiver als orale Bisphosphonate. Teriparatid muss sich der Patient t&auml;glich subkutan spritzen, das erfordert Motivation. Auch den &Auml;rzten wird Engagement abverlangt, z. B. hinsichtlich Patientenschulung, Aufkl&auml;rung, Kontrolle und b&uuml;rokratischen Aufwands, um eine Kosten&uuml;bernahme der Medikamente zu erreichen. Somit gibt es wenige engagierte &Auml;rzte, die sich damit besch&auml;ftigen wollen oder k&ouml;nnen.</p> <p><strong>Wird die medikament&ouml;se Rheumatherapie ver&auml;ndert, wenn eine Osteoporose auftritt?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Abgesehen davon, dass Glukokortikoide so kurz und so niedrig dosiert wie m&ouml;glich eingesetzt werden sollten, ist kein Wechsel der RA-Therapie erforderlich. Wenn die Inflammation mit guten Medikamenten behandelt wird, dann hat man auch f&uuml;r den Knochen einen gewissen Benefit. Die Rheumamedikamente haben aber per se keinen so gro&szlig;en knochensch&uuml;tzenden Effekt, dass man auf eine zus&auml;tzliche Osteoporosetherapie verzichten k&ouml;nnte.</p> <p><strong>Zur Osteoporosetherapie und -pr&auml;vention geh&ouml;ren ja nicht nur Medikamente, sondern auch Lebensstilaspekte. Was empfehlen Sie Ihren Patienten?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Unbedingt Rauchstopp und Reduktion von Alkohol. Ab drei Einheiten pro Tag wirkt sich Alkohol negativ auf den Knochen aus. Dazu Bewegung mit Zug und Druck. Mediterrane Kost hat sich als positiv erwiesen, sie verbessert die Knochenstruktur und vermindert das H&uuml;ftfrakturrisiko. Es gibt auch Daten zu schwarzem Tee, der ebenfalls zu einer Reduktion des Frakturrisikos f&uuml;hrt. Kaffee ist laut neuesten Studien neutral, also weder gut noch schlecht f&uuml;r den Knochen. Vermeiden sollte man phosphatreiche Lebensmittel wie Softdrinks. Ganz wichtig sind ausreichend Kalzium und Vitamin D. Von Vitamin D bekommt man mit der Nahrung meist zu wenig, deshalb sollte man bei Rheumapatienten eine Supplementierung in Erw&auml;gung ziehen. Man sollte 1000 mg Kalzium pro Tag aufnehmen. Das Problem ist, dass die Kalziumaufnahme oft &uuml;bersch&auml;tzt wird: Ich habe eine kleine Stichprobe unter Kollegen gemacht und festgestellt, dass viele nur auf etwa 500 mg Kalziumaufnahme pro Tag kommen. Ein Joghurt enth&auml;lt z. B. nur 170 mg Kalzium. Ein Joghurt pro Tag ist also zu wenig. Das Kalzium, das in der Nahrung fehlt, wird aus dem Knochen gel&ouml;st, um den Kalziumspiegel aufrechtzuerhalten. Somit ist die Bilanz f&uuml;r den Knochen negativ. Es zahlt sich also aus, einmal nachzurechnen, wie viel Kalzium man zu sich nimmt. Sehr hilfreich diesbez&uuml;glich ist der Kalziumrechner auf www.kalziumrechner.at.</p> <p><strong>Zum Krafttraining: Sehen Sie hier ein Problem bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, z. B. durch Bewegungseinschr&auml;nkungen oder durch Fatigue?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Nein. Fr&uuml;her wurde gesagt, man muss die Gelenke schonen. Das gilt als &uuml;berholt. Ausdauer- und Krafttraining sind empfehlenswert. Die Muskeln sollen immer trainiert werden, denn der Muskelaufbau wirkt auch antiinflammatorisch. Der Muskel ist ein endokrines Organ, das Substanzen produziert, die sich positiv auf den Knochenstoffwechsel und die Knochenqualit&auml;t auswirken. Das gilt f&uuml;r jedes Alter. &Auml;ltere Patienten fragen mich oft: &bdquo;Zahlt sich das noch aus bei mir?&ldquo; Die Antwort ist: ja, auf jeden Fall. Der Knochen lebt bis zum Schluss und kann immer noch modifiziert werden. Daf&uuml;r ist es nie zu sp&auml;t.</p> <p><strong>Welche Take-Home-Message haben Sie f&uuml;r Ihre Kollegen?</strong><br /> <strong>M. Thun:</strong> Denken Sie an den Knochen und denken Sie fr&uuml;hzeitig daran! Und freuen Sie sich &uuml;ber die Erfolge in Form von verminderter Knochenbr&uuml;chigkeit. Eine Patientin, die ich schon seit mehr als 15 Jahren betreue, ist nun 90 Jahre alt. Sie hat trotz oraler Bisphosphonate schon viele Frakturen erlitten. Seit der Optimierung der Osteoporosetherapie &ndash; knochenanabol, dann antiresorptiv &ndash; hat sie sich nichts mehr gebrochen und dankt mir f&uuml;r jedes weitere knochenbruchfreie Jahr. Das positive Feedback kommt sp&auml;ter, aber es kommt. Osteoporosemanagement erfordert oft Energie und Engagement vom Arzt, aber es zahlt sich aus. Mein Wunsch w&auml;re, dass mehr Patienten, die sie brauchen, einer Osteoporosetherapie zugef&uuml;hrt werden und dass eine station&auml;r begonnene Therapie im niedergelassenen Bereich nicht wieder abgesetzt wird. &Ouml;sterreich nimmt im europaweiten Vergleich den drittschlechtesten Platz bei H&uuml;ftfrakturen ein. Lasst uns dies verbessern!</p></p>
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