
Neues zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfektionen
Autor:innen:
Dr. med. Nicole Keller1,3,4
PD Dr. med. Daniele Perucchini2
PD Dr. med. David Scheiner2,3,4
Dr. med. Sören Lange3,4
Dr. med. Rebecca Zachariah3,4
Prof. Dr. med. Cornelia Betschart3,4
1Gynäkologie und Geburtshilfe,
HOCH Health Ostschweiz,
Spital Grabs
2 Blasenzentrum AG, Zürich
3 Klinik für Gynäkologie,
Universitätspital Zürich
4 Universität Zürich
Korrespondierende Autorin:
Dr. med. Nicole Keller
E-Mail: nicole.keller@usz.ch
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Ob in der Hausarztpraxis oder beim Spezialisten: Harnwegsinfektionen sind häufig. Gemäss dem Expertenbrief No.58 der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist die Hälfte aller Frauen im Laufe des Lebens von einer Harnwegsinfektion (HWI) betroffen und 25% aller Frauen, die einmal eine Harnwegsinfektion hatten, erleiden mindestens ein Rezidiv.
Keypoints
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Zuerst antibiotikafreie Präventionsmassnahmen anwenden, um Antibiotikaresistenzen zu verhindern.
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Urin ist nicht steril: Eine asymptomatische Bakteriurie sollte daher weder gesucht noch behandelt werden.
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Die Wiederherstellung der Glykosaminoglykanschicht des Urothels ist eine wirksame und evidenzbassierte Massnahme.
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Das Blasenmikrobiom rückt wahrscheinlich zunehmend in den Fokus zukünftiger, nicht-antibiotischer Strategien.
Die Symptomausprägung reicht von kaum symptomatischen HWI bis zu schweren Krankheitsverläufen mit aufsteigenden Infekten und im Extremfall Urosepsis. Urin ist nicht steril, weshalb eine asymptomatische Bakteriurie weder gesucht noch therapiert werden sollte, auch nicht in der Schwangerschaft. Therapiert werden nur die symptomatischen Harnwegsinfektionen. Grundsätzlich gilt dies auch vor Operationen. Angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen gewinnen antibiotikafreie Präventionsmassnahmen an Bedeutung. Im folgenden Artikel fokussieren wir auf die antibiotikafreien Therapieansätze bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen; auf die Therapie der akuten Infektion wird hier nicht eingegangen.
Präventionsmassnahmen
Präventionsmassnahmen gemäss den S3-Leitlinien1 bei gesunden prämenopausalen Frauen (nur in der Schweiz verfügbare Therapien):
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Wird weniger als 1,5 Liter pro Tag getrunken, sollte die Trinkmenge gesteigert werden.
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OM-89, ein perorales Immunstimulans, einmal täglich für 90 Tage
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Cranberries/Moosbeeren
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D-Mannose
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Phytotherapeutika mit Bärentraubenblättern, Liebstöckel, Rosmarin, Tausendgüldenkraut, Kapuzinerkresse oder Meerrettich
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Präparate (intravesikal oder peroral) zum Aufbau der Glykosaminoglykanmembran in der Blase
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Bei Versagen dieser Massnahmen und bei hohem Leidensdruck: antibiotische Langzeitprophylaxe über 3–6 Monate erwägen
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Postkoitale Antibiotikaprophylaxe, falls der HWI in Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr steht
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Antibiotische Kurzzeit-Selbsttherapie kann erwogen werden.
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Für Schwangere gibt die S3-Leitlinie keine Empfehlung zur nichtantibiotischen Infektprophylaxe. Es gibt aber Daten, dass die oben erwähnten Massnahmen in der Schwangerschaft für Mutter undKind nicht schädlich sind.
Zusätzliche Präventionsmassnahmen
Zusätzliche Präventionsmassnahmen bei gesunden postmenopausalen Frauen beinhalten (nur in der Schweiz verfügbare Therapien):
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0,5mg Estriol/Tag vaginal (initial für 2 Wochen täglich, danach 2x/Woche)
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Falls antibiotische Prophylaxe indiziert: Trimethoprim,Trimethoprim/Sulfamethoxazol oder Nitrofurantoin in niedriger Dosis empfohlen
Asymptomatische Bakteriurie (ASB)
Gemäss Cai et al.schützt eine ASB Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen vor symptomatischen Rezidiven, insbesondere, wenn Enterococcus faecalis nachgewiesen wird.2In dieser Situation wäre eine antibiotische Behandlung kontraproduktiv und in bestimmten Fällen sogar gefährlich. Das Gleichegilt für Schwangere: Werden ASB bei Schwangeren behandelt, so steigt die Wahrscheinlichkeit eines symptomatischen HWI.
Immunstimulanzien
In einer Kapsel OM-89 sind 6mg lyophilisierte Bakterienlysate von 18 verschiedenen Escherichia-coli-Stämmen enthalten. Mit einer täglichen Einnahme über 3 Monate kommt es in den meisten Studien zu einer Reduktion der rezidivierenden HWI durch die Immunisierung. Im Verlauf kann eine Boosterung durchgeführt werden, indem OM-89 über einen Zeitraum von 10 Tagen pro Monat für weitere 3 Monate eingenommen wird. Gemäss S3-Leitlinien kann es allen Frauen angeboten werden. Es finden sich unterschiedliche Studiendaten bei insgesamt guter Verträglichkeit.
Cranberries
In einem Cochrane Review von 2023 wurden 50 Studien mit über 8000 Patientinnen untersucht. Eine Verminderung der Infektionsrate bei gesunden Frauen und Kindern mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen konnte unter Einnahme von Cranberriesgezeigt werden. Bei älteren Patientinnen mit Blasenentleerungsstörungen und in der Schwangerschaft wird diese Massnahmeaufgrund ungenügender Wirkungaber nicht empfohlen.3
D-Mannose
An der Zelloberfläche der Blasenwand sitzen Mannose-Residuen, woran die uropathogenen E. coli binden. Ist genügend frei zirkulierende D-Mannose im Urin vorhanden, bindet diese an die Pili der E. coli und verhindert so das Andocken der uropathogenen Bakterien an die Zelloberfläche des Urothels.4
In der randomisierten Studie von Kranjcec et al.5 wurden 308 Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen nach antibiotischer Akuttherapie in drei Gruppen eingeteilt: Einnahme von D-Mannose (2g/Tag), von Nitrofurantoin (50mg/Tag) und keine Prophylaxe. Die Rezidivrate war in der D-Mannose-Gruppe mit 14,6% signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (60,8%) und vergleichbar mit Nitrofurantoin (20,4%). Dagegen kommt die 2024 publizierte englische placebokontrollierte Studie von Hayward et al.zum Schluss, dass es für die Empfehlung einerHarnwegsinfektionsprophylaxe mit D-Mannose nicht genügend Evidenz gibt.6 Auch durften die Frauen nach Belieben Cranberry-Produkte einnehmen, was in beiden Armen mehr alsein Drittelder Frauen praktizierte. Zu den diskutierten Aspekten zählten jedoch eine mögliche Unterdosierung von D-Mannose, das Fehlen weiterer placebokontrollierter Vergleichsstudien sowie die Rekrutierung der Teilnehmerinnen aus der Grundversorgung mit einer dadurch möglicherweise geringerenInzidenz von Harnwegsinfektionen im Studienkollektiv. Kritisch zu betrachten ist auch die Diagnose der Harnwegsinfektion, die hier entweder anhand der Klinik oder –fakultativ –mikrobiologisch erfolgte. Jedenfalls findet sich im Cochrane Review von 2022 bei geringerbis moderater Datenqualität wenig bis keine Evidenz für die Entscheidung, ob D-Mannose empfohlen werden soll oder nicht.7
Aufbau der Glykosaminoglykanschicht (GAG-Schicht) der Urothelschleimhaut
Die GAG-Schicht des Urothels verhindert das Eindringen schädlicher Substanzen in die darunterliegenden Gewebeschichten. Hyaluronsäure (HA) und Chondroitinsulfat (CS) spielen eine zentrale Rolle in der Funktion der GAG-Schutzschicht, wobei HA die Blasenschleimhaut schützt und Chondroitinsulfat sich an das Urothel bindet und so die Undurchlässigkeit unterstützt oder im besten Fall wiederherstellt.8
Goddard et al. zeigten 2017 in einer Metaanalyse von 8 kontrollierten klinischen Studien mit Daten von über 800 an rezidivierenden Harnwegsinfektionen leidenden Patientinnen, dass die intravesikale Instillation einer Kombination aus HA und CS zu einer Reduktion um2,56 Harnwegsinfektionen pro Jahr führt und das Zeitintervall zwischen den Infekten verlängert.9 Zudem nahmen die blasenassoziierten Schmerzen signifikant ab. Daten zur Nachhaltigkeit der Therapie sind noch ausstehend.
Probiotika
Die Anwendung von vaginalen Probiotika, mit oder ohne Kombination mitoralen Probiotika, zeigt in einer 2023 publizierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie eine gute Wirksamkeit zur Verhinderung rezidivierender Harnwegsinfekte.10 Es wurden 174 prämenopausale Patientinnen eingeschlossen und nach 1, 2, 3, 4 und 6 Monaten mittels Urinuntersuchung und vaginaler Bakteriologie kontrolliert.
Übrigens scheint eine Darmdysbiose das Auftreten von rezidivierenden HWI zu fördern und somit der Aufbau eines gesunden Darmmikrobioms ein entscheidender Therapieansatz zu sein. So zeigten Worby et al. 2022, dass das Mikrobiom von Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten ein geringeres Keimspektrum aufweist als dasjenige von gesunden Probandinnen.11 Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um die Rolle des Darmmikrobioms im Hinblick auf eine effektive Harnwegsinfektionsprophylaxe genauer erforschen zu können.
Laktobazillen vaginal
Die lokale vaginale Applikation von Laktobazillen, meist in Form von vaginalen Zäpfchen, ist eine einfache und nebenwirkungsarme Therapie. Ob tatsächlich vaginal zugeführte Laktobazillen rezidivierende Harnwegsinfektionen verhindern können, konnte in der Studie von Shoureshi et al. aus dem Jahr 2023 nicht gezeigt werden.12
Lokale Östrogenisierung in der Postmenopause
Eine 2023 publizierte Multicenterstudie mit Daten von über 5000 Patientinnen konnte eine Reduktion der rezidivierenden Harnwegsinfekte um mehr als 50% zeigen.13 Diese Daten bestätigen unsere langjährige Erfahrung aus der Praxis, dass zweimal pro Woche vaginal verabreichtes Estriol (oder das seltener eingesetzte Estradiol) die Infektrate verringert.
Schlusswort
Erst wenn die antibiotikafreien Präventionsmassnahmen keinen Effekt in der Behandlung rezidivierender Harnwegsinfektionen zeigen und der Leidensdruck der Patientin entsprechend gross ist, sollte eine antibiotische Dauerprophylaxe über 3 bis 6 Monate erwogen werden. Meistens entwickelt sich unter einer solchen Antibiotikaprophylaxe über die Zeit ein antibiotikaresistentes Erregerprofil, was dann die Therapie eines akut symptomatischen und im Extremfall aufsteigenden Infektes zunehmend erschwert. Oft können in solchen Situationen nur noch intravenöse Reserveantibiotika verabreicht werden. Unter diesem Aspekt ist es besonders wichtig, eine möglichst antibiotikafreie Harnwegsinfektionsprophylaxe anzuwenden und asymptomatische Bakteriurien nicht zu behandeln. Auch bei der Therapie der akuten Harnwegsinfektion sollten zuerst antibiotikafreie Ansätze gewählt werden und die Schmerzlinderung sollte mit nichtsteroidalen Analgetika unterstützt werden.
Literatur:
1 Kranz J et al.: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten: Aktualisierung 2017 der interdisziplinären AWMF-S3-Leitlinie. Urologe 2017; 56(6): 746-58 2 Cai T, Bartoletti R: Asymptomatic bacteriuria in recurrent UTI - to treat or not to treat. GMS Infect Dis 2017; doi: 10.3205/id000035 3 Williams G et al.: Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2023; 4(4): CD001321. Update in: Cochrane Database Syst Rev 2023; 11: CD001321 4 Wagenlehner F et al.: Why D-mannose may be as efficient as antibiotics in the treatment of acute uncomplicated lower urinary tract infections--preliminary considerations and conclusions from a non-interventional study. Antibiotics (Basel) 2022; 11(3): 314 5 Kranjčec B et al.: D-mannose powder for prophylaxis of recurrent urinary tract infections in women: a randomized clinical trial. World J Urol 2014; 32(1): 79-84 6 Hayward G et al.: D-mannose for prevention of recurrent urinary tract infection among women: a randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2024; 184(6): 619-28 7 Cooper TE et al.: D-mannose for preventing and treating urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2022; 8(8): CD013608 8 Sihra N et al.: Nonantibiotic prevention and management of recurrent urinary tract infection. Nat Rev Urol 2018; 15(12): 750-76 9 Goddard JC, Janssen DAW: Intravesical hyaluronic acid and chondroitin sulfate for recurrent urinary tract infections: systematic review and meta-analysis. Int Urogynecol J 2018; 29(7): 933-42 10 Gupta V et al.: Effectiveness of prophylactic oral and/or vaginal probiotic supplementation in the prevention of recurrent urinary tract infections: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Clin Infect Dis 2024; 78(5): 1154-61 11 Worby CJ et al.: Longitudinal multi-omics analyses link gut microbiome dysbiosis with recurrent urinary tract infections in women. Nat Microbiol 2022; 7(5): 630-9 12 Shoureshi PS et al.: Can vaginal lactobacillus suppositories help reduce urinary tract infections? Int Urogynecol J 2023; 34(11): 2713-8 13 Tan-Kim J et al.: Efficacy of vaginal estrogen for recurrent urinary tract infection prevention in hypoestrogenic women. Am J Obstet Gynecol 2023; 229(2): 143.e1-9
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