
Hilfe aus dem Pflanzenreich
Jatros
30
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14.12.2017
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<p class="article-intro">Therapieadhärenz ist einer der Schlüsselfaktoren für einen Behandlungserfolg – die Rücksichtnahme auf die Ängste und Wünsche des Patienten im Sinne eines „shared decision making“ bei der Therapiewahl ist daher unerlässlich. Immer wieder äußern Patienten Vorbehalte gegenüber synthetischer Medikation bzw. setzen diese ab, sobald unerwünschte Wirkungen auftreten. Dass pflanzliche Wirkstoffe hier eine interessante Option sein können, zeigte Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kasper, Medizinische Universität Wien.</p>
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<p class="article-content"><p>In der Psychiatrie werden Phytotherapeutika bei einer Vielzahl von Erkrankungen (kognitive Störungen, Burnout, Schlafstörungen etc.) eingesetzt. Eine frühe und adäquate Behandlung ist deshalb nicht zuletzt auch angesichts der ökonomischen Bedeutung dieser Erkrankung zentral. Dabei spielt die positive Mitwirkung des Patienten in der Therapie von Anfang an eine sehr wichtige Rolle. Da oft Vorbehalte gegenüber synthetischen Präparaten bestehen, stellen hier Phytotherapeutika – als Erstlinientherapie oder unterstützende Maßnahme – eine willkommene Ergänzung im therapeutischen Armamentarium dar. Im Folgenden soll auf ihren Stellenwert in der Therapie von Angsterkrankungen und Depression näher eingegangen werden.</p> <h2>Phytotherapeutika bei Depression</h2> <p>Der Extrakt aus Johanniskraut (Hypericum perforatum) setzt sich aus verschiedenen Inhaltsstoffen zusammen. Eine therapeutische Wirksamkeit wird vor allem Hyperforin, Hypericin und Hyperosid zugeschrieben. Nationale sowie internationale Leitlinien empfehlen den Einsatz hochwertiger Johanniskrautextrakte als First-Line-Therapie bei leichten bis mittelschweren Depressionen.<sup>1, 2</sup> Es sind deshalb auch mehrere Präparate für diese Indikation zugelassen.</p> <p><strong>Gute Studienlage in der Depressionsbehandlung</strong><br /> Die therapeutische Äquivalenz hochwertiger Johanniskrautextrakte im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva bei der Akutbehandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen wurde in mehreren Studien bestätigt. Eine Cochrane- Metaanalyse von 29 randomisierten Studien (mehr als 5000 Patienten, die zwischen 4 und 12 Wochen behandelt wurden) ergab eine Überlegenheit von Hypericum- perforatum-Extrakt WS<sup>®</sup> 5570 gegenüber Placebo und eine vergleichbare Wirksamkeit wie SSRI oder trizyklische Antidepressiva.<sup>3</sup> Eine weitere Übersichtsarbeit aus 2010 bestätigt diese Resultate unter Einbezug aktueller Studien.<sup>4</sup></p> <p><strong>Kaum Nebenwirkungen, aber Interaktion mit Medikamenten</strong><br /> Hypericum ist äußerst nebenwirkungsarm – die Rate an unerwünschten Wirkungen ist vergleichbar mit Placebo. Darüber hinaus treten unerwünschte Wirkungen unter Einnahme von Johanniskrautextrakt (600–1800mg/Tag) wesentlich seltener auf als zum Beispiel unter Paroxetin (20– 40mg/Tag) oder anderen SSRI.<sup>5</sup> Johanniskrautextrakt zeigt keine sedativen Effekte, löst keine anticholinergen Reaktionen aus und führt auch nicht zu gastrointestinalen Problemen oder sexuellen Dysfunktionen. Es bietet daher eine valide Behandlungsalternative für die Akut- und Langzeittherapie der Depression auf pflanzlicher Basis und eignet sich insbesondere für Patienten, bei denen die Akzeptanz von synthetischen Medikamenten wegen deren Nebenwirkungsprofilen sehr gering ist.<sup>4</sup></p> <p>„Es ist allerdings wichtig, auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu achten. Hypericum induziert Enzyme des Cytochrom-P450-Systems, vor allem CYP3A4, und des p-Glykoprotein- Transportsystems. Das kann zur Reduktion von Plasmaspiegeln und der Wirkungen oder Wirksamkeiten anderer Medikamente führen“, warnt Prof. Kasper. Betroffen von dieser Interaktion sind manche Immunsuppressiva und Zytostatika, Antidepressiva, Antikoagulanzien, hormonale Kontrazeptiva, Methadon, HIV-Medikation etc.<sup>6</sup></p> <h2>Phytotherapeutika bei Angsterkrankungen</h2> <p>Seit Langem werden in der Psychiatrie pflanzliche Präparate zur Beruhigung und Angstlösung eingesetzt. So existiert heute eine Vielzahl von Präparaten – sei es als Einzelpräparat oder in Kombination – mit Extrakten von Baldrian (Valeriana officinalis), Hopfenzapfen (Lupuli strobulus), Melissenblättern (Melissae folium) oder Passionsblumenkraut (Passiflorae herba). Ebenso ist Lavendelöl (Lavandula angustifolia) für die Indikation „Ängstlichkeit und Unruhe“ zugelassen. Zu den wichtigen therapeutischen Inhaltsstoffen des Lavendelöls zählen Linalol und Linalylacetat. Die Wirksamkeit von Lavendelöl bei Angsterkrankungen wurde in verschiedenen Studien sowohl gegenüber Placebo als auch gegenüber synthetischen Medikamenten bewiesen. In 15 randomisierten, kontrollierten klinischen Studien mit insgesamt rund 2200 Patienten wurde die Wirkung untersucht. Sieben davon bestätigen die Wirkung von Lavendelöl gegenüber der Kontrolle in mindestens einem relevanten Parameter.<sup>7</sup></p> <p>Die anxiolytische Wirkung von Lavendelöl bei generalisierten Angsterkrankungen (GAD) wurde in einer randomisierten, doppelblinden Studie mit über 539 Patienten untersucht. Beide Dosierungen (80 und 160mg) wurden mit Paroxetin verglichen und es zeigte sich eine Überlegenheit von Lavendelöl gegenüber Paroxetin.<sup>8</sup> Auch gegenüber Benzodiazepinen war 80mg Lavendelölpräparat, verabreicht über einen Zeitraum von 6 Wochen, in einer Studie genauso effektiv wie 0,5mg Lorazepam bei 77 Patienten mit GAD.<sup>9</sup></p> <p>Auch die Wirkung von Lavendelöl auf subsyndromale Angststörungen, also Angststörungen, die nicht die konkreten Einschlusskriterien der GAD erfüllen, wurde untersucht. Hier zeigte eine doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte klinische Studie, dass Lavendelöl bei der Behandlung von 221 Patienten mit subsyndromalen Angststörungen gegenüber Placebo signifikant überlegen war.<sup>10</sup></p> <p>Lavendelöl verfügt über ein gutes Sicherheitsprofil und zeigt eine bessere Verträglichkeit als Paroxetin8 – es kann allerdings in manchen Fällen zu allergischen Hautreaktionen oder Sodbrennen führen. „Lavendelöl ist eine gute Alternative zur Behandlung von Angsterkrankungen. Es ist zudem für eine langfristige Anwendung geeignet, da kein Abhängigkeitspotenzial oder unerwünschte sedierende Effekte generiert werden“, fasste Prof. Kasper die Datenlage zusammen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie,
7. Oktober 2017, Wien
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression, 2. Auflage Version 1, 2015 <strong>2</strong> www.wfsbp.org/pdf/guides <strong>3</strong> Linde K et al.: St John’s wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev 2008; (4):CD000448 <strong>4</strong> Kasper S et al.: Efficacy and tolerability of Hypericum extract for the treatment of mild to moderate depression. Europ Neuropsychopharmacol 2010; 20: 747-65 <strong>5</strong> Kasper S et al.: Better tolerability of St. John’s wort extract WS 5570 compared to treatment with SSRIs: a reanalysis of data from controlled clinical trials in acute major depression. Int Clin Psychopharmacol 2010; 25(4): 204-13 <strong>6</strong> www.swissmedicinfo.ch <strong>7</strong> Perry R et al.: Is lavender an anxiolytic drug? Phytomedicine 2012; 19 (8-9): 825-35 <strong>8</strong> Kasper S et al.: Lavender oil preparation Silexan is effective in generalized anxiety disorder – a randomized, double-blind comparison to placebo and paroxetine. Int J Neuropsychopharmacol 2014; 17(6): 859-69 <strong>9</strong> Woelk H, Schlafke S: A multi-center, double-blind, randomised study of the Lavender oil preparation Silexan in comparison to Lorazepam for generalized anxiety disorder. Phytomedicine 2010; 17(2): 94-9 <strong>10</strong> Kasper S et al.: Silexan, an orally administered Lavandula oil preparation, is effective in the treatment of “subsyndromal” anxiety disorder: a randomized, double-blind, placebo controlled trial. Int Clin Psychopharmacol 2010; 25(5): 277-87</p>
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