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Zweitlinientherapie bei BCR-ABLnegativen myeloproliferativen Neoplasien (MPN)
Jatros
Autor:
OA Dr. Sonja Burgstaller
Abteilung für Innere Medizin IV<br> Hämatologie und Onkologie<br> Klinikum Wels-Grieskirchen<br> E-Mail: sonja.burgstaller@klinikum-wegr.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Die Therapie der BCR-ABL-negativen Erkrankungen zielt darauf ab, auf der einen Seite das Auftreten thromboembolischer Komplikationen (insbesondere bei PV und ET) und auf der anderen Seite die Transformation in eine Myelofibrose bzw. eine akute Leukämie zu verhindern. Die Datenlage bezüglich des therapeutischen Managements ist spärlich, sodass viele Empfehlungen vornehmlich auf Erfahrungen und Expertenmeinung beruhen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>BCR-ABL-negative MPN</h2> <p>Zu den myeloproliferativen Neoplasien zählen laut aktueller WHO-Klassifikation eine Reihe von Erkrankungen (Tab. 1), wobei es im Folgenden nur um die drei klassischen BCR-ABL-negativen MPN Polycythaemia vera (PV), essenzielle Thrombozythämie (ET) und primäre bzw. Post- PV- und Post-ET-Myelofibrose (MF) geht.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s36_tab1.jpg" alt="" width="600" height="333" /></p> <h2>Polycythaemia vera (PV)</h2> <p>Die Lebenserwartung von Patienten mit PV unterscheidet sich von einer gematchten Vergleichspopulation erheblich. Dies konnte in einer internationalen Datenanalyse von Tefferi et al. gezeigt werden. Das mediane Überleben der PV-Patienten betrug 14,1 Jahre, sodass insgesamt eine Verbesserung der Therapie mit konsekutiver Verlängerung des Überlebens wünschenswert wäre.<sup>2</sup> Die Einleitung einer systemischen Therapie hängt von der Risikoklassifizierung der Erkrankung ab. Zum aktuellen Zeitpunkt werden Patienten mit einer PV abhängig vom Alter (unter oder über 60 Jahre) sowie vom Vorhandensein von thromboembolischen Komplikationen in der Vorgeschichte in eine Niedrig- und in eine Hochrisikogruppe eingeteilt.<sup>3</sup> Patienten in der Hochrisikogruppe haben eine Indikation für die Einleitung einer zytoreduktiven Therapie. Niedrig dosiertes Aspirin (100mg/Tag) sowie Aderlässe bis zum Erreichen eines Hämatokrits unter 45 % sollten alle Patienten mit PV erhalten.<sup>4, 5</sup> Wenn in der Niedrigrisikogruppe die Aderlässe sehr schlecht toleriert werden oder andere Kriterien wie steigende Leukozyten, Thrombozyten, progrediente Splenomegalie oder zunehmend konstitutionelle Symptome auftreten, kann auch hier eine zytoreduktive Therapie eingeleitet werden.<br /> Anhand aktueller Guidelines (am rezentesten publiziert sind die ELN-Empfehlungen) können in der ersten Linie rekombinantes Interferon alpha oder Hydroxyurea eingesetzt werden.<sup>6</sup> Für die hämatologische Wirksamkeit der Interferone liegen Daten von Phase-II-Studien vor.<sup>7, 8</sup> Aktuell laufen zwei Phase-III-Studien, die pegyliertes Interferon (pegyliertes Interferon alpha 2a und Ropeginterferon alpha 2b) gegen Hydroxyurea untersuchen.<sup>9</sup> Die endgültigen Daten sind hier noch ausständig. Grundsätzlich sollten alle Patienten, die für eine Interferontherapie infrage kommen, diese erhalten. Insbesondere bei jüngeren Patienten sollte Hydroxyurea aufgrund des potenziellen leukämogenen Risikos nicht primär eingesetzt werden.<br /> In der zweiten Linie kann konventionellerweise in Abhängigkeit von der ersten Linie Hydroxyurea oder Interferon alpha eingesetzt werden, wenn es die vorhandenen Patientenfaktoren (Komorbiditätsstatus, Alter) erlauben (Tab. 2). Eine Phase- II- und zwei Phase-III-Studien (RESPONSE- Studien) haben die Wirksamkeit des JAK1/2-Inhibitors Ruxolitinib bei PV-Patienten untersucht, die Hydroxyurea nicht toleriert haben oder eine Resistenz entwickelt haben.<sup>10, 11</sup> Ruxolitinib ist wirksam in der Hämatokritkontrolle, aber auch in der Beeinflussung der konstitutionellen Symptome der Erkrankung, wenngleich der Effekt in der RELIEF-Studie nicht signifikant im Vergleich zu Hydroxyurea war.<sup>12</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s36_tab2.jpg" alt="" width="350" height="232" /></p> <h2>Essenzielle Thrombozythämie</h2> <p>Das mediane Überleben von ET-Patienten beträgt etwa 20 Jahre.<sup>2</sup> Das thrombosefreie Überleben nach 10 Jahren beträgt anhand einer Studie von Alvarez-Larrán et al. 84 % , d.h., Patienten mit ET haben ein Risiko für thromboembolische Komplikationen und zwar vor allem für Schlaganfall und venöse Thrombosen. Die Rate der Transformation in eine Myelofibrose ist relativ gering und beträgt etwa 3 % nach 10 Jahren.<sup>13</sup><br /> Auch bei Patienten mit ET hängt die Indikation für die zytoreduktive Therapie vom Risikostatus ab. Hier gibt es unterschiedliche Risikostratifizierungssysteme, wobei der klassische IPSET-Score von den rezent publizierten ELN-Guidelines empfohlen wird.<sup>6</sup> Anhand von Alter (über oder unter 60 Jahren), thromboembolischen Komplikationen in der Vorgeschichte und dem Vorhandensein einer JAK2-Mutation sowie kardiovaskulärer Risikofaktoren werden die Patienten in 4 Risikogruppen unterteilt. Alle außer die in der „Very low risk“-Gruppe (Alter unter 60 Jahren, keine thromboembolischen Komplikationen, keine JAK2-Mutation, keine kardiovaskulären Risikofaktoren) sollen niedrig dosiertes Aspirin erhalten. Eine zytoreduktive Therapie ist für Hochrisikopatienten indiziert. In der ersten Linie kann Hydroxyurea oder rekombinantes Interferon eingesetzt werden. Für Anagrelid, welches in der PT-1-Studie Hydroxyurea unterlegen war, konnte in der ANAHYDRET-Studie die Nichtunterlegenheit gezeigt werden, wenn tatsächlich nur „true ET“ – streng nach WHO diagnostiziert – eingeschlossen werden, sodass für diese Patientengruppe Anagrelid in der ersten Linie eine klare Option darstellt.<sup>14, 15</sup> In der zweiten Linie sind alle Alternativen in Abhängigkeit von der ersten Linie unter Berücksichtigung der Komorbiditäten des Patienten möglich (Tab. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s36_tab3.jpg" alt="" width="350" height="296" /></p> <h2>Myelofibrose (MF)</h2> <p>Die Myelofibrose ist die MPN mit der schlechtesten Prognose, die mediane Überlebenszeit beträgt für die gesamte Population 5,9 Jahre.<sup>2</sup> Auch hier bildet die Risikostratifizierung nach IPSS oder DIPSS/DIPSS-plus (es werden hier vier Risikogruppen – „low“, „int-1“, „int-2“, „high risk“ – unterschieden) die Basis der Therapieentscheidung. In der Niedrigrisikosituation kann bei asymptomatischen Patienten eine „Watch and wait“-Strategie verfolgt werden, manche Patienten benötigen aber auch in der Niedrigsituation eine palliative Therapie für Anämie oder Splenomegalie. Für Patienten mit höherem Risiko ist die Möglichkeit der Durchführung einer allogenen Stammzelltransplantation zu prüfen. Ansonsten ist für diese Patienten eine Therapie mit Ruxolitinib indiziert.<sup>16</sup> In den COMFORT-Studien konnte für diese Patientengruppe auch ein Überlebensvorteil gezeigt werden.<sup>17, 18</sup><br /> In der zweiten Linie richtet sich die Therapie der MF-Patienten nach ihren Symptomen. Steht die Anämie im Vordergrund, können in palliativer Intention verschiedene Substanzen zum Einsatz kommen (Erythropoetin-stimulierende Substanzen, Danazol, Thalidomid, Lenalidomid, Pomalidomid).<sup>16</sup> Steht die Splenomegalie im Vordergrund, kann nach Versagen der medikamentösen Therapie individuell eine Splenektomie diskutiert werden (Tab. 4).<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1804_Weblinks_s36_tab4.jpg" alt="" width="600" height="192" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Arber DA et al.: The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood 2016; 127: 2391-2405 <strong>2</strong> Tefferi A et al.: Survival and prognosis among 1545 patients with contemporary polycythemia vera: an international study. Leukemia 2013; 27: 1874-81 <strong>3</strong> Barbui T et al.: Philadelphia-negative classical myeloproliferative neoplasms: critical concepts and management recommendations from European LeukemiaNet. J Clin Oncol 2011; 29: 761-70 <strong>4</strong> Landolfi R et al.: Efficacy and safety of low-dose aspirin in polycythemia vera. N Engl J Med 2004; 350: 114-24 <strong>5</strong> Marchioli R et al.: Cardiovascular events and intensity of treatment of polycythemia vera. N Engl J Med 2013; 368: 22-33<strong> 6</strong> Barbui T et al.: Philadelphia chromosome-negative classical myeloproliferative neoplasms: revised management recommendations from European LeukemiaNet. Leukemia 2018; 32: 1057-69 <strong>7</strong> Kiladjian JJ et al.: Pegylated interferon- alfa-2a induces complete hematologic and molecular responses with low toxicity in polycythemia vera. Blood 2008; 112: 3065-72 <strong>8</strong> Quintas-Cardama A et al.: Pegylated interferon alfa-2a yields high rates of hematologic and molecular response in patients with advanced essential thrombocythemia and polycythemia vera. J Clin Oncol 2009; 27: 5418-24 <strong>9</strong> Gisslinger H et al.: Ropeginterferon alfa-2b induces high rates of clinical, hematological and molecular responses in polycythemia vera: two-year results from the first prospective randomized controlled trial. Blood 2017; 130: 320<strong> 10</strong> Vanucchi AM et al.: Ruxolitinib versus standard therapy for the treatment of polycythemia vera. N Engl J Med 2015; 372: 426-35 <strong>11</strong> Passamonti F et al.: Ruxolitinib for the treatment of inadequately controlled polycythemia vera without splenomegaly (RESPONSE- 2): a randomized, open-label, phase 3b study. Lancet Oncol 2017; 18: 88-99 <strong>12</strong> Mesa R et al.: The efficacy and safety of continued hydroxycarbamide therapy versus switching to ruxolitinib in patients with polycythemia vera: a randomized, double-blind, double-dummy, symptom study. Br J Haematol 2017; 176: 76-85 <strong>13</strong> Alvarez- Larrán A et al.: Essential thrombocythemia in young individuals: frequency and risk factors for vascular events and evolution to myelofibrosis in 126 patients. Leukemia 2007; 21: 1218-23<strong> 14</strong> Harrison C et al.: Hydroxyurea compared with anagrelide in high-risk essential thrombocythemia. N Engl J Med 2005; 353: 33-45<strong> 15</strong> Gisslinger H et al.: Anagrelide compared with hydroxyurea in WHO-classified essential thrombocythemia: the ANAHYDRET study, a randomized controlled trial. Blood 2013; 121: 1720-8<strong> 16</strong> Sliwa T et al.: Austrian recommendations for the management of primary myelofibrosis, post-polycythemia vera myelofibrosis and post-essential thrombocythemia myelofibrosis: an expert statement. Wien Klin Wochenschr 2017; 129: 293-302<strong> 17</strong> Harrison C et al.: JAK inhibition with ruxolitinib versus best available therapy for myelofibrosis. N Engl J Med 2012; 366: 787-98<strong> 18</strong> Verstovsek S et al.: Double-blind, placebo-controlled trial of ruxolitinib for myelofibrosis. N Engl J Med 2012; 366: 799-807</p>
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