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Zunehmendes Interesse an bisher eher wenig beachteten Entitäten
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Geissler
Vorstand der 5. Medizinischen Abteilung mit Onkologie<br> Krankenhaus Hietzing der Stadt Wien<br> E-Mail: klaus.geissler@wienkav.at
30
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21.09.2017
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<p class="article-intro">Völlig neue Therapiekonzepte bei myeloproliferativen Erkrankungen fehlten beim diesjährigen Kongress der EHA. Updates bereits laufender Studien dominierten den klinischen Teil des Kongresses. Ein zunehmendes Interesse an bisher wenig beachteten Entitäten wie der systemischen Mastozytose und der chronischen myelomonozytären Leukämie war deutlich erkennbar.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die BFORE-Studie zeigt, dass Bosutinib eine wichtige Behandlungsoption für neu diagnostizierte CML-Patienten darstellt.</li> <li>Eine CML-Therapie mit Imatinib 400mg ist mit einer nahezu normalen Lebenserwartung asso­ziiert.</li> <li>Die Daten aus PERCIST-1 und -2 zeigen, dass Pacritinib eine Therapieoption für MF-Patienten darstellt, und zwar auch für jene mit Thrombopenie, denen andere Therapieoptionen nicht zur Verfügung stehen.</li> <li>RKIP spielt eine wesentliche Rolle in der molekularen Pathophysiologie der MP-CMML.</li> </ul> </div> <h2>Chronische myeloische Leukämie</h2> <h2>BFORE-Studie</h2> <p>Der BCR-ABL/SRC-Inhibitor Bosutinib hat in der BELA-Studie gegenüber Imatinib den primären Endpunkt einer Verbesserung der CCyR nach 12 Monaten trotz einer Verbesserung von MMR und eines schnelleren Ansprechens nicht erreicht. In der BFORE-Studie, einer offenen Phase-III-Studie an 536 Patienten mit neu diagnostizierter CML, die am EHA-Kongress 2017 vorgestellt wurde (Brümmendorf T, Abstract S425), zeigt sich nun nach 12 Monaten nicht nur eine signifikante Verbesserung der MMR (47,2 % vs. 36,9 % ; p=0,02), sondern auch eine signifikante Verbesserung der CCyR (77,2 % vs. 66,4 % ; p<0,008). Auch die Rate der Verminderung des BCR-ABL-Transkripts ≤10 % nach 3 Monaten war unter Bosutinib signifikant höher (75,2 % vs. 57,3 % ; p<0,0001). Als wichtigste Nebenwirkung von Bosutinib wurde Durchfall ≥Grad 3 bei 7,8 % der Patienten beobachtet, im Vergleich zu 0,8 % der mit Imatinib behandelten Patienten. Diese Studie zeigt, dass Bosutinib eine wichtige Behandlungsoption für neu diagnostizierte CML-Patienten darstellt.</p> <h2>CML-IV-Studie</h2> <p>R. Hehlmann stellte die 10-Jahres-Resultate der deutschen CML-IV-Studie vor (Hehlmann R et al., Abstract S424), in der CML-Patienten in fünf verschiedene Arme randomisiert wurden: Imatinib 400mg, Imatinib + Interferon, Imatinib 800mg, Imatinib + ARA-C und Imatinib nach Interferon-Versagen. Diese Studie, in die 1551 neu diagnostizierte CML-Patienten eingeschlossen waren, bestätigt, dass eine Therapie mit Imatinib 400mg mit einer nahezu normalen Lebenserwartung assoziiert ist, dass ein schnelleres Ansprechen nicht notwendigerweise zu einer Verlängerung des Überlebens führt und dass die Prognose der CML-Patienten mehr durch Biologie und Demografie determiniert wird als durch eine Therapieoptimierung (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1705_Weblinks_s38.jpg" alt="" width="1457" height="850" /></p> <h2>ENESTOP-Studie</h2> <p>T. Hughes präsentierte ein 96-Wochen-Update der ENESTOP-Studie, in der die Möglichkeit des Therapie-Absetzens und der behandlungsfreien Remissionserhaltung bei CML-Patienten überprüft wird, die ein tiefes und anhaltendes molekulares Ansprechen nach einem Wechsel von Imatinib auf Nilotinib zeigen (Hughes T et al., Abstract P257).</p> <h2>ENESTfreedom-Studie</h2> <p>Auch von der ENESTfreedom-Studie wurde ein 96-Wochen-Update vorgestellt (Ross D et al., Abstract P601). Diese Studie evaluiert die Möglichkeit des Therapie-Absetzens und der behandlungsfreien Remissionserhaltung bei CML-Patienten, die ein tiefes und anhaltendes molekulares Ansprechen nach Nilotinib zeigen. Die Ergebnisse beider Studien bestätigen die Stabilität der behandlungsfreien Remission, da nur wenige Patienten zwischen Woche 48 und 96 molekular rezidivierten und erneut mit einem TKI behandelt werden mussten.</p> <h2>DADI-Studie</h2> <p>Über ein 3-Jahres-Follow-up der DADI-Studie wurde von H. Nakaemae berichtet (Nakaemae H et al., Abstract P263). In dieser Studie wurde bei 63 Patienten mit CML in der chronischen Phase Dasatinib nach einer tiefen molekularen Remission für mehr als ein Jahr abgesetzt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass nach 36 Monaten bei 44 % der Patienten eine stabile behandlungsfreie Remission vorliegt.</p> <h2>PACE-Studie</h2> <p>J. Cortes präsentierte die 5-Jahres-Resultate des PACE-Trials, in dem im Rahmen einer Phase-II-Studie Sicherheit und Wirksamkeit einer Ponatinib-Therapie bei CML-Patienten untersucht werden (Cortes J et al., Abstract P603). Ponatinib ist ein oraler TKI, der für Patienten mit CML oder Ph-positiver ALL zugelassen ist, für die kein anderer TKI indiziert ist bzw. die eine T315I-Mutation aufweisen. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde diese Studie vorübergehend unterbrochen. Die 5-Jahres-Langzeitergebnisse zeigen, dass Ponatinib bei schwer vorbehandelten CML-Patienten trotz Dosisreduktionen ein tiefes, andauerndes, klinisch relevantes Ansprechen im Laufe der Zeit erbringt und das frühe zytogenetische und molekulare Ansprechen mit einer verbesserten 4-Jahres-Überlebensrate in der Landmarkanalyse assoziiert ist.<br />M. Crugnola präsentierte ein Langzeit-Follow-up einer Studie, in der sehr alte Patienten mit CML eine Frontline-Therapie mit Imatinib erhielten. Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die Notwendigkeit, auch dieses Patientenkollektiv mit Standarddosen zu behandeln, um ein zytogenetisches und molekulares Ansprechen zu erzielen, das mit dem jüngerer Patienten vergleichbar ist (Crugnola M et al., Abstract P604).</p> <h2>BCR-ABL-negative myeloproliferative Neoplasmen</h2> <h2>SIMPLIFY-1- und -2-Studie</h2> <p>Bei den BCR-ABL-negativen MPN wurden am EHA-Jahreskongress 2017 Ergebnisse von Studien mit neuen JAK2-Inhibitoren präsentiert. In einer randomisierten Phase-III-Studie wurde Momelotinib gegenüber dem bereits etablierten JAK1/2-Inhibitor Ruxolitinib bei bisher unbehandelten Patienten mit Myelofibrose verglichen (SIMPLIFY-1-Studie, Gotlib J et al., Abstract S785). Nach 24 Wochen zeigte sich Momelotinib gegenüber Ruxolitinib bezüglich des Milzansprechens als nicht unterlegen, bezüglich der Symptomkontrolle aber als weniger wirksam. Ein wichtiger Aspekt ist aber die Tatsache, dass Patienten unter Momelotinib einen geringeren Transfusionsbedarf gezeigt haben als unter Ruxolitinib. Momelotinib führte bei Patienten mit Myelofibrose mit vorangegangener Ruxolitinib-Therapie gegenüber BSC (SIMPLIFY-2-Studie) zwar zu einer Verbesserung der krankheitsassoziierten Symptome und einer Verlängerung der Zeit der Transfusionsunabhängigkeit, jedoch zu keiner Verbesserung des Milzansprechens (Verstovsek S et al., Abstract S789).</p> <h2>PERSIST-1 und -2</h2> <p>Der Einsatz von Ruxolitinib bei MF-Patienten mit Thrombopenie ist problematisch und die Zulassung schließt Patienten mit Thrombopenien <50 000/mcl aus. Pacritinib ist ein oraler TKI, der gegen eine Reihe von Kinasen inkl. JAK2 gerichtet ist. In zwei Phase-III-Studien (PERSIST-1, PERSIST-2) brachte Pacritinib gegenüber BAT eine signifikante und andauernde Verminderung der Milzgröße und eine Verbesserung der Symptomkontrolle. Bei Patienten mit Thrombopenie wurde der Kinaseinhibitor Pacritinib gegenüber BAT im Rahmen der PERSIST-2-Studie untersucht, wobei ein Teil der Patienten im BAT-Arm oft auch geringe Dosen von Ruxolitinib erhielt (Harrison C et al., Ab­stract, P701). Während ein Milzansprechen bei Patienten im BAT-Arm kaum beobachtet wurde (3 % ), war eine Verringerung der Milzgröße ≥35 % bei 15 % (Pacritinib 400mg einmal täglich) bzw. bei 22 % (Pacritinib 200mg zweimal täglich) nachweisbar. Die Rate an Grad-3/4-Nebenwirkungen war unter Pacritinib höher als unter Ruxolitinib, während Dosisreduktionen und Absetzen des Medikaments ähnlich häufig waren. Milzansprechen und Symptomkontrolle waren unabhängig von Anämie und Transfusionslast (Talpaz M et al., Abstract P699). Insgesamt ist Pacritinib eine Therapieoption für MF-Patienten, auch für jene mit Thrombopenie, denen andere Therapieoptionen nicht zur Verfügung stehen.</p> <h2>RESPONSE-2-Studie</h2> <p>M. Grieshammer präsentierte ein 80-Wochen-Follow-up der RESPONSE-2-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Ruxolitinib vs. BAT bei HU-resistenten/intoleranten Patienten mit PV ohne Milzvergrößerung untersucht wurden (Grieshammer M et al., Abstract S784). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Ruxolitinib zu einer dauerhaften HK-Kontrolle, zur kompletten hämatologischen Remission, zu einer Verringerung des Phlebotomiebedarfs und Verbesserung der Symptomatik führt, weswegen bei diesen Patienten Ruxolitinib als Standardtherapie betrachtet werden sollte. Auch die JAK2-V617F-Allellast verringert sich im Laufe der Zeit.</p> <h2>PROUD-PV-Studie</h2> <p>Interferon (IFN) ist seit vielen Jahren als interessantes Medikament bei Patienten mit MPN bekannt. Einige Phase-II-Studien haben unabhängig voneinander hohe Raten von hämatologischem und molekularem Ansprechen im Blut gezeigt, der In-vivo-Einfluss von IFN auf die Proliferation von Progenitorzellen im Knochenmark wurde aber bisher nicht untersucht. Solche Untersuchungen wurden nun im Rahmen der PROUD-PV-Studie durchgeführt, bei der in randomisierter Art HU und Ropeginterferon (AOP2014) bei Patienten mit PV verglichen wurden (Kiladjian J et al., Abstract S787). Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die beiden Medikamente einen unterschiedlichen Effekt auf Progenitorzellen haben. Obwohl beide Substanzen zu einer Verminderung des JAK2-Burden im Blut führen, zeigen die Stammzellkulturen eine Abnahme des endogenen BFU-E-Wachstums lediglich unter AOP2014, nicht aber unter HU. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Ropeginterferon, nicht aber HU, imstande ist, den pathophysiologisch relevanten Zellklon bei PV zu beeinflussen, und lässt vermuten, dass molekulare Langzeitremissionen nur mit diesem Medikament erwartet werden können.</p> <h2>PEGINVERA-Studie</h2> <p>Dass eine lang dauernde Behandlung mit Ropegintron möglich ist, zeigt auch die PEGINVERA-Studie, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit dieses Medikaments im Langzeitsetting bei Patienten mit PV untersucht werden. Es konnte gezeigt werden, dass alle Patienten, die von der zweijährigen Phase einer zweiwöchentlichen Verabreichung in die anschließende Phase einer monatlichen Langzeitverabreichung gewechselt haben, bis zum jetzigen Zeitpunkt für mindestens zwei Jahre das Medikament nicht abgesetzt haben (Buxhofer-Ausch V et al., Abstract P707).</p> <h2>Sonstige myeloproliferative Neoplasmen</h2> <h2>Studien D2201 und A2213</h2> <p>Ein zunehmendes Interesse an bisher wenig beachteten Entitäten wie der systemischen Mastozytose und der chronischen myelomonozytären Leukämie war im Rahmen des Kongresses deutlich erkennbar. Mit Midostaurin steht ein TKI zur Verfügung, der gegen die KIT-Mutation D816V gerichtet ist, die bei der Mehrzahl von Patienten mit fortgeschrittener systemischer Mastozytose nachweisbar ist. In den beiden Phase-II-Studien D2201 und A2213 zeigten Patienten mit einer solchen Erkrankung ein Ansprechen von 60 % bzw. 69 % . A. Reiter präsentierte eine Studie, in der gepoolte Daten dieser beiden Studien mit Daten aus einem Patientenregister im Hinblick auf das Gesamtüberleben verglichen wurden (Reiter A et al., Abstract S788). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Midostaurin mit einem 38 % geringeren Mortalitätsrisiko im Vergleich mit einer unbehandelten historischen Kontrolle assoziiert und der Nutzen in sämtlichen Subgruppen nachweisbar war.<br />Eine Arbeit, die sich mit der Pathophysiologie der CMML befasst, wurde von einer österreichischen Arbeitsgruppe präsentiert (Caraffini V et al., Abstract S419). Die Tatsache, dass die Ergebnisse in einer oralen Präsentation vorgestellt werden durften, ist ein Beweis dafür, dass die Thematik vom Auswahlkomitee als besonders interessant und relevant erachtet wurde. Die CMML ist charakterisiert durch eine verstärkte Proliferation der myelomonozytären Zellreihe, die, wie schon in den letzten Jahren von der österreichischen Arbeitsgruppe gezeigt worden ist, in vielen Fällen auf eine Überaktivierung des RAS-Signalweges zurückzuführen ist. RAF-Kinase-Inhibitor-Protein (RKIP) ist ein Negativregulator des RAS-Signalpfades. Ein Verlust von RKIP kann häufig bei akuten Leukämien der myelomonozytären Zellreihe nachgewiesen werden und ist oft mit RAS-Mutationen assoziiert. In dieser Studie wurde bei 26 % der CMML-Patienten ein Verlust von RKIP festgestellt. Der Verlust von RKIP war mit einer Verminderung der entsprechenden mRNA und einem erhöhten Prozentsatz myelomonozytärer Zellen im Blutbild assoziiert. Zumindest eine Mutation in einer RAS-Pfad-Komponente wurde in allen Fällen mit RKIP-Verlust festgestellt. In funktionellen Studien war der Knock-down von RKIP mit einer gesteigerten GM-CSF-induzierten Myelomonozytopoese assoziiert. Während eine molekulare Abschaltung von RKIP im Mausmodell nicht ausreichte, um eine Erkrankung zu induzieren, wurde der CMML-MPD-Phänotyp von Mäusen mit einer NRAS-Mutation durch die gleichzeitige Inaktivierung von RKIP aggraviert und führte zu Leukozytose und Splenomegalie. Diese Resultate unterstreichen die wichtige Rolle von RKIP in der molekularen Pathophysiologie der MP-CMML.</p></p>
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