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Wissenschaftliche Evidenz im Bereich integrativer Onkologie
Jatros
Autor:
DDr. Hedda Sützl-Klein
European Society for Integrative<br> Health Research (ESIHR)<br> Wien<br> E-Mail: hedda.suetzl-klein@aon.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Eine Pubmed-Recherche im Februar und März 2017 zeigt einen seit dem Jahr 2000 sehr raschen Anstieg der Zahl der wissenschaftlichen Publikationen im Bereich „Integrative Onkologie“ (Abb. 1) und zu einzelnen Themenbereichen. Insgesamt waren in Pubmed Ende März 2017 mehr als 5500 Publikationen unter dem Stichwort „Integrative Onkologie“ zu finden, davon 145 Metaanalysen.<sup>1</sup> Mehr als 20 000 Artikel fanden sich unter dem Stichwort „Integrative Medizin“.</p>
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<p class="article-content"><h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s70_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="923" /></h2> <h2>Hintergrund und Zielsetzungen</h2> <p>Komplementärmedizinische Ansätze in der Onkologie befassen sich v.a. mit Fragen der Verringerung von Nebenwirkungen konventioneller Krebstherapien und der damit verbundenen Verbesserung von Lebensqualität, aber auch mit Fragen zur Stärkung von Regulationssystemen und Immunantworten und möglichen antitumoralen Wirkungen. Dabei sind vor allem die Nutzung von (traditionellen) Heilpflanzen und Gewürzen aus Asien und Europa und Forschungen dazu hervorzuheben. Krebserkrankungen sind zwar immer häufiger erfolgreich konventionell behandelbar, haben aber ihre Bedrohlichkeit nicht verloren. Patienten fragen: „Was kann ich tun?“, und auch Therapeuten stellen vielfach die Frage: „Welche ergänzenden Methoden sind wofür wirksam und kompatibel?“</p> <h2>Lebensstilbezogene Ansätze</h2> <p>Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) schätzt weltweit aktuell 30–50 % der Krebserkrankungen als vermeidbar ein und hat fünf Verhaltens- und Ernährungsrisiken identifiziert, die für rund ein Drittel der Krebstodesfolgen als verantwortlich gesehen werden: Übergewicht, geringer Anteil an Gemüse- und Fruchtverzehr, Mangel an körperlicher Aktivität, Tabakrauch und Alkohol. Dementsprechend empfiehlt die WHO (studienbasiert) zur Krebsprävention die Modifizierung bzw. Vermeidung von Schlüssel-Risikofaktoren<sup>2</sup> wie Strategien zur Gewichtskontrolle (zur Verhinderung von Adipositas und Übergewicht), eine gesunde Ernährung mit hohem Anteil an Pflanzen (wie Gemüse, Obst, Vollkorn und Nüsse) sowie regelmäßige körperliche Aktivitäten (60 Minuten pro Tag für Kinder und 150 Minuten pro Woche für Erwachsene).<sup>3, 4</sup><br /> Metaanalysen zu lebensstilbezogenen Ansätzen bestätigen die Vorteile gesunder Ernährung und die Bedeutung von Bewegung bzw. Sport v.a. bei der Prävention von Krebserkrankungen. Zu Krebs und Ernährung gibt es über 35 000 Pubmed-Artikel (davon 682 Metaanalysen) und zu körperlicher Aktivität über 20 000 Artikel (davon 410 Cochrane-Metaanalysen). So weist beispielsweise die Metaanalyse von Schwingshackl und Hoffmann<sup>5</sup> auf Basis von 56 Beobachtungsstudien mit insgesamt 1 784 404 Personen auf Vorteile mediterraner Ernährung v.a. in der Prävention hin: Die höchste Kategorie der Einhaltung mediterraner Diät ist mit einem geringeren Risiko für (Gesamt-)Krebsmortalität und einem verringerten Risiko des Auftretens verschiedener Krebserkrankungen verknüpft. Zum Einfluss von Ernährung auf Mortalität und Krebswiederkehr bei Krebsüberlebenden erschien eine Metaanalyse von Schwedhelm et al<sup>6</sup>, die 177 Kohortenstudien mit 209 597 Krebsüberlebenden einschloss. Eine jüngst erschienene Metaanalyse, die pharmazeutische, psychologische und körperliche Interventionen für krebsbezogene Fatigue vergleicht, kommt zum Ergebnis, dass körperliche Übungen, psychologische Interventionen und deren Kombination die krebsbezogene Fatigue während und nach Primärbehandlung verringern – die untersuchten pharmakologischen Interventionen hingegen nicht.7 Die Autoren empfehlen daher körperliche Übungen und psychologische Interventionen als First-Line-Behandlungen bei krebsbezogener Fatigue.</p> <h2>Komplementärmedizinische Therapien</h2> <p><strong>1) Yoga und achtsamkeitsbasierte Stressreduktion</strong><br /> Zu Yoga (als ganzheitlicher Körpertherapie) sind unter den Stichworten Cancer und Yoga Ende März 346 Pubmed-Publikationen (davon 19 Metaanalysen) verzeichnet und zu achtsamkeitsbasierten Stressreduktionsinterventionen 109 Pubmed- Artikel (davon 9 Metaanalysen; 25. März 2017). Der Anfang 2017 veröffentlichte Cochrane-Datenbank-basierte systematische Review von Holger Cramer et al zeigt, dass moderate Evidenz die Empfehlung unterstützt, bei Brustkrebs Yoga als unterstützende Intervention zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, von Fatigue und Schlafstörungen (im Vergleich zu keiner Therapie) sowie zur Reduktion von Depression, Angst und Fatigue (im Vergleich zu psychosozialer/ pädagogischer Intervention) einzusetzen.<sup>8</sup> Zur Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Therapie zwecks Reduzierung von Angst und Depression bei Patienten mit Krebserkrankungen kommen Zhang MF et al in ihrer Metaanalyse zum Ergebnis, dass diese bei Ängsten und Depression eine signifikant höhere Wirkung als Kontrollbehandlungen hat.<sup>9</sup> Eine signifikante Verbesserung ist jedoch nur in den ersten 3 Monaten ab Therapiestart sichtbar. Weitere Forschungen betreffend langfristige Wirkungen werden daher empfohlen.<br /><br /> <strong>2) Akupunktur</strong><br /> Zu Akupunktur (1426 Artikel) bzw. TCM (2802 Artikel zu „Chinese herbal medicine“) und Krebs gibt es seit Beginn dieses Jahrtausends eine rege und in Pubmed- Publikationen sichtbar ansteigende Forschungstätigkeit. Die Übersichtsdarstellung des National Cancer Institute, USA,<sup>10</sup> zeigt für Akupunktur bei der Behandlung von Nebenwirkungen konventioneller Krebstherapien die stärkste Evidenz bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen. Weniger stark ist ihre Wirksamkeit bei Hitzewallungen, Schmerz, Fatigue, Mundtrockenheit (bei Strahlentherapie) und peripheren Neuropathien belegt. Weitere Studien werden empfohlen.<br /><br /> <strong>3) Phytotherapie</strong><br /> Über 5203 Pubmed-Publikationen sind zum Thema Phytotherapie und Krebs zu finden, davon 60 Metaanalysen, mit starkem Anstieg der Publikationen seit Ende der 1990er-Jahre. Eine überaus spannende Metaanalyse von Zheng J et al zum Einsatz von Gewürzen zwecks Prävention und Therapie von Krebserkrankungen analysiert einige Gewürze als potenzielle Quellen für die Prävention und Therapie von Krebs,<sup>11</sup> so z.B.: Curcuma longa (Gelbwurz), Nigella sativa (Echter Schwarzkümmel), Allium sativum (Knoblauch), Capsicum annuum (Spanischer Pfeffer), Crocus sativus (Safran), Zingiber officinale (Ingwer) und Piper nigrum (Schwarzer Pfeffer). Als Hauptmechanismen werden die Induktion der Apoptose, die Hemmung der Proliferation, Migration und Invasion der Tumore sowie das Empfänglichmachen des Tumors für Strahlen- und Chemotherapie angesprochen.<br /> Zu einzelnen Heilpflanzen bzw. Gewürzen im Zusammenhang mit Krebs gibt es zahlreiche Veröffentlichungen:</p> <ul> <li>Curcuma (811 Pubmed-Artikel, Curcumin: 3799 Artikel): In einer Metaanalyse zeigen Sahebkar A et al, dass Curcumin (ein bioaktives Polyphenol der Gelbwurz [Curcuma]) eine signifikante Reduktion der zirkulierenden Tumornekrosefaktor- Konzentrationen in 8 analysierten RCTs (randomisierte kontrollierte Studien) bewirkte. Neueste Studien befassen sich vor allem mit den biologischen Aktivitäten von Curcumin (und anderen Pflanzenbestandteilen).<sup>12</sup></li> <li>Weihrauch (Boswellia serrata; 79 Pubmed- Artikel): Khan MA et al (2016) zeigten in ihrer Literaturstudie zur pharmakologischen Evidenz für zytotoxische und Antitumoreigenschaften des Weihrauchharzes und seiner Bestandteile („Boswellic acids“) die Wirkmechanismen der Weihrauchsäuren auf und kamen zum Schluss, dass Weihrauchsäuren vielversprechende Kandidaten für die Entwicklung künftiger Krebsmedikamente sein könnten.<sup>13</sup></li> <li>Ingwer (389 Pubmed-Artikel): Ingwer wird v.a. zur Verringerung von Chemotherapie- induzierter Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Die Studienlage unterstützt diesen Einsatz (allerdings gibt es auch einige gegenteilige Ergebnisse bei klinischen Studien) und die australische Forschungsgruppe um Marx W et al weist auch auf bioaktive Bestandteile und Wirkungsweisen von Ingwer hin.<sup>14</sup></li> </ul> <p><br /><br /> <strong>4) TCM-Heilpflanzenmedizin</strong><br /> Mit über 2800 Pubmed-Publikationen (davon 76 Metaanalysen) stellt die TCMHeilpflanzenmedizin („Chinese herbal medicine“) die am stärksten vertretene komplementärmedizinische Methode in der Onkologie dar. In jüngsten Metaanalysen fanden sich zum Teil Hinweise auf die Wirksamkeit von TCM-Heilpflanzen- Einsatz zur Verminderung von Nebenwirkungen konventioneller Krebstherapien und zur Immunregulation (bzw. -stärkung) wie auch auf antitumorale Wirksamkeit und Förderung des Gesundheitszustandes (Verbesserung nach dem Karnofsky Scale Score) bzw. der Lebensqualität.<sup>15</sup> Zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich eines Einflusses von TCMHeilkräutern auf die Überlebensrate und das Auftreten von Rezidiven kamen Chung VC et al in ihrem Überblick über systematische Reviews mit Metaanalysen zur Wirksamkeit von TCM-Heilpflanzenmedizin im Bereich der palliativen Versorgung von an Krebs Erkrankten.<sup>16</sup><br /><br /> TCM und Brustkrebs<br /> Eine Metaanalyse zum Einsatz von TCM als additive Therapie zur Chemotherapie bei Brustkrebs (31 RCTs mit 2805 Patientinnen) kam zu dem Ergebnis, dass die Kombination von Chemotherapie und TCM die unmittelbare Tumorantwort zu verbessern und chemotherapiebedingte unerwünschte Nebenwirkungen zu verringern vermag. Die Autoren kritisierten jedoch die geringe Qualität der chinesischen Studien, betonten die Notwendigkeit weiterer, qualitativ hochwertiger Studien (RCTs) und wiesen auf die auch fehlende molekularbasierte Evidenz hin.<sup>17</sup><br /> Zhu L et al kommen in ihrer Metaanalyse (33 RCTs mit 2098 Patientinnen) zu ähnlichen Ergebnissen, weisen auch auf die fünf häufigsten TCM-Heilpflanzen, die bei Brustkrebs eingesetzt werden, hin und erläutern die in den Studien gefundenen Wirkungsweisen.<sup>18</sup><br /><br /> TCM und Prostatakrebs<br /> Ein systematischer Review von Cao H et al zur Einnahme von TCM-Kräutern bei Prostatakrebs (17 RCTs mit 1224 Patienten, wobei in 16 Studien TCM additiv eingesetzt wurde) bringt nur beschränkte Hinweise darauf, dass eine Kombination von TCM-Kräutertherapie und konventioneller Therapie wirksamer als konventionelle Therapie alleine sein könnte. Auch hier wird der Bedarf an weiteren qualitativ hochwertigen Studien angesprochen.<sup>18</sup><br /><br /> <strong>5) Kneipp-Medizin und integrativmedizinische Angebote</strong><br /> Während es in den letzten Jahren einen regelrechten Boom bei englischen Publikationen zum Einsatz traditioneller asiatischer Medizin bei Krebserkrankungen gibt, sind die Publikationen zu europäischen Ansätzen eher spärlich. Neben der Misteltherapie (über 600 Pubmed-Publikationen) werden zur Prävention und Therapieunterstützung u.a. auch die ganzheitlichen Ansätze der Kneipp-Medizin genutzt, die derzeit nur in einer Pubmed- Publikation behandelt wird.<sup>19</sup> Das 5-Säulen- Konzept der Kneipp-Medizin spricht Ernährung, Bewegung, den Einsatz von Heilpflanzen (europäische Phytotherapie), Wasser und unter „Lebensordnung“ eine Neuorientierung bzw. Lebensstilmodifikation an. Zur Hebung ihres Potenzials zur Prävention und Therapie(-begleitung) wären vermehrt öffentliche und private Forschungen erforderlich.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> www.pubmed.com <strong>2</strong> WHO, Fact Sheet Cancer, aktualisiert 2017: www.who.int/mediacentre/factsheets/fs297/ en/ <strong>3</strong> WHO Fact Sheet Obesity and Overweight, N°311, updated Juni 2016: www.who.int/mediacentre/factsheets/ fs311/en/ <strong>4</strong> Lauby-Secretan B et al: Body fatness and cancer – viewpoint of the IARC working group. N Engl J Med 2016; 375: 794-8 <strong>5</strong> Schwingshackl L, Hoffmann G: Adherence to mediterranean diet and risk of cancer: an updated systematic review and meta-analysis of observational studies. Cancer Med 2015; 4(12): 1933-47 <strong>6</strong> Schwedhelm C et al: Effect of diet on mortality and cancer recurrence among cancer survivors: a systematic review and metaanalysis of cohort studies. Nutr Rev 2016; 74(12): 737-48 <strong>7</strong> Mustian KM et al: Comparison of pharmaceutical, psychological, and exercise treatments for cancer-related fatigue: a meta-analysis. JAMA Oncol 2017; doi: 10.1001/jamaoncol. 2016.6914 [Epub ahead of print] <strong>8</strong> Cramer H et al: Yoga for improving health-related quality of life, mental health and cancer-related symptoms in women diagnosed with breast cancer. Cochrane Database Syst Rev 2017; doi: 10.1002/14651858.CD010802.pub2 <strong>9</strong> Zhang MF et al: Effectiveness of mindfulness-based therapy for reducing anxiety and depression in patients with cancer: a metaanalysis. Medicine (Baltimore) 2015; 94(45): e0897-0 <strong>10</strong> www.cancer.gov <strong>11</strong> Zheng J et al: Spices for prevention and treatment of cancers. Nutrients 2016; 8(8): pii: E495 <strong>12</strong> Sahebkar A et al: Curcumin downregulates human tumor necrosis factor-a levels: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Pharmacol Res 2016; 107: 234-42 <strong>13</strong> Khan MA et al: Pharmacological evidences for cytotoxic and antitumor properties of Boswellic acids from Boswellia serrata. J Ethnopharmacol 2016; 191: 315-23 <strong>14</strong> Marx W et al: Ginger-mechanism of action in chemotherapy-induced nausea and vomiting: a review. Crit Rev Food Sci Nutr 2017; 57(1): 141-6 <strong>15</strong> Zhu L et al: Chinese herbal medicine as an adjunctive therapy for breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Evid Based Complement Alternat Med 2016; 2016: 9469276 <strong>16</strong> Chung VC et al: Effectiveness of Chinese herbal medicine for cancer palliative care: overview of systematic reviews with meta-analyses. Sci Rep 2015; 5: 18111 <strong>17</strong> Sun X et al: Chinese herbal medicine as adjunctive therapy to chemotherapy for breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Evid Based Complement Alternat Med 2016; 2016: 3281968 <strong>18</strong> Cao H et al: A systematic review of randomized controlled trials on oral chinese herbal medicine for prostate cancer. PLoS One 2016; 11(8) :e0160253 <strong>19</strong> Hack CC et al: Local and systemic therapies for breast cancer patients: reducing short-term symptoms with the methods of integrative medicine. Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75(7): 675-82</p>
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