
Wie integrative Medizin Krebspatientinnen unterstützen kann
Autorin:
OÄ Dr. med. Stefanie Stirnberg
Fachärztin für Gynäkologie und
Geburtshilfe, Leitung Integrative Medizin Brustzentrum Rheinfelden
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Die integrative Medizin verbindet die ärztliche Standardtherapie und die Komplementärmedizin zu einem Konzept, das u.a. die Lebensqualität verbessern und Nebenwirkungen mindern soll. Die Patientinnen erhalten zudem die Möglichkeit, sich selbst aktiv amBehandlungs- und Genesungsprozess zu beteiligen.
Keypoints
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Integrative Medizin kann Nebenwirkungen der Standardtherapien reduzieren, die Lebensqualität der Patientinnen verbessern und somit Therapieabbrüche verhindern.
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Die Mind-Body-Medizin besteht aus einem multimodalen Therapiekonzept, das dazu beiträgt, dass Nebenwirkungen reduziert werden und die Resilienz der Patientinnen gestärkt wird. Hierzu werden moderne wissenschaftliche Erkenntnisse und bewährte Methoden aus Psychologie, Komplementärmedizin, Ernährungs- und Sportwissenschaften kombiniert.
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Akupunktur, Akupressur, Yoga und regelmässige körperliche Aktivität sind zur Linderung von diversen Nebenwirkungen unter antihormoneller Therapie wirksam.
Immer mehr Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom wünschen sich Informationen zu ergänzenden Therapien. Es besteht daher ein grosser Bedarf, eine evidenzbasierte Beratungs- und Behandlungskompetenz in der Onkologie im Sinne einer integrativen Therapie zu implementieren.
Viele Patientinnen wenden während ihrer konventionellen Krebstherapie integrative bzw. komplementärmedizinische Massnahmen an, die sich im Gegensatz zu den sogenannten «alternativen» Therapien als Ergänzung oder Optimierung der Schulmedizin verstehen. Eine «Alternativtherapie» möchte lediglich die erprobten Standardtherapien ersetzen. Wird eine rein alternative Therapie durchgeführt (also ohne jegliche konventionelle Krebstherapie), so zeigen Daten des im Jahr 2018 veröffentlichten amerikanischen Krebsregisters bei Mammakarzinom eine fünfmalhöhere Sterblichkeit.1
Die integrative Medizin versteht sich als patientenzentrierter, evidenzbasierter Teil der onkologischen Therapie, die viele verschiedene Verfahren umfasst, wie z.B. die Mind-Body-Medizin, die traditionelle chinesische Medizin, die Phytotherapie oder die Aromatherapie.
Multimodale Therapien im Ansatz der Mind-Body-Medizin
Die Ordnungstherapie ist eine der fünf Säulen der klassischen Naturheilkunde. Wer krank ist, brauche «Ordnung in der Seele und im Leben», erklärte einst Pfarrer Sebastian Kneipp. Dazu trägt nicht nur ein ausgewogener Lebensstil mit ausreichend Bewegung, gesundem Essen und Stressbewältigung bei. Auch Gedanken und Gefühle sind wichtig, denn zwischen Psyche, Körper und Verhalten besteht eine enge Verbindung. Die Ordnungstherapie in der klassischen Naturheilkunde wurde mit der Mind-Body-Medizin um die Aspekte der modernen Stress- und Lebensstilforschung ergänzt. Ihre medizinwissenschaftlichen Wurzeln hat die Mind-Body-Medizin also in der inneren Medizin und der Verhaltensmedizin, der Stressforschung sowie in der Psychoneuroimmunologie. Einen Schwerpunkt bildet die Schulung in Achtsamkeit und Selbstfürsorge.
Der Begriff Mind-Body-Medizin wurde in Nordamerika geprägt. Dort hat sich dieser ganzheitliche Therapieansatz, der nun zunehmend in Europa Verbreitung findet, in den vergangenen Jahrzehnten etabliert.
Das Therapiespektrum der Mind-Body-Medizin ist nichtmedikamentös aufgebaut (Tab. 1) und umfasst Bewegung, Ernährung, aktive Entspannung (wie z.B. Yoga, Qigong, Tai-Chi), Atemübungen bis hin zu «Mindfulness-based stress reduction»(MBSR)-Verfahren und dem Erlernen von evidenzbasierten komplementärmedizinischen Selbsthilfemöglichkeiten wie z.B. Akupressur bei tumorassoziierter Fatigue.
Tab. 1: Übersicht über Empfehlungen zu möglichen Komplementärtherapien während der Behandlungsphase. Modifiziert nach 3
Ziele der Mind-Body-Medizin sind die Stärkung der Selbstheilungskräfte und der Eigenverantwortung der Patientin sowie die Entwicklung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils im Alltag. Die Lebensqualität und Krankheitsbewältigung der Patientin können so deutlich verbessert werden. Die heilsame Wirkung der Mind-Body-Medizin ist wissenschaftlich nachgewiesen.13
Bewegungstherapie & Entspannungstechniken gegenFatigue
Fatigue ist die häufigste Nebenwirkung einer Tumortherapie. Circa 80% aller Tumorpatientinnen leiden während einer Chemo- oder Strahlentherapie an Fatigue. Nach Abschluss der Krebstherapie bleibt bei ca. 30% der Patientinnen diese körperliche und geistige Erschöpfung bestehen, die vor allem die Lebensqualität der Patientinnen stark beeinträchtigt. Die Fatigue ist ausserdem ein unabhängiger Risikofaktor für das rezidivfreie und das Gesamtüberleben.2
Zur Behandlung wird in der Leitlinie «Komplementäre Therapie» der Kommission Mamma3 der Arbeitsgemeinschaft für Onkologische Gynäkologie (AGO) und der S3-Leitlinie «Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen»4 besonders die Bewegungstherapie (Ausdauer- und Krafttraining) empfohlen (Soll-Empfehlung). Es ist also wichtig, Patientinnen mit Fatigue gezielt zu körperlichem Training und Sport zu motivieren.
Durch Yoga als aktive Entspannungsmassnahme zeigt sich ebenfalls eine deutliche Reduktion der Fatigue und der Entzündung, wie in Studien nachgewiesen werden konnte.5 Ein Leberwickel mit Schafgarbe kann unterstützend zu einer Besserung der chronischen Müdigkeit beitragen. Eine Abnahme der Fatigue lässt sich ausserdem mit Akupunktur und Akupressur erreichen. Die entspannende Akupressur ist hierbei eine sehr kostengünstige und effektive Option.6 Phytotherapeutisch lindert eine Misteltherapie die Fatigue signifikant7 und verbessert die Lebensqualität.
Nebenwirkungen der antihormonellen Therapie lindern
Aromatasehemmer und Tamoxifen sind in der Therapie des hormonrezeptorpositiven Mammakarzinoms von grosser Bedeutung. Vor allem jedoch unter der Therapie mit Aromataseinhibitoren treten gehäuft Arthralgien und Myalgien auf, die die Therapieadhärenz der Patientinnen beeinträchtigen können. Die Gelenkbeschwerden stellen den häufigsten Grund für einen Therapieabbruch da. Somit sind hier die Therapiemöglichkeiten der Komplementärmedizin besonders interessant.
Die erste und sehr effektive Therapieoption ist regelmässiges körperliches Training, das die Symptome deutlich verbessern kann.8 Auch die Akupunktur9 und die Akupressur10 spielen eine grosse Rolle und können helfen, die Gelenkbeschwerden zu reduzieren. Einreibungen mit analgetischen Ölen, wie z.B. Aconit Schmerzöl® oder Solum Öl®, aber auch Retterspitz®-Umschläge oder der klassische Kohlwickel bringen ebenfalls vielen Patientinnen eine deutliche Symptomlinderung. Bei therapierefraktären Schmerzen kann auch eine Behandlung mit einer Kombination aus Bromelain, Linsenlektin, Papain und Selen erfolgversprechend sein.11
Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen treten unter Tamoxifen häufiger auf als unter Therapie mit Aromatasehemmern und sind ebenfalls sehr belastend für die Patientinnen. Bei Hitzewallungen helfen Akupunktur, kognitives Verhaltenstraining, regelmässiges körperliches Training, Entspannungstraining und Hypnose. Phytotherapeutisch kann die Traubensilberkerze eingesetzt werden, da in zahlreichen Studien ein geringes Nebenwirkungspotenzial nachgewiesen werden konnte.12 Tatsächlich hilft auch Kneippen gegen Hitzewallungen. Wenn Patientinnen 2–3x täglich kalte Armbäder über mehrere Tage bzw. Wochen anwenden, bessern sich ihre Beschwerden oft deutlich.
Cremes und Zäpfchen gegen vaginaleTrockenheit
Viele Patientinnen leiden aufgrund der antihormonellen Therapie an Trockenheit im Intimbereich. Hierauf sollten die Patientinnen gezielt angesprochen werden. Bei der antihormonellen Therapie führt der starke Abfall des Östrogens zu einer Atrophie der Scheidenschleimhaut mit Trockenheit und häufig Schmerzen. Diese reichen von Berührungsempfindlichkeit bis zur Dyspareunie. Teilweise wird Geschlechtsverkehr sogar ganz unmöglich. Abhilfe schafft hier die tägliche Anwendung von speziellen vaginalen Feuchtigkeitscremes oder -zäpfchen, die z.B. Granatapfelsamenöl, Aloe vera, Ringelblume oder Rosenöl enthalten. Sie verbessern die Befeuchtung und Elastizität der Scheide. Zusätzlich hilft z.B. auch das Sandelholzsitzbad® nach Stadelmann.
Fazit
Da die integrative Onkologie zahlreiche Nebenwirkungen der onkologischen Standardtherapie vermindern und gleichzeitig die Lebensqualität der Patientinnen verbessern kann, ist es besonders wichtig, dass betroffene Patientinnen über die komplementärmedizinischen Möglichkeiten informiert werden. Mithilfe der integrativen Medizin wird die Resilienz der Patientinnen gestärkt und Therapieabbrüche werden verhindert.
Literatur:
1 Johnson SB et al.: J Natl Cancer Inst 2018; 110(1) 2 Abraham J et al.: BMC med 2015; 13: 306 3 AGO e.V. in der DGGG e.V. sowie in der DKG e.V.: 2022. Online unter ago-online.de . Abgerufen am 24. November 2022 4 Leitlinienprogramm Onkologie: AWMF-Registriernummer: 032/055OL. September 2021 5 Kiecolt-Glaser JK et al.: JClin Oncol 2014; 32(10): 1040-9 6 Zick SM et al.: JAMA Oncol 2016; 2(11): 1470-6 7 Oei SL et al.: Integr Cancer Ther 2020; 19: 1534735420917211 8 Irwin ML et al.: J Clin Oncol 2015; 33(10): 1104-11 9 Chen L et al.: Breast 2017; 33: 132-8 10 Yeh CH et al.: Oncol Nurs Forum 2017; 44(4): 476-87 11 Uhlenbruck G et al.: In Vivo 2010; 24: 799-802 12 Ruan X et al.: Climacteric 2019; 22(4): 339-47 13 Voiss P, Witt C: Karger Kompass Onkol 2018; 5: 206-8